(Grafiken: Erstellt von Cavanis Friseur / © Footyrenders)
Nach der Qualifikation für die Europa League in der vergangenen Saison 2018/2019 schickt sich der Getafe Club de Fútbol an, sich erneut für das internationale Geschäft zu qualifizieren.
Das überrascht, wenn man bedenkt, dass der Verein erst seit 2004 regelmäßig in Spaniens höchster Spielklasse anzutreffen ist. In der Zwischenzeit musste man sogar für eine Saison den erneuten Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Doch seit dem Wiederaufstieg 2017 liefert die Mannschaft einige überraschende, Ergebnisse auf den Rasen.
Dies ist ein Gastbeitrag von Tim Tornow
Erreichte man in der Saison 2017/2018 noch einen sehr guten 8. Rang, verpasste man im darauffolgenden Jahr die Teilnahme an der Champions-League erst kurz vor dem Saisonende. Auch in dieser Saison sah es lange Zeit so aus, als könne man noch die Qualifikation zu ebendieser erreichen, allerdings geht der Mannschaft aus dem Vorort Madrids seit der Corona-Pause ein wenig die Luft aus.
Nichtsdestotrotz hat man im Verein großes vor. 2011 wurde der Verein von einer Investorengruppe aus Dubai übernommen. Die Zielsetzung bei Amtsantritt zeugt von großem Selbstvertrauen bei diesem Projekt, möchte man doch „Spitzenklasse, hinter Real und Barca“ werden.
Hier findet ihr weitere Porträts, Reportagen und Analysen von Cavanis Friseur
Erfahrung ist Trumpf
Ein großes Ziel, bei dem man, momentan, fußballerisch und in der Kaderplanung, auf Erfahrung und Eingespieltheit abzielt. Trainer Pepe Bordalas, seit 2016 im Verein, vertraut zumeist einer klassischen, flachen 4-4-2 Grundformation.
Generell eine Formation, die von ihren Automatismen lebt. Sind diese dazu noch sauber ausgeführt, kann man dieses ausbalancierte System nur schwer knacken.
Noch dazu ist Bordalas nicht gerade dafür bekannt, im Laufe einer Saison zu rotieren. So kann man feststellen, dass ungefähr 17 Spieler immer wieder eingesetzt werden, während der Rest des Kaders auf eine beinahe unbedeutende Anzahl an Spielen im Laufe dieser Zeit kommt – und das bei einer Saison mit Dreifachbelastung.
Der Kader weist ein Durchschnittsalter von 27,95 Jahren auf, auf den Paradepositionen im Sturm gar einen Schnitt von exakt 30 Jahren. Das sind Anhaltspunkte, die zeigen, dass man eine Menge Erfahrung auf den Platz bringen möchte.
So überrascht die sehr konstante Punkteausbeute, sowohl bei Heim- als auch bei Auswärtsspielen und die Tatsache, dass man die fünftwenigsten Niederlagen in La Liga hinnehmen musste, nicht.
Diese Ergebnisse trugen sie auf die vorderen Plätze in der Liga. Auch am anstehenden Finalturnier der Europa-League werden sie teilnehmen, da sie eine ausgeglichene Gruppe mit Basel, Krasnodar und Trabzonspor überstanden. In der K.O.-Phase Ajax Amsterdam schlug das Team bereits den niederländischen Meister Ajax Amsterdam. Im Achtelfinale wartet nun aber mit Inter Mailand ein weiteres Schwergewicht.
Analyse: Getafe presst extrem hoch
Auffällig im Spiel des Ex-Vereins von Bernd Schuster ist das hohe Pressing. Auch gegen zweifellos spielerisch gute Teams, wie den FC Barcelona, ist man sich nicht zu schade, das Pressing bis in den gegnerischen Strafraum zu verlagern.
Hierbei liegt das Augenmerk klar auf den gegnerischen Sechsern. Teils gehen die eigenen Sechser sogar in Manndeckung, um die Aufbauspieler des Gegners extrem früh zu attackieren bzw. gar nicht erst ins Spiel kommen zu lassen.
Generell ist das Team von Bordalas sehr energisch, wenn es um das Herausrücken geht. Das geht teilweise so weit, dass Innenverteidiger den Gegner schon weit in der gegnerischen Hälfte attackieren.
Auch die Stürmer werden gut in die Defensivarbeit eingebunden und arbeiten fleißig gegen den Ball. Hinzu kommt die bereits angesprochene Erfahrung in diesem Mannschaftsteil, sodass die Arbeit gegen den Ball bis in die kleinste Nuance ausgefeilt zu sein scheint.
So kann der Ball meistens in sehr guten Zonen und Höhen gewonnen werden, um den Weg zum gegnerischen Tor recht kurz zu halten.
