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Wie gut war eigentlich… Fabio Cannavaro?

Fabio Cannavaro – der letzte Verteidiger, der Weltfußballer geworden ist. Als 1,76m kleiner Spieler in einer Zeit, in der so kleine Innenverteidiger noch die absolute Ausnahme bildeten. Stellt sich da ernsthaft die Frage nach seiner Qualität?

Ja, sie stellt sich.

Ehrlich gesagt hatte ich Cannavaro nur noch als den glatzköpfigen, italienischen Kapitän Italiens bei der WM 2006 in Erinnerung.

Das Italien, was als „dreckig“ galt und dem legendären Zinedine Zidane einen denkwürdigen, aber keinesfalls ehrenwerten Abschied von der Fußballbühne bescherte.

Meine Erwartungen an Cannavaro waren daran anschließend so in etwa: „Mentalitätsspieler“, „setzt auch mal ein Zeichen“ und „spielt hinten klare Dinger“. Der aufmerksame Leser merkt, dass ich mit diesen Phrasen nichts Positives verbinde.

Daher waren meine fußballerischen Erwartungen an Cannavaro nicht besonders hoch. Und ich muss mir eingestehen:

Ich hatte keine Ahnung.

 

Meine Irrtümer

Erstens: Cannavaro hatte nicht immer eine Glatze. 2000 hatte er sogar lange Haare und 2007 – also nach besagter WM – trug er einen flotten Kurzhaarschnitt.

Ich war aber felsenfest davon überzeugt, dass Cannavaro immer eine Glatze hatte, dass ich in einem der Spiele 10 Minuten lang den falschen Spieler scoutete, bis es mir dann dämmerte: Cannavaro ist der Innenverteidiger mit den Haaren.

Und zweitens: Er war – besonders zu seiner vermutlichen „Prime“ bei der WM 2006 – ein sensationeller Innenverteidiger. Einer, der tatsächlich „die Marschroute vorgibt“, dies aber mit herausragenden Leistungen tut.

Doch was machte ihn so stark, dass ihm als Innenverteidiger öffentlich eine solche Wertschätzung wie der Weltfußballer-Titel 2006 zuteil wurde?

Cannavaro war nicht nur gut, er war spektakulär gut. Und zwar ebenfalls in einer Disziplin, in der man ihn als Unwissender eher schwach vermuten würde: Das Kopfballspiel.


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Fehlende Größe≠kopfballschwach

Der Italiener machte seine fehlende Größe nicht nur wett; er war ein exzellenter Kopfballspieler. Mit seiner wahnsinnigen Sprungkraft und einem äußerst sauberen Timing war er in der Lage, ausgewiesene Zielspieler des Gegners über ein ganzes Spiel abzumelden.

Hinzu kam, dass sich der Italiener stets clever positionierte. Somit verschaffte er sich einen kleinen Vorteil gegenüber seiner Gegenspieler:

Für Kopfballduelle nahm er längeren Anlauf und konnte so eine höhere Sprungkraft erreichen. Und falls er den Ball direkt abfangen konnte, schob er seinen Körper quasi aus dem Nichts vor den Gegner.

Seine geringe Größe verschaffte ihn in anderen Situationen einen Vorteil: Cannavaro war beweglicher und vor allem deutlich dynamischer als der „normale“ Innenverteidiger. In Sprintduellen ließ er sich somit nicht so leicht abschütteln.

Cannavaros Mobilität in Kombination mit seiner Robustheit half ihm hingegen bei direkten Zweikämpfen: Der Weltmeister hatte mit der hohen Schrittfrequenz flinker Dribbler ebenso wenig Probleme wie mit dem körperlichen Spiel großgewachsener Sturmtanks.

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Der Italiener verhinderte es jedoch oftmals, physische Duelle um den Ball annehmen zu müssen. Sein Defensivspiel war sehr antizipativ: Gerne rückte er weiträumig raus, um Pässe zum von ihm bewachten Spieler abzufangen.

Dieses prinzipiell gefährliche Unterfangen gelang ihm in einer beeindruckenden Konstanz.

Für seinen Gegenspieler muss das unheimlich frustrierend gewesen sein: Da möchte man sich einmal von ihm lösen und aus der Sturmspitze zurückfallen lassen… und dann ist Cannavaro dir wieder auf den Fersen und nimmt dir den Ball ab, bevor du ihn am Fuß hast.

Doch der Italiener traf nicht nur kluge Entscheidungen beim Herausrücken; er sicherte seine Kollegen ebenfalls brilliant ab.

Rückte bspw. sein Innenverteidiger-Kollege raus und verlor den Zweikampf, lauerte Cannavaro bereits dahinter, um selbst den Zugriff wieder herzustellen.

Mit großer Kontinuität fand er hierbei die richtigen Positionierungen.

