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Der seltsame Fall des Andrea Bargnani

2014. Ein Januarabend im Madison Square Garden, der legendären Heimstätte der New York Knicks. Im Kellerduell zwischen den Gastgebern – die mit hohen Erwartungen in die Saison gestartet waren – und den Philadelphia 76ers, die sich mitten im Process befinden und Michael Carter-Williams ihren besten Spieler nennen, geht es um nichts.

Im dritten Viertel steht New Yorks Power Forward mit der ungewöhnlichen Rückennummer 77 frei an der Dreierlinie und wartet geduldig auf seine Chance.

Knicks-Guard Tim Hardaway zieht kopflos in die Zone, bindet dabei jedoch zwei Verteidiger und findet per akrobatischem Kickout-Pass den wartenden Big Man. Der lässt mit seinem patentierten Pump Fake einen anrauschenden Gegenspieler aussteigen, zieht geradewegs zum Korb und hebt einen Schritt innerhalb der Freiwurflinie ab.

Die Sequenz, die sich danach abspielt, macht später mit „I believe I can fly“ unterlegt die Runde im Netz und wird ein weiterer Eintrag in die Liste höchst bizarrer NBA-Momente von Andrea Bargnani.

Der kläglich gescheiterte Versuch des 2,13 Meter großen Italieners, über gleich zwei Sixers zu dunken, endet in einer skurrilen und zugleich schmerzhaft anmutenden Bruchlandung aus luftiger Höhe.


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Bargnani, der bis dato mit 20 Punkten bei sieben von zwölf Wurfversuchen eine starke Leistung zeigte, zog sich bei der unglücklichen Aktion einen Bänderriss im linken Ellenbogen zu und sollte für den Rest der Spielzeit ausfallen.

Der Sturz wirkt im Nachhinein wie der Anfang vom Ende der NBA-Karriere unseres Protagonisten. Der erste Europäer, der als Nummer Eins im NBA Draft ausgewählt wurde, wird nicht selten als einer der größeren Busts in der Geschichte der Association genannt.

Dabei kann der gebürtige Römer auf Statistiken zurückblicken, die auf den ersten Blick recht passabel erscheinen (14.3 Punkte pro Spiel, 0.9 Blocks, 35.4% Dreierquote). Doch schon auf den zweiten Blick fallen die für einen Sevenfooter niedrigen Rebounds (4.6) und die unterdurchschnittliche Wurfquote (43.9%) auf.

Schon bald nach der Draft-Night von 2006 war klar, dass Bargnani, entgegen so mancher Expertenmeinung, nie der nächste Dirk Nowitzki sein würde. Doch war er gut genug, um im weiteren Verlaufe seiner Karriere, gleich mehrere Teams für seine Dienste tief in die Tasche greifen zu lassen.

Vor diesem Hintergrund bekommt Bargnanis Spitzname Il Mago (der Magier) gleich eine ganz andere Bedeutung.

Im folgenden Long Read wollen wir die einzigartige Laufbahn von Andrea Bargnani Revue passieren lassen. Es ist die Story von enttäuschten Erwartungen, einer enigmatischen Persönlichkeit und letztendlich auch von legendären Werbespots.

 

Numero Uno

Die wechselvolle NBA-Karriere Bargnanis begann im Juni 2006. Der damalige Draft-Jahrgang gilt im Nachhinein als einer der schwächeren der Dekade, einen klaren Nummer-Eins-Pick gab es nicht.

Zwei Big Men galten als die verheißungsvollsten Talente. Zum einen der traditionelle Power Forward/Center LaMarcus Aldridge von der University of Texas. Zum anderen ein wurfstarker Italiener, der eigentlich ein Small Forward im Körper eines Centers war, wie sich später herausstellen sollte.

