Aufgetaucht! Die Geschichte des FC Villarreal

Villarreal, eine Kleinstadt im Osten Spaniens, 50.000 Einwohner, acht Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Castellón de la Plana, gut 60 Kilometer nördlich der Landeshauptstadt Valencia.

Wer nach Villarreal googelt bekommt als ersten Eintrag die Webseite des Fußballklubs ausgegeben, erst danach kommen Seiten, die die Stadt betreffen. In diesem beschaulichen Umfeld klopft ein Verein gerade erneut an die Tür der Champions League.

Man hat ein Stadion, in dem jeder zweite Einwohner der Stadt Platz finden würde, man hat ein modernes Trainings- und Jugendzentrum, vor allem jedoch hat man zum wiederholten Male ein außergewöhnliches Team auf die Beine gestellt.

Die erfolgreiche Geschichte der letzten zwei Jahrzehnte ist eng mit dem Namen Fernando Roig Alfonso verknüpft. Der Unternehmer stammt aus der einflussreichen Familie Roig, seine Eltern gründeten die spanische Supermarktkette Mercadona, die heute sein Bruder Joan leitet.

Er selbst macht hauptsächlich in Porzellan, sein Unternehmen sitzt im benachbarten Castellón. 1997 übernimmt er die Geschicke des aufstrebenden Clubs als Mehrheitseigner und Präsident.

Am Ende der damaligen Saison steht der erstmalige Aufstieg in die Primera División in der Geschichte des Clubs. Ausmaß und Dauer dieser Erfolgsgeschichte sind damals jedoch noch nicht absehbar.

Bescheidene Anfänge

Über weite Strecken seiner Geschichte ist der Club von, sagen wir mal, regionaler Bedeutung.

Zwischen der Vereinsgründung 1923 und dem erstmaligen Aufstieg in die Segunda División 1970 tingelt man durch verschiedene regionale Ligen. Steter Begleiter dabei El Madrigal, das Stadion, das noch im Gründungsjahr eingeweiht wurde und in dem der Verein seither seine Heimspiele austrägt.

Über mehrere Umbauten und ganze 90 Jahre lang trug es den Namen El Madrigal nach dem Gebiet, in dem es errichtet wurde, bevor der Name 2015 weichen musste. Nach dem wichtigsten Industriezweig der Stadt heißt das Stadion nun seit Beginn der aktuellen Saison „Estadio de la Cerámica“, was von den Anhängern allerdings weitestgehend ignoriert wird.

Nach dem Aufstieg in die Segunda geht es für den Club 1972 in jedem Fall zunächst einmal wieder – nach unten. Weiter geht die Berg und Talfahrt, nun zwischen zweiter und vierter Liga, bis 1998, ein Jahr nach der Übernahme durch Roig, der überraschende erstmalige Erstligaaufstieg der Vereinsgeschichte gelingt.

In dieser Zeit profitiert man vor allem von Deals mit dem benachbarten Valencia, Torhüter der Aufstiegssaison ist Andrés Palop, später langjähriger Sevilla-Keeper, der für diese und die folgende Saison ausgeliehen wird.

Für die Erstligasaison kann außerdem der damals 20-jährige David Albelda leihweise verpflichtet werden, der in Villarreal ebenso zum Leistungsträger avanciert. Auch mit an Bord ist in diesem Jahr übrigens der spätere Bundesliga-Torschützenkönig Thomas Christiansen.

Dennoch geht es nach nur einem Jahr wieder hinab in die Zweitklassigkeit.


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Doch während man vor dem Aufstieg eher als graue Maus der Segunda galt, ist man nun ein Spitzenteam, das sich Spieler anderer Zweitligisten aussuchen und damit eine schlagkräftig Mannschaft für den erneuten Aufstieg zusammenstellen kann.

Die prägendste Verpflichtung folgt jedoch erst im Winter. Diego Cagna ist nicht nur der erste millionenschwere Transfer des Clubs, die kolportierten 5,5 Millionen sind für einen Zweitligisten sehr beachtlich, er läutet auch eine Ära argentinischer Akteure ein, die den Club als Sprungbrett nach Europa nutzen wollen.

