1,98 groß, 74 Spiele für Hannover, 147 Spiele für Werder Bremen, 156 Spiele für Arsenal und 104 Spiele für die deutsche A-Nationalmannschaft. Wenn Per Mertesacker diesen Sommer seine Fußballschuhe an den Nagel hängt, seine Zeit als Spieler ein Ende findet und er anschließend als Head of Arsenal Academy seine Karriere nach der Karriere beginnt, wird er auf eine Laufbahn zurückblicken können, die so manchen Profi neidisch machen würde.
Mehr als nur irgendein Spieler
Er, der „Weltmeister ohne Talent“, wie er sich im Titel seines Buches selbst bezeichnet, hat es über Hannover und Bremen in die Metropole Londons geschafft und dabei stets die Herzen der Fans gewonnen. Nicht durch spielerische Kabinettstückchen, glamouröse Auftritte oder markante Sprüche, sondern durch seine Art.
Was von „Merte“ bleiben wird ist mehr als Per Mertesacker, der „Big Fucking German“, der auch in hektischen Zeiten im Zentrum der Abwehr die Ruhe behält, durch sein nahezu perfektes Stellungsspiel besticht und nahezu magnetisch jeden Kopfball anzieht und souverän zum Mitspieler klärt. Was bleiben wird ist mehr als die gelebte Fairness, die in nur 27 gelben Karten und 5 Platzverweisen in 534 Spielen ihren Ausdruck findet.
Wenn Per Mertesacker seine Karriere in diesem Sommer beenden wird, dann werden sich Hannoveraner vielleicht an die ersten Profischritte eines unbeholfen wirkenden 1,98-Riesen erinnern, dem das Talent schon abgesprochen wurde, ehe er es zum Profi und Leistungsträger schaffte.
Werder Fans werden wohl an die Bilder des feiernden, vom Bänderriss genesenden Mertesackers in mitten der Pokalfeier 2009 denken und die Gunners an Mertesacker den Kapitän, der nach 13 Monaten ohne Einsatz im FA Cup Finale gegen Chelsea seine Rückkehr feiert und 90 beeindruckende Minuten später den Pokal in die Höhe streckt.
Video: Per Mertesacker feiert mit den Fans den Gewinn des DFB-Pokals.
Sie alle werden sich an einen Mann erinnern, der im Milliarden-Business Profifußball stets wie der Typ von nebenan wirkte – bodenständig, ehrlich, humorvoll und manchmal auch nachdenklich. Wenn der Spieler Per Mertesacker etwas nicht war, dann unreflektiert.
Bei jeder seiner Stationen hinterließ er einen bleibenden, charismatischen Eindruck und in jedem seiner Interviews wurde stets deutlich, dass das Klischee eines Fußballers zwar weit verbreitet, aber zumindest in diesem Fall keinesfalls zutreffend ist. Dass er noch vor seinem Karriereende von Arsenal als zukünftiger Leiter der Nachwuchsakademie verpflichtet wurde, spricht hierbei Bände.
Bleibenden Eindruck hat Mertesacker allerdings nicht nur durch seine Leistungen auf dem Platz hinterlassen, sondern auch durch offene Worte, die gleichermaßen Weckruf wie Warnung für Kollegen und zukünftige Generationen sein sollten.
„Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei“
Mertesacker zu porträtieren, seine Karriere zu beleuchten und über ihn als Spieler zu schreiben, das überlasse ich lieber anderen.
Als Werderfan und Sympathisant Arsenals verknüpfe ich persönlich mit dir, Per Mertesacker, viele fantastische Spiele. Ich denke an deinen Einsatz auf und abseits des Feldes, deine besonnene Art, dein Charisma und die vielen Momente, in denen du uns Fans zum Jubeln und zum Lachen gebracht hast. Ich denke an Werder 2009 und an Arsenal 2017 und ich empfinde Zuneigung, Wertschätzung und Dank.
Dank dafür, dass du als Spieler und als Charakter stets mit gutem Beispiel vorangegangen bist und eine Vorbildfunktion eingenommen hast, die du vielleicht gar nicht gewollt hast, die aber zu kaum jemandem so natürlich gepasst hat wie zu dir.