Bargnani hatte das Interesse der zuerst auswählenden Toronto Raptors schon einige Jahre zuvor geweckt. 2003 wusste er sich als 17-Jähriger in Diensten von Benetton Treviso in einem Preseason-Spiel gegen Raptors-Rookie Chris Bosch zu behaupten. In 22 Minuten erzielte er damals 13 Punkte, holte fünf Rebounds und blockte zwei Würfe.

Zum Zeitpunkt der NBA Draft 2006 versuchten die Kanadier unter Ägide von General Manager Bryan Colangelo (Sohn der italo-amerikanischen GM-Legende Jerry Colangelo) einen ganz speziellen Weg des Rebuilds einzuschlagen.

Europäische Spieler wie José Calderón, Jorge Garbajosa oder Rašo Nesterovič sollten die dynamische und passintensive Spielweise der EuroLeague in die NBA tragen, und die Raptors im Verbund mit All-Star Chris Bosh aus der Bedeutungslosigkeit führen.


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Wenige Tage vor der Talentziehung wurde Benetton Trevisos General Manager Maurizio Gherardini, der als Mentor Bargnanis galt, als Vize-Präsident und Assistant GM eingestellt. Letztendlich war es der perfekte Sturm und Bargnani wurde als erster Europäer in der Geschichte an erster Stelle des Draft ausgewählt.

Und das immerhin vor späteren All-Stars oder herausragenden Rotationsspielern wie Aldridge, Brandon Roy, Rudy Gay, J.J. Redick, Rajon Rondo oder Paul Millsap. Und nicht zuletzt wurde auch Raptors-Legende und möglicher Hall of Famer Kyle Lowry an 24. Stelle gezogen von den Memphis Grizzlies ausgewählt.

Einer der Gründe für die Wahl des 20-jährigen Europäers, sollen dessen Ergebnisse beim Caliper-Test gewesen sein. Dabei handelt es sich um ein Verfahren zur Persönlichkeitsanalyse, das seinerzeit von vielen Teams genutzt wurde, um potenzielle Draft-Picks zu evaluieren.

„Sie sagten sein Potenzial sei außergewöhnlich. Von allen jemals getesteten Athleten, haben sie noch nie Jemanden wie ihn gesehen“ so Raptors-GM Colangelo. Den Testergebnissen zufolge, sei Bargnani praktisch egal, was andere über ihn denken. Er sei in der Lage, negativen Druck komplett auszublenden.

Möglicherweise wurde aber auch nur Bargnanis laissez faire-Einstellung mit Abgebrühtheit verwechselt. Situationen, die diese Annahme untermauern, sollte es im Verlauf seiner Karriere noch zur Genüge geben.

 

„Sky’s the limit”

Die Rookie-Saison des Hoffnungsträgers beginnt holprig. Der Youngster muss sich erst noch an das schnelle Spiel und die harte Gangart in der besten Basketballliga der Welt gewöhnen. Bei einem Auswärtsspiel zu Beginn der Saison in Oakland, wird Bargnani von Chris Bosh in einem Timeout aufgrund seines mangelnden Einsatzes beim Rebounding zusammengestaucht.

Sam Mitchell, seinerzeit Coach der Raptors, wird einige Jahre später zitiert, das Management der Kanadier hätte ihm untersagt, den jungen Italiener allzu hart zu coachen. „Ich denke einfach, dass Leute in der Organisation gedacht haben mein Coaching-Style sei zu hart für Andrea. Er war immerhin Nummer-Eins-Pick und es wurde viel in ihn investiert.“

Doch im Laufe der Saison steigert sich Drea deutlich und wird als Scorer von der Bank ein wichtiger Teil der Rotation. Bei den Trail Blazers gelingt ihm per Jumpshot sogar ein Gamewinner.

Am Ende der Saison wird Bargnani Zweiter bei der Wahl zum Rookie des Jahres (fair enough: von den 128 abgegebenen Stimmen, entfiel genau eine auf Bargnani, der Rest ging an Brandon Roy).


