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Casemiro: Der besungene Held

Wenn du so häufig als unterschätzt bezeichnet wirst, dass du es eigentlich nicht mehr bist, bist du vermutlich: 26 Jahre alt, Brasilianer, spielst bei Real Madrid und heißt Carlos Henrique Casemiro. Dass er in einigen Spielen ebenso ein Problem für die Madrilenen darstellt, wird hingegen kaum beleuchtet.

So sind seine strategischen Fähigkeiten kaum ausgeprägt und sein Bewegungsspiel ist problematisch: Er balanciert die Laufwege seiner Kollegen nicht aus oder zieht Räume für sie auf, sondern blockiert häufig Passwege. Casemiros Umblickverhalten ist ebenso nicht auf Topniveau. Von Pressingattacken aus dem Rücken kann er durchaus überrascht werden.

Zusätzlich sind die technischen Fähigkeiten des Brasilianers nicht über jeden Zweifel erhaben. Seine Flugbälle sind technisch ansprechend, doch die Ballverarbeitung und das Passspiel unter Druck bereiten ihm desöfteren Probleme. Um das Spiel gestalten zu können, fehlt es ihm insgesamt an strategischem Geschick und spielerischer Qualität.

Deswegen wird der Brasilianer in der tiefen Zirkulation bewusst versteckt: Der Spielaufbau wird um ihn herum gestaltet. Teilweise gibt es absurde Szenen, in denen Casemiro trotz guter Position nicht angespielt wird, da das Risiko eines Ballverlustes zu hoch ist.

Casemiros Wichtigkeit

Erstmal: Seit seiner Ankunft bei Real Madrid hat er sich in besagten Disziplinen stark verbessert. Der Sechser ist bei weitem nicht mehr so eine Blockade für den Spielaufbau. Gerade sein Bewegungsspiel ist besser auf seine Rolle abgestimmt und versperrt seltener die wichtigen Räume für Modric und Kroos.

In einigen Szenen lässt Casemiro auch ungeahntes technisches Potenzial aufblitzen. Drucksituationen löst er mit kleinen Dribblings auf oder durchbricht den Raum einfach mit seiner Physis.

Seine Qualitäten liegen aber in anderen Bereichen: Seine Raumabsicherung ist wie seine Zweikampfführung sehr stark. Das Timing, wenn er den Zugriff sucht oder wenn er in tiefer Rolle verharrt, ist besonders gut. Der 26-Jährige leitet den Gegner nicht nur, sondern kann in vielen Fällen direkt den Ball gewinnen.

Das taktische Verständnis, was ihm im Aufbauspiel zuweil abhanden geht, findet sich dafür in seinen defensiven Fähigkeiten. Allein seine Physis befähigt ihn zu einem guten Abräumer, doch er paart dies mit starker Entscheidungsfindung.


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Hierbei wird er selbstverständlich von Kroos und Modric unterstützt: Gerade das Defensivspiel des Deutschen ist in der Öffentlichkeit weiterhin unterschätzt. Kroos ist im direkten Zweikampf schwach, doch er kann die Angriffe des Gegners bereits im Voraus lesen und sie mit seinem Stellungsspiel aus den wichtigen Räumen fernhalten.

Und da bei Mittelfeldspielern immer noch die Meinung vorherrscht, wer klein ist und nicht viele gelbe Karten sammelt, ist defensivschwach, gehe ich noch auf Modric ein: „el pony“ trifft quasi keine falschen Entscheidungen. Rückt Modric auf, schneidet er Anspielstationen des Gegners ab. Bleibt er in tiefer Position, stellt er die Kompaktheit des Teams sicher.

Casemiro profitiert von den Qualitäten beider enorm. Seine Kollegen leiten den Gegner und Casemiro stellt die letzte Instanz vor der Abwehr dar, die die Bälle dann aufsammelt.

Das Dilemma

Seine Schwächen hingegen konnten im System Reals gut versteckt werden. Mit Varane, Marcelo, Kroos und Modric gibt es genügend Spieler, die das Spiel aufbauen und strukturieren können. Für den Gegner ist im Pressing dementsprechend das Ziel, den Aufbau auf Casemiro zu leiten und diesen dann zu isolieren.

