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AC Milan – Aufstieg und Niedergang eines Weltklubs

Fragt man einen jungen Fußballfan derzeit nach seinem Lieblingsklub, fallen die Namen Barcelona, Real Madrid, Paris St. Germain, Bayern München oder Manchester City. Vereine, die sich Jahr für Jahr Top-Spieler leisten können und internationalen Glanz versprühen. Italienische Vereine werden kaum genannt, am ehesten noch Juventus.

Dabei gibt es einen Klub, der noch vor wenigen Jahren zur absoluten Weltspitze gehörte und nach Real Madrid die erfolgreichste Mannschaft auf internationalem Parkett ist. Die Rede ist vom AC Milan.

Hat ein Verein die Champions League dreimal in Serie oder insgesamt fünfmal gewonnen, dann bekommt er ein kleines Emblem auf das Trikot gedruckt.

Nur sechs Vereine weltweit dürfen den Henkelpott auf dem linken Ärmel tragen. Real Madrid, Bayern München, Ajax Amsterdam, Liverpool, Barcelona und eben Milan.

Siebenmal haben die Rot-Schwarzen aus der norditalienischen Modemetropole die Champions League bereits gewinnen können. Zwar liegt der letzte Titelgewinn schon über neun Jahre zurück, dennoch schwebt der Nimbus des internationalen Topklubs noch immer über Milan.

Auch wenn der ganz große Glanz nicht mehr vorhanden ist, sind noch immer viele Augen auf die Mailänder gerichtet. Gibt es Schlagzeilen rund um den italienischen Fußball, dann sind die Rot-Schwarzen meistens nicht weit weg – und in den letzten Jahren und Monaten gab es reichlich davon.

Milan ist ein stolzer Verein mit einer glorreichen Vergangenheit. 18-mal hat der Klub die italienische Meisterschaft gewonnen und ist damit hinter Rekordmeister Juventus die zweiterfolgreichste Mannschaft Italiens.

Bei Milan spielten Weltstars, Arrigo Sacchi betonierte im Trainingszentrum Milanello sein ruhmreiches 4-4-2-System ein, Anfang der 2000er-Jahre zählte die Mannschaft zu den besten der Welt und 2007 gewann Milan in einem unvergessenen Finale gegen Liverpool die europäische Königsklasse.

Doch mittlerweile ist nichts mehr wie es einmal war. Auf den Champions League-Pokal von 2007 hätte sich längst eine dicke Staubschicht gelegt, wenn er nicht regelmäßig auf Hochglanz poliert würde.

Der Klub selbst wurde beim Polieren offensichtlich vergessen, denn sein Glanz ist verstaubt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Moment ist Milan nicht mehr als Serie A-Mittelmaß. Mit Klubs wie Napoli, Roma und Fiorentina haben die Schwarz-Roten aktuell nichts zu tun.

Von Juventus, das den anderen italienischen Vereinen sowieso um Lichtjahre enteilt ist, ganz zu schweigen. Stattdessen muss Milan aufpassen, dass es nicht von Torino oder dem aufstrebenden Fliesenkleber-Klub aus Sassuolo überholt wird.

Im Vorjahr musste man den Schwarz-Grünen aus der Emilia Romagna den Vortritt im Kampf um die Europa League lassen. Zum dritten Mal in Folge hat Milan damit das internationale Geschäft verpasst.

 

Der Niedergang

Als Milan 2011 den letzten Scudetto holte, war der Klub noch halbwegs auf der Höhe. Zlatan Ibrahimovic, Alexandre Pato und Pippo Inzaghi sorgten für die Tore, Andrea Pirlo wurde im Mittelfeld von Gennaro Gattuso und Massimo Ambrosini unterstützt und hinten hielten Thiago Silva und Alessandro Nesta den Laden zusammen. Trainer war Massimiliano Allegri.

Dieser war bei den Milan-Tifosi nie sonderlich beliebt, er galt als Provinztrainer, der nicht zu einem Top-Klub passt. So waren die meisten auch nicht sonderlich traurig darüber, als Allegri am 13. Jänner 2014 entlassen wurde.

