Viele Fußballfans haben wohl schon davon geträumt irgendwann einen eigenen Verein zu gründen. Doch meistens gehen diese Ambitionen nicht über Hobbytruppe hinaus, die bis auf eine Facebook Seite mit 23 Likes – hauptsächlich von Spielern und engen Vertrauten — einen vierten Platz beim Sparkassen Hobbycup an Vatertag und eine Trennung nach knapp 1 ½ Jahren aufgrund fehlender Bindung zwischen den Spielern, nichts vorzuweisen hat.
Der Engländer Spencer Owen hatte diesen Traum auch. Und er hat ihn in die Tat umgesetzt. Als Resultat blickt er heute auf knapp 500.000 Follower bei Instagram und YouTube, Sponsoringdeals mit Adidas und Football Manager sowie einen Verein, der theoretisch in 8 Jahren in der Premier League spielen könnte.
Er hat Trikots, die nicht nur sein Team, sondern auch einige Fans auf dem ganzen Globus besitzen. Diese Trikots ziert ein Wappen, das sich außerdem auf Spencers Eckfahnen und Dauerkarten wiederfindet.
Spencer hat Eckfahnen und Dauerkarten. Spencer hat einen Zeugwart, einen Physio, einen Social Media Beauftragten, einen Stadionsprecher, eine Ultra-Gruppierung. Spencer hat all das was ein Profi-Verein hat.
Spencer hat einen Verein. – „Hashtag United“. Und Spencer war auch mal nur irgendein Fußballfan, der davon träumte, gemeinsam mit seinen Freunden einen eigenen Verein zu gründen.
Dies ist ein Gastbeitrag von Lenni Rettler
Von der Schulumkleide bis nach Wembley
Wie bei den meisten Träumen eigener Fußballmannschaften beginnt auch bei Hasthag United alles mit einem Hobbyteam. Keine bürokratischen Hindernisse, nicht zu viele Verpflichtungen, Freiraum im Alkoholkonsum.
Über den Alkoholkonsum seiner ersten Hobbymannschaft ist nicht besonders viel bekannt, den Namen hat Spencer allerdings schon verraten: Hashtag FC nannte sich sein „7-a-side-Team“ bestehend aus Freunden und Arbeitskollegen. Doch bloßes Gekicke losen Strukturen reichte ihm dann irgendwann nicht mehr. Er wollte professioneller werden.
Spencer Owen ist jemand, der die Verbindung von Fußball und neuen Medien verstanden und umgesetzt hat. Nach seinem Studium der englischen Literatur arbeitete er als Social Media Beauftragter von Vincent Kompany in Manchester Citys erster Meistersaison, anschließend für das YouTube-Fußball-Format COPA90.
Parallel zu einigen mittelerfolgreichen Auftritten als Stand-Up-Comedian startete Spencer seinen eigenen YouTube-Kanal auf dem er Videos seiner Auftritte sowie Sketche und später unter dem Namen „Spencer FC“ bis heute mehrheitlich FIFA-Videos oder Videos mit fußballbezogenen Inhalten hochlud. Auf seinem Privaten Kanal verzeichnet er mittlerweile knapp zwei Millionen Follower.
Offiziell bekannt machte Spencer seinen Traum am 19. März 2016. Er lud ein Vorstellungsvideo seines Vereinsprojekts auf seinem Kanal hoch. Damals besaß er schon fast eine Million Follower.
Die Reichweite für sein Projekt war gegeben. Ab dann begann die Reise des wohl professionellsten aller Hobbyvereine. Hashtag United spielte nicht in einem offiziellen Ligastruktur, auch nicht in einer Amateurliga, sondern kreierte sich sein eigenes Ligasystem.
Spencer war also nicht nur Vereinsvorsitzender sondern auch Ligapräsident. Allerdings spielte in diesen Ligen einzig und allein Hashtag United. Sie begannen in Liga 5, erreichten sie eine vorab definierte Anzahl an Punkten konnten sie eine Liga aufsteigen, bis hin zur Liga 1.
Das Ligasystem und die zu erreichenden Punkte waren dabei angelehnt an das damalige Ligasystem des Videospiels FIFA16. Für einen Sieg gab es drei Punkte und eine Menge „I bet this is all scripted“ Kommentare.
Auch wenn bei Hashtags erstem Spiel die Kabinen aussehen als würden sich dort normalerweise Neuntklässler mit Axe-Deo absprühen, die Spieler nicht in einheitlichen Trainingsanzügen erscheinen, sondern durch ihre Ankunft in Superdry-Sweatshirtjacken und kurzen Hosen den Eindruck erwecken, als würden sie gleich vor drei zuschauenden Lehrern für die Schulmannschaft antreten, hatte das Projekt vom ersten Spiel an eine gewisse Professionalität: Die Spieler wurden einzeln vorgestellt.
