Am letzten Spieltag der Hinrunde bescherten zwei eingewechselte 20-jährige Eigengewächse Real Sociedad den Sieg gegen den Konkurrenten Sevilla. In der 76. Minute drehte Mikel Oyarzabal auf, beschleunigte, zog 4 Gegner auf sich und legte ab, Igor Zubeldia traf Sekunden nach seiner Einwechslung zum 2-1, sein erstes Tor in seinem neunten Ligaspiel.
Nicht, dass es jemanden interessiert hätte. Der Mann, um den sich an diesem Abend alles drehen sollte, wartete zu diesem Zeitpunkt noch an der Seitenlinie, lachte beim Erfolg des Youngsters einmal herzlich und bereitete sich dann auf seine eigene Einwechslung vor.
Eigentlich hört sich die Geschichte von Carlos Vela nicht nach dem Stoff an, aus dem Vereinslegenden gemacht sind. Ein hoffnungsvolles Talent aus Übersee kann sich bei einem Topverein nicht ganz durchsetzten, kommt zu einem ambitionierten, aber etwas kleineren Verein, schnürt dort sechseinhalb Jahre erfolgreich die Schuhe und verlässt den Verein dann mit 28 Jahren auf eigenes Bestreben hin wieder.
Für gewöhnlich gibt es dafür zum Abschied einen Dankesblumenstrauß und einen warmen Händedruck. Doch für einen außergewöhnlichen Spieler braucht es auch einen außergewöhnlichen Abschied.
Die eigentliche Verabschiedung findet bereits vor dem Spiel statt, inklusive Velas Familie, der spalierstehenden Mannschaft in eigens dafür angefertigten Shirts und Transparenten der Fans. Die emotionalen Höhepunkte folgten jedoch erst später. In der 78. Minute betritt Carlos Vela den Platz und das Anoeta ist noch ein letztes Mal in ein Lichtermeer getaucht. Bereits seit Jahren feiern die Fans ihre Kerze (span. Vela) mit erhobenen und erleuchtenden Mobiltelefonen.
Nun, in seinem letzten Auftritt, gibt auch Vela seinen Anhängern ein Abschiedsgeschenk mit. In der 90. Minute trifft er zum 3-1, seinem letzten von 73 Pflichtspieltoren im Trikot der Basken, traumhafter Abschluss seiner 6,5 erfolgreichen Jahre.
Allein mit seinem sportlichen Erfolg lässt sich Velas Status in San Sebastian allerdings nicht erklären. 2012 konnte man einen talentierten jungen Stürmer von Arsenal loseisen, der dort als zu unzuverlässig galt.
In San Sebastian konnte er zuvor in einem Jahr Leihe schon so weit überzeugen, dass man 14 Millionen Euro für ihn nach London überwies, zu diesem Zeitpunkt für die Basken bei Weitem Rekordsumme. Hier konnte er genau das sein, unzuverlässig.
Velas Spiel war immer die Verheißung auf etwas Besonderes. Dribblings prinzipiell mit je mehr Gegnern desto besser, tödliche Pässe quer über den gesamten Platz, Vorlagen volley aus der Luft genommen oder per Außenrist, Traumtore per Distanzschuss oder gerne auch ein Fallrückzieher, Vela bot dem Publikum alles, was ein Fußballfan-Herz begehrt.
Warum er trotzdem noch nicht Weltfußballer wurde? Eigentlich unbegreiflich. Vielleicht liegt es daran, dass so banale Begriffe wie Konstanz und Effizienz einfach nicht ins Repertoire eines Künstlers wie Vela passen. Denn Vela produzierte neben einigen magischen auch sehr viele „fast-geniale Momente“.
Wenn ein Spieler sich zum Dritten Mal in Folge in eine völlig aussichtloses Dribbling stürzt und den Ball verliert, wird er von mir gerne schnell als taktisch unintelligent und egoistisch abgestempelt. Macht Carlos Vela das Selbe ist die Reaktion immer eher „das hätte ja fast geklappt“ und „er kann es ja theoretisch“.
Manchmal hatte man auch das Gefühl, er war im Kopf schon einen Schritt weiter und vergaß dabei die ganz profanen Dinge – wie beispielsweise den Ball. Schnell verziehen, denn Egoismus oder Divenhaftigkeit konnte man ihm nie vorwerfen, Vela war immer bedacht, seinen Mitspielern aufzulegen und sich auch nie zu schade, sich defensiv aufzuopfern.
Diese Kombination von Extravaganz und Uneigennützigkeit auf dem Platz waren es, die Vela schnell zum Publikumsliebling machten.
Dazu kam seine fröhliche Art auch abseits des Platzes, gerade auch im Vergleich mit seinem oft kalt-zielstrebig wirkenden damaligen Co-Star Antoine Griezmann. Die beiden so unterschiedlichen Typen harmonierten auf dem Platz prächtig und bildeten 2012-2014 eine gefürchtete Flügelzange.
Doch obwohl schnell klar war, dass Griezmann derjenige war, dem die größere Karriere beschienen sein würde und der Franzose sogar schon seit seinem 15. Lebensjahr für die txuri-urdin spielte, war der Liebling der Fans stets der kleine Mexikaner. Höhepunkt dieser Zeit war der vierte Platz 2013, der La Real die bisher einzige Champions League Teilnahme seit dem Wideraufstieg bescherte.
Vela erzielte in dieser Saison 14 Tore, bereitete 11 weitere vor, noch übertroffen im Jahr darauf mit 16 Toren und 12 Vorlagen, viele davon jeweils für seinen noch abschlussorientierteren Kollegen Griezmann. Nachdem dieser den Verein 2014 Richtung Madrid verließ, blieb Vela als alleiniger Star des Teams zurück.
Er selbst wollte nie weg, sagte damals „Mein Leben war immer ein Jahr hier, ein Jahr dort, das so gut wie möglich genießen und dann Wechseln. Hier bin ich hergekommen und habe mich wohlgefühlt. Ich wurde unglaublich gut aufgenommen, warum sollte ich mich verändern wollen, wenn es mir so gut geht.“
Sportlich ging es ab 2015 jedoch nicht immer bergauf. Teilweise wurde ihm ein mangelnder Fitnesszustand unterstellt und die Effektivität nahm nochmals ab.
Ab und zu jedoch blitzte es noch auf, dieses Besondere, diese Spiele, in denen man sich fragte, warum dieser Junge eigentlich noch nie Weltfußballer wurde. Seine Popularität bei den Fans war ohnehin nicht zu erschüttern, doch auf dem Platz war er zuletzt auch immer wieder nur Teilzeitarbeiter.
Bei einem absoluten Top-Club hätte ich mir Vela nicht vorstellen können. Man muss ihm verzeihen können für seine ambitionierten Fehlschläge. In der MLS, seinem neuen Arbeitsplatz, wird man das mit Sicherheit und man wird ihn für seine großen Momente lieben, da bin ich mir sicher. Zudem ist er näher an der Heimat Mexico, für die er seit 2014 wieder aufläuft, nachdem er dies einige Jahre aus Gründen, die nicht vollständig bekannt sind, abgelehnt und so auch die letzte WM verpasst hatte.
Nach San Sebastián will er jedoch auf jeden Fall zurück, nach seiner aktiven Karriere, mitsamt seiner Familie. „Ich nehme so viel mit, habe eine baskische Frau, einen baskischen Sohn. Die Zeit hat mich geprägt, ich weiß, dass ich zurückkehre. Es waren die schönsten Jahre meines Lebens“. Willkommen dürfte er jeder Zeit sein.