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Der vergessene Champion Third Lanark

Wenn zu vorgerückter Stunde in der FC-Magnet-Bar die Fußball-Nerds beginnen, sich gegenseitig Experten-Fragen zu randständigen Aspekten des Fußballsports zu stellen, könnte man mit einer für angestrengtes Nachdenken sorgen: „Welche drei Teams aus Glasgow wurden schon einmal Schottischer Meister?“

Klar, an Celtic und Rangers denkt sofort jeder. Aber das dritte Team? Doch nicht Partick Thistle oder gar der dem ewigen Amateurideal verpflichtete Queen’s Park FC?

Nein, der dritte Meister aus Glasgow existiert schon seit fast 51 Jahren nicht mehr. Es war der Third Lanark Athletic Club, ein „Traditionsverein“, der in den 95 Jahren seiner Existenz frühen Ruhm und am Ende einen jähen Absturz erlebte…

 

Das Militär als Geburtshelfer

Die Geschichte von Third Lanark beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach dem Krim-Krieg (1853 bis 1856) und der so genannten Orsini-Affäre (ein von England aus geplantes Attentat auf Napoleon III. 1858) fürchtete man sich im Vereinigten Königreich davor, in einen europäischen Konflikt hineingezogen zu werden und dafür personell unzureichend aufgestellt zu sein. Also beschloss man die Aufstellung von Freiwilligenregimentern, der „Volunteer Force“. Eines davon waren die „Lanarkshire Rifle Volunteers“ (Lanarkshire ist die Region rund um Glasgow).

Als am 30. November 1872 auf dem Hamilton Crescent bei Glasgow das erste Länderspiel der Fußball-Geschichte zwischen Schottland und England (0:0) ausgetragen wurde, waren unter den knapp 4.000 Zuschauern einige Mitglieder der „3rd Lanarkshire Rifle Volunteers“ Zeugen des Geschehens. Begeistert von dem, was sie gesehen hatten, beschlossen sie umgehend die Gründung eines Fußballklubs.

So erblickte am 12. Dezember 1872 der „3rd Lanark Rifle Volunteers Football Club“ offiziell das Licht der Welt. Und war damit sogar noch älter als die großen Lokalrivalen Rangers und Celtic, die wenige Jahre später folgten.

 

Erste Erfolge

Der „3rd LRV FC“ nahm sofort am sich zu dieser Zeit entwickelnden Spielbetrieb (der bestand aus vereinbarten Freundschaftsspielen und Pokalwettbewerben) teil und gewann 1889 mit dem Schottischen Pokal den ersten großen Titel.

 
Third Lanark FC
 

1890 gehörten die „kickenden Soldaten“ zu den 11 Gründungsmitgliedern der schottischen Fußballliga. Diese war von Anfang an eine Profiliga. Deshalb war schnell klar, dass professioneller Sport und ein Freiwilligenregiment der Armee nicht so recht zusammenpassten. Entsprechend wurde das Team 1903 als „normaler“ Verein außerhalb des Militärs neugegründet und bekam seinen endgültigen Namen „Third Lanark Athletic Club“.

Apropos Namen, schon in den ersten Jahren entwickelte sich Thirds seltsamer Spitzname, „the Hi Hi“. Der Legende nach schlug ein Verteidiger die Bälle immer hoch in den Himmel hinauf, das Publikum soll darauf mit „High! High! High!“-Rufen reagiert haben, woraus dann ein regelmäßig verwendeter Schlachtruf und der Spitzname des Klubs entstanden sein soll…

 

Meister, Pokalsieger und ein neuer Ground

1904 zog Third auf den Ground um, auf den sie den „Rest“ ihrer Geschichte bleiben sollten. Bis dahin hatten sie auf einem Platz namens „Cathkin Park“, etwa 1,5 km nördlich des heutigen Hampden Stadions gelegen (heute stehen dort Wohnungen), gekickt. Lokalrivale Queen’s Park FC zog in den damals neuen (noch heute benutzten) Hampden Park um. Das alte Hampden Stadion übernahmen die Thirds und benannten es wiederum in „(New) Cathkin Park“ um.

Während der Saison 1903/04 war das neue Stadion aber noch nicht bezugsfertig, was dazu führte, dass die „Hi Hi“ ihre Heimspiele im neuen Hampden und sonstigen Stadien in Glasgow und Umgebung austragen mussten. Was Third aber nicht daran hinderte, mit der schottischen Meisterschaft 1904 den größten Triumph der Vereinsgeschichte zu feiern und als drittes Team aus Glasgow Schottischer Meister zu werden.

Der Star des Teams war der Schotte Hughie Wilson. Wilson war von 1892 bis 95 bereits mit Sunderland dreifacher Englischer Meister gewesen und kehrte 1901 zu Third Lanark nach Schottland zurück. Mit ihm, von den Zeitgenossen als „one of the all-time greats“ des Fußballs gefeiert, kam der Erfolg zu den „Hi Hi“.