Die Trikots hatten damals bereits Sponsor und Ausrüster, alles wurde detailliert gefilmt und nach dem Spiel gab es für jeden Kicker als Belohnung zum Sieg brandneue Fußballschuhe vom damaligen Ausrüster Umbro.
Gegner dabei: „Dream Team FC“. Ebenfalls ein YouTube-Verein. Auf dieses Spiel folgen viele weitere in Spencer eigenem Ligasystem. Gegen Spencers alten Arbeitgeber COPA90, gegen Mitarbeiter Teams englischer Proficlubs wie Manchester City oder West Ham United –übrigens Spencers Lieblingsclub.
Sie fanden Gefallen daran, Betriebsmannschaften zu schlagen und taten dies dann auch gegen das Team von Google oder Sky Sports England. Spencers Projekt wächst und wächst, die Gegner werden prominenter und exotischer.
Es folgen Spiele im Wembley Stadium, in Spanien und eine eigene von Coca-Cola gesponsorte USA-Tour mit Spielen gegen die Mitarbeiter von Coca-Cola, Atlanta United oder eine Auswahl ehemaliger Profis, darunter Emil Heskey und Robert Pires. Alles ermöglicht durch Spencers Kontakte und seine Reichweite.
Mit einer Menge Fantasie
Übrigens kann nur Hashtag United in der eigenen Liga Punkte sammeln. Für die Gegner geht es um nichts – außer Promo. Aber die kann bei über 500.000 Views deutlich mehr Wert sein als 3 Punkte in einer Fantasieliga.
39 Spiele absolviert der Verein in dieser Fantasieliga. Sie gewinnen 29 davon, verlieren 7 und teilen sich bei 3 Spielen die Punkte. Ihr letztes Spiel in Liga 1 gewinnen sie übrigens 7:0. Also Qualitätstechnisch gab es zwischen den Ligen keinen Unterschied. In Liga 1 brauchte Hashtag United einfach mehr Punkte als in Liga 5
Während der 39 Spiele wurden sie stetig professioneller. Neben prominenteren Gegnern, längeren Spielanreisen oder hochwertigerer Kameraarbeit verbessert sich vor allem das Team. Anfänglich zusammengewürfelt aus teils mehr teils weniger begabten Freunden und Kollegen von Spencer, kamen irgendwann andere YouTuber und sogar der Ex-US-amerikanische Fußballprofi Jimmy Conrad dazu.
Den größten Schritt in Richtung Professionalität trat Spencer allerdings 2017 mit der „Hashtag Academy“. Eine Art Fußballcastingshow, bei der sich junge Talente bewerben können, um dann in Challenges und Spielformen gegeneinander anzutreten. Natürlich alles von der Kamera begleitet und auf YouTube verfügbar.
Teilweise entscheiden Spencer und Teamkameraden über das Weiterkommen der Teilnehmer, teilweise entscheiden es besondere Gäste, wie Fußballprofi Adebayo Akinfenwa oder West-Ham-Legende Tony Cottee, teilweise entscheiden es die Zuschauer. Nach 8 Episoden stand der Sieger fest – der damals 16jährige Scott Pollock.
Er gewann einen Vertrag bei Hashtag United und 3.000 englische Pfund. Schnell integrierte er sich ins Team, gewann den Vereinseigenen Award zum besten neuen Spieler und trägt maßgeblich zum Gewinn der Fantasieliga bei. Heute ist Scott nicht mehr dabei.
Er spielt professionellen Fußball beim englischen Viertligisten Northampton Town. Mittlerweile kann er auf 11 Ligaeinsätze, einen eigenen Wikipedia-Artikel und ein FIFA-Rating von 51 blicken.
Aber nicht nur Scott ist nicht mehr Teil des Teams. Für viele Freunde und Kollegen von Spencer war nach dem Sieg der Fantasieliga das Kapitel Hashtag United beendet. Wortwörtlich sogar, denn mit dem sogenannten „Chapter Two“ wurde aus Spencers Hobbymannschaft, die in einer Fantasieliga spielte, ein semi-professioneller Fußballverein der nur noch 9 Aufstiege von der Premier League entfernt war.
Chapter Two
So wie es vermutlich bei jeder Vereinsgründung passiert, muss sich die Mannschaft aus Freunden irgendwann auflösen, damit das ganze Projekt langfristig und professionell erfolgen kann.
Die meisten Freunde müssen die erste Mannschaft verlassen. Spencer, der selbst bei jedem Spiel von Hashtag United als Spieler auf dem Feld oder als Coach an der Seitenlinie stand, wechselt nun hinter die Kulissen.