Eine 3:4-Niederlage gegen Sassuolo und ein Viererpack des damals 19-jährigen Domenico Berardi kosteten den Trainer aus Livorno den Job. Allegri wechselte im darauffolgenden Sommer zu Juventus, wurde auch dort am Anfang belächelt und hat es am Ende allen gezeigt. Mit dem Weggang von Allegri endete bei Milan die Kontinuität auf dem Trainerstuhl.

In zwei Jahren durften sich bereits fünf Trainer bei Milan versuchen. Das größere Problem als der vielgescholtene Trainer Allegri schien aber schon 2014 der Kader der Rossoneri zu sein.

Viele ehemalige Milan-Größen hatten den Klub verlassen oder ihre Karriere beendet, die Neueinkäufe waren entweder alternde Stars wie Kaka oder durchschnittliche Spieler wie Urby Emanuelson oder Cristian Zaccardo. Nur die Ansprüche der Führungsriege um den allmächtigen Präsident Silvio Berlusconi und seiner Tochter Barbara waren dieselben geblieben.

Es rächte sich, dass Adriano Galliani nach dem Titelgewinn 2011 den notwenigen Umbruch nicht vorantrieb. Der Scudetto gab dem Verein keine neue Kraft, stattdessen war er ein letztes Aufbäumen eines sterbenden Klubs.

Stand früher der halbe Milan-Kader in der Nationalmannschaft, stand bei der Europameisterschaft 2016 mit Mattia De Sciglio nur ein Rot-Schwarzer im Aufgebot. Im aktuellen Milan-Kader fehlt es gänzlich an Leadertypen und Identifikationsfiguren für die Fans. Stattdessen wird ein 17-Jähriger Torhüter zum neuen Heilsbringer erkoren.

Damit sich das in Zukunft wieder ändert, hat Milan im Sommer 2016 einen rigorosen Neustart angeordnet. Es ist der x-te in den letzten Jahren und soll dieses Mal kein Alibi-Neuanfang wie zu Zeiten eines Clarence Seedorf oder Filippo Inzaghi sein.

Die beiden ehemaligen Milan-Größen wurden bei ihrem Versuch, den Klub umzukrempeln von der Führungsetage kläglich im Stich gelassen und mussten in der Folge schnell wieder ihre Koffer packen.

Ein sportliches Desaster und die Bloßstellung der beiden Jungtrainer war die Folge. Cristian Brocchi, ebenfalls ein Ex-Milan-Spieler, erging es im Vorjahr kaum besser. Während Seedorf, der direkt vom brasilianischen Spielfeld auf die Mailänder Trainerbank wechselte, mittlerweile arbeitslos ist, kam Brocchi immerhin bei Serie-B-Klub Brescia unter.

Stürmerlegende Inzaghi coacht den Drittligisten Venezia. Bei Milan hat hingegen im Sommer 2016 Vincenzo Montella auf dem wackligen Trainerstuhl Platz genommen. Montella lieferte bei Catania und der Fiorentina hervorragende Arbeit ab.

Im November 2015 heuerte der Mann aus der Nähe von Neapel bei Sampdoria an. Großen Erfolg hatte er dort zwar nicht, dennoch kam er im Sommer bei Milan unter. Bereits vor der Saison 2015/16 war er in Mailand ein Thema gewesen.

Doch in Florenz wollte man Montella damals nicht ziehen lassen. Während Milan in der Folge Sinisa Mihajlovic holte, zerstritt sich Montella mit den Fiorentina-Bossen und wurde entlassen. Ein Jahr später fanden Milan und Vincenzo Montella doch noch zueinander. Stand jetzt, ist die verspätete Ehe eine erfolgreiche.

 

Manuel Locatelli – der nächste Superstar?

Milan steht aktuell auf Platz 2 und auch wenn die Leistungen noch lange nicht jene aus den Glanzzeiten sind, so ist es im Vergleich zu den turbulenten Vorjahren eine klare Steigerung.

