Betrachtet man das Teilnehmerfeld der diesjährigen Copa América, zählt Ecuador offensichtlich nicht zu den Favoriten. Das kleine Land inmitten der Anden steht seit jeher im Schatten seiner Nachbarn Kolumbien, Peru und Brasilien und kann nur auf wenige sportliche Höhepunkte zurückblicken.
So kam man bei den Südamerikameisterschaften nie über den vierten Platz hinaus (zwei Mal bei den beiden Heimturnieren 1959 und 1993).
Den bislang größten Erfolg verzeichnete „La Tri“ („Die Dreifarbige“) 2006 bei der Weltmeisterschaft in Deutschland, als man in der deutschen Gruppe Polen (2:0) und Costa Rica (3:0) besiegte und sich das erste und einzige Mal für das Achtelfinale qualifizierte (0:1 gegen England).
Seitdem ist es lange still geworden um den ecuadorianischen Fußball. Jedoch sind in den letzten Monaten mehrere vielversprechende Entwicklungen festzustellen – inklusive einem echten Paukenschlag.
Copa America 2019 – Ecuador im Porträt
– Das Team
– Der Trainer
– Der Schlüsselspieler
– Der Player to Watch
Ecuador in der Analyse
Als erstes positives Signal war im vergangenen Sommer die Vorstellung des neuen Trainers Hernán Darío „El Bolillo“ Gómez zu vernehmen, den die Federación Ecuatoriana de Fútbol mit dem Neuaufbau des Nationalteams beauftragte.
Dass die Zukunftsaussichten tatsächlich positiv sind, unterstreicht der historische Sieg der jungen Generation bei der diesjährigen U20-Südamerikameisterschaft in Chile.
Der Turniergewinn Ecuadors (1:0 im Finale gegen Argentinien) kam überraschend wie auch verdient, stellte man doch die offensivstärkste und stabilste Mannschaft (14 Tore).
Trainer Jorge Célico bezeichnete sein Team anschließend als eine große Generation von Spielern, die mit ihrem individuellen Talent ein Team jederzeit aus dem Gleichgewicht bringen können. Von diesen wurde allerdings keiner für die Copa América nominiert.
Außenstürmer Gonzalo Plata (18, Sporting Lissabon, Ausstiegsklausel 60 Millionen Euro), Torhüter Moisés Ramirez (18, Real Sociedad San Sebastián) und Linksverteidiger Diego Palacios (19, Willem II Tilburg) sind bereits bei europäischen Vereinen untergekommen.
Weitere Talente wie Offensivspieler Jordan Rezabala (18, Vertrag läuft aus), Innenverteidiger Jackson Porozo (gewählt in die Elf des Turniers) und Mittelstürmer Leonardo Campana (18, Barcelona SC Guayaquil) befinden sich im Blickfeld zahlreicher Scouts und sind auf dem Sprung.
¡Ya está listo el equipo de todos, estos son nuestros 23 jugadores para la Copa América de Brasil ?? 2019!#PorUnNuevoDesafio ?? pic.twitter.com/HcerG2ugmd
— FEF Ecuador (@FEFecuador) 20. Mai 2019
Campana, Torschützenkönig der U20-Copa América und Sohn des Außenhandelsministers Pablo Campana, soll auch im Fokus von Borussia Dortmund stehen. Fakt ist, dass eine neue Generation heranwächst, die Ecuador auf höhere sportliche Ebenen führen kann.
Mit ihrer größten Hoffnung Campana sowie dem Innenverteidiger Porozo wurden bereits seit der Länderspielpause im März zwei der Titelträger in den Kader der A-Mannschaft eingebaut. Eine Verstärkung, die angesichts der teils deutlich in die Jahre gekommenen Spieler begrüßenswert gewesen wäre.
Die Stützen und bekanntesten Akteure des Kaders sind Manchester Uniteds Antonio Valencia (33), Mitteldfeldmann Christian Noboa (33, Zenit St. Petersburg) sowie Stürmer Enner Valencia (29, Tigres UANL).