In allererster Linie kooperiert man hierbei mit Cagnas Club Boca Juniors.

Im folgenden Jahr kommen vier weitere Akteure aus Argentinien, davon drei von Boca, für Stürmer Martín Palermo zahlt man über sieben Millionen, er übertrifft damit schnell den Transferrekord seines Landsmannes. Langfristiger Leistungsträger wird von diesen jedoch lediglich Linksverteidiger Rodolfo Arruabarrena.

Sturm nach Europa

Arruabarrena ist auch der einzige verbliebene dieser Akteure, als sich in der Saison 04/05 das erste Dreamteam der Submarinos formiert, ein Team, das vor allem mit einem weiteren ex Boca-Akteur in Verbindung gebracht wird: Juan Román Riquelme.

Mit 15 Toren und 17 Vorlagen führt er hinter den Stürmern Forlan und Jose Marí Regie und sein Team auf Platz drei und zur erstmaligen Teilnahme an der Champions League.

Eine Premiere, die in der folgenden Saison bis ins Halbfinale gegen den FC Arsenal führt. Im Viertelfinale wird das übermächtig erscheinende Inter Mailand ausgeschaltet, dank eines Freistoßes von Riquelme auf den Kopf von Rudolfo Arruabarrena.

Die Halbfinalteilnahme der Submarinos ist bis heute das beste Abschneiden eines Debütanten in der Geschichte der Champions League.

Die Zeit von Riquelme bei Villarreal ist nach dieser Saison vorbei, auch Forlan und Jose Marí verlassen den Club, doch es dauert nur zwei Jahre bis man eine runderneuerte Mannschaft aufgestellt hat, die abermals Geschichte schreibt.

2008, zehn Jahre nach dem erstmaligen Erstligaaufstieg, holt dieses Team die Vizemeisterschaft nach Villarreal, gleichbedeutend mit der besten Platzierung der Vereinsgeschichte. Von den Champions League-Halbfinalisten von 2006 sind nur noch Rechtsverteidiger Javi Venta sowie Marcos Senna, übrig.

Der Brasilianer sollte später Vereinslegende und Rekordspieler werden. Stattdessen prägen neue Namen das Gesicht des Teams, allen voran Frankreichs Mittelfeldstar Roman Pires.

In der Abwehr macht ein gewisser Diego Godin seine ersten Schritte in Europa, für weniger als eine Million Euro hat man den heutigen Weltklasse-Innenverteidiger damals verpflichtet, vorne stürmen Nihat Kahveci und Giuseppe Rossi und auf der linken Außenbahn feiert erstmals ein Eigengewächs seinen ganz großen Durchbruch.


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Im Schatten der vielen, meist südamerikanischen Stars, hat man in Villarreal eine der besten Jugendabteilungen Spaniens aufgebaut, inklusive eines Filialteams, das heute zusammen mit denen von Barcelona, Madrid und Athletic Bilbao zu den besten Spaniens zählt. Der erwähnte Absolvent dieser Jugendausbildung war übrigens niemand anderes als Santi Cazorla.

Auch die zweite Champions League Teilnahme der Vereinsgeschichte verläuft erfolgreich, man erreicht das Viertelfinale, wo erneut Arsenal die Endstation ist.

In der Liga folgen wiederum zwei ordentliche, aber nicht überragende Jahre, ehe man sich 2011 ein drittes Mal für die Königsklasse qualifiziert. Das Gesicht des Teams ist hierbei erneut ein anderes.

Die Verteidigung steht mit den frisch gebackenen Weltmeistern Capdevila und Marchena, im Mittelfeld sticht neben Freistoßkünstler Cazorla vor allem Stratege Borja Valero heraus, der zu diesem Zeitpunkt lediglich vom englischen Vertreter West Bromwich geliehen ist.

Neben teuren Stars wie dem Sturmduo Nilmar – Rossi entwickeln sich Eigengewächse wie Bruno Soriano und Mario Gaspar zu Leistungsträgern.< In der Liga erreichte man in diesem Jahr Rang vier, in der Europa League das Halbfinale. Déjà vu am Rande: Der Gegner im Sechzehntelfinale heißt dabei SSC Neapel, der im Achtelfinale Bayer Leverkusen. Im Halbfinale ist dann gegen den späteren Sieger FC Porto Endstation.