In der Meistersaison schoss Wilson in 22 Spielen zehn Tore. Außerdem erreichte Third unter seiner Führung noch zweimal das Pokalfinale und gewann 1905 ein zweites Mal den Scottish Cup, gegen den Lokalrivalen Rangers. Andere Stars jener frühen Fußballzeit, die bei Third kickten, waren Jimmy Brownlie, Torhüter Jimmy Raeside oder Willie Wardrope.

Kleiner Exkurs: Hughie Wilson war auch sonst für die Entwicklung des Fußballs ein prägender Charakter. Seine Spezialität waren weite Einwürfe aus vollem Lauf, mit denen er den Ball bis in den Fünfmeterraum warf.

Deshalb wurde 1895 die noch heute gültige Regel eingeführt, dass Einwürfe mit beiden Beinen auf dem Boden ausgeführt werden müssen. Denkt also an Thirds Captain Hughie Wilson, wenn Euch mal bei Euren Kickaktivitäten ein falscher Einwurf abgepfiffen wird.

 

Etabliertes Mitglied der schottischen Liga

Die Erfolge der ersten Jahre nach der Jahrhundertwende sollte Third Lanark nicht mehr erreichen. In Schottland begann ab 1906 die Dominanz von Celtic und Rangers, bis 1947 wurde nur 1932 mit Motherwell ein anderes Team Meister. Dadurch fielen die „Hi Hi“ langsam zurück, und im Jahre 1925 stiegen sie erstmals in die zweitklassige Second Division ab.

Letztendlich kamen sie aber immer wieder hoch, von den 77 Jahren Schottischer Liga bis zur Auflösung des Vereins 1967 war Third stolze 55 Spielzeiten in der höchsten Spielklasse unterwegs.

1936 schafften es die Thirds ein letztes Mal ins Finale des Scottish Cup und unterlagen den Rangers vor über 88.000 Zuschauern in Hampden mit 0:1.


Video: Scottish Cup – Final At Hampden Park (1936)

In den Pokalwettbewerben gab es auch später noch das eine oder andere Highlight, 1952 und 1953 ging es jeweils ins Halbfinale des Scottish Cup.

Video: 1952 Scottish Cup Semi-Finals – Dundee V Third Lanark 2:0

In der Saison 1960/61 ging es für die „Hi Hi“ noch einmal hoch hinaus, als sie die Meisterschaft hinter Rangers und Kilmarnock als Dritter beendeten und dabei als erstes Team überhaupt in einer Saison eine dreistellige Zahl an Toren erzielten, nämlich genau 100. Maßgeblich daran beteiligt war Goalgetter Alex Hailey, der alleine 42-mal das Tor traf.

Niemand ahnte damals, dass es von nun an für Third bergab gehen sollte. In den folgenden Spielzeiten rutschte Third in die Abstiegszone, die Saison 64/65 sollte die letzte der „Hi Hi“ in der ersten Liga werden. Und das hatte einen Grund…

 

Bill Hiddleston und das Ende 1967

Der Grund hieß Bill Hiddleston. Hiddleston, ein Glashändler, war in den 50ern schon einmal Vorstandsmitglied gewesen, aufgrund seines etwas seltsamen Geschäftsgebarens aber nach kurzer Zeit entlassen worden. 1962 stand er plötzlich als Mehrheitseigner vor der Tür und der gesamte Vorstand verließ als Reaktion darauf den Klub. Eines der Vorstandsmitglieder, Robert Martin, ahnte was nun passieren würde und hinterließ zum Abschied die prophetischen Worte: „Good luck to Thirds and God help them.“

Hiddleston wurde der „Klub-Diktator“ und wechselte regelmäßig die Trainer aus. Die besten Spieler wie Dave Hilley, Alex Harley und Matt Gray wurden verkauft. Was dann, wie erwähnt, 1965 zum Abstieg in die zweitklassige Second Division führte.

Das ganze Theater im Klub führte zu einem drastischen Einbruch der Zuschauerzahlen in der Zweiten Liga und damit der Einnahmen. Rechnungen konnten nicht mehr bezahlt werden. Im Cathkin Park wurde regelmäßig der Strom abgestellt und die Gästeteams brachten ihre eigenen Glühbirnen und Seife mit.

Einmal brach sich ein Spieler in einem Spiel den Arm und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Hiddleston schickte einen weiteren Spieler als Begleitung mit und instruierte ihn, darauf zu achten, dass das Trikot im Krankenhaus nicht zerschnitten würde. Third hätte schließlich nur einen Satz…

Das konnte nicht gutgehen, und so wurde die Zweitligasaison 1966/67 die finale in der Geschichte der „Hi Hi“. Das letzte Heimspiel im Cathkin Park wurde am 25. April 1967 gekickt, ein 3:3 gegen Queen Of The South. Drei Tage später gab es das letzte Spiel der Vereinsgeschichte.