Logische Charakteristik bei einem Ballgewinn ist demnach das sofortige vertikale Denken. Die gesamte Mannschaft rückt bei Ballgewinn Richtung gegnerisches Tor vor.
Die Stürmer handeln nach einem Ballgewinn gerne mit einer Pendelbewegung. Während sich meist der ballnahe Stürmer fallen lässt, um ein mögliches Anspiel verarbeiten zu können, sucht der ballferne Stürmer zeitgleich den Weg hinter die Abwehrkette des Gegners.
Untypisch spanisch mit dem Ball
Oft ist es so, dass umschaltfixierte Mannschaften einen kaum ersichtlichen Plan in der eigenen Ballbesitzphase zu haben scheinen. Dies trifft auch auf Getafe zu. Meist wird extrem schnell der Weg ins letzte Drittel gesucht, das vertikale Denken im Spiel mit dem Ball führt aber auch zu vielen, schnellen Ballverlusten.
Wird der Ball verloren, wird ein aggressiver Kampf um den zweiten Ball eröffnet. Gelingt auch hier der Ballgewinn nicht, wird mit aller Macht (und Mentalität) versucht, das eigene Tor zu verteidigen.
Geschuldet ist dies dem athletischen Kader, der vor allem im Abwehrbereich deutlich technische Schwächen aufweist.
Eine besondere Auffälligkeit, wenn man die Kugel denn hat, ist jedoch die extreme Strafraumbesetzung – sowohl nach Ballgewinn, als auch im “normalen” Ballvortrag.
So generieren sie häufig in ihren Spielen mindestens Gleichzahl im gegnerischen Sechzehnmeterraum. Leider werden darauf folgend zu sehr auf Flanken fokussiert – würde man es schaffen, gezielter in den Strafraum zu gelangen, könnten deutlich mehr Torchancen heraus gespielt werden.
“Deutscher Fußball” mitten in Spanien
Insgesamt ist Getafe also quasi das deutscheste aller Teams in La Liga, bedingt durch den starken Fokus auf das Gegenpressing und die Umschaltmomente.
Dies ist gegen jeden Gegner sehr genau geplant und – was noch wichtiger ist – es wird auch extrem sauber von den Spielern ausgeführt.
So ist Getafe für jeden Gegner schwer zu bespielen und bietet zudem noch viel Entwicklungspotenzial, vor allem beim Thema eigener Ballbesitz.
Der Kader wurde für Bordalas Ansätze sehr gut zusammengestellt. Allerdings steht der Mannschaft ein Umbruch kurz bevor. Gerade der Sturm überzeugt durch Erfahrung, doch viele Verträge laufe 2021 aus.
Darunter sind auch die Verträge der jetzigen Dauerbrenner Mata (11 Saisontore) und Kapitän Molina. Und auch das Arbeitspapier von 10-Tore-Mann Angel Rodriguez läuft 2021 aus.
Immerhin konnten sie ein wichtiges Puzzlestück bereits fest verpflichten. Der ursprünglich von Barca ausgeliehene Cucurella besticht durch eine ordentliche Technik und setzt die Idee des Herausrückens auf seiner Position im linken Mittelfeld sehr passend um.
Dazu besitzt der Linksfuß im Offensivspiel eine hervorragende Raumbesetzung und Durchschlagskraft. Leider wird er gelegentlich als Linksverteidiger eingesetzt, wo er seine Fähigkeiten nicht ganz abrufen kann. Insgesamt passt er aber komplett in das gewünschte Spielsystem.
Glückt der Umbruch?
Spannend wird natürlich die Frage, wie man die alternde Konkurrenz im Sturm auffängt. Im Gespräch ist hier Kenan Karaman (Fortuna Düsseldorf), der sich mit seiner Athletik ziemlich gut in das Mannschaftsgefüge einordnen würde.
Auf diese Spielertypen wird man sich bei Neuverpflichtungen spezialisieren müssen, um nicht zu sehr vom jetzigen Plan abzurücken.
Zudem kehrt Ivan Alejo zurück an alte Wirkungsstätte, ein Flügelspieler, der auch durch seine Dynamik besticht.
Alles in allem wird man Getafe die nächsten Jahre sicher häufiger in internationalen Wettbewerben antreffen. Sie stehen für eine gewisse Art Spiel, geprägt von laufintensivem, hohem Pressing und stellen sich dank guter Personalplanung hierfür clever auf.
Vielleicht ist das Wort “Spitzenklasse”, dass die Investoren gerne verkörpern würden, etwas hochgegriffen, dennoch geht man im Madrider Vorort einen guten Weg.
Um an die großen Geldtöpfe der Champions-League zu gelangen, muss sich aber das Spiel mit dem Ball deutlich verbessern. Gerade in einem Land wie Spanien, das jährlich technisch hervorragend ausgebildete Spieler ausspuckt.