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Selbst Dirk Nowitzki – mit keinem anderen Spieler wurde der junge Italiener häufiger verglichen – zollte dem Rookie Tribut und erklärte, dass der Italiener mit 21 besser sei, als er es in diesem Alter war. „Sky’s the limit for him”, prognostizierte Dirkules.

2006/07 ziehen die Raptors genau wie im Folgejahr in die Playoffs ein, wo beide Male ernüchternde First-Round-Exits warten. Die Serien gegen die Nets 2007 und die Magic 2008 sollten Bargnanis einzige Auftritte in der Postseason bleiben.

Nachdem unser Protagonist 2007/08 sportlich einen Schritt zurück machte und ein Trade im Raum steht, entwickelt er sich in den Spielzeiten 2008/09 und 2009/10 stetig weiter und bildet an der Seite von Chris Bosh ein formidables Offensivduo.

Die Killer Bs stehen zwar für individuellen Erfolg, aber auch für mannschaftlichen Misserfolg. Bargnanis notorische Inkonstanz sowie seine Abneigung gegen tiefe Post Ups und Drives in die Zone verhindern, dass er und Bosh gewinnbringend miteinander harmonieren.

Gegen Ende der 2000er-Jahre sind die Raptors gefangen im Niemandsland. Zu gut für die Lottery, zu schlecht für die Playoffs.

 

Il Mago

Im Sommer 2010 zieht All-Star Bosh daher einen Schlussstrich und verlässt den Great White North, um in Miami zusammen mit LeBron James und Dwyane Wade eine Big Three zu bilden. Die Superteam-Ära in der National Basketball Association hat spätestens jetzt begonnen.

Während die Raptors nach dem Abgang ihres Superstars eines der miesesten Teams der Liga sind (nur 22 Siege in 2010/11), avanciert Bargnani auch aufgrund fehlender Alternativen zum Franchise Player.

Inzwischen ist der Italiener mit einem langfristigen und gut dotierten Vertrag ausgestattet (50 Millionen Dollar für fünf Jahre). GM Colangelo hat genug gesehen, um weiterhin daran zu glauben, dass Bargnani noch zum herbeigesehnten Erlöser der gebeutelten Franchise werden kann. In der Tat hatte Torontos Nummer 7 sein immenses Talent vor der Vertragsverlängerung immer wieder spektakulär angedeutet.

Ein tödlicher Pump Fake? Check. Ankle Breaker? Check. Reverse- oder Poster Dunks über gegnerische Big Man wie Chris Birdman Andersen und Brook Lopez? Check. Ein Between the Legs Crossover mit anschließendem Korberfolg gegen Tim Duncan? Check. Der vielleicht beste „Was wäre, wenn?“-Pass in der Geschichte der NBA? Check.




 

Zumindest am offensiven Ende, kann Bargnani das in ihn gesetzte Vertrauen zurückzahlen. Der damals 25-Jährige legt in seiner ersten Saison als primäre Scoring-Option immerhin 21.4 Punkte pro Spiel auf. Rebounding und Defense bleiben allerdings weiterhin mangelhaft. Doch Il Mago soll in erster Linie im Angriff zaubern.

Als die Miami Heat – um den in Toronto in Ungnade gefallenen Chris Bosh – im Februar 2011 erstmals im ausverkauften Air Canada Centre gastieren, zeigt sich Bargnani von seiner besten Seite.

Fast im Alleingang hält er sein Team im Spiel und erzielt 38 Punkte, bei einer überragenden Wurfquote (15/26 Würfen, 5/6 Dreiern). 13 seiner Buckets erzielt er mit Bosh als seinem primären Verteidiger.

Jahrelang hatte Bargnani in dessen Schatten gespielt und musste als Small Forward oder als Center anstatt auf seiner präferierten Position des Power Forwards auflaufen. Am Ende müssen sich die Kanadier jedoch – wie so oft in dieser Zeit – geschlagen geben.




