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Die Nordlichter – Lille & Lens im Porträt

Wenn man den französischen Fußball international vergleicht, fällt auf, dass es an großen Fangemeinden und brisanten Derbys fehlt. Die Dichte an großen Klubs, die man in England oder Deutschland wiederfindet, ist hier nur kaum vorhanden.

Eine Ausnahme könnte das nördliche Frankreich sein: historisch ist es eines der wichtigsten Einzugsgebiete des Fußballs in Frankreich, wie kaum in einer anderen Region sind hier Profiklubs aus dem Boden geschossen, um ein zahlreiches Arbeitervolk nach dem Werktag in der Mine oder in der Fabrik zu unterhalten. Ein Land, einst geprägt von Kohlerevier und Textilfabriken, irgendwo zwischen Ruhrgebiet und Yorkshire.

 

Wer würde sich wundern, dass hier Fußball gedeiht?

Ein Blick auf die ewige Tabelle der Première Division zeigt die hohe Anzahl von Spielen die in der Region Nord-Pas de Calais ausgetragen wurden.

Doch, wie auch die Wirtschaft bergab ging, so verlor auch der Fußball im Norden seinen Vorrang. Davon übriggeblieben sind zwei Schwergewichte des französischen Fußballs (wenn man den kleineren Valenciennes-Anzin auslässt), die sich um die Vorherrschaft in der Region streiten.

Zum einen der RC Lens, mitten im Kohlerevier ansässig, zum anderen Lille OSC, der nach einer Fusion von zwei Stadtrivalen nun alleine die gutbürgerliche Landeshauptstadt Lille vertritt. Unterschiedlicher könnte man kaum sein, doch das Schicksal der beiden Klubs scheint ineinander verwickelt zu sein.

 

Lens, ein eigentümlicher Publikumsliebling

Wenn bei Fußballfans in Frankreich die Diskussion auf Lens landet, kommen schnell gewisse Vorurteile hoch. Denn Lens‘ Fangemeinde sieht wie keine andere in Frankreich aus.

Aus dem populären Klub der Achtziger und Neunziger ist eine Fußballkultur entsprungen, die ungefähr an der Kreuzung von deutschen Kutten, belgischen Siders und dem Liverpooler Kop der 70er liegt.

Ein buntes Ambiente (die Vereinsfarben Rot und Gold sind ohnehin nicht diskret) samt Blaskapelle, getunten Wagen mit Vereinsemblem und Frittengeruch. Eine Oase von nordeuropäischem Massenfußball in einer Liga die sonst eher mittelständisch geprägt ist.


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Doch trotz stetig hohen Zuschauerzahlen hat der RC Lens lange auf den fußballerischen Erfolg gewartet. Ende der Neunziger war es endlich soweit:

Lens konnte 1998 den langersehnten Meistertitel feiern, mit einer soliden Defensive aus Klub-Urgewächsen (Kapitän Jean-Guy Wallemme, Aussenverteidiger Eric Sikora, der exzellente „Sechser“ Frederic Dehu, oder auch Torwart Guillaume Warmuz – der den Dortmundern bekannt sein sollte ) und einer effizienten Offensive mit alteingesessenen Auslands-Profis wie Smicer und Drobnjak, Stéphane Ziani als talentierter, typisch französischer Spielführer, und natürlich der Publikumsliebling mit Vokuhila-Schnitt Tony Vairelles.

Lens profitierte von einer Vakanz am Gipfel der Liga, die üblichen Verdächtigen lieferten eine schlechte Saison ab: Marseille kam gerade erst aus der 2. Liga zurück, Paris war nach dem Führungswechsel im Umbruch, auch Monaco, Nantes und Auxerre, die in diesen Jahren ganz gut rauskamen, durchliefen einen Generationswechsel.

So spielten Lens und Metz 1997/1998 um die Meisterschaft, eigentlich zwei Underdogs. Das Ganze noch dazu im 1998-Weltmeisterschaftsfieber. Entsprechend groß waren Andrang und Erwartungen beim jungen Meister.

Aber es sollte nicht für eine zweite Meisterschaft reichen, da der Klub nun mal chronisch instabil ist: die ganze Meistergeneration wurde sehr schnell an andere Mannschaften verkauft, schon 1998 gingen mit Wallemme und Drobnjak der beste Verteidiger und der beste Stürmer der Mannschaft, dazu noch der überaus wichtige Stéphane Ziani.

Déhu, Smicer und Vairelles folgten im nächsten Jahr. Trotz einer Budgetsteigung konnten die neuen Rekruten nicht an die alten Erfolge anknüpfen und Lens sollte nur noch abwechselnd in den oberen Rängen spielen.