Das ist aber nicht so einfach, weil für Kroos und Modric die Zeit nicht nur gefühlt eine Sekunde langsamer läuft, sondern sie darüber hinaus konstant die richtigen Räume ansteuern. Und Marcelo ist so absurd dribbelstark, dass er sich aus nahezu jeder Enge lösen kann.

Dadurch entsteht dann folgende Situation: Gegen schwächere Gegner, in denen Real Madrid klar die spielbestimmende Mannschaft ist, würden seine Schwächen mehr zum Tragen kommen. Die individuelle Klasse seiner Mitspieler kann seine Defizite aber kaschieren. Madrid kann es sich folglich leisten, eine defensive Absicherung (Casemiro) mehr auf dem Platz zu haben.

Gegen Top-Teams hat sich Real – unter Zidane – meist aufs Konterspiel fokussiert und den Gegner das Spiel machen lassen. Durch die defensive Ausrichtung seines Teams waren Casemiros Schwächen für das eigene Team unerheblich, seine Stärken dafür umso wichtiger. Deswegen lieferte er besonders in den Top-Spielen immer wieder starke Leistungen ab, die der Öffentlichkeit in Erinnerung blieben.

Die Alternativen

Nachdem mit Mateo Kovacic der beste Backup-ZM der Welt zu Chelsea London verliehen wurde, bleiben als (sinnvollste) Optionen für die Sechs Marcos Llorente und Fede Valverde übrig. Llorente hat in La Liga letzte Saison nur 541 Minuten gespielt, konnte seine Potenzial in den Einsätzen aber andeuten.

Der Spanier ist physisch nicht so stark wie Casemiro, besitzt aber ebenfalls eine gute Zugriffsfindung und kann viele Bälle mit intelligentem Herausrücken gewinnen. In Ballbesitz ist sein Bewegungsspiel sauber. Seine technischen Fähigkeiten sind auf gutem Niveau und befähigen ihn zu einem souveränen Spielgestalter.

Valverde ist erst vor kurzem 20 Jahre alt geworden und hat seine besten Jahre wohl noch vor sich. Er konnte in der letzten Saison bei Deportivo bereits einige Erfahrungen in der spanischen Liga sammeln.

Der zentrale Mittelfeldspieler ist – wie im verlinkten Text beschrieben – ein dynamischer Dribbler, der technisch stark und pressingresistent ist. Doch löst er ein Pressing nicht nur mit Dribblings auf, sondern kann zusätzlich mit scharfen Pässen zwischen die Linien die erste Pressinglinie des Gegners überspielen. Seine Athletik macht ihn potenziell auch zu einem starken Defensivspieler, jedoch sind seine Fähigkeiten hier noch unausgereift.

Die Fähigkeitenprofile der beiden sind optimal dafür, um in einer ballbesitzbestimmenden und dominanten Mannschaft als Sechser zu agieren. Da Real Madrid in den Spielen gegen Top-Teams den Ballbesitz nicht immer dominiert hat und dominieren wollte, war die Aufstellung eines defensivstarken Sechsers wie Casemiro sinnvoll.

Doch ist Madrid beim Großteil ihrer Spiele der klare Favorit und bestimmt den Ballbesitz. In diesen Partien könnten Llorente oder Valverde mehr Chancen erhalten als letzte Saison unter Zidane. Die beiden Spanier können das Aufbauspiel Madrids noch weiter verbessern. Außerdem ist die Weiterentwicklung junger und talentierter Spieler grundsätzlich nichts Verkehrtes.

Optionen, die Position des Sechsers anders zu besetzen, hat Lopetegui also genug: Im ersten Saisonspiel agierte beispielsweise Kroos auf der Sechs. Es ist gut möglich, dass Casemiro diese Saison also immer wieder (sinnvolle) Pausen gegen schwächere Gegner bekommen wird.

Obwohl er einer der besten Sechser der Welt ist.

Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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