 

Zwei Monate zuvor hatte Bargs bereits mit 41 Punkten (16/24 Würfe, 2/3 Dreiern) im Madison Square Garden ein Career High gegen die Knicks erzielt. Für einen Sieg reichte aber auch diese beeindruckende Leistung nicht, denn Raymond Felton versenkte Sekunden vor Schluss noch einen denkwürdigen Dreier zum Sieg.

Es waren solche Spiele, die das enorme Talent Bargnanis aufzeigten und die Hoffnung schürten, dass er dieses Potenzial irgendwann auch regelmäßig abrufen würde.

 

13 Spiele für die Ewigkeit

Im Herbst 2011 besteht in Kanadas größter Stadt Grund zur Hoffnung. Dwane Casey, der als für die Defense zuständiger Assistenztrainer gerade mit den Mavericks Meister geworden ist, ersetzt den glücklosen Jay Triano auf der Trainerbank.

Casey, der in Dallas mit Dirk Nowitzki zusammengearbeitet hat, kann womöglich auch den notorisch defensivschwachen Bargnani zu einem brauchbaren Verteidiger formen. So zumindest die Überlegung im Front Office.

Tatsächlich darf man zu Beginn der vom Lockout verkürzten Saison 2011/12 die sportlich beste Version von Andrea Bargnani bewundern. In einem – unter Raptors-Fans berühmt berüchtigten – Lauf von 13 Spielen wird der 26-Jährige den so hohen Erwartungen, zumindest für die Dauer eines flüchtigen Augenblicks gerecht.


Bargnani 13 game stretch
Selbst im individuell besten Moment seiner Karriere war Bargnani ein eindimensionaler Spieler. Quelle: basketball-reference.com

Höhepunkt dieser kurzen Episode ist ein Auswärtsspiel gegen die Phoenix Suns, um den in die Jahre gekommenen Steve Nash. Bargnani krönt seine starke Offensivleistung (36 Punkte, 10/21 Würfen, 4/6 Dreiern) mit dem spielentscheidenden Jumper. Es ist das mit Abstand beste Jahr in der Karriere des Italieners, der zwischenzeitlich sogar als All-Star gehandelt wird.

Mit 1.04 Win Shares pro 48 Minuten und einem Box Plus/Minus von 1.1 kann er auch bei den Advanced Metrics persönliche Bestwerte auflegen. Doch eine Wadenverletzung beendet seinen Hot Streak und alle damit verbundenen Hoffnungen auf einen Auftritt beim All-Star-Game in Orlando.

Nichtsdestotrotz erhält er im All-Star-Voting respektable 152 362 Fan-Stimmen und wird damit neuntplatzierter Forward im Osten.




 

Durch die Verletzung in der linken Wade verpasst Bargnani mehr als die Hälfte der Saison 2011/2012. Ohne ihren designierten Star können die Raptors nur zehn Spiele gewinnen.

Für den Rest seiner Karriere wird der Römer nicht mehr an diese Leistungen anknüpfen können und sollte sich in der zweiten Hälfte seiner Laufbahn zum absoluten Statistik-Albtraum entwickeln.

 

The Dark Times of Primo Pasta

Die Saison 2012/2013 wird für Bargnani zum Debakel und führt letztendlich zum Bruch mit den Fans, deren Geduld der Italiener schon lange mit mangelndem Einsatz und apathischer Körpersprache auf die Probe gestellt hatte. Im ersten Viertel der Saison ist Bargnani selbst für seine Maßstäbe übermäßig inkonstant.

So folgt auf eine 34-Punkte Performance bei einer knappen Niederlage gegen die Pistons (13/20 Würfen, 3/5 Dreiern), das wahrscheinlich schlechteste Spiel seiner Karriere. In einem Heimspiel gegen die San Antonio Spurs erzielt der Euro in 36 Minuten mickrige vier Punkte. Seine Wurfquote ist dabei schockierend schlecht (2/19 Würfen, 0/7 Dreiern).