Allerdings scheint die Mannschaft im Moment etwas über zu performen, denn die gezeigten Leistungen stimmen mit der Punkteanzahl nicht überein. Montella lässt seine Mannschaft in einem 4-3-3 mit breiten Achtern auflaufen. Dreh- und Angelpunkt war dabei bis Anfang Oktober Riccardo Montolivo.

Der Italiener ist ein sehr ballfordender und pressingresistenter Mittelfeldspieler – auch wenn seine Ballverluste in den letzten Monaten zugenommen haben.

Häufig lässt er sich engen Räumen anspielen, um den Ball prallen zu lassen und sich in höheren Räumen wieder anzubieten. Obwohl Montolivo bei den Milan-Fans – und überhaupt in ganz Italien – keinen recht hohen Stellenwert besitzt, war er für die Rossoneri ein sehr wichtiger Baustein. Vor allem in der ersten Aufbauphase war Montolivo gut eingebunden.

Jetzt fällt der Deutsch-Italiener aber bis weit in das Frühjahr hinein mit einem Kreuzbandriss, den er sich im WM-Qualifikationsspiel gegen Spanien zugezogen hat, aus.

Sein designierter Nachfolger ist Manuel Locatelli, ein 18-Jähriger aus dem eigenen Nachwuchs. Wie immer, wenn ein junger Italiener bei einer renommierten Mannschaft zum Zug kommt, ist auch der Hype um Locatelli riesig.

Von den hyperventilierenden italienischen Sportgazetten zum neuen Heilsbringer erkoren, bleibt der junge Sechser bisher selbst erstaunlich ruhig und freut sich stattdessen, dass er gegen Legenden wie Juventus-Keeper Gianluigi Buffon Tore erzielt.



 

Der gebürtige Lombarde spielte bis zu seinem 12. Lebensjahr für Atalanta und wechselte in der Folge in die Jugendabteilung von Milan. Bereits zu Zeiten von Allegri sammelte Locatelli Trainingserfahrung mit der ersten Mannschaft, sein Debüt feierte er im Frühjahr 2016 unter Trainer Brocchi gegen Carpi.

Jetzt wird erwartet, dass der 18-Jährige den Milan-Kapitän ersetzen kann. Dabei wird vergessen, dass Locatelli in seinen heurigen Einsätzen vor Montolivos Verletzung meistens zusammen mit dem Milan-Kapitän auf dem Feld gestanden hat. Doch was ist Manuel Locatelli für ein Spieler?

Locatelli, der bei der U19-EM im Sommer 2016 Vize-Europameister geworden ist, ist technisch stark, hat einen guten ersten Kontakt und antizipiert sehr gut. Von Montella zumeist als alleiniger Sechser vor der Abwehr eingesetzt, ist er vor allem defensiv wertvoll.

Er hat ein gutes Verständnis für die richtige Positionierung und kann dadurch viele Szenen lösen, bevor sie überhaupt richtig gefährlich werden.

Locatelli ist kein Spieler, der die Fans mit Kabinettstückchen von den Sitzen reist, dafür fehlt ihm die Kreativität und auch ein wenig die Dynamik. Zudem ist er noch zu wenig präsent, seine Ballaktionen sind für seinen Sechser deutlich unter dem Durchschnitt.

Dennoch ist er für sein Alter sehr reif und vor allem scheint Locatelli auf das Wesentliche fokussiert zu sein. Gewagte oder überhebliche Aussagen von ihm sind nicht bekannt, Interviews gibt er nur selten.

Es scheint, als hätte Locatelli von seinen Vorgängern Hachim Mastour und Bryan Cristante gelernt. Überhaupt scheint es der neue Weg von Milan zu sein, auf junge Spieler zu setzen.

Offensiv wirbeln M’Baye Niang und der Spanier Suso, in der Innenverteidigung reift der Römer Alessio Romagnoli zum Top-Verteidiger, im Tor steht mit Gianluigi Donnarumma ein 17-jähriger Nationalspieler und mit Alessandro Plizzari (16) steht ein weiteres großes Torhütertalent im Kader.

Die Tatsache, dass die Milan-Mannschaft aktuell derart jung ist, hat mehrere Gründe. Zum einen hat die Serie A an Glanz verloren, die großen Spieler wechseln nicht mehr nach Italien.