Vor allem aber empfinde ich großen Dank dafür, dass du, im vollen Bewusstsein deiner Privilegien, gezeigt hast, dass jeder verletzlich sein kann. In den heutigen Zeiten einer immer ausgeprägteren Leistungsgesellschaft, in der Stress und Druck mit zunehmender Vehemenz ihren Tribut einfordern, fehlt es noch immer an allen Ecken und Enden an Persönlichkeiten, die sich dem Dogma vermeintlicher Schwäche entgegenstellen und öffentlich ihre Probleme kundtun.
Im designierten „Männersport“ Profifußball ist dies noch auffälliger als ohnehin schon. Ihr, die hochbezahlten Millionäre, habt zu funktionieren. Kein Platz für Schwächen, kein Platz für Menschlichkeit.
Als du schließlich vor einigen Monaten im Spiegel davon berichtet hast, dass es selbst dem Vorzeigeprofi Per Mertesacker über Jahre hinweg zu viel wurde, du gelitten hast und erleichtert warst, als vermeintlich begeisternde, berauschende Ereignisse wie die WM „endlich“ ein Ende fanden, war ich beeindruckt.
Von dir, deinem Mut und deiner Ehrlichkeit. Ich war begeistert, weil die bedrückenden Reaktionen jener selbsternannter Experten vorhersehbar waren. Wie konntest du, als privilegierter Mensch schlechthin, nur von Schwächen berichten? Wie konntest du, der du es so genossen haben musst, nur das von allen vergötterte Sommermärchen beschmutzen?
Weil du einfach ein Mensch bist, dachte ich. Ein Mensch, dem es verdammt nochmal zusteht, sich nicht gut zu fühlen. Doch viele begreifen das nicht. Viele verstehen noch immer nicht, dass es einem selbst in guten Zeiten nicht immer gut gehen muss. Umso beeindruckender war der Zeitpunkt deines Interviews. Vom Pokaltriumph zum Bankspieler, von der Bank auf die Tribüne, von der Tribüne in die Nachwuchsakademie Arsenals.
Keine Spiele mehr, kein Brechreiz. Es war alles vorbereitet für einen gemütlichen Abgang. Raus aus dem Fokus, raus aus dem Rampenlicht – du hättest einfach die Zuneigung der Fans genießen und dich zurückziehen können, aber das wolltest du nicht. Du wolltest etwas hinterlassen, das bleibt. Du wolltest ein Zeichen setzen und einen Weckruf von dir geben, an diejenigen, die den Fußball verfolgen und an diejenigen, die dir und anderen folgen wollen.
Ein Verhalten, das dem zukünftigen Leiter einer Nachwuchsakademie mehr als würdig ist und in Zeiten einer Gesellschaft, in der das Eingeständnis von Problemen noch immer häufig als Schwäche wahrgenommen wird, kaum hoch genug gewürdigt werden kann.
Damit hast du, Per Mertesacker, zum Abschluss deiner Karriere nochmal deutlich vor Augen geführt, warum du stets gemocht wurdest und du hast gezeigt, was die Fans an dir stets genossen haben: Dein Verantwortungsbewusstsein, deine ruhige und reflektierte Art und dein Gespür dafür, dass Fußball manchmal eben nur Fußball ist und Menschen immer noch Menschen sind.
Zum Abschluss bleibt damit nur zu sagen:
Danke, Per Mertesacker. Für eine begeisternde Karriere voller schöner Erinnerungen und dafür, dass du mehr Mensch als Spieler geblieben bist – und ein verdammt sympathischer noch dazu.
Dies war ein Gastbeitrag von Joey
Joey ist 24, Wirtschaftspsychologe, Werderfan und seit Jahren Sympathisant von Arsenal. Während seine Leidenschaft für Fußball durch das schöne Spiel auf dem Platz geweckt wurde, setzt er sich mittlerweile, vor allem bei Twitter (@Estadox) und seinem Blog (fussballromantik.wordpress.com) umfassender mit dem Business Profifußball auseinander – was passiert hinter den Kulissen, welche Faktoren beeinflussen den Erfolg auf dem Platz und was bedeutet Fußball überhaupt für die Gesellschaft?