Bargnani wird von Tim Duncan, einem anderen ehemaligen Fist-Draft-Pick, komplett an die Kette gelegt. Zu allem Überfluss feiert Duncan mit Block Nummer 2500 ein Jubiläum gegen den heillos überforderten Bargnani.

Die Raptors sollten das Spiel in der Overtime verlieren. Eine beachtliche Leistung in Anbetracht dieses Totalausfalls ihrer primären Scoring-Option.




 

Nachdem er sich im Dezember 2012 einen Bänderriss im rechten Ellenbogen zuzieht, der ihn zu mehreren Monaten Pause zwingt, fühlt sich Bargnani nach eigener Aussage „deprimiert“. Die Raptors bezeichnet er nebenbei als „so ziemlich das schlechteste Team in der NBA“. Als hätte er nichts mit deren Misserfolg zu tun.

Eine Aussage die, wenig überraschend, nicht allzu gut verfängt. Das Band zwischen den Fans und ihrem einstigen Hoffnungsträger ist endgültig zerschnitten.

Spätestens jetzt wird ein ohnehin schon schrulliger TV-Werbespot Bargnanis für den kanadischen Nudelhersteller Primo Pasta zum Meme. In den Kommentaren zum YouTube-Video heißt es heute vielsagend: „You ain’t a true raptors fan if you didn’t live through the dark times of primo pasta.”

 

Ein folgenreicher Trade

Als der Italiener im Februar 2013 in einem Heimspiel gegen die Celtics sein Comeback feiert, wird er gnadenlos ausgebuht. Zwar kann der inzwischen zum Bankspieler degradierte Il Mago sein Talent hier und da aufblitzen lassen – etwa mit 26 Punkten (5/7 Dreiern) gegen die Warriors – doch der Abschied des Euro ist da längst beschlossene Sache.

Selbst Colangelo, der Bargnani viel zu lange dickköpfig verteidigt hatte, muss eingestehen, dass eine Trennung wohl für alle Beteiligten das Beste wäre. Die Frage ist damals nur, wie man sich Bargnanis Albatross-Vertrag entledigen kann.

Genau hier kommt Masai Ujiri ins Spiel. Als frischgebackener Executive of the Year kehrt dieser im Sommer 2013 als General Manager an seine alte Wirkungsstätte Toronto zurück und ersetzt Colangelo. Mit einer seiner ersten Transaktionen verschifft er Bargnani zu den New York Knicks.


Neben den Rechten an drei Spielern (Steve Novak, Marcus Camby und Quentin Richardson) erhalten die Kanadier unglaubliche drei Picks. Einen von diesen, einen Erstrunden-Pick 2016, nutzten die Raptors, um Jakob Pöltl an Position neun zu ziehen.

Pöltl, heute einer der besseren Backup-Center der Liga, war wiederum Teil des spektakulären Kawhi Leonard/DeMar DeRozan Tauschgeschäfts, das den Raptors ihre erste Meisterschaft einbringen sollte.

New Yorks Akquise Bargnanis entpuppt sich schnell als einer der einseitigsten Trades der Dekade. Nettes Bonmot nebenbei: Aus Angst, sich erneut von Ujiri über den Tisch ziehen zu lassen, legte Knicks-Eigentümer James Dolan im Dezember 2013 im letzten Moment sein Veto gegen einen Trade für Kyle Lowry ein.

Während die Raptors direkt nach Bargnanis Abschied zum ersten Mal seit sechs Jahren in die Playoffs einziehen, in der Folge zu Titelaspiranten werden und diese Entwicklung 2019 mit der Larry O’Brien-Trophäe krönen, stagniert der Stretch Four.

 

Glücklos in New York

Zwar kann Bargnani im Madison Square Garden ordentliche Offensiv-Zahlen auflegen, fällt insgesamt aber eher mit verpatzten Defensivrotationen oder höchst fragwürdigen Crunchtime-Entscheidungen auf. Der eingangs beschriebene Dunk-Versuch ist das skurrile Symbolbild der Jahre im Big Apple.

