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Der Holländer im Crystal Palace

Crystal Palace hat gestern Frank de Boer als neuen Trainer vorgestellt. Der Holländer brachte Ajax Amsterdam zurück in die Erfolgsspur, doch scheiterte kläglich bei Inter und wurde in Italien zur Witzfigur. Was kann man sich also bei Crystal Palace erwarten?

Back to the Roots

Ende der 2000er hatte Ajax Amsterdam seinen traditionellen Weg verlassen und so auch finanziell wie sportlich zu kämpfen. Als Martin Jol den Verein verließ kam mit Frank de Boer erstmals wieder einen Hauch alter Ajax-Erfolgszeiten in die AmsterdamArenA.

Mit dem Holländer kam wieder das altbewährte 4-3-3 und zudem setzte man wieder auf die eigene Jugend anstatt auf teure Transfer(-flops…).

Gleich in seiner ersten Saison holte De Boer die Meisterschaft und setzte dabei vor allem auf junge Spieler, wie Boilesen, Van der Wiel, Anita, Eriksen, Ebecilio und später noch viele weitere. Doch nicht nur der Schritt in Richtung früherer Philosophie, sondern auch der taktische Wechsel brachte Ajax zurück in die Spur.

Unter De Boer spielte die Holländer in einer 4-3-3 Grundformationen. Ein technisch starkes und athletisch Mittelfeld sowie eine organisierte und stets wachsame Verteidigung waren der Schlüssel zum Erfolg. Die Amsterdamer setzten auf Mittelfeld- und Gegenpressing.

Bei gegnerischen Ballbesitz verteidigte die Viererkette hoch und die Mannschaft änderte ihre Formationen auf ein 4-5-1. Durch den Mittelfeldblock und die hochstehende Verteidigungskette wurde das Mittelfeld sehr kompakt gehalten und damit dem Gegner nicht viel Platz gelassen.

Das extreme Pressing der Ajaciede setzte die Gegner enorm unter Druck, womit man sie zu Fehlpässen zwingen wollte. Die Viererkette spielt zudem eine interessante Mischung aus Raum- und Manndeckung, wobei vor allem beim Verschieben variiert wird.

Bei eigenem Ballbesitz spielte Ajax den Ball von hinten heraus, wobei vor allem der Sechser Bazoer weite horizontale Wege zurücklegte, um immer wieder als Anspielstation zu dienen, während die Mittelfeldspieler durch schnelle Positionswechsel für Unordnung in der gegnerischen Defensive sorgen sollten.

Dadurch entstanden in der gegnerischen Verteidigung Löcher und damit neue Anspielstationen. Sollten sich keine Anspielstationen finden wurde der Ball einfach weiter zirkuliert.

Bei einem Angriff in der gegnerischen Hälfte standen die Verteidiger sehr hoch und antizipieren Freispielversuche der Gegner, um schnell wieder den Ball zurückgewinnen. Versucht wurde jedoch mit schnellem Vertikalfußball den Ball durch die Mitte zu spielen, wo der Ball meist geprallt wurde, ehe er flach und schnell auf den Flügel gespielt wurde.

Hierfür hatte De Boer und seine Mannschaft einige Variationen in petto: Die Außenverteidiger und Flügelstürmer harmonierten hervorragend, ob nun der Flügelstürmer in die Mitte zog oder der Außenverteidiger.

Während der Innenverteidiger das Spiel von hinten heraus aufbaute, zog der Außenverteidiger oft in die Mitte, während der Flügelstürmer nach hinten rückte und das Spiel breit machte, wodurch der Innenverteidiger gleich mehrere Anspielstationen vor sich hatte.

Ebenso funktionierte dies aber auch andersrum, dass der Außenverteidiger den Platz vor sich nützt und sich auf dem Flügel freilief während der Flügelstürmer ins Zentrum zog und somit zur Anspielstationen für den Außenverteidiger wurde.

Diese Mischung aus organisierter Verteidigung, extremen Pressing, Positionsspiel und Totaalvoetbal brachte den Erfolg zurück nach Amsterdam – nach mehr als 250 Spielen hatte De Boer einen Punkteschnitt von 2,02.

Logischerweise wurde Frank de Boer dafür mit vielen großen Vereinen in Verbindung gebracht, ehe es den Holländer nach Italien zog, wo er bei Inter Mailand einen Vertrag unterschrieb.

84 Tage Mailand

Frank de Boer übernahm eine von Roberto Mancini zusammengestellte Mannschaft, kurz vor Saisonstart, ohne Saisonvorbereitung.