Fürs Feld ist er zu schlecht und an der Seitenlinie steht nun der erfahrene Non-League Trainer Jay Devereux. Manche Spieler der alten Garde probieren es noch im neuen Team des zweiten Kapitels. Die meisten sind nach der Vorbereitung oder den ersten Spielen nie wieder im Trikot zu sehen.
So zum Beispiel auch der etwas moppelige Verteidiger, der zum ersten Spiel der Fantasieliga mit kurzer Hose und Superdry-Sweatshirtjacke erschien. Viele der Kommentare beschweren sich über sein fehlendes Können.
Er wechselt kurze Zeit später ins Trainerteam. Andere scheiterten ebenfalls, arbeiten jetzt in der Verwaltung oder als Moderator in den YouTube-Videos von Hashtag. Zwei Spieler des ersten Spiels der Fantasieliga sind auch bis heute noch Teil der aktiven Mannschaft.
Zum einen Jack Harrison, jetzt sogar Kapitän und zum anderen Ryan Adams, Spieler mit den meisten Spielen und Vorlagen für den Verein. Die Fans besingen ihn mit „Ryan Adams. He’s one of our own“ Manchmal hört man es in den Videos, oft liest man es in den Kommentaren.
Professionalität kam in Hashtag Uniteds Tagegeschäft. Nachdem sie bereits die eigene Fantasieliga als einziges teilnehmendes Team gewinnen konnte stiegen sie jetzt in den offiziellen Spielbetrieb ein.
In eine Liga, in der der Gegner nicht für Promo, sondern für drei Punkte spielt. Es war abzuwarten, ob wirklich „all scripted“ war oder der YouTube-Verein nicht nur auf Grund fehlender Anreize der Gegner gewinnen konnte. Sie beginnen in der neunten Liga des englischen Ligasystems; „non-League“ nennt sich dort dieser Bereich.
Die Fans sind aufgeregt, euphorisch. Jeder zweite Kommentar sieht den Verein in 9 Jahren schon in der Premier League, andere vermissen ihre tollpatschigen Helden des ersten Kapitels. Von den neuen Helden ist keiner mehr tollpatschig.
Viele sind gestandene Spieler aus den höheren Ligen des Non-League Bereichs. Einer ist sogar ehemaliger Spieler von Swansea und QPR und hat sogar ein Länderspiel für Zypern im Transfermarktprofil vermerkt.
Die Fluktuation der Spieler ist nun höher, es kommen stetig neue dazu, man bemüht sich jeden einzelnen vorzustellen, damit der Zuschauer eine Bindung zu ihnen aufbauen kann. Schwierig, wenn einige maximal zwei Spiele für das Team absolvieren. Besonders beliebt sind die Spieler der Hashtag Academy.
2019 kommt es zur Neuauflage der Serie. Es gewinnt ein schüchterner Flügelspieler mit Durag „Joshua Osude“, der schneller läuft als Aubameyang. Ein Typ, den man wohl sonst nur in einem Wilde Kerle Buch finden würde.
Er schießt im Spiel gegen den direkten Konkurrenten um Platz 1 kurz vor Ende des Spiels das entscheidende 1:0. Szenen, die keine Fantasieliga schreiben kann.
Die Kommentarspalte dreht durch. Besonders prickelnd: Der Gegner verbietet Hashtag United das Spiel zu filmen. Alle Aufnahmen des Spiels kommen direkt von den Fans.
Der Zuschauer gewöhnt sich an die neuen Gesichter wie Osude. Vor allem, weil Hashtag gewinnt. So liebenswürdig einige der tollpatschigen Charaktere des ersten Kapitels auch gewesen sind, am Ende will jeder Fan, dass sein Team gewinnt. Und das tut Hashtag.
Regelmäßig. In der ersten Saison gelingt direkt der Aufstieg. Ohne Covid-19 wäre vermutlich auch der erneute Aufstieg gelungen.
Hashtag United und die Fans
Mit dem Einstieg in den professionellen Fußball waren die Erwartungen hoch: 500.000 Abonnenten, da kann man ja bestimmt mit einer ordentlichen Zuschauermenge rechnen.
Meistens sind es um die 300-500 Zuschauer, die Hälfte unter 18. Was für die Liga ein guter Schnitt ist (gerade was Minderjährige angeht). Einige besitzen sogar Fanartikel wie Trikot oder Cap.
Die minderjährige Ultra-Gruppierung „Hashtag Super Fans“, macht sogar manchmal ein bisschen Lärm bei den Spielen oder umarmt die Torschützen nach den Treffern. Der Capo ist der Sohn des Trainers.
Ironischerweise hatte Hashtag in der ersten Non-League-Saison einen höheren Zuschauerschnitt bei Auswärts- als bei Heimspielen. – Weil alle diesen Internetverein sehen wollten. Weil sie ihn scheitern sehen wollten.
