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Mietstreit am Mittelmeer – Streit ums Velodrome

Die Ligue1 steht kurz vor einer neuen Saison, doch der Mercato war dieses Jahr weniger auffällig als in den letzten zwei Jahren. Dafür stand was ganz anderes in den Schlagzeilen; etwas worüber man sonst viel weniger zu lesen bekommt. Die Stadionmiete von Marseille.

Über Stadien spricht man gerne wenn große Umbauarbeiten bevorstehen. Aber wenn das Stadion erstmal fertig ist geht man in der Regel zum sportlichen Betrieb über und kümmert sich kaum um den eigentlichen Stadionbetrieb.

Die ganze Matchday-Organisation gehört irgendwie in die Kulissen der Fußballvereine und wenige Kommentatoren haben ein Interesse daran. Diesen Sommer aber hat die ganze fußballbegeisterte Bevölkerung Südfrankreichs darüber gestritten, wie man ein Stadion betreibt. Der Hintergrund: ein massiver Streit zwischen Olympique de Marseille und der Stadtverwaltung, die eigentliche Besitzerin des Velodrome-Stadion.

Seit 2011 wird das Velodrome saniert und nahezu komplett umgebaut. Diesen Sommer gehen die Bauarbeiten zu Ende und das Stadion soll beim ersten Heimspiel der Saison in einem ganz neuen Gewand erscheinen.

Die zwei Seitentribünen sind erneuert worden und sind grösser denn je, es wurden prachtvolle Logen eingebaut; als absolute Krönung kommt die Komplettüberdachung der Tribünen durch ein wellenartiges Gewölbe, das die Fans vor Wind und Wetter schützt.

Das war die Hauptforderung in den letzten zehn Jahren, denn die klimatischen Bedingungen am Mittelmeer können ganz schön extrem sein und die OM-Fans haben einige heftige Gewitter und Windböen durchharren müssen (drei von vier Tribünen waren unter freiem Himmel).


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Dieser Umbau ist gewaltig und hat auch seine Kosten: 267 M€ insgesamt für das ganze Areal. Diese Summe wurde zur Hälfte von der Stadt und anderen öffentlichen Geldern bezahlt, die andere Hälfte übernimmt der Baukonzern Bouygues, als Gegenleistung für die 30-Jährige Konzession der Arena.

Eine klassische Public-Private Partnership, wie es in Europa unzählige davon gibt, für alle Arten von Infrastrukturen und öffentlichen Bauten. Nun muss die Stadt Marseille jährlich ungefähr 12 Millionen Euro auftreiben, um die Stadionkosten zu decken. Das ist eine hohe Summe für eine krisengeplagte Stadt wie Marseille.

Die Konten der Stadt weisen schon heftige Schulden auf, bei der Finanzdirektion wird um jeden Cent nachgezählt. Der französische Rechnungshof hat die Finanzen der Stadt vor einem Jahr überprüft und dabei eine Menge Budgeteinträge aufgelistet, wo die Stadt achtsamer mit ihrem Geld umgehen sollte. Und an allererster Stelle standen die Umbauarbeiten vom Velodrome.



Laut Rechnungshof sind diese Bauarbeiten einfach zu teuer, das Projekt hätte viel bescheidener sein müssen. Die Stadtverwaltung erwidert, dass sie den Forderungen von OM und vom Organisationskomitee Euro2016 nachgegangen ist: man wollte unbedingt ein Fünf-Sterne-Stadion mit einem erweiterten VIP-Bereich und im allgemeinen bessere Sitzbedingungen für das Publikum, ähnlich wie bei den Stadionverbesserungen 2006 in Deutschland.

Dieser Standpunkt ist durchaus vertretbar, weil man sich durch den Umbau langfristig ein höherer MatchDay-Umsatz verspricht. Aber gerade weil sich der Umsatz steigen wird – und da sind sich Stadt und Rechnungshof einig – sollte die Stadionmiete jetzt deutlich steigern. Der Rechnungshof gibt auch seine Einschätzung einer „korrekten“ Miete: mindestens 8 Millionen Euro pro Jahr soll die Stadt bei Olympique de Marseille eintreiben.

Die Stadt hatte vor den Arbeiten schon damit gerechnet, dass sich die Miete steigert, aber nie eine genaue Zahl angegeben. Auf Vereinsseite wollte man lange auf eine Einfrierung der Miete hoffen, die vor Umbau „nur“ 1,5 Millionen Euro pro Jahr betrug.

Nun muss die Stadt einen Spagat machen zwischen dem Verlangen des Rechnungshofs und der Zahlungsfähigkeit des Vereins, der weiterhin der Hauptnutzer des Stadions bleiben wird (es sind zwar auch Kongresse und Konzerte geplant aber deren Einnahmen sind bei weitem nicht mit dem Fußballbetrieb vergleichbar).

Die Vereinsführung von OM reagierte entsetzt auf das Vorhaben der Stadt, die Miete mit Verweis auf den Rechnungshof auf 8 Millionen zu erhöhen (wohl bemerkt sei, dass zu den 8 Millionen noch als Zusatz ein Anteil vom Umsatz hinzukommt). Pro Jahr bedeutet es, auf einen Topspieler zu verzichten, und auf Zeit hemmt es die sportliche Zukunft des Vereins.