Als Bargnani Manhattan 2015 als Free Agent in Richtung Brooklyn verließ, stehen die Knicks einmal mehr vor einem Scherbenhaufen. Dabei hätte unser Protagonist eigentlich der X-Faktor auf dem Weg in die Finals sein sollen.






 

Phil Jackson, der bei den Knicks inzwischen Entscheider ist und mit dem Rebuild beauftragt wurde, lässt derweil kein gutes Haar an seinem Ex-Spieler.

„AB war und ist ein uneingelöstes Versprechen. Als er verletzt war, weigerte er sich, einfache körperlose Übungen wie das Imitieren unserer Offense durchzuführen. Er schien ein Simulant zu sein und das hatte negative Auswirkungen auf das Team.“

Auf der anderen Seite des East River ist ihm ebenfalls kein Erfolg beschieden. Zwar kann er auch im Barclays Center ab und an sein Talent andeuten, eckt aber fast schon zwangsläufig bei Defensiv-Guru Lionel Hollins an.

Zum Ende seiner Tage in der National Basketball Association ist Bargnani ein Bankspieler, der abgesehen von einem sicheren Mitteldistanzwurf, so gut wie nichts zum Erfolg seines Teams beitragen kann. Die Entlassung durch die miesen Nets inmitten der Saison 2015/16 markiert das trostlose Ende einer einst so verheißungsvollen Karriere in der besten Basketballliga der Welt.

Ein kurzes Engagement bei EuroLeague-Teilnehmer Baskonia in Spanien wird im April 2017 nach wiederholten Verletzungsproblemen im beiderseitigen Einvernehmen beendet. Damit ging die Laufbahn von Il Mago zu Ende.

 

„Wir haben Bargnani verprügelt“

Der ehemalige NBA-Spieler David West erklärte erst kürzlich, warum Bargnani seiner Meinung nach nie den Durchbruch schaffte und in der Association von heute nicht nur besser spielen, sondern sogar dominieren würde.

„Als Bargnani und Bosh in Toronto waren, hat der Scheiß nicht funktioniert, weil die NBA sie uns verprügeln ließ. Wir haben Bargnani verdroschen, sie haben uns Bosh verhauen lassen.“

West, der insbesondere als Teil der Indiana Pacers oft direkter Gegenspieler des Italieners war, weiter: „Heutzutage würden Bosh und Bargnani die NBA auseinandernehmen. Sie waren nahezu unmöglich zu verteidigen. Das meine ich ernst. Sie waren tough. Aber es war eine andere NBA damals.“

Aber war die NBA in den knapp zehn Karrierejahren Bargnanis wirklich noch nicht bereit für Sevenfooter, die vornehmlich an der Dreierlinie auf ihre Chance warten und das Spiel breit machen?




 

Sicherlich wäre Bargnanis Spielstil in der heutigen dreierorientierten NBA besser aufgehoben gewesen als in den späten 2000ern, als Post Ups unter dem Korb noch zum guten Ton gehörten.

Allerdings hatte nicht zuletzt Dirk Nowitzki schon viel früher bewiesen, dass man auch mit 2,13 Metern Körpergröße erfolgreich am Perimeter operieren kann. Darüber hinaus war Bargnani in der zweiten Hälfte seiner Karriere ein schwacher Dreierschütze, der weniger als 30% seiner Würfe von Downtown traf.

Zudem würde dessen Hilflosigkeit in der Teamverteidigung dieser Tage wahrscheinlich noch viel gnadenloser bestraft werden.

 

Lethargie, Verletzungen und verschwendetes Talent

In seinen besten Tagen war Bargnani ein guter Werfer, der das Pick and Pop zwar meisterhaft beherrschte, den gegnerischen Korb aber viel zu selten attackierte und in der Zone unterdurchschnittlich abschloss.

Obwohl er eine ordentliche Post-Up-Defense an den Tag legte, war er alles in allem ein miserabler Verteidiger.