Absolute Weltklasse verkörperte der Defensivspieler noch in einem anderen Punkt: Seine Positionsfindung bei Hereingaben des Gegners vom Flügel. Das mag etwas abstrakt klingen, ist es aber nicht.

Der inzwischen 45-Jährige fand stets die richtige Position, um Flanken des Gegners abzublocken oder zumindest einen großen Raum zu versperren.

Häufig lenkte er den Gegenspieler vorher bereits nach außen und zeigte sich dann flexibel in seiner Positionsfindung:

Entweder suchte er den direkten Zugriff und rückte auf den Gegner raus (Blocken der Flanke); oder er nahm größeren Abstand vom Gegner und rückte mehr in den Strafraum ein (Versperren des bespielbaren Raums).

Das ist eine Fähigkeit, die mir bisher bei kaum einem Spieler derart aufgefallen ist. Es gab tatsächlich Spiele, in denen Cannavaro 5-10(!) Flanken des Gegners blockte.

 

Fabio Cannavaro am Ball

Ein weiterer Aspekt, indem ich ihn schwach eingeschätzt hätte, war sein Spielaufbau. Und wieder gilt: Ich hatte nicht so viel Ahnung.

Cannavaros Aufbauspiel war mit heutigen Standards verglichen nicht überragend, aber mehr als solide. Wenn er andribbelte, behielt er die Übersicht und konnte hier und da mal einen linienbrechenden Pass anbringen.

Die Momente, um den Gegner so zu attackieren, nutzte er leider nur bei viel Platz oder unmittelbar nach Balleroberungen. In dem Aspekt blieb einiges an Potenzial ungenutzt.

Technisch zeigte er sich größtenteils sicher. Der Innenverteidiger versuchte es selten mit komplizierten Pässen; dafür spielte er die einfachen Pässe mit großer Sauberkeit.

Der vermutlich herausragendste Punkt an seinem Aufbauspiel ist jedoch die Präzision seiner langen Bälle. Cannavaro erkannte die passenden Momente, um den eigenen Zielspieler mit einem hohen Anspiel zu bedienen.

Die Geschwindigkeit und Höhe seiner Flugbälle war stets optimal gewählt, sodass dem Stürmer die Ballverarbeitung erheblich vereinfacht wurde.

Und dann sind da noch zwei Qualitäten, die ich bei Cannavaro besonders herausstellen möchte. Diese beiden Aspekte bekommen in der Öffentlichkeit – meiner Meinung nach – zu wenig Aufmerksamkeit oder werden falsch bewertet.

 

Stärken, die nicht jeder hat

Erstens: Foulspiele bei Kopfballduellen. In der Kreisliga (also mein fußballerisches Niveau) oft als „dumm“ verschrien und meistens tatsächlich dumm, zeigte sich der Innenverteidiger in dieser Disziplin äußerst intelligent.

Der Italiener war in Kopfballduellen stark auf sein herausragendes Timing angewiesen. Vereinzelt gab es jedoch Situationen, in denen er sich in klar benachteiligter Position befand.

Damit der Zielspieler des Gegners den Ball nicht präzise ablegen oder verlängern konnte, foulte ihn Cannavaro in der Luft.

Und wie foult man „intelligent“ im Kopfballduell? Der Italiener schob den Gegenspieler leicht mit den Händen (Betonung auf leicht) oder stützte sich etwas beim Gegner auf.

Fouls dieser Art werden vom Schiedsrichter selten als gelbwürdig erachtet; sie verhindern aber eine gefährliche Situation, die der Gegner bei Gewinn des Kopfballduelles herstellen könnte.

Zweitens: Lange, hohe Bälle des Gegners zum Torwart durchlaufen lassen, statt den Ball wegzuköpfen.

Ja, das meine ich komplett ernst. Cannavaro zeigte sich hierbei nämlich sehr clever und schätzte die Dynamik des Balles und die Situation immer richtig ein. Die Vorteile vom Ball zum Torwart durchlaufen lassen?

Im Idealfall kann der Torwart das Spiel nun ruhig von hinten aufbauen. Bei einem Kopfball ins Mittelfeld hingegen ist der Ballbesitz unkontrollierter, da sich der ballempfangende Spieler normalerweise unter Druck befindet.

Viele Innenverteidiger trauen sich jedoch nicht, den Ball durchlaufen zu lassen. Das mag aus der Angst geschehen, dass ein Stürmer mit Dynamikvorteil im Rücken entwischen kann und somit freie Bahn zum Tor hätte.

Es benötigt also einen intelligenten und risikofreudigen Innenverteidiger sowie einen aufmerksamen Torwart, um sich diesem Mittel zu bedienen.

Mit Gianluigi Buffon und Iker Casillas hatte Fabio Cannavaro den Großteil seiner Karriere aufmerksame Torhüter hinter sich. Das wird seine Entscheidungen hier vermutlich erleichtert haben.