Dennoch gelten diese Jahre nach der Meisterschaft als ein goldenes Zeitalter, denn Lens konnte gute Europa-Cup Kampagnen verbuchen und kam im Jahr 2000 sogar bis ins Halbfinale des UEFA-Cups gegen Arsenal.

Stellvertretend für das Ende dieser Epoche steht die knapp verlorene Meisterschaft von 2002, als Lens im allesentscheidenden Spiel kurz vor Saisonende gegen Lyon die Tabellenführung verlor.

Gerade diese knapp verlorene Meisterschaft, und der anschließende Aufstieg von Lyon zum Serienmeister, konnte Lens schwer verkraften.

Der RCL spielte definitiv nicht mehr um die Meisterschaft, und bald sollte es um den Klassenerhalt gehen. Nach einer kurzen Rückkehr auf den Europaplätzen in 2006 und 2007 ging es bergab… bis zum bitteren Ende, als der Abstieg in die Zweitklassigkeit feststand.

 

Die Wende

Doch gerade als Lens seinen Weg nach unten anbahnte, fand Lille zu neuer Stärke. Die Neunziger waren das Lenser Jahrzehnt, die 2000er sollte Lille für sich entscheiden. Als könnte es unter den Nordvereinen nur einen einzigen an der Spitze geben.

Lille verbrachte einen Teil der neunziger Jahre in der zweiten Division, armselig geführt als Regie der Stadtverwaltung. Just als Lens nach seiner Meisterschaft schlapp machte stieg Lille wieder auf und erwischte einen Bombenstart.

Mithilfe eines gut eingespielten und kämpferischen Kollektivs, unter Führung des zähen bosnischen Trainers Vahid Halilodzic, gelang Lille überraschend der Anschluss an den oberen Tabellenplätzen.

Seit der Rückkehr in der ersten Liga gilt der Klub auch als wirtschaftlich gesund, denn die Stadt Lille hat den Klub 1999 an eine Investorengruppe verkauft, in der seit 2002 der aktuelle Vereinspräsident Michel Seydoux (der Erbe einer Industriellendynastie) den Vorrang hat.

Die Investitionspolitik von Lille in den letzten 15 Jahren könnte als gewagt aber durchaus klug bezeichnet werden: Lille stach vor allem durch ein hohes Turnover an Spieler aus, doch Jahr für Jahr konnte der LOSC neue Topspieler entdecken oder selbst ausbilden, und diese dann teuer verkaufen.

Die Generation 2001 war noch relativ lokal geprägt (die Gebrüder Cheyrou im Mittelfeld, der Hüne Pascal Cygan in der Verteidigung und Rekordkeeper Gregory Wimbée), aber was danach kam konnte sich international richtig sehen lassen:

Vorne Spieler wie Odemwingie, Kader Keita, Bodmer, Michel Bastos, Gervinho und natürlich Eden Hazard; hinten folgten Chalmé, Jean II Makoun, Adil Rami, Yohan Cabaye oder Mathieu Debuchy.

Allesamt international fähige und meisterreife Spieler, die Lille entdecken konnte. Hinzu kommt, dass die Mannschaft von echten Taktikern trainiert wurde, wie Claude Puel und später Rudi Garcia.

So gelang Lille ein regulärer, stufenweiser Aufstieg zur Ligaführung, die 2011 endlich gelang. Ein klarer Titelgewinn, gegen die beiden Vorjahresmeister Bordeaux und Marseille, der zeigte wie sich die einst junge Mannschaft zum erfahrenen Ligafavoriten erarbeitet hatte. Perfekte Voraussetzungen, um endgültig den Streit um die Landeshoheit für sich zu entscheiden?
So einfach ist es nicht…

 

Ein Investor aus dem wilden Osten – RC Lens’ Investor

Der Vereinspräsident von Lens, Urgestein Gervais Martel, blieb nach dem schockierenden Abstieg nicht lange untätig. Ihm wurde klar, dass er sein RC Lens mit den üblichen Mitteln nicht so einfach wieder an die Spitze bringen würde.

Außerdem war ihm nicht mehr zu mute, nach all den Ereignissen den Klub weiter zu leiten. So suchte er nach einem potentiellen Nachfolger, der ganz tief in die Tasche greifen konnte.

In Aserbaidschan wurde er fündig. Nicht unbedingt dort, wo man einen reichen Fußballfan vermuten würde, doch Hafiz Mammadov, Baulöwe, Ölförderer und Besitzer des Hauptstadtklubs FC Baku, ist ein Fussballliebhaber, der gerne die Marke Aserbaidschan in den Westen exportieren möchte.