Ein italienischer Klub, der nicht einmal für die Europa League qualifiziert ist, hat es auf dem Transfermarkt besonders schwer. Es ist bezeichnend, dass die Königstransfers von Milan in diesem Jahr Josè Sosa und Gianluca Lapadula heißen.

Während erster von Besiktas nach Mailand kam, wurde Serie B-Torschützenkönig Lapadula für acht Millionen von Pescara losgeeist. Bei den aktuellen Transferpreisen klingen acht Millionen für einen Stürmer wie Peanuts, doch das Geld sitzt in Mailand längst nicht mehr so locker wie noch vor einigen Jahren.

Zum anderen scheint man in Mailand aber auch begriffen zu haben, dass ein Umdenken bitter notwendig ist. Bis jetzt geht der Weg, auf junge und italienische Spieler zu setzen, auf. Ebenso wichtig, wie die sportliche Zukunft des Klubs, ist allerdings die strukturelle. Hier stehen bei Milan in den kommenden Monaten nämlich einschneidende Veränderungen an.

 

AC Milan: Der chinesische Weg

Nachdem ein Verkauf des Klubs im Herbst 2015 gescheitert war, wurde es im August 2016 offiziell. Silvio Berlusconi verkaufte den AC Milan an die chinesische „Sino-Europe Investment Management Changxing“-Gruppe. Die Chinesen übernahmen den Verein samt seinen 220 Millionen an Schulden und verpflichteten sich dazu, in den nächsten Jahren über 300 Millionen Euro zu investieren.

Geld, das Berlusconi und seine TV-Anstalt Mediaset nicht mehr aufbringen konnten. In China ist Fußball auf dem Vormarsch. Während Spitzenfußballer mit ungeheuren Gehältern geködert werden und im ganzen Land Fußballschulen aus dem Boden sprießen, haben die neuen Milan-Eigentümer noch viel größere Pläne.

Angeblich sind sogar zusätzliche Flüge nach Mailand geplant, nur um Milan-Fans aus China einen Besuch im San Siro zu ermöglichen. Auch sportlich soll es wieder bergauf gehen. Während Berlusconi zum Ehren-Präsident erklärt wurde, steht Adriano Galliani vor dem Aus.

Von den Milan-Fans wurde Galliani schon vor langer Zeit zum Hauptschuldigen des sportlichen Niedergangs auserkoren. Jetzt sollen andere seine Tätigkeiten übernehmen.

Die ersten Personalentscheidungen der neuen chinesischen Eigentümer schlugen dabei bereits hohe Wellen. Verständlich, kommen die ersten neuen Mitarbeiter doch vom Lokalrivalen Inter. Neben Geschäftsführer Marco Fassone und Sportdirektor Massimiliano Mirabelli haben auch Andrea Romano (Team-Manager) und Marianna Mecacci (PR-Abteilung) eine Vergangenheit beim verhassten Stadtrivalen.

Wenn es darum geht, eigene Klubikonen einzubauen, tun sich die Chinesen schon schwerer. Am konkretesten soll es mit Paolo Maldini geworden sein, doch auch der ehemalige Weltklasse-Verteidiger konnte mit dem neuen Milan-Konzept nichts anfangen und sagte ab.

Es bleibt abzuwarten, ob dem AC Milan mit den neuen chinesischen Besitzern der große Wurf gelungen ist. Bis dahin vertreiben sich die Milan-Fans die Zeit mit den täglichen Schlagzeilen, die ihr Klub produziert, dem Werdegang der Talente Locatelli und Donnarumma – und ganz sicher auch dem einen oder anderen sehnsüchtigen Blick auf vergangene Tage.

Ein Gastbeitrag von Christian Staffler – Christian Staffler, geboren 1991 in der Südtiroler Kurstadt Meran, schreibt normalerweise für Scarico – Football Blog. Hauptberuflich Grafiker und freier Sportjournalist, trainiert der leidenschaftliche Kaffeetrinker zudem eine U17-Mannschaft und hat zuletzt bei Greuther Fürth hospitiert. Auf Twitter findet ihr ihn hier.

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