Kurzzeitig auf Tauchstation

Dieses Mal folgt jedoch keine erfolgreiche Champions League Saison mit ordentlichem Liga -Abschneiden, sondern die schwärzeste Saison der jüngeren Vereinsgeschichte. Dabei wird das Team im Sommer großteils zusammengehalten, lediglich der alternde Capdevila sowie Santi Cazorla werden abgegeben.

Letzterer wechselt zum kurzreichen Malaga CF, spielt dabei einige Millionen ein und soll durch den Niederländer Jonathan de Guzmán ersetzt werden. Eine Rechnung, die nicht aufgeht. Viel schwerer wiegt jedoch die Personalsituation im Sturm.

Giuseppe Rossi zieht sich am zehnten Spieltag beim Spiel in Madrid einen Kreuzbandriss zu und beginnt damit seine lange Leidensgeschichte. Während der Italiener den Rest der Saison ausfällt, plagt sich auch sein brasilianischer Sturmpartner Nilmar das ganze Jahr mit Verletzungen.

Konsequenz: Nach 50 Toren der beiden in allen Wettbewerben in der Vorsaison stehen in dieser gerade noch neun zu Buche.


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In Folge scheidet man in der Champions League punktlos schon in der Gruppe aus, in der Liga steht am Ende der Saison Platz 18 und der nicht für möglich gehaltene Abstieg.

Noch vor dem letzten Spieltag sieht es nicht danach aus, für die Submarinos würde schon ein Punkt gegen Atlético zum sicheren Klassenerhalt reichen. Doch die Konkurrenten Rayo und Zaragoza gewinnen und Atléticos Falcao köpft Villarreal in der 88. Minute in Liga zwei.

Ein Abstieg, der nicht eingeplant war in der Erfolgsgeschichte Villarreal.

Doch die Trauer währt nicht lange. Einige der Top-Stars verlassen selbstverständlich den Verein, doch es sind die jungen Spieler und die Eigengewächse, die dem Club in dieser Situation die Treue halten.

Mario Gaspar, Matteo Musacchio und Bruno Soriano, letzterer schon Nationalspieler und im Vorfeld der damaligen EM immerhin im erweiterten spanischen Kader, gehen mit dem Club in Liga zwei.

Diese drei bilden nicht nur das Grundgerüst für den darauf folgenden direkten Wiederaufstieg, sondern zählen auch danach und bis heute zu den wichtigsten Stützen im Team. Trotz des starken Kaders tut man sich in der Segunda lange Zeit schwer, im Winter übernimmt Marcelino Garcia Torál das Traineramt von Julio Velázquez.

Auch er hat Anlaufschwierigkeiten und kann das U-Boot erst mit einem starken Schlussspurt auf Platz zwei und damit zum direkten Aufstieg führen. Was dann folgt, ist jedoch erneut eine Entwicklung a la Villarreal.

Im Jahr nach dem Wiederaufstieg qualifiziert man sich sofort wieder für die Europa League, Platz sechs wird erreicht und im darauffolgenden Jahr verteidigt.

In der aktuellen Saison nun hat man erneut ein Team zusammen, dass beste Chancen auf Rang vier und eine Qualifikation für die Champions League hat. Ein Team, das erneut als eines der Dreamteams des Clubs betrachtet werden könnte.

Eine Stadt in Gelb

Heute ist der Villarreal Club de Fútbol der spanische Club mit den prozentuell gesehen meisten Dauerkarten pro Einwohner seiner Heimatstadt aller Zeiten. Ca. 33 % sind dazu nötig.

Ok, diesen Rekord wird man weder angestrebt haben, noch ist er sonderlich aussagekräftig. Aber er verdeutlicht die Euphorie, die dieser Club auslösen kann.

Man hat keine Millionenstadt im Rücken wie das rivalisierende Valencia, die Anhängerschaft rekrutiert sich aus dem benachbarten Castellón, den umliegenden Gemeinden und einem Städtchen, das so fußballverrückt ist, dass der Stadionvorplatz die Plaza Mayor als Mittelpunkt des öffentlichen Lebens quasi abgelöst hat.