Weiterhin sind aus Bundesligazeiten der frühere Düsseldorfer und Nürnberger Linksverteidiger Christian Ramírez (24, FK Krasnodar) sowie der Ex-Stuttgarter Carlos Gruezo (24, FC Dallas) bekannt.
Mangels des einen, aus der Masse herausragenden Ausnahmespielers ist Ecuador darauf angewiesen, als geschlossen-homogene Einheit zu agieren.
Systematisch vertraut Hernán Gómez auf eine durchaus offensiv ausgerichtete 4-3-3-Formation, die das Spielfeld kompakt und den Druck auf den Gegner hochhalten soll.
Angeführt vom flexibel auf rechts einsetzbaren Antonio Valencia und dem erfahrenen Innenverteidiger Gabriel Achilier soll freilich zunächst Stabilität gewahrt, jedoch auch mit viel Laufeinsatz und Umschaltspiel Gefahr nach vorne erzeugt werden.
Entscheidend wird hierfür gerade Carlos Gruezo sein, der beim FC Dallas zuletzt ansteigende Form zeigte und sein lange angepriesenes Talent allmählich nachweist.
Mit ihm steht und fällt der Erfolg des ecuadorianischen Umschaltspiels und gewissermaßen auch des gesamten Offensivspiels, denn echte Kreativspieler sind im Kader kaum vorhanden.
Zwar zeigt der 26-jährige Jefferson Orejuela ab und an ordentliche Ansätze als Ballverteiler, doch für die Rolle des alleinigen Regisseurs reicht es nicht.
Sinnbildlich für diese Schwächen waren die beiden Freundschaftsspiele gegen die USA (0:1) und Honduras (0:0) Ende März – sagenhafte 2 (!) Schüsse brachte man in den beiden Partien zustande.
In dieser Hinsicht muss sich Ecuador im Laufe des Turniers definitiv steigern, will man die Gruppe mit Uruguay, Chile und Japan überstehen. Aufgrund dieser Konkurrenz ist man zwar zweifellos klarer Außenseiter, aussichtslos ist ein Weiterkommen aber nicht.
Gemäß dem Motto „offense is funny, but defense brings money“ wird Coach Gómez den Fokus darauf legen, hinten die Null zu halten und mit dosiertem Risiko nach vorne zu spielen.
Gelingt diesbezüglich die richtige Balance und können die Top-Talente um Mittelstürmer Campana gut eingebaut werden, könnte Ecuador eine Überraschung gelingen. Es würde den derzeitigen positiven Trend nur bestätigen.
Ecuador-Trainer Hernán Darío Gómez im Porträt
Der 63-Jährige ist ein äußerst erfahrener und leidenschaftlicher Coach, der zuletzt Panama zur ersten WM-Teilnahme in Russland führte und hierdurch zum Nationalhelden avancierte.
Einen solchen historischen Moment erreichte der Kolumbianer jedoch nicht zum ersten Mal, führte er doch bereits 2002 eine andere südamerikanische Nation zum Turnier: ausgerechnet Ecuador.
Nach einem enttäuschenden Abschneiden bei der Copa América 1999 übernahm Gómez, bis dato Co-Trainer in Kolumbien, die Nationalmannschaft. Dieser führte die verfeindeten großen Vereine aus Quito und Guayaquil näher zusammen, um den nationalen Fußball im gemeinsamen Interesse voranzubringen.
Im Zuge dessen gelang „La Tri“ am 28. März 2000 in Quito erstmals ein Sieg gegen Brasilien (1:0 durch einen Treffer von Agustín Delgado), der eine große Euphorie im Land entfachte.
Diese mündete schließlich in der Qualifikation zur WM 2002 in Japan und Südkorea, der ersten in der Geschichte Ecuadors.
Anschließend führte Gómez die Mannschaft noch zwei weitere Jahre, trat jedoch nach drei Niederlagen bei der Copa América 2004 von seinem Amt zurück. In diesem Jahr hat der charismatische Trainer die Möglichkeit, seine damalige Geschichte fortzuschreiben.
Ecuadors Schlüsselspieler: Carlos Gruezo
Vor gut fünf Jahren gab es um Carlos Gruezo einen kleinen Hype – zumindest bei einigen Twitterern. Der damalige Youngstar des VfB Stuttgart deutete sein Talent in jungen Jahren an und galt als eine der größten Hoffnungen bei den Schwaben.
