In der Saison 2010/2011 mündete der Aufwärtstrend des nordfranzösischen Fußballclubs OSC Lille im Doublegewinn, nachdem vorher unter Trainer Rudi Garcia die Platzierungen fünf und vier erreicht worden waren. Garcia lies damals fast immer mit einem offensiv ausgerichteten 4-3-3 spielen, das der Offensiv-Philosophie des FC Barcelonas zur Grunde lag.
Frischer Offensivfußball und der Abgang einiger Leistungsträger
Der temporeiche Angriff mit Gervinho und Hazard auf den Außenbahnen, sowie Sow im Sturmzentrum überfielen mit flinken Kombinationen ihre Gegner. Die Abwehrkette um Adil Rami und das kompakte Mittelfeld mit Cabaye, Mavuba und Belmont sicherten nach hinten ab.
Nach der Meisterschaft verließen die Leistungsträger Gervinho, Rami, Cabaye und Sow den Verein. Eine Saison später wechselte auch der Top-Star der Mannschaft Eden Hazard für 35 Millionen zum FC Chelsea. Ersetzen sollte ihn Marvin Martin, der für 10 Millionen vom FC Sochaux gekommen war. Martin schaffte es jedoch nie, in die Fußstapfen Hazards zu treten.
Lille erreichte unter Taktiker Garcia in den folgenden Saisons die Plätze 3 und 6. Der Franzose führte die Doggen nicht nur zu ersten Meisterschaft seit 54 Jahren, sondern konnte sie auch über mehrere Jahre hinweg in der französischen Spitzengruppe etablieren. Vor der Saison 13/14 heuerte er als Trainer von AS Rom an.
Defensivfußball unter Girard
Der neue Trainer René Girard setzte im Gegenteil zu Garcia auf eine stabile Defensive mit einer Doppelsechs und zwei Stürmern in einer 4-4-2 Formation. Mit deutlich weniger Gegentoren aber auch deutlich weniger geschossenen Toren wurde Lille in seiner Debüt-Saison dritter. Wieder wurden Leistungsträger wie zum Beispiel Payet und Lucas Digne an Ligakonkurrenten verkauft. Lille erwirtschaftete zwar einen Transferüberschuss von 40 Millionen Euro, bot jedoch unattraktive Leistungen auf dem Platz. Girard erreichte darauf hin nur den achten Platz.
Die riskante Transferpolitik der letzten Jahre war aus der Not geschuldet, da der Verein immer wieder mit negativen Bilanzen zu kämpfen hatte. Zwischen 2013 und 2016 gab der Verein nur 22 Millionen für neue Spieler aus, wusste jedoch die Abgänge oft mit Spielern aus der eigenen Jugendabteilung zu ersetzen. So wurden Spieler wie Eden Hazard, Benjamin Parvard, Yohan Cabye, Divock Origi, Lucas Digne und Ives Bissouma allesamt in Lille ausgebildet und gewinnbringend weiterverkauft.
Übernahme durch einen ausländischen Investor
Die Saisons 15/16 und 16/17 wurden jeweils mit dem fünften und elften Platz abgeschlossen. Am 26. Januar 2017 übernahm der spanisch-luxemburgische Geschäftsmann Gerad Lopez, ehemaliger Besitzer des Lotus-Formel 1-Teams den Verein. Er löste den beliebten Vereinspräsidenten Michel Seydoux ab, der zuvor 15 Jahre an der Spitze stand. Durch eine Lockerung der Übernahmeauflagen waren bereits Paris und Monaco in Besitz von ausländischen Investoren, nun wollte es Lopez den beiden Vereinen gleichtun und Lille zu internationalem Glanz führen.
Sein Favorit Marco Bielsa, als hitzköpfiger Trainertyp bekannt, wurde zur Saison 17/18 neuer Trainer. Pep Guardiola schwärmte einst über Bielsa, er wäre der beste Trainer der Welt. Im Gedächtnis bleibt aber eher sein Zwei-Tages-Intermezzo bei Lazio Rom oder sein spontaner Rücktritt vor laufender Kamera in Marseille.
Das Missverständnis Bielsa
Doch Lopez war überzeugt von Bielsa, überließ ihm sogar alle Freiheiten im Verein, während der hoch angesehene Sportdirektor Luis Campos (Entdecker von Mendy, Bakayoko und Bernado Silva) für drei Monate zurücktrat. Zudem investierte Lille 65 Millionen Euro in neue Spieler: Es kamen die Brasilianer Thiago Maia für 15 Millionen Euro, Luiz Araújo für 10,5 Millionen und Thiago Mendes für 9 Millionen Euro, sowie der Ivorer Nicolas Pépé für 10 Millionen Euro.