Zudem stand der Holländer in der Kritik – für die meisten reichte es bereits, dass er kein Italiener sei und doch „keine Ahnung vom italienischen Fußball“ habe. Die Kritik wurde lauter, als er bei seiner Pressekonferenz sagte, dass er Inters Spielweise auf Ballbesitzfußball und starkes Gegenpressing umstellen wolle.

Ein Philosophiebruch für viele Fans. Hinzu kam schlussendlich, dass De Boer zu stur war, um von seiner Idee abzuweichen und er nicht einsah, dass er (noch) das falsche Spielmaterial für seinen Fußball hatte.

Nach fehlenden Erfolgen merkten die Spieler die steigende Kritik an die Boer, sein Ansehen im Verein sank und so auch seine Standing bei den Spielern. Einige von ihnen wurden undiszipliniert, andere hielten sich nicht an die Taktik.

De Boer antwortete prompt mit autoritären Mitteln und äußerte sich ungeschickt in unsicherem Italienisch über die Einstellung mancher Spieler, eher er sie verbannte.

Während De Boer es am ersten Spieltag mit einer Dreierkette versuchte und damit viele überraschte – aber kläglich gegen Chievo Verona verlor – stellte er schnell wieder auf ein 4-3-3 um.

In diesem war vor allem Stürmer Mauro Icardi schlecht eingebunden, während man defensiv daran scheiterte die Zwischen- und Halbräume zu schließen. Letztendlich endete seine „Avventura“ mit einer Lachnummer.

Nach einer furchtbaren Niederlage gegen Atalanta war Frank de Boer live zu Sky Sport geschalten. Dort wurde er mit „Ronald“ statt „Frank de Boer“ angesprochen, woraufhin sich die geladenen Gäste versuchten das Lachen zu verkneifen, doch dem Holländer war nicht zu lachen zu mute.

Nach nur 84 Tagen als Inter-Trainer war Schluss. Bilanz: 14 Spiele, 5 Siege, 2 Unentschieden, 7 Niederlagen.

„Tatü-Tata“ – ein Feuerwehrmann rettet Crystal Palace

Währenddessen lag Crystal Palace in Schutt und Asche. Die Londoner waren im Jahr 2016 die erfolgloseste Profimannschaft in ganz England (!) und auf dem Weg Richtung Championship (dazu gab es einen Text von uns bei 90Minuten).

Kurz vor Weihnachten übernahm Feuerwehrmann und Klassenerhaltsprofi Sam Allardyce den Londoner Verein und schaffte es mit seinem simplen Fußball tatsächlich noch die Mannschaft in der Liga zu halten.

Doch nur kurz nach Saisonende gab Allardyce bekannt, dass er den Verein verlassen werde und nächste Saison nicht Trainer von Crystal Palace sein werde. Ein richtiger Feuerwehmann eben.

Krasser könnte der Kontrast nun gar nicht sein. Unter Allardyce wurde konservativer, defensiver und simpler Fußball gespielt, dafür herrschte große Ordnung und Kampfbereitschaft. Etwas, wovon Frank de Boer auf jeden Fall profitieren kann.

Der Holländer ist nun in einer vergleichbaren Situation wie 2010 als er Ajax Amsterdam übernahm: der Verein hatte eine schlechte Saison hinter sich und versucht nun einen Reset – auch wenn es sich dieses Mal nicht um den Heimatverein handelt, den es „nur“ in alte Bahn zu lenken gilt.

Doch obwohl sich das Spielermaterial des Premier League-Vereins sehen lassen kann, sollte man sich nicht zu viel erwarten, wenn auch zugleich der Kader viele Parallelen während seiner Übernahme aufweist.

Auch Frank de Boer wird (erneut) einsehen müssen, dass er – vor allem auf der Insel – seinen Spielstil nur bedingt durchdrücken kann.

Ähnlich wie auch andere Trainer zuvor wird auch der Holländer wahrscheinlich stur versuchen seine Spielweise durchzusetzen, ehe die Erfolge ausbleiben und man nur mehr eine moderate Umsetzung der Idee auf dem Platz sieht, da der englische Fußball bzw. die Premier League im Allgemeinen nicht viel Zeit hergibt und damit eine Umgewöhnung von konservativen Fußball auf Ballbesitzfußball und Totaalvoetbal wenig bis gar nicht zulässt.

Was kann man sich erwarten?

Crystal Palace hat nun Zeit zusammen mit Frank de Boer wichtige Neuzugänge zu holen, die der fehlenden Athletik – vor allem in der Innenverteidigung – entgegenwirken sollen.