Seine Klasse konnte er aber nie dauerhaft abrufen und leistete sich immer wieder leichtfertige Schnitzer, die beim Krisenclub logischerweise nicht verziehen wurden.
Im Januar 2016 folgte dann er Wechsel in die USA zum FC Dallas.
Der mittlerweile 24-Jährige ist zweikampfstark, dynamisch und hat auch taktisch dazugelernt, indem er ein besseres Timing und Situationsgespür als noch zu seinen teils „wilden“ Bundesliga-Zeiten entwickelt hat.
Gruezo ist ein wuchtvoller Sechser, der den Spielaufbau aus der Tiefe heraus mit sicheren Pässen vorantreibt. Laut InStat hat er im Schnitt eine Passquote von 92%, was aber nicht daran liegt, dass er nur Sicherheitspässe spielt.
Er spielt gerne lange Seitenverlagerungen, die er äußerst präzise an den Mann bringen kann. Nach diesen Verlagerungen rückt er häufig druckvoll nach und hat ein gutes Timing beim Belaufen des Strafraums. Für Dallas erzielte er in der aktuellen Saison in acht Einsätzen zwei Tore und bereitete eines selbst vor.
Im direkten Zweikampf ist Gruezo nach wie vor bissig, wenn auch manches Mal zu übermotiviert.
Der Dallas-Kapitän hat trotz einer Tacklingrate von 57% nicht immer das beste Timing, wodurch er in der jüngsten Vergangenheit gerade um den Strafraum herum gefährliche Freistöße für den Gegner zuließ.
Die Form des Ex-Stuttgarters wird für Ecuador entscheidend sein. Mit seinen Pässen kann er Konter einleiten, die für sein Team die notwendige Entlastung bringen sollen.
Seine spielmachenden Fähigkeiten werden wichtig für das Aufbauspiel werden, wenn es gegen Japan und Chile geht.
Vor beiden Teams muss sich Ecuador nicht verstecken, wenn sie mit einem fitten Gruezo einen überdurchschnittlichen Spielmacher auf der Sechs haben, der seine Mannschaft vorantreibt.
Ecuadors Player to Watch: Cristian Ramírez
Cristian Leonel Ramírez ist besonders Fans des 1. FC Nürnberg und Fortuna Düsseldorf ein Begriff. Der Linksverteidiger spielte zwischen 2013 und 2015 in Deutschland und konnte sich nie so wirklich durchsetzen.
Über Ferencváros Budapest ging es im Januar 2017 zu FK Krasnodar, wo er seither zum Stammpersonal der Russen. Der 24-Jährige hat einen starken Offensivdrang, mit dem er im Alleingang die linke Seite bearbeiten kann.
Ramírez ist besonders stark darin, Flanken so in die Box zu schlagen, dass der Abnehmer den Ball lange berechnen kann. Er schlägt diese gerne im hohen Bogen auf den zweiten Pfosten oder den Rückraum, wo beispielsweise Enner Valencia als Abnehmer parat stehen kann.
Im Schnitt gewinnt er 2,7 Dribblings pro Partie, was ihm zu einem potenziell geeigneten Spieler macht, der Drucksituationen souverän auflösen kann.
Ramírez könnte sich dadurch zur Geheimwaffe Ecuadors entwickeln, wenn er insbesondere im Umschaltspiel seine Pressingresistenz ausspielen und Konter vorantreiben kann.
Obgleich er seine Qualitäten auf den ersten Blick vorrangig in der Offensive besitzt, ist in der Defensive auf ihn verlass. Er gewinnt 61% seiner Tacklings und weiß sich trotz 1,74m Körpergröße im Zweikampf zu behaupten.
Probleme hat er meistens, wenn sein Gegenspieler am langen Pfosten einläuft. Hier verliert er seinen Gegner gerne mal aus dem Auge.
So oder so ist Ramírez einer der interessantesten Linksverteidiger der diesjährigen Copa América auf den man definitiv ein Auge werfen sollte.
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