Stehen gar Europapokalspiele an, herrscht Ausnahmezustand und die Straßen sind teils komplett in Gelb getaucht. Die einfarbige Farbgebung ist dabei ein Erkennungszeichen, das ebenso erst unter Roig eingeführt wurde.

Die gelben Trikots gehen zwar auf die vierziger Jahre zurück und entstanden wie viele prägende Vereinsfarben wohl eher aus einem Zwang, beziehungsweise einem Mangel an Auswahl von Sportdressen. Die Entscheidung, komplett in Gelb aufzulaufen, fiel allerdings erst 2005 und soll als Alleinstellungsmerkmal dienen.

Zuvor lief man zwar mit blauen Hosen auf, doch die gelben Trikots waren schon damals etwas Besonderes. Die Farbwahl brachte dem Team in den Sechzigern auch den Spitznamen Submarino Amarillo, Gelbes U-Boot, ein.

Damals wurde der Aufstieg in die Tercera División (zu diesem Zeitpunkt noch wirklich die dritte spanische Liga) mit einer Version des bekannten Beatles-Stückes gefeiert.

Seither hat sich vieles verändert und der Club ist zu einer bedeutenden Institution im europäischen Fußball geworden, einiges mutet allerdings immer noch beschaulich an. Gerade das Madrigal, inmitten der engen Straßen der Stadt, bietet einige bemerkenswerte familiär wirkende Ecken.

Der Eingang zu den Umkleidekabinen geht auf die Straße, direkt gegenüber beliebter Fankneipen, von wo aus die Spieler bejubelt werden, schon wenn sie das Stadion betreten. Die Straße muss dazu vorübergehend gesperrt werden, um dem Mannschaftsbus und den umstehenden Fans Platz zu schaffen.

Auch ansonsten fühlt man sich außerhalb des Stadions eher an einen bescheidenen Zweitligaclub erinnert als an einen Europapokalteilnehmer, ein bemerkenswerter Kontrast zu der Professionalität, mit der der Verein seit Jahren geführt wird. Villarreal CF bleibt ist und bleibt ein Erfolgsmodell.

Der Einstieg von Roig hat die dafür notwendigen Investitionen um die Jahrtausendwende sicherlich erst möglich gemacht, doch seither wurde gut gewirtschaftet und vor allem gescoutet sowie ausgebildet, so dass man immer wieder ein schlagkräftiges Team auf die Beine stellen und weitere Investitionen vielfach durch Spielerverkäufe decken konnte.

Es ist immer noch erst die 16. Saison in der Erstligageschichte von Villarreal. Doch davon, dass noch einige weitere hinzukommen, kann ausgegangen werden.

Thomas Moch
Seit 2014 bei Cavanis Friseur. Schreibt über den spanischen Fußball. Weil er Spanien mag. Und Fußball. Und erst recht spanischen Fußball.

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3 comments

  1. […] Francesco Totti, Steven Gerrard, zwei Namen dürften ausreichen, schon ist klar, wovon die Rede ist. Der Status einer „Vereinslegende“  ist ein Titel, den man bei aller Klasse schwerlich erreichen kann, wenn man alle zwei Jahre den Verein wechselt. Spieler, die mit diesem bedacht werden, bleiben in der Regel lange Jahre bei ihrem Club, halten diesem auch in schwierigen Zeiten die Treue und prägen ihn in ihrer Zeit fußballerisch und teilweise auch menschlich. Viele Vereine haben solch bedeutende Spieler ihrer Vereinsgeschichte in oder um ihr Stadion verewigt, für gewöhnlich, indem einzelne Orte, Bereiche oder gar das ganze Stadion nach ihnen benannt wurden, wobei letzteres in Spaniern eher ehemaligen Präsidenten vorbehalten ist. (Tatsächlich sind vier der größten spanischen Stadien nach Ex-Präsidenten benannt: Bernabéu und Calderón in Madrid, Sánchez Pizjuán und Villamarín in Sevilla). Als Spieler startet man da eine Nummer kleiner, auch in Villarreal, dem Club, mit dem wir uns dieses Halbjahr etwas intensiver beschäftigen. […]

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