So kommt man zur Kerndebatte dieser Affäre: Was ist das Stadion wirklich wert?

Zum einen hat man die Kosten des Umbaus, die einen rein buchhalterischen Wert des Stadions ergeben. Daran hält sich der Rechnungshof. Aber auf der anderen Seite erkennt man leicht, dass das ganze Areal ohne den Stammverein komplett wertlos ist.

Falls der Verein dem Velodrome den Rücken kehrt oder sich sportliche Misserfolge häufen, wer würde dann 8 Millionen Euro aufbringen? Die Frage ist nicht nur rhetorisch, denn sowas ist in Frankreich schon passiert. Die Stadt Le Mans hat in ein nagelneues Stadion investiert, als ihre Mannschaft erst ein paar Erstligasaisons hinter sich hatte.

Der sportliche Erfolg währte nicht lange und der Fall in die Zweitklassigkeit wurde dem Verein zum Verhängnis; Geldprobleme häuften sich und die Stadionkosten wurden für den insolventen Verein unbezahlbar. Nun steht in Le Mans eine prächtige Arena in der keiner spielt.

Ähnliches droht Valenciennes, dessen Verein diesen Sommer nur knapp dem Konkurs entgangen ist; das brandneue Stade du Hainaut wäre dann auch ohne Nutzen.

Also hat Olympique de Marseille versucht dieses Machtverhältnis gegenüber der Kommunalverwaltung zu verdeutlichen. Und zwar ganz konkret mit dem, was die Franzosen am besten tun wenn es mal an der öffentlichen Verwaltung hapert : mit einem Streik.

OM hat zunächst angekündigt, nicht im Velodrome spielen zu wollen, solange die Miete nicht auf vernünftigerem Niveau ist. So sollte das erste Heimspiel gegen den Nachbarn aus Montpellier… in Montpellier stattfinden! Der Klub verzichtet also aussagekräftig auf sein Heimrecht und wäre bereit gewesen weiterhin in Montpellier zu spielen sollte sich keine Lösung in Marseille finden.

Die Stadionmiete in Montpellier beträgt auch nur 20 000€ pro Spiel, im Vergleich zu 380 000€ Kaltmiete in Marseille (also muss man noch die Kosten für Strom, Wasser, Sicherheitsdienst usw hinzuzählen). Aber es macht wohl keinem so richtig Spaß ein Heimspiel 170km weit weg zu verlegen, noch dazu mitten in August wenn sich Tausende von Urlaubern sich auf den Autobahnen von Südfrankreich tummeln.

Diese Ankündigung klang eher wie ein Riesenbluff, um die Verhandlung voranzutreiben. Immerhin hatte diese Strategie eine gewisse Wirkung, denn die Herren im Rathaus wurden sichtlich nervös.

Beide Kontrahenten haben versucht die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Dabei zeigt der Bürgermeister von Marseille, der 74 jährige Jean-Claude Gaudin, was für ein schlauer Fuchs er ist.

Er hat während der Kommunalwahlen vor 4 Monaten nichts anbrennen lassen: das Stadion war in der Kampagne ein zweitrangiges Thema und niemand – selbst die Opposition nicht – hat das Thema Stadionmiete aufgegriffen.

Für OM wäre es der ideale Zeitpunkt gewesen um das Thema anzusprechen und eine niedrigere Miete zu verhandeln, aber der Vereinsleitung fehlte es wohl an politisches Feingefühl. Und als sich die Debatte nun in Juli erhitzt hat der Bürgermeister zum Velodrome-Streik die passende Antwort parat: er holt kurzerhand den Präsident der OM-Amateure an seiner Seite, der die Profiabteilung damit androht die Matrikelnummer zurückzuziehen falls OM außerhalb des Velodromes spielt.

Mit solch einer Haltung macht er sich bei den Fußballfans keine Freunde aber auch dafür hat er eine Erklärung: er könne nicht anders als eine hohe Miete anfordern, sonst fällt ihm der Rechnungshof in den Rücken (eine niedrige Miete wäre vom Rechnungswesen als eine verdeckte Subvention empfunden und das ist verboten).

Ob nun der Verein sich wirklich zum Exil getaut hätte, werden wir aber nicht erfahren. Bürgermeister Gaudin richtete ein Appell an OM-Besitzerin Margarita Louis-Dreyfus die Sache nun endlich zu klären. Showdown am alten Hafen: Margarita ließ sich am Verhandlungstisch einfliegen und es kam am letzten Juli-Tag – eine Woche vor Saisonanfang – endlich zu einem Abkommen.

Die Lösung nimmt die Form eines Mietvertrags, in dem die Miete besonders flexibel ist und sich mehr dem Umsatz von OM anpasst, um auch in schlechten Jahren den Klub nicht zu gefährden. Die Stadt hatte schon vorgeschlagen, sich am Beispiel von Lilles neuem Stadion zu richten (4,7 M€ + 20% des Ticketingumsatzes über 16,5 M€).

