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Southampton in der Krise

Southampton steht wie kein anderes Team in der Premier League für gute Arbeit in Sachen Scouting und Jugendförderung. Ihrem Aufstieg 2012 in Englands höchster Spielklasse folgten turbulente Jahre, in denen die Entwicklung des Vereins rasanter nicht sein konnte. Die Saints umgab eine magische Aura. Eine Aura, die nicht zuletzt auf ihr durchdachtes Handeln auf dem Transfermarkt begründet wurde. Seit zwei Jahren läuft die gutgeölte Maschine nicht mehr. Ein Fall vom Europa-League-Aspiranten zum Abstiegskandidaten binnen kürzester Zeit.

Aufstieg der Saints

Man muss sich eines vor Augen führen: Southampton war nie ein normaler Aufsteiger. Sie zeichneten sich jedoch weniger durch teure Transfers aus. Vielmehr brachten eine gewisse Experimentierfreude und das kompromisslose Vertrauen in die eigene Jugend die Erfolge. Alles begann im Sommer 2009, als der deutschstämmige Unternehmer Markus Liebherr den finanziell angeschlagenen Club übernahm.

Die Saints stiegen im gleichen Sommer in die dritte Liga ab und standen vor dem Exodus. Nichtsdestotrotz waren sie für ihre gute Jugendarbeit bekannt. Immerhin brachte man Spieler wie Walcott oder Bale hervor – Letzterer sollte einige Jahre später (zumindest für einen Sommer) der teuerste Transfer der Welt werden.

Obwohl Liebherr nur wenige Monate nach der Übernahme verstarb, löste sein Engagement einen Weckruf im Verein aus. So steckte er etwa drei Millionen Pfund in 13 neue Spieler, darunter unter anderem José Fonte. Seine Vision bestand darin, einen „bottom-up“-Prozess im Club aufzubauen, der es vorsieht, junge Akademiespieler in die erste Mannschaft zu bringen. Weiterhin sorgte er in seiner kurzen Zeit bei Southampton für eine stärkere Beziehung zwischen Fans und Team.

2010 ernannte er den ehemaligen technischen Direktor der FA, Les Reed zum Verantwortlichen für Spielerausbildung. Eine Rolle, die zum damaligen Zeitpunkt von vielen englischen Clubs mit schmunzeln betrachtet wurde. Reeds Auffassung nach dürfe man als Southampton FC nie vergessen, dass man in der Jugendakademie bereits sehr sehr gute Spieler zur Verfügung habe.

Lest dazu auch unseren Text über Adam Lallana – Liverpools neuer Geheimwaffe

Ein wesentlicher Bestandteil bei der Entwicklung der Spieler sei die Eigenverantwortung dieser. Jeder Spieler ab acht Jahren bekommt vom Verein ein iPad gestellt, auf dem er sich die absolvierten Trainingsübungen noch einmal anschauen kann. Weiterhin wird die Performance von Spielen auf den iPads zur Verfügung gestellt.

Sämtliche Daten werden zudem an das Support Center gegeben, die sogenannte Black Box. Dadurch können die Scouting-Abteilungen sämtlicher Bereiche Hand in Hand arbeiten und sind nicht auf Videomaterial der Analysten angewiesen, die alles mühselig zusammenschneiden müssen. Vor zehn Jahren hatte die Akademie gerade einmal 20 Mitarbeiter. Heute sind es über 60 allein im Support Center.

Selbstverständlich hat dies auch Auswirkungen auf die erste Mannschaft. So brachte die Akademie in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Talente hervor. Oxlade-Chamberlain, Lallana, Shaw, Ward-Prowse und Chambers sind allesamt gestandene PL-Spieler. Die nächste Generation lässt derzeit noch auf sich warten. Das größte Talent aus dem U-21-Bereich ist Josh Sims, der aktuell nicht einmal Stammspieler bei Reading ist.

Doch Southampton lebt natürlich nicht ausschließlich von seinen Jugendspielern. Ihre Transfers waren in der Vergangenheit stets durchdacht und mit Weitsicht. Als beispielsweise Alderweireld den Clubs verließ, holte man van Dijk. Als Lallana ging, hatte man bereits lange Zeit vorher Tadić verpflichtet. Ähnlich verhielt es sich mit Wanyama, als man Romeu als seinen Nachfolger ausmachte.

Southamptons Verfall – Stück für Stück

Jahr für Jahr verließen immer wieder Leistungsträger den Verein und auch Trainer kamen und gingen. Bei einem Abgang schaute Reed in seine Black Box und fand stets den richtigen Nachfolger. Auf Pochettino, der Southampton auf ein anderes Level hob, folgte Koeman, der nicht weniger erfolgreich war. Beide zeichneten eine klare Spielidee aus und eine Affinität dafür, auf junge Spieler aus den eigenen Reihen zu setzen.

Pochettino war zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung für seine guten Leistungen bei Espanyol Barcelona bekannt geworden, aber war alles andere als ein naheliegender Kandidat für den damals abstiegsbedrohten Aufsteiger. Koeman kam mit einem guten Ruf aus Feyenoord, stellte junge Truppe knapp die Hälfte der holländischen WM-Teilnehmer von 2014.

