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El ultimo diez – Juan Roman Riquelme im Porträt

Wenn jemand diesen großen argentinischen Fußballer verabschieden darf, dann ja wohl ich. Juan Román Riquelme und ich sind ja nicht nur ein Jahrgang (1978), sondern auch gleich groß (1,83 m) und – behauptet zumindest das jeweilige Umfeld – zwei ähnliche Diven.

Außerdem bin ich immer Riquelme, wenn wir mittwochabends in Buenos Aires unter der Autobahnbrücke fünf gegen fünf kicken. Ich versuche das Spiel klassisch zu lenken – natürlich auch, weil ich für den sogenannten modernen Fußball zu langsam renne und denke.

Ich habe eine Schwäche für Menschen, die Erwartungen nicht erfüllen. „Se me escapó la tortuga“, sagt der Argentinier, wenn er eine einmalige Chance vergibt. „Mir ist die Schildkröte entwischt.“ Der Spruch stammt, wie so viele andere, die zu Volksweisheiten geworden sind, von Diego Maradona.

Auch Riquelme hat die Schildkröte nicht immer festgehalten. Er ist ein Unvollendeter. Er wurde Mitte der Neunziger als neuer Diego empfangen (und reifte dann doch nur zur Weltklasse), er trug schon mit 20 Jahren bei den Boca Juniors die 10 und hat 17 Titel gewonnen, darunter dreimal die Copa Libertadores, sechsmal die argentinische Meisterschaft und am 28. November 2000 den Weltpokal (der in Südamerika einen hohen Stellenwert hat).

Aber in Europa, wo die Besten des Gewerbes aufeinandertreffen, ist es mit der großen Karriere nichts geworden. Angeblich lag’s an Louis van Gaal, dass Riquelme bei Barcelona (2002-2003) scheiterte, man verstand sich einfach nicht.

 

Europa – Juan Roman Riquelme im Porträt

Das muss nicht die Schuld des Argentiniers gewesen sein kann. Van Gaal versteht sich bekanntlich am besten mit sich selbst. Allerdings ist Riquelme auch kein einfacher Charakter. Er war oft schnell mit sich zufrieden, wirkte weinerlich bisweilen, und Selbstkritik ist ohnehin keine argentinische Erfindung.

Andererseits verzichtete er angeblich auf Geld, um wieder für Boca spielen zu dürfen. Als er 2007 Villarreal verließ, soll er bei seinem Herzensklub einen Vertrag unterschrieben, der Folgendes festlegte: zwei Jahre lang das gleiche Gehalt, das er bei den Spaniern bekommen hatte, im dritten Jahr dann Kunst zum Nulltarif.


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“Ich bin der einzige Idiot, der umsonst spielt”, sagte er damals, als seine Leistungen mal wieder schwankten, “also lass ich mir nichts über Verantwortung erzählen.” Ob Riquelme wirklich gratis unterwegs war, ist allerdings umstritten. Bocas Kassenwart Daniel Angelici, heute Präsident, dementierte später. „Er hat nicht umsonst gespielt.“ Überhaupt, die Trainer.

Vielleicht wäre Riquelme 2006 Weltmeister geworden. Er war in der Form seines Lebens und der Kopf einer Mannschaft mit klangvollen Namen: Ayala, Sorín, Heinze, Cambiasso, Aimar, Saviola, Messi, Tévez, Crespo.

Doch dann, im Viertelfinale gegen Deutschland, es stand 1:0, holte José Pekerman den Spielmacher in der 72. Minute vom Platz. Kurz darauf schoss Miroslav Klose den Ausgleich. Ich wollte fluchen und diesen Idioten von Nationaltrainer beleidigen, aber ich stand ja mit meinem Schwiegervater in der argentinischen Kurve des Berliner Olympiastadions und sprach damals noch kaum ein Wort Spanisch. Elfmeterschießen.

Messi auf der Bank. Lehmanns Zettel. Verdammte Scheiße. Perdón. ¡Puta madre! Riquelme spielte nie wieder eine Weltmeisterschaft. Fast hätte ich ihn nicht noch einmal live erlebt. An dem Tag, an dem ich in Argentinien landete, erklärte Riquelme zum ersten Mal seinen Rücktritt. Es war der 5. Juli 2012, und am Vorabend hatten die Boca Juniors das Rückspiel der Copa Libertadores gegen Corinthians verloren. „Ich fühle mich leer“, sagte der Kapitän und kündigte an, fortan Mate zu trinken und das Leben zu genießen. Tausende Boca-Fans gingen auf die Straße und verlangten die Rückkehr des Helden. Der ließ sich lange bitten und war erst ein dreiviertel Jahr später wieder da.

Es hat also doch geklappt, er und ich in der berühmten Bombonera. Der Zauberer arbeitete an seinem Alterswerk, er setzte gewissermaßen die letzten Pinselstriche, verletzte sich, gesundete, verwandelte wunderschöne Freistöße, verletzte sich wieder, stand mitunter wie sein eigenes Denkmal auf dem Platz herum und spielte im nächsten Augenblick Pässe, die man nicht vergisst.

In die Zweikämpfe ging er selbstverständlich nicht mehr. Oder war‘s umgekehrt: Gingen die Zweikämpfe nicht mehr in Riquelme? Er winkte immer öfter ab, weil die Kollegen seine Einfälle nicht begriffen – eine Geste, die ich sogleich in mein Repertoire aufnahm. Kam saugut an unter der Autobahnbrücke!

Das letzte halbe Jahr seiner Karriere hat er bei den Argentinos Juniors verbracht und dem kleinen Hauptstadtklub zum Wiederaufstieg in die erste Liga verholfen. Danach flirtete er mit anderen Vereinen, wie es sich für eine Diva gehört, und verabschiedete sich. „Ich könnte nicht gegen Boca spielen“, hat er gesagt.

Riquelme ist das größte Idol der Fans, ein solches Kapital verspielt man nicht für einen allerletzten Vertrag in Mexiko, den USA oder Paraguay. Angeblich will er Boca-Präsident werden. Große Spieler erkennt man auch daran, dass die Abschiedsworte der Journalisten wie Einträge ins Poesiealbum klingen.

„Juan Román Riquelme ist die letzte 10, weil er immer getan hat, was seine Füße und sein Herz ihn zu tun baten“, schrieb Clarín, Argentiniens größte Tageszeitung.

„Riquelme war die Umarmung der Väter mit ihren Söhnen und das Lachen der Mütter, die sie glücklich nach Hause kommen sahen. Er war tausend Nächte der Liebe und des Aufwachens voller purer Freude.” Der Glücklichmacher von Millionen klang dagegen fast bieder, als er sich am Sonntag zurückzog: „Ich weiß, dass mir keine Arbeit so viel Freude geben wird, wie es der Fußball getan hat.“

Gastbeitrag von Christoph Wesemann
Christoph Wesemann lebt seit 2012 in Argentinien und dokumentiert seine Erlebnisse in der neuen Heimat auf argentinisches-tagebuch.de

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