Weil so vieles an ihm gegen das spricht, an das sich die meisten Fußballfans klammern. Fußball ist Tradition. Bratwurst und Bier und nicht Influencer und Instagram. Allein schon der Name ist ein Angriff auf jedwede Fußballtradition: Vereine sind nach Orten benannt. Dort wo sie gegründet wurden.
Fans sind über den Ort mit dem Verein verbunden. Hashtag ist kein Ort! Spencer entgegnet einem solchen Vorwurf, dass der Verein durchaus einen Ort im Namen trage: Hashtag steht für das Internet.
Dort wo der Verein Zuhause ist. Dort wo er seine Wurzeln hat und dort, wo ihn knapp 500.000 Leute verfolgen. Ohne das Internet gäbe es Hashtag United nicht, aber das ist ok.
Was geht mich das an?
Warum aber sollte mich das alles interessieren? Warum sollte ich mich für einen Verein ohne Tradition (manch einer würde ihn einen Plastikverein nennen) begeistern, der mehrheitlich von einer Gruppe 10- bis 15-jähriger über Social Media verfolgt wird? – Weil Spencer jeder von uns ist. Weil viele Fans davon träumen seinen eigenen Verein zu gründen.
Selbst über Trikotfarbe und Preis der Stadionwurst zu entscheiden. Das war auch mal Spencers Traum. Mittlerweile ist es seine Realität und sein Tagesgeschäft geworden. Seit Spiel 1 der Fantasieliga erzählt Spencer dem Team und den Zuschauern etwas von einem geheimen Vereinsvorsitzenden (Chairman), der das Team finanziell unterstützt.
Obwohl tatsächlich unausgesprochen, weiß man irgendwie, dass es Spencer selbst sein muss. Er steckt all sein Herzblut, seine Zeit und seine Mittel – die sich übrigens trotz zahlreicher YouTube-Aufrufe nicht enorm von der Liga-Konkurrenz unterscheiden – in diesen Verein.
Viele seiner Freunde arbeiten fest für den Verein. Seine baldige Ehefrau ist Schatzmeisterin, sein Bruder hilft in der Vermarktung, sein Vater ist der Physio der Mannschaft.
Er hätte weiter in der Fantasieliga bleiben können, Kosten durch plagende Verwaltungsstrukturen sparen und Geld von Promo-Matches gegen Unternehmen einfahren können.
Er wollte jedoch mehr. Einen richtigen, echten Fußballverein, der irgendwann mal in der Premier League spielen kann.
Außerdem gelingt Hashtag etwas, das in Deutschland eigentlich jeder will und keiner schafft, was angesichts jüngster Entwicklungen des Profifußballs allerdings höchste Zeit wäre: Die Menschen am Wochenende zu den Amateurvereinen zu locken. Gerade die Anzahl junger Zuschauer bei Hashtags Spielen ist beachtlich.
Kinder wollen die Stars auf ihren Rücken tragen und nicht den Namen eines Landesliga-Stürmers. Bei Hashtag sieht das anders aus. Nähe, Bindung und Unterhaltung substituieren den fehlenden Glanz der Profiligen.
Und der Verein schafft es die Kinder und Jugendlichen dort abzuholen, wo sie wirklich Zuhause sind: Im Internet. Da tut sich Amateurfußballdeutschland gerade auch im Vergleich mit anderen englischen Amateurfußballvereinen unheimlich schwer.
Obwohl eine coronabedingte Annullierung der Amateurligen in England die Erreichung des Sehnsuchtsziels (es ist kein Anspruch, aber ein Traum) Premier League vermutlich um ein Jahr nach hinten schiebt, sieht die Zukunft für Spencer und Hashtag United ziemlich gut aus.
Neben der ersten Mannschaft hat der Verein ein Sunday League Team, in dem Spencer selbst und einige andere alte Gesichter aktiv sind, eines der erfolgreichsten E-Sports Teams für das Videospiel FIFA und ab der kommenden Saison auch eine 1. Damenmannschaft.
Langfristig soll aus Spencers Hobbymannschaft ein richtiger Verein werden. Mit Jugendarbeit, eigenem Stadion und natürlich weiterhin mit Social-Media. Die Frage ist, ob das Projekt auch langfristig so viele Zuschauer begeistern kann. Wenn nicht, hat sich Spencer trotzdem seinen und unseren Traum erfüllt.
Dies war ein Gastbeitrag von Lenni Rettler
[…] Dieses aggressive Vermarkten in den sozialen Medien gibt es im deutschen Amateurfußball noch kaum. Vereine in England haben jedoch bewiesen, dass man so viele Fans und Sponsoren für sich gewinnen […]