Reed begründete seine Trainerverpflichtungen damit, dass es sinnlos wäre, einen Trainer zu verpflichten, der nicht auf die eigene Jugend setzt. Wozu steckt man sonst das Geld in die Akademie?!

Auf Koeman folgte 2016 Puel. Ergebnistechnisch landete man auf einem guten achten Platz, was nicht über den spielerischen Verfall hinwegtäuschen sollte. Man spielte äußerst defensiv und sorgte dafür bei Fans für schlechte Stimmung. Seit der Saison 2013/14 erzielten die Saints stets über 54 Tore in der Premier League und kassierten maximal 46 Treffer. Unter Puel waren es 41:48 Tore. Vereinzelt soll es sogar Spieler gegeben haben, die gegen seine behäbige Spielweise protestiert haben.

Außerhalb des Sportlichen rumorte es 2014 auch auf politischer Ebene im Verein. Nach Markus Liebherrs Tod 2010 übernahm seine Tochter Katharina seinen Posten bei den Engländern. Seit dem Sommer 2013 stand sie jedoch im Clinch mit dem Präsidenten Nicola Cortese, der seinen Posten Anfang 2014 räumte. Der Italiener galt als ein Analytiker, der ein gutes Näschen für Investments besaß. Er war es auch, der Pochettino unbedingt in den Süden England holen wollte.

Laut Medienberichten ging es Katharina Liebherr nicht so sehr um den Fußball an sich, sondern eher um die Rendite. Sie sei nur ein kleines Rädchen in der Liebherr-Dynastie, behaupten böse Zungen. 2017 bestätigte sie den Verkauf von 80% der Clubanteile an die chinesische Geschäftsfamilie Gao.

Als man im letzten Jahr Mauricio Pellegrino verpflichtete, versprach man sich eine Rückkehr in alte Zeiten. Wie das Ganze endete, ist hinlänglich bekannt. Southampton schrammte haarscharf am Abstieg vorbei und wird mittlerweile von Mark Hughes betreut. Es wäre zu einfach mit dem Finger auf den Trainer oder Reed zu zeigen. Fehler wurden vor der Saison gemacht und auch in Sachen Spielglück war man in der vergangenen Saison nie wirklich gesegnet.

Statistisch gesehen erspielte sich Southampton in der vergangenen Saison mehr Chancen als jedes andere Team außerhalb der Top-6. Laut „expected goals“ sah man sie im Frühjahr noch auf Platz neun. Dennoch sorgte Pellegrino mit diversen Kaderentscheidungen für mehr Ärger. So machte man in der ersten Saisonhälfte 64(!) Änderungen in der Startelf.

(Foto: Fotograf/Wikimedia cc-by-sa3.0)

Charlie Austin verlor man für gut drei Monate aufgrund einer Verletzung. Dass er nach seiner Rückkehr mit sieben Treffern nach wie vor Topscorer war, zeigt nur, wie blutarm Southamptons Angriff war. Redmond, einer der talentiertesten Spieler des Clubs wurde auch des Öfteren aus dem Kader gestrichen. Dadurch konnte sich nie so wirklich eine richtige Stammelf einspielen.

Die Causa van Dijk brachte ebenso Unruhe in den Verein und selbstverständlich fehlte er der Mannschaft in der Rückrunde mit seiner Stabilität. Dennoch gab und gibt der Kader nicht mehr das her, wozu er im Stande war/ist. Kurzum: Southamptons Transfers greifen nicht mehr wie früher.

Tadić kam seit Koemans Abgang nie mehr an seine alten Leistungen heran und wurde im Sommer an Ajax verkauft. Romeu startete wie Lemina sehr gut unter Puel, beide laufen ihrer Form derzeit hinterher. Die Liste kann endlos weitergeführt werden: Boufal, Gabbiadini und Højbjerg haben ebenso wenig Einfluss wie Rekordzugang Carrillo, den man im Winter für 22 Mio. Euro holte und mittlerweile an Leganes verliehen hat.

Dabei gab es im Sommer vergangenen Jahres bereits frühzeitig ein primäres Ziel für den Club: Virgil van Dijk zu halten. Als sich dann anbahnte, dass sich beide Parteien im Winter trennen werden, hätte man adäquaten Ersatz holen müssen. Der junge Bednarek erwies sich trotz guter Anlagen noch nicht als Premier-League-tauglich. Der eigentliche Nachfolger, Wesley Hoedt ist ein gänzlich anderer Spielertyp und viel weniger ein Anführer wie van Dijk. Im Sommer verpflichtete man Vestergaard aus Gladbach, der die Lücke zumindest ansatzweise zu füllen scheint.

Ein Modell mit Grenzen?

Doch manchmal geht es im Fußball nicht nur um die Neuen, sondern auch um den aktuellen Kader. Um Spieler, die sich eventuell mit einem Wechsel beschäftigen. Van Dijk konnte man nicht langfristig binden, Ward-Prowse konnte man frühzeitig binden, aber auch hier scheint Sand im Getriebe zu sein.

