In den sozialen Netzwerken kochten die Kommentarspalten einmal mehr vor Empörung über. Der bayrische Fußballverband schafft ab der kommenden Saison bis zur U11 die Torhüter ab. Stattdessen soll im Drei-gegen-Drei bzw. Fünf-gegen-Fünf auf vier Minitore gespielt werden. Wieso das für die Kinder weitreichende Folgen haben wird, erklären wir im Folgenden.
Das Spielfeld der neuen Spielform (FUNino) beläuft sich auf 32×25 Meter. Zwischen den sich auf der Grundlinie befindenden Tore ist ein Abstand von 12 Metern. Tore dürfen nur aus einer sechs Meter breiten Torschusszone erzielt werden.
Was verspricht sich der bayerische Fußballverband von dieser Neuerung?
Ein Text von Henri Hyna und Sascha Felter
Fußball durch Fußball
Mehr Fußball spielen beim Fußball spielen. Während beim 7:7 individuell oder körperlich schwache Spieler kaum an den Ball kommen, ist beim 3:3 jedes Kind gleichermaßen Teil des Spiels.
Und das ist für mich der wichtigste Punkt pro FUNino. Die Benachteiligung körperlich unterlegener Spieler wird abgeschwächt. Ein Jahr lang habe ich eine E-Jugend trainiert und musste mir ansehen, wie in jedem Spiel die körperlich starken Kinder das Spiel an sich rissen; ob von meinem oder vom gegnerischen Team.
Das führte zu einem Dilemma: Die starken Kinder wurden immer stärker. Und die schwachen Kinder verbesserten sich nicht, weil sie selten den Ball hatten. Dadurch entstand großer Frust bei den benachteiligten Kindern.
Beim 7:7 trafen wir bspw. auf den Tabellenführer, der zwei physisch starke Spieler hatte. Einer stand hinten drin und einer vorne rum. Der Spieler hinten kloppte jeden Ball nach vorne und der Spieler vorne bolzte mit voller Wucht aufs Tor.
Unser kleiner Torwart wich diesen Bällen lieber aus, als sie zu halten. Dementsprechend war die „Taktik“ des Gegners sehr effektiv, wie sein Tabellenplatz bewies. Es gibt nur ein kleines Problem: Gewinnen ≠ Spieler entwickeln.
Wie viele Kinder nehmen dabei wirklich am Spiel teil? Zwei, der Verteidiger und der Stürmer. Es werden also nur zwei von sieben Kindern weiterentwickelt. Und was möchte der Jugendfußball erreichen? Spielern Spaß am Fußball vermitteln und sie fußballerisch weiterentwickeln. Mit FUNino kann das deutlich einfacher erreicht werden als im 7:7.
Mehr Tore = mehr Spaß
Jedes Kind hat viele Ballkontakte. Das fordert die dauerhafte visuelle, gedankliche und körperliche Mitarbeit. Somit ist jedes Kind ein wichtiger Teil des Spiels und kann Tore erzielen; beim 7:7 ist das für den Torwart gänzlich und für die Verteidiger nahezu unmöglich.
Das Erzielen von Toren bereitet Spaß. Und wenn man Spaß an etwas hat, lernt man dabei.
Zusätzlich fördert das Spiel auf zwei Tore die Spielintelligenz, Wahrnehmungsfähigkeit, Entscheidungsfindung und die Kreativität. Die Kinder sind nämlich dazu angehalten, sich zu orientieren: Welches Tor sollte gerade verteidigt werden, welches Tor des Gegners können wir angreifen?
Durch die kleineren Tore ist die Gefahr, nach einem Ballverlust direkt ein Gegentor zu kassieren, geringer. Das regt die Kinder dazu an, unter Druck kreative Lösungen zu finden, anstatt den Ball blind wegzuschlagen.
Außerdem lernen die Kinder leichter. Es nehmen weniger Spieler am Spiel teil, was das Spiel weniger komplex macht. Dementsprechend können sie sich freier im Feld positionieren. Daraus ergibt sich direkt der nächste Pluspunkt:
Es gibt keine festen Positionen. Somit wird die Spielintelligenz der Kinder universal geschult. Sie lernen, wie sich als verteidigender, ballverteilender und abschließender Spieler zu verhalten haben.
Die steigende Anzahl an Ballkontakten verbessert ebenfalls die technische Qualität der Spieler. Das schult das Dribbeln, die Ballan- und mitnahme, das Passen, das Abwehren usw.
Minitore sind Tore
Was spricht denn gegen FUNino bzw. die Regeländerung? Einige Eltern und Jugendtrainer argumentieren, ihre Kinder spielen gerne auf das große Tor. Sie möchten das Traumtor, was sie am Wochenende von Messi gesehen haben, gerne selbst erzielen. Die Minitore nehmen ihnen diese Möglichkeit.
Dabei wird ihnen diese Chance gar nicht genommen. Auf den Bolzplätzen stehen weiterhin große Tore, auf die die Kinder schießen können. Im Training kann der Coach jederzeit ein Tor aufstellen, um die Kinder Spaß haben zu lassen. Schließlich ist das das Ziel: Die Kinder sollen Spaß am Fußball haben.