Bielsa ließ im 4-2-3-1 mit Pépé als Sturmspitze auflaufen. Sein Plan, mit hohem Tempo und aggressivem Pressing den Gegner zu Fehlern zu zwingen, ging jedoch nicht auf. Er wurde nach nur fünf Monaten im Amt entlassen, nachdem die Mannschaft nach 13 Spieltagen auf einem enttäuschenden 17. Platz stand.
Sportdirektor Luis Campos gab später in einem Radiointerview zu, große Fehler gemacht zu haben, obwohl er Lopez nach eigenen vor Bielsa gewarnt hatte. Für ihn lief das Projekt bereits in eine falsche Richtung, als Bielsa Leistungsträger aussortierte: “Du kannst kein Team ohne ein paar erfahrene Spieler aufbauen, die die jungen Spieler unterstützen. Von da an, war das Projekt für mich zum Scheitern verurteilt.“
Bielsa verklagte darauf Lille auf 12,9 Millionen Euro wegen ausstehender Gehälter und auf weitere 5 Millionen wegen Rufschädigung. Hinzu kam eine Transfersperre in der Winterpause aufgrund eines Defizits von 45 Millionen Euro. Zwar wurde die Klage abgelehnt und eine Insolvenz gerade noch so abgewendet, jedoch war sowohl die finanzielle, als auch die sportliche Lage miserabel.
Rettung unter Galtier mit unschönen Fanausschreitungen
Im Dezember 2017 übernahm der heutige Cheftrainer Christophe Galtier den strauchelnden Europa Ligue Aspiranten. Neues Ziel war es nun, den Ligaverbleib zu schaffen. Neun Tage vor Ende der Spielzeit beim 1:1 gegen Montpellier kam es jedoch zu einem Eklat mit den Ultras und zum Höhepunkt der komplett missratenden Saison.
Nach Abpfiff stürmten die Fans den Platz und schlugen sogar vereinzelt auf die eigenen Spieler ein. Die junge Mannschaft verschwand ängstlich in den Katakomben, sichtlich schockiert von den Vorfällen. Kapitän Ibrahim Amadou äußerte sich ebenfalls betroffen: „Die Fans reagieren, als wäre die Liga vorbei und wir bereits abgestiegen. Doch wir haben noch neun Spiele. Ja, ich kann ihre Wut verstehen, aber nicht ihre Reaktion.“
Nur durch das schnelle Einschreiten der Ordner konnte schlimmeres verhindert werden. Nach dem Vorfall traf sich Vereinspräsident Lopez sogar mit den Ultras, um eine weitere Auseinandersetzungen zu verhindern. Mit Ach und Krach schaffte der neue Trainer Galtier es, die Liga zu halten und erreichte den 17. Platz.
Galtier spielte zuletzt in einem 4-2-3-1, mit Bamba und Pépé auf der Außenbahn und dem Eigengewächs Lebo Mothiba in der Sturmspitze. Um die Transferbilanz wieder auszugleichen und einer Transfersperre durch die Kontrollaufsicht DNCG zu entgehen, wurden vor der Saison wieder Leistungsträger abgegeben. So verließen zum Beispiel Ives Bissouma, Ibrahim Amadou und Kévin Malcuit den Verein. Im Gegenzug wurde Loic Rémy für 1,4 Millionen Euro von Las Palmas und Jonathan Ikoné von Paris St. Germain für 5 Millionen Euro verpflichtet.
Schuldenübernahme durch JP Morgan Chase
Inwieweit sich Lille von dem Bielsa-Missverständnis erholen kann, bleibt abzuwarten. Solang der Club aus Nordfrankreich mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, wird es schwierig werden, mit Marseille, Paris und Monaco mithalten zu können. Zuletzt hat die Investment-Bank JP Morgan Chase 50-60 Millionen der Schulden von der Elliot Investment Group (Teilhaber von AC Mailand) zurückgekauft und ist Gläubiger geworden. Dies bedeuten vorerst gute Nachrichten für LOSC, da Elliot als unnachgiebig gegenüber seinen Gläubigern gilt.
Während die Fans hoffen, dass der Verein nicht zu einem Spielball des Finanzmarktes wird, muss sich indes Galtier, statt auf renommierte Namen, auf die exzellente Jugendarbeit und Transfercoups verlassen. Der Saisonstart verlief mit 13 Punkten aus 7 Spielen zufriedenstellend. Lille steht punktgleich mit Marseille und Lyon auf dem vierten Platz.