 

Fabio Cannavaros Defizite

Richtig gelesen, Cannavaro besaß Schwächen. Es waren wenige, aber sie lassen sich durchaus als Schwächen bezeichnen.

Defensiv verhielt sich der Italiener manchmal zu mannorientiert. Sein weiträumiges Herausrücken war nicht immer antizipativer Natur, sondern oftmals sehr bissige Manndeckungen.

Konnte der ballempfangende Spieler den Ball also klatschen lassen, hatte Cannavaro viel Raum geöffnet, den man attackieren konnte.

Doch das ist nicht das einzige (kleine) defensive Defizit des Innenverteidigers: Besonders am Anfang und am Ende seiner Karriere waren seine weiträumigen Aktionen, in denen er Pässe abfangen wollte, seltener von Erfolg geprägt.

Zu Beginn seiner Karriere wägte er noch nicht erfolgsstabil ab, ob er den Ball erreichen kann oder nicht.

Und in den letzten Jahren seiner Laufbahn machte ihm die abhanden gekommene Dynamik zu schaffen. Er suchte den Zugriff durchaus gut und passend, kam jedoch entscheidende Milisekunden zu spät für den Ballgewinn.

 

Kleiner Innenverteidiger≠aufbaustarker Innenverteidiger

Im Spielaufbau zeigte Cannavaro ebenfalls einige Schwächen. Sein Bewegungsspiel war extrem passiv.

Geriet ein Mitspieler in Not, zeigte sich das Freilaufverhalten des Italieners als inexistent. Das kann verheerende Wirkungen haben:

Insbesondere die Außenverteidiger werden oft als Pressingopfer ausgesucht, da sie bei der Ballan- und mitnahme durch die Seitenlinie begrenzt werden.

Ist der ballnahe Innenverteidiger nicht anspielbereit, bekommt der Außenverteidiger große Probleme.

Technisch war der Innenverteidiger ebenfalls nicht über jeden Zweifel erhaben. Versuchte der Defensivspezialist den Ball mit einem Kontakt weiterzuspielen, konnte es unsauber werden.

Was erstmal nicht so dramatisch klingt, da Innenverteidiger selten mit einem Kontakt spielen „müssen“, war jedoch eine kleine Einschränkung.

Bei abgefangenen Pässen im Mittelfeld zeigte Cannavaro Defizite in der anschließenden Ballweiterleitung.

Er hatte die mögliche Anspielstation zwar wahrgenommen, benötigte jedoch mehrere Kontakte, um den Ball sicher anzubringen.

Das verlangsamte das Spiel und führte ebenfalls zu einigen Fehlpässen, als der Italiener es dann doch mit einem Kontakt versuchte.

Bei einem Rückblick in Cannavaros aktive Zeit relativiert sich dieses Defizit ein wenig: Die Innenverteidiger hatten meistens massig Zeit mit Ball am Fuß. Daher war das Spiel mit einem Kontakt noch nicht so wichtig wie heute.

Und selbst die kleinen Schwächen des Italieners trüben den Gesamteindruck kaum.

 

Fazit

Cannavaro war schlichtweg sensationell. Die WM 2006, bei der der Italiener bereits 32 Jahre und somit physisch über seinem Zenit war, stellte den Leistungshöhepunkt seiner Karriere dar.

Über das gesamte Turnier zeigte er Einzelleistungen, die defensiv nahe der Perfektion waren.

Jedem interessierten Leser kann ich nur empfehlen, sich das WM-Finale 2006 dafür nochmal anzuschauen. Dort sieht man nicht nur einen unfassbar starken Cannavaro, dem fast jede defensive Aktion gelingt; in dem Spiel verdeutlicht Gennaro Gattuso ebenfalls alle Stärken und Schwächen, die ich ihm in meinem letzten Text zugeschrieben hatte.

Gehört Cannavaro qualitativ zur selben Riege wie die legendärischen italienischen Verteidiger wie Maldini, Nesta und Baresi?

Meine Antwortet lautet Ja. Defensiv war der kleine Italiener kaum zu bezwingen: Ein Boden- oder Luftzweikampf war für den Gegenspieler ja schon unangenehm… war Cannavaro aber in Bestform, warst du als Stürmer froh, wenn es überhaupt mal zum Zweikampf kam.

Im Spielaufbau zeigte er ebenfalls Potenzial und könnte dieses Potenzial in moderneren Spielanlagen vermutlich (Achtung: sehr hypothetisch) besser abrufen.

Er mag nicht die Konstanz von Maldini oder Nesta besessen haben; wenn Cannavaro jedoch an seinem Leistungslimit performte, führte kein Weg an ihm vorbei – Thierry Henry kann das bestätigen.

Ihn mit Baresi zu vergleichen, fällt mir dann jedoch aus einem Grund sehr schwer: Ich habe von Baresi wenig gesehen.

Aber das lässt sich ändern.

Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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