Beim Dumbarton FC setzte es zum Abschied eine 1:5-Packung. Drew Busby, der in seiner späteren Karriere ein Star bei Heart Of Midlothian werden sollte, schoss das letzte Tor der „Hi Hi“.

Am 7. Juni 1967 wurde ein Insolvenzverwalter bestellt, der den Klub, letztlich wg. Schulden von 40.000 Pfund, drei Wochen später auflöste. Die Behörden ordneten eine Untersuchung an und Hiddleston sollte vor Gericht gestellt werden. Doch dieser starb im November 1967, und damit war das Kapitel „Third Lanark“ endgültig abgeschlossen.

Was Hiddleston mit dem Klub eigentlich vor hatte blieb so für immer unklar. Thirds letzter Kapitän, Alan McKay, sagte kürzlich beim 50. Jahrestag der Insolvenz 2017:„I didn’t know what made the man tick in terms of what was his agenda. There was all sorts of speculation. There was so little contact between the players and board. He was mysterious.“

So nahm die 95-jährige Geschichte des Schottischen Meisters von 1905 (bis heute ist Third Mitglied des elitären Klubs von nur 11 Teams, die seit 1890 Schottischer Meister wurden) ein ruhmloses Ende und ein Klub verschwand von der Bildfläche, über den Ex-Spieler Dave Hilley Jahre später sagte:
„Thirds simply were a wonderful football club, perhaps not winning too many trophies, but over many years they provided their tens of thousands of fans with endless happy memories, loads of honest commitment and wonderful entertainment.“

Video: „Can you hear the Hi Hi sing?“

 

Das Erbe und der Versuch einer Wiedergeburt

Normalerweise fackelt man auf der Insel nicht lange mit Fußball-Grounds, die nicht mehr gebraucht werden. Kurz nach Umzug, Verkauf oder Aufgabe rücken die Bagger an und bauen etwas anderes an gleicher Stelle.

Umso erstaunlicher, dass Thirds legendärer Ground, der (New) Cathkin Park, in einer Grünanlage in der Nähe des schottischen Nationalstadions Hampden Park gelegen, noch heute existiert. Ein Verkauf des Geländes nach dem Bankrott kam nicht zustande, nur die Haupttribüne wurde in den 70er-Jahren abgerissen. Die weitläufigen Stehplatztribünen sind aber ebenso noch vorhanden (teilweise von Pflanzen überwuchert) wie das Spielfeld. Letzteres wird bis heute von der Stadt Glasgow gepflegt und spielfähig gehalten, so dass dort Hobby- und Jugendteams auf dem historischen Ground der „Hi Hi“ kicken können.

Video: Exploring Cathkin Park Home of Third Lanark HD – Urbex Derelict Abandoned Scotland Football Stadium

Aktuell versuchen Freiwillige, die Reste des Stadions in Ordnung zu halten und dokumentieren ihre Bemühungen in einem Blog: https://hampdenheritagetrail.blogspot.de/

1996, fast 30 Jahre nach der Auflösung, gab es die Neugründung eines Team unter dem Namen „Third Lanark“, das fortan mit Jugendmannschaften in der Region Glasgow kickte.

In den letzten Jahren kam ein Herren-Amateurteam dazu und unter der Leitung des Klub-Direktors Pat McGeady, der als Kind auf dem verlassenen Ground gekickt hatte, wird aktuell versucht, den Klub unter „Aneignung“ des historischen Erbes (was man ja auch im traditionsbesessenen deutschen Fußball gerne macht und so als 1966 gegründeter Verein plötzliche eine Tradition seit 1902 besitzt…) zurück in den höherklassigen Fußball zu bringen und den Cathkin Park als Ground wiederzubekommen.

 


After over 50 year since they ceased to be, Third Lanark are on the rise as one life long fan aims for League One football within 10 years


 

Man wird sehen, inwieweit diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden. Aber wer weiß, vielleicht haben Pat McGeady und seine Mitstreiter Erfolg und irgendwann kickt wieder ein Team mit dem seltsamen Namen eines Freiwilligenregiments aus dem 19. Jahrhundert im altehrwürdigen Cathkin Park. Und das schon lange nicht mehr gehörte „High! High! High!“ schallt dazu von den Rängen…

Dies war ein Gastbeitrag von Ralf Graf, der Ballreiter
Ralf Graf lebt in Karlsruhe und treibt sich auf den Fußballplätzen Badens herum. Er lernte als Kind des Niederrheins den Fußball auf dem Bökelberg kennen, betreibt das Fußballblog “der Ballreiter” und hat seit seinem ersten Schottland-Besuch eine Leidenschaft für den schottischen Fußball…

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