Bei eigentlich gestandenen Spielern sieht man seit geraumer Zeit keine so konstanten Leistungen mehr wie früher. So kam es zu einem deutlichen Leistungsabfall bei Forster nachdem er seinen Vertrag im Juli 2017 verlängerte, auch bedingt durch Verletzungen. Bei Romeu verhielt es sich seit Januar ähnlich, nachdem er seinen Vertrag verlängerte. Auch Cedric Soares ist längst nicht mehr so souverän wie zuvor.

Les Reed sprach einmal davon, dass der Verein mit seinem Engagement 2009 einen Fünf-Jahres-Plan aufstellte. Dass man die Ziele bis 2014 gänzlich übertraf gehöre für ihm ebenso dazu wie der derzeitige (vermeintliche) Abbau. Stichwort Regression zur Mitte.

In diesem Atemzug sprach Swanseas Chair Man Huw Jenkins davon, dass man als Premier-League-Team meist nur einen Zyklus von zwei bis drei Jahren habe in dem man mit Spielern und ihren Verträgen planen kann. Danach müssten die Verträge erneuert werden, um die Spieler nicht unter Wert zu verlieren. Mit jeder Vertragsverlängerung geht aber auch immer eine Gehaltserhöhung einher. Jenkins sprach von etwa einer Millionen Pfund.

Southampton ist durch ihre Philosophie natürlich auf gewisse Transfermodelle beschränkt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Reed einen Transfer von 50 Mio. Euro durchwinken wird. Über Jahre erkannte man die Zeichen der Zeit frühzeitig und handelte mutig in Sachen Trainerverpflichtungen. Nicht falsch verstehen: Das tat man auch mit Pellegrino, aber mit Hughes scheint man nun doch mehr und mehr Durchschnitt zu werden.

Dem Verein fehlt seit etwa zwei bis drei Jahren eine Identität. Etwas, das den Saints in den ersten Jahren nach dem Aufstieg auszeichnete. Da geht es gar nicht so sehr darum eine einzigartige Spielweise an den Tag zu legen. Vielmehr fehlt ihnen wieder ein Emporkömmling aus der Talentschmiede.

James Ward-Prowse ist mit fast 24 Jahren kein Youngster mehr und scheint aktuell auch eher zu stagnieren. Jack Stephens kam zwar bisher in zwei Partien zum Einsatz, ist aber auch kein kommender Star wie seine Vorgänger. Ein nächster Luke Shaw oder Gareth Bale scheint in weiter Ferne zu sein.

Generell fehlen ihnen derzeit „Homegrown Players“, die den Kern der Mannschaft bilden. Durch starke Mannschaftsgefüge war es den vielen Legionären wie eben van Dijk, Mané oder Tadić möglich, sich schnell in den Verein zu integrieren.

Vor einem ähnlichen Problem steht auch der SC Freiburg in der Bundesliga. Die Breisgauer vertrauten ebenso jahrelang auf Spieler aus der eigenen Jugendabteilung oder der Region. Ebenso wie die Südengländer hat das Modell zur Folge, dass es zu großen Leistungsschwankungen kommen kann, wenn man in einem Sommer drei bis vier Leistungsträger verliert.

Dass die „einheimischen“ Spieler irgendwann, auch aufgrund der wachsenden Anforderungen, durch Legionäre ersetzt wurden, tat dem Mannschaftsgefüge nicht unbedingt gut. „Aber andere Vereine haben doch auch Legionäre“, könnte man hier entgegnen. Andere Vereine schreiben sich diesen Lokalpatriotismus auch nicht so sehr auf die Fahne.

Zudem spielt die Premier League seit etwa drei Jahren verrückt. Es gibt außerhalb der Top-6 kein breites Mittelfeld mehr. Gefühlt spielt jedes Team ab Platz acht gegen den Abstieg und hat gleichzeitig die finanziellen Ressourcen eines Champions-League-Teilnehmers. Dadurch kann es eben vorkommen, dass ein eigentlich gestandenes Team wie Southampton unten reinrutscht, wenn die Konkurrenz massiv aufrüstet.

Ein nicht zu unterschätzender Fakt ist, dass es für in der Mannschaft fest verankerte Spieler mental anstrengend sein kann, wenn Jahr für Jahr die besten Spieler abgegeben werden. Insbesondere, wenn der Erfolg irgendwann ausbleibt.

Im vierten Jahr von Reeds Fünf-Jahres-Plan scheint der Club aus dem Süden Englands mehr zu straucheln denn je. Ob es sie tatsächlich umwerfen wird, ist eigentlich nicht zu erwarten. Als Heiliger steht man ja doch immer wieder auf.

Sascha
Hat genauso eine Daseinsberechtigung wie Torrichter während der Champions League Spiele. Passionierter Schachtelsatzschreiber. Gilt intern nicht umsonst als L’Akquisiteur – wenn nicht da, dann zumindest bei sich selbst. Man soll sich immerhin treu bleiben wie Javier Pinola den Überresten seiner Haare. Glaubt noch immer, dass in Enes Ünal ein Weltklassestürmer schlummert, den aber nicht einmal Houdini hervorzaubern könnte. Einziges Vorbild von Max Dettmer.

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