In den Spielzeiten 2009/10 und 2010/11, als Bargnani zu den primären Scoring-Optionen seines Teams gehörte und weitestgehend von Verletzungen verschont blieb, waren die Raptors ligaweit das einzige Team, das pro 100 Ballbesitzen mehr als 110 Punkte zuließ.

Des Weiteren war er ein historisch schwacher Rebounder. Von allen Sevenfootern in der Geschichte der NBA, die mehr als 300 Spiele absolviert haben, hat laut basketball-reference.com nur ein Spieler eine schlechtere Rebound-Percentage.

Defense und insbesondere das Pflücken von Rebounds gelten nicht umsonst als Hustle-Disziplinen. Hustle schien für Bargnani jedoch immer ein Fremdwort zu sein. Wann immer er schwache Wurfquoten auflegte, zeigte er sich unbeeindruckt. Über sein Offensivspiel müsse er sich keine Sorgen machen, gab Bargnani zu Protokoll.


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Er erweckte stets den Eindruck, so viel Vertrauen in seine Fähigkeiten zu haben, als dass er sich keine weiteren Gedanken machen müsse. In der Tat war sein Talent immens, vor allem am offensiven Ende. Nur leider war es Bargnani anscheinend wirklich egal was andere über ihn dachten. Sein vermeintlich einzigartiges Ergebnis beim Caliper-Test wurde so ins Negative verkehrt.

In dieses Bild passt auch Bargnanis chronische Verletzungsanfälligkeit. In der zweiten Hälfte seiner Laufbahn verpasste er so knapp 50% aller Partien. Bargnani lief nur in einer einzigen Saison seiner NBA-Karriere für ein Team auf, das mehr als die Hälfte seiner Spiele gewinnen konnte.

Auch miserable 18.9 Win Shares aus 550 Spielen bei einer durchschnittlichen Spielzeit von 28.7 Minuten sprechen eine deutliche Sprache.

Als Inbegriff europäischer Softness und Personifizierung von Lethargie, Verletzungsanfälligkeit und verschwendetem Talent steht Andrea Bargnani heute sinnbildlich für die wohl dunkelste Epoche in der Geschichte der Toronto Raptors.

Und auch die Knicks wurden mit ihrem Trade für Bargnani, der es heutzutage wohl jedem NBA-Entscheider kalt über den Rücken laufen ließe, entscheidend bei ihrem ewigen Wiederaufbau zurückgeworfen. Dieser ohnehin schon viel zu lange Text soll an dieser Stelle mit Phil „Zen Master“ Jackson enden.

Die Trainerlegende stellte resümierend auf Bargnanis Zeit bei den Knicks fest: „Als er auf dem Platz stand, fiel es ihm schwer, intensiv zu spielen. Er kam nicht schnell genug vom Angriff in die Verteidigung zurück und war nicht aktiv genug dabei, das gegnerische Abrollen zu verteidigen“, so Jackson.

„Sein Spiel ist eigentlich perfekt für die Triangle-Offense geeignet, weil er sich seine Würfe nicht wirklich hart erarbeiten muss. Er ist ein Spieler, den wir aufgegeben haben. AB wird für immer ein Rätsel bleiben.“


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Amadeus Marzai
Fun Guy und leidenschaftlicher Streetballer. Seit er denken kann schlägt sein Herz für die Toronto Raptors. Im zweiten Leben Fußball-Fan, der eine Taktik nicht einmal dann erkennen könnte, wenn sein Leben davon abhinge. Für Cavanis Friseur reicht es trotzdem. Auch deshalb, weil Edinson Cavani neben Xabi Alonso sein All-Time Lieblingsspieler ist. Aufgrund seiner vielfältigen Interessen intern als „Random Amy“ verspottet. Einer von mehreren Weltmeister-Abiturienten im Team, der ausdruckstechnisch zu den brillantesten Friseuren gehört.

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