Und das funktioniert am besten, wenn jedes Kind unzählige Erfolgserlebnisse während des Spiels hat.
Die Unsinnigkeit des Torwarttrainings
Ein Kritikpunkt vieler ist, dass aufgrund der Regelumstellung weniger gute Torhüter hervorgebracht werden. Schließlich würden diese nicht mehr im jungen Alter in den für die Position spezifischen Anforderungen ausgebildet werden.
Das stimmt aber so nicht. Denn am ehesten profitieren die Torhüter bzw. die, die es einmal werden wollen, von der Regeländerung.
Die Kinder lernen frühzeitig mehrere Facetten des Spiels kennen und müssen sich nicht vorab auf eine Position festlegen. Stattdessen können sie ihre fußballerischen wie koordinativen Fähigkeiten in frühem Kindesalter entwickeln.
In Bayern wird schon länger explizit vom Torspieler gesprochen, nicht vom Torhüter. Seit über zehn Jahren wird daher nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der breiten Masse gefordert, Torhüter fußballerisch gut auszubilden.
Mit dieser Regeländerung wird genau das provoziert. Man schließt nicht einfach jemanden nach dem Klischee „der Dicke/Größte muss ins Tor“ kategorisch aus. Stattdessen kann beim Torschusstraining immer wieder der Torhüter gewechselt werden, je nachdem, wer am meisten Spaß daran hat, nach Bällen zu hechten.
Sascha Marth, ehemaliger Torwart-Koordinator der Red Bull Fußballakademie, sprach in unserem Interview davon, dass man in Salzburg bis zur U12 keinen festen Keeper hätte. Es geht darum, die Kinder ganzheitlich auszubilden und ihnen nicht nur eine Facette des Spiels beizubringen.
Das frühe Spezialisieren und das damit verbundene Erlernen von torwartspezifischen Abläufen gehört damit der Vergangenheit an. Und das ist auch gut so, besonders was zweiten Punkt anbelangt.
In den Kommentarspalten zu diesem Thema las ich vermehrt, dass GANZ Deutschland in Zukunft dadurch keine guten Torhüter mehr hervorbringen würde, weil man den Kindern nicht frühzeitig das Hechten usw. beibringen würde.
Nicht nur aus eigener Erfahrung heraus macht ein gezieltes Torwarttraining aber erst beim Übergang zum Großfeld Sinn – sprich ab der U12/U13. Das hat zum einen die oben angesprochenen fußballerischen Gründe, die im „goldenen Lernalter“ priorisiert ausgebildet werden sollten.
Es hat zum anderen auch physische Gründe. Bis zum 11. oder 12. Lebensjahr haben die meisten Kinder noch viel zu kleine und schwache Hände, um selbst die Größe-4-Bälle ordentlich fangen zu können. Ausnahmen können hier natürlich immer vorkommen.
Insofern macht es wenig Sinn, einem 9-jährigen Handschuhe anzuziehen und ihm Bälle um die Ohren zu schießen, die er sowieso noch nicht richtig festhalten kann. Zudem macht es auch wenig Sinn, dem Torhüter zur „Eingewöhnung“ die Bälle im Torwarttraining nur zuzuwerfen. Das hat nichts mit Spielnähe zu tun.
Was soll man ansonsten mit den Kindern im Torwarttraining machen? Hürdensprünge oder andere Schnellkraftübungen machen in diesem Alter auch noch keinen Sinn, weil sich ein Großteil der Muskeln erst ab dem 15. Lebensjahr entwickeln.
Im torwartspezifischen Training geht es natürlich um das Einstudieren von gewissen Abläufen, wodurch es immer ein bisschen an das klassische „Einschleifen“ erinnert. Ob ein Kind die geforderten Schrittfolgen bzw. Falltechniken umsetzen kann, liegt meist an den vorhandenen koordinativen Fähigkeiten.
Diese Grundfähigkeiten können in dem Alter normalerweise leicht erlernt werden. Fußball ist, was die koordinativen Anforderungen betrifft, eine sehr umfassende Sportart. Die Koordinierung von Hand, Auge und Fuß wird hier im Vergleich zu anderen Sportarten am effizientesten trainiert.
Ein Torwarttraining, welches sich nur auf das Hechten bzw. das korrekte Fallen beschränkt, kann man natürlich anbieten und schadet auch sicher nicht. Aber man sollte bedenken, dass die Trainingszeit gerade im Jugendbereich stark begrenzt ist.
Insofern macht es durchaus Sinn, die Kinder erst ab einem gewissen Alter zu spezialisieren. Womöglich liegen in so manchem vermeintlichen Stürmer ungeahnte Torhüterqualitäten verborgen und umgekehrt. Diese könnte man niemals in Erfahrung bringen, wenn bereits zu Beginn der Fußballerkarriere fixe Rollen festgelegt werden.
Als nettes Beispiel kann auch Jens Lehmann angeführt werden. Der ist erst in der A-Jugend ins Tor gegangen, weil sich dadurch seine Chancen auf eine Profikarriere gesteigert haben.