Während man mit Mandanda theoretisch (da er in der Vorsaison die meiste Zeit verletzt war) einen fantastischen Tormann in den Reihen hat, fehlt es im Kader an athletischen und antizipierenden Innenverteidigern.

Scott Dann könnte unter De Boer wieder zu alter Form finden und sich neu erfinden, doch braucht einen starken Nebenmann, der ihn in der Defensive unterstützt – ob James Tomkins diese Rolle übernehmen kann?

Während man auf der linken Seiten gleich mehrere Alternativen hat, fehlt es jedoch auf der rechten Seite an einem offensiven Außenverteidiger, wobei Joel Ward diese Rolle durchaus übernehmen könnte – doch vielleicht sieht man ja aufgrund der Vielzahl von Linksverteidigern ein interessantes Experimentes wie einen inversen Außenverteidiger à la Lahm, bloß auf der rechten Seite – bei Frank de Boer kann man nie wissen.

“I will give the youth an opportunity when they are good enough and it will be interesting to see how talented the players are.”

– Frank de Boer bei seinem Amtsantritt

Im zentralen Mittelfeld hat Crystal Palace vor allem mit Cabaye einen Spieler, der unter De Boer zu einer sehr interessanten Personalie werden könnte. Der Mittelfeldmotor dürfte defensiv von Luka Milivojevic unterstützt werden.

Der Serbe hat bereits in Griechenland bewiesen, dass er das Spiel hervorragend lesen kann und wusste viele Angriffe der Gegner zu unterbinden, er könnte vor allem für das schnelle Umschaltspiel von Bedeutung sein.

Nur der dritte Platz im zentralen Mittelfeld ist etwas uklar, denn Alternativen gibt es wenige. James McArthur ist ein klassisch-britischer zentraler Mittelfeldmann und hat vor allem defensiv im 1-gegen-1 seine Stärken und weiß viele Bälle zu gewinnen, doch der Ex-Wigan-Spieler ist keinesfalls besonders athletisch oder technisch versiert.

Alternativ gäbe es Jordan Mutch und auch Jonathan Williams. Am ehesten könnte jedoch Jason Puncheon erneut ins zentral/offensive Mittelfeld rutschen.

Der schnelle Flügelspieler hat bereits unter Sam Allardyce als Achter gespielt und hatte vor allem mit seinem Antritt und seiner Technik eine wichtige Rolle inne. Dies ist auch unter De Boer sehr wahrscheinlich und meiner Meinung nach die wahrscheinlichste Option.

Auf dem Flügel verfügt Crystal Palace über einige sehr gute Spieler. Zaha, Townsend, Puncheon und Sako passen ideal zu De Boers Spielstil, aber auch hier könnte noch Verstärkung kommen, so gilt Munir El Haddadi als möglicher Neuzugang.

Doch ein großes Fragezeichen steht hinter der Solospitze. Was passiert mit Benteke? Wie kann De Boer den langsamen Belgier in sein Spiel einbinden? Bereits am Anfang seiner Zeit bei Ajax hatte De Boer mit einigen großgewachsenen eher langsameren Stürmer gespielt.

El Hamdaoui, Sigthorsson, Cvitanich, … doch wenig später stieg der Holländer auf schnellere Stürmer wie Milik, De Jong und andere um. Man kann also gespannt sein, ob De Boer es schafft Benteke in das Spiel passend einzubinden oder ob doch Wickham – insofern sich dieser von seiner Verletzung zurückkämpfen kann – in die Startelf rückt.

An und für sich rechne ich hier mit keinem großen Transfers, doch theoretisch würde hier ein Transfer mit einem Wechsel auf einen agileren Stürmer dem Spiel des neuen Trainers sicher gut tun und Sinn ergeben, aber genauso könnte De Boer mit einem Flügelspieler als Solospitze bzw. falsche Neun überraschen.

Bisher kann man nur Mutmaßen was uns in der kommenden Saison erwartet, doch mit Frank de Boer wurde ein sehr interessanter Trainer geholt, der nach einer schwierigen Saison bei Inter, eine starke Mannschaft, die erst gegen den Abstieg zu kämpfen hatte, übernimmt.

Sollte er es tatsächlich schaffen seine Spielidee durchzusetzen, dann könnte Crystal Palace eine der großen Überraschungen der Saison werden, aber dafür braucht es noch ein paar Verstärkungen. Man kann gespannt sein …

Marco Stein
Co-Gründer von Cavanis Friseur und für Alles und Nichts zuständig. Ist Leeds United-Fan und weiß das immer und überall zu erwähnen.

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