Er ist als Anteilseigner von Atletico Madrid bereits dafür verantwortlich, dass der spanische Klub mit dem Spruch „Azerbaidjan – Land of Fire“ am Trikot aufläuft.). Ihm fehlte nur noch der ganz eigene Verein, und Lens soll jetzt seine Vitrine im Westen werden.

In Lens hat das Publikum Riesenerwartungen, wie auf den Messiah wartet man auf große Investitionen vom neuen Besitzer. Man hatte Hoffnung, dass es gleich zu neuen Verpflichtungen kommt, wie im Falle von Monaco, das von seinem neuen Besitzer Rybolovlev gleich aus der 2. Liga herausgezogen wurde.


http://www.youtube.com/watch?v=qU4Q9DZ4FK0
Geldgierig? Nein… Peinlich-lustiges Video zum Geburstag von Klub-Besitzer Hafiz zeigt das Ausmaß der Huldigung gegenüber dem vermeintlichen Klubretter.

Bislang hat Mammadov „nur“ 22 Millionen Euro investiert, angeblich werden die großen Einkäufe erst im Falle eines Aufstiegs erfolgen.

Da sich aber nur die Wenigsten mit der Buchhaltung von aserbaidschanischen Firmen auskennen, ist es heute schwer zu sagen welche Menge an Investitionen vom Mäzen tatsächlich zu erwarten ist. Lens könnte aber zum neuen Ligaschreck werden und das Podium mit den anderen Steinreichen bestreiten.

 

Lille, ein strauchelnder Riese?

Seit letzter Saison spielt Lille endlich in seinem neuen Stadion, das Grand Stade Pierre Mauroy, endlich eine gediegene Sportstätte mit viel Potenzial. Davor spielte der LOSC im mickrigen Stadium Nord, welches nicht einmal Champions League tauglich war. Neben den sportlichen Erfolgen sollte diese Wandlung den LOSC dauerhaft im oberen Tabellenfeld stabilisieren. Doch so rund läuft es nicht.

Erstaunlicherweise klagt der Klub jetzt über finanzielle Schwierigkeiten. Erstaunlich, denn der Verkauf von Eden Hazard hat 40 Millionen Euro eingebracht und Lille hat sonst nicht sonderlich viele Ausgaben.

Hazard wurde durch Marvin Martin für 10 Millionen Euro ersetzt, doch das Erbe war schwer anzutreten: 2013 verpasste Lille selbst die Europa League-Quali.

Ein klares Minus für das Budget, denn Lille zielte auf einen Champions League-Platz, doch wenn man die Hazard-Erlöse in Betracht nimmt, hätte dieser Ausfall nicht so schlimm sein sollen. Noch dazu verkaufte Lille Payet und Thauvin für insgesamt 25 Millionen Euro im Sommer 2013 an Marseille.

Mit minimalen Veränderungen an der Mannschaft trat der LOSC die Saison 2013-2014 an und schaffte ohne Mühe den Anschluss an das Podium (jegliche Konkurrenz viel bisher aus, weil sämtliche Favoriten für den dritten Platz völlig unregelmäßige Leistungen erbrachten).

Vielleicht auch gerade weil die Mannschaft so wenig verändert worden war, ist man kompetitiv geblieben. Die exzellente erste Saisonhälfte war einem Kader zu verdanken, der geradezu unverändert jedes Spiel bestritt: laut Forschungsinstitut CIES entfallen bei Lille 84% der Spielzeit auf die ursprüngliche Elf, in Frankreich der absolute Topwert und auch europaweit der dritthöchste Wert.

Bei antretender Müdigkeit im Laufe der Saison könnte sich das Blatt wenden, denn viele Alternativen hat Trainer Girard nicht. Gerade der Anfang von 2014 scheint denjenigen Recht zu geben, die auf eine schlechte Phase von Lille tippten.

Und als in diesem Winter versucht wurde, die Mannschaft leicht und billig zu verbessern, indem man den Außenverteidiger Corchia aus Sochaux holte, wurde seitens der Liga ein Transferverbot aufgehängt.

Der französische Verband hat eine sehr strenge finanzielle Aufsicht, die jährlich die Bilanzen der Klubs durchstöbert, um nach illegalen Geldspritzen und exzessiven Schuldenanschreibungen zu fahnden.

So streng das System auch ist, – und der Verband prahlt ja auf internationaler Ebene damit, beim finanziellen Fair-Play so umsichtig zu sein – ein Transferverbot gibt es nicht alle Tage! Obwohl nichts Präzises veröffentlicht wurde, klingt es, als sei das Etat der Finanzen beim LOSC besorgniserregend.

Je nachdem wie die Saison endet (der Kampf um Platz Drei ist noch offen), könnte es für Lille ganz bitter kommen. Und noch bitterer, falls der Lokalrivale Lens aufsteigen sollte …

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