OM erreicht eine etwas günstigere Ausgangslage: von nun an werden der Stadt 4 M€ pro Jahr fix bezahlt, und zudem 20% des Ticketingumsatzes über 20M€. Die Stadt erwartet davon eine Gesamtsumme von ungefähr 7,4 M€. Dies sind aber immer noch heftige Summen aus der Sicht des Vereins (und auch Lille geht es demzufolge auch finanziell ziemlich schlecht).

Hätte der Klub vor dem Bau solche Ausgaben erwartet dann hätte er sicher länger an der Möglichkeit gefeilt, selbst Eigentümer oder Teil-Eigentümer des Stadions zu werden (diese Möglichkeit hat bisher in Frankreich nur Lyon in Anspruch genommen).

 

Die Geschichte wiederholt sich

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Stadt und Verein sich über das Velodrome streiten. 1937 fing es an – 1937, das ist das Erbauungsjahr des Velodrome. Damals spielte OM im heimischen Huveaune-Stadion.

Ein Stadion, das im Besitz des Vereins war und dessen Tribünen durch die Mitglieder des Vereins in den zwanziger Jahren erbaut worden waren: 15 000 Stehplätze in bester Lage, neben der Flaniermeile Prado und keine 50 Meter vom Strand entfernt.

OM hatte eigentlich überhaupt keine Lust, sich im großen Velodrome zu installieren, das 40 000 Plätze bot, für damalige Verhältnisse eine Riesenarena. Das Stadion war für die Weltmeisterschaft 1938 errichtet worden, die Stadtverwaltung wollte ein Prachtobjekt, das nicht nur den Fussball diente: damals waren auch andere Sportarten sehr populär.

Dort fanden Boxwettkämpfe, Rad-, Auto- und Motorradrennen statt (das Stadion hatte lange Zeit eine echte Rennbahn rund um das Spielfeld), Leichtathletik, Rugby, politische Veranstaltungen und sogar Militärmanöver. Damals musste die Stadtverwaltung OM den roten Teppich ausrollen um ihn als Stammverein zu gewinnen (also wurden schon gewisse Zugeständnisse in Punkto Miete angenommen).

Ein zweiter Streit entfachte in den 60er Jahren. Damals fiel OM in die zweite Liga und ein neuer Präsident namens Leclerc übernahm den Verein. Er fand die Mietbedingungen unerhört und wechselte prompt in das Stade de l’Huveaune zurück.

Die 15 000 Plätze genügten ja für eine zweitklassige Mannschaft, der Verein sparte ein und so blieb man die ganze Saison im heimischen Stadion.

Als Olympique de Marseille wieder den Weg in die erste Liga fand musste sich die Stadtverwaltung vor dieser Strategie geschlagen geben und gestand dem Verein einen besseren Mietvertrag ein, um das Velodrome nicht langfristig leer stehen zu lassen. Sogar die Steuer für Unterhaltungsunternehmen, die sonst von der Stadt eingenommen wird, wurde dem Klub erspart (und dieses Zugeständnis hat sich bis heute gehalten). Heutzutage ist das leider nicht mehr denkbar, denn das Huveaune-Stadion wurde 1998 vom Verein an Immobilienmakler verkauft und abgerissen.

Wenig Streitigkeiten gab es dagegen 1996 als das Velodrome Stadion für die WM 1998 komplett renoviert wurde. Die damaligen Bauarbeiten waren bedeutend, denn die ganzen vier Tribünen wurden neu errichtet und das Stadionbild wurde total verändert.

Vom alten Oval war nichts mehr zu erkennen. Die grundlegende Veränderung des Stadions kostete jedoch nur (umgerechnet in der heutigen Währung) 77 Millionen Euro und anscheinend hatte dies wenig Einfluss auf die Stadionmiete.

Für viele aber auch ein Sinnbild dafür, dass bei dieser ersten Renovierung an den falschen Ecken gespart worden war. Das Stadion hatte zwar 20 000 Sitzplätze dazugewonnen aber seine Form gefiel den Meisten nicht so richtig.

Die Tribünen dehnten sich zu weit vom Spielfeld aus, waren nicht überdacht; Fans hatten das Gefühl, dass die Stimmung auf den Rängen nicht mehr auf das Spielfeld ankam sondern sich irgendwie in die Luft verlor.

Der Architekt hatte ganz artistische Begründungen dafür: man könne vom Stadion aus einen hervorragenden Blick auf die umstehenden Berge und das Meer genießen. Letztendlich für Menschen, die doch nur auf das Spielfeld schauen wollen, ein suboptimaler Ausgangspunkt…

Viele meinen das Organisationskomitee France 98 hätte bei den Renovierungen in ganz Frankreich gespart um das Stade de France umso prachtvoller zu gestalten; ein Stadion, das gar keinen Stammverein hatte und das in den nachfolgenden Jahren unterhalb seiner Kapazität benutzt wurde. Hätte man damals das Velodrome richtig verbessert, wer weiß, wäre vielleicht die heutige Debatte nicht zu Stande gekommen.

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