Aufbruchsstimmung in Barcelona. Nachdem der bei den Culés unbeliebte Ernesto Valverde entlassen wurde, rechneten die meisten damit, dass Vereinslegende Xavi das Traineramt übernimmt. Dieser machte jedoch einen Rückzug und damit die Bahn frei für… Quique Setién.
Eine Verpflichtung, mit der die meisten Barça-Fans zufrieden sein konnten: Setién war dafür bekannt, großer Fan von Barcelonas Spielphilosophie zu sein und hatte diese bei seinen vorherigen Stationen implementiert.
Sergio Busquets schenkte ihm nach einem Spiel gegen das damals von Setién gecoachte Betis Sevilla sogar ein signiertes Trikot.
Der Sechser schrieb, dass er große Bewunderung für die Fußballphilosophie des 61-jährigen Trainers hege. Nun ist Setién seit knapp einem Monat der Trainer von Busquets. Was hat sich seitdem strategisch und taktisch geändert?
Wie bitte, Formationen sind austauschbar?
19. Januar bis 30. Januar
Setién machte das Unfassbare – er stellte das System um. Statt des bekannten 4-3-3 ließ der neue Trainer in den ersten drei Spielen ein 3-1-4-2 spielen.
Bahnbrechend war das ganze nicht: Sergi Roberto ließ sich in Ballbesitz mit Piqué und Umtiti in eine Dreierkette fallen, während sein Pendant Jordi Alba auf der anderen Seite höher schob.
Eine Asymmetrie! Das gab es vorher nur gegen den Ball, wenn Messi nach einem Ballverlust wieder stehen geblieben war.
Zusätzlich bildeten Griezmann und besagter Messi eine flexible Doppelspitze. Griezmanns Grundposition war halblinks, Messis Grundposition halbrechts – durchaus dem Bewegungsspiel der Beiden entsprechend.
Youngstar Ansu-Fati gab rechts die Breite, die Achter-Positionen wurden in der Zeit wechselnd von de Jong, Rakitic, Vidal, Arthur und sogar Riqui Puig besetzt.
Den Achtern gab Setién in jedem Spiel spezielle Rollen, die mal mehr und mal weniger sinnvoll waren: Gegen Granadas mannorientiertes 4-4-2 lief der ballnahe Achter gerade auf den ballführenden Halbverteidiger zu, um schließlich mit einem Kontakt auf den so befreiten Busquets klatschen zu lassen.
Ein unkonventionelles Mittel, was Busquets zu insgesamt 179 Ballkontakten verhalf.
Gegen Valencia hingegen kippte Frenkie de Jong im zweiten Drittel nach rechts ab und gab dort Breite. Was die Idee dahinter war, weiß ich nicht und kann es mir auch bis heute nicht erklären.
De Jong selbst war außen isoliert und verlor viele Bälle. Außerdem zog er so seinen Gegenspieler mit nach rechts, was die Dribblings für Ansu-Fati erschwerte.
Unabhängig vom Gegner blieben die Achter sehr tief und eng beieinander. Das ermöglichte eine saubere Ballzirkulation im ersten und zweiten Drittel sowie eine gute Staffelung für das Gegenpressing.
Für Barças Durchschlagskraft war die tiefe Position der Achter jedoch problematisch: Rakitic und Co. blieben so tief, dass Barcelona im letzten Drittel kaum Präsenz hatte.
So gelang es Barça in keinem der drei Spiele im 3-1-4-2, viele hochkarätige Torchancen zu kreieren; selbes Problem wie unter Valverde, nur andere Formation.
Es ist nicht alles Gold, was neu ist
Gegen den Ball spielte Barça ein 4-4-2. Die beiden Achter nahmen stets Mannorientierungen auf die gegnerischen Mittelfeldspieler auf, während sich Ansu-Fati ins Mittelfeld fallen ließ.
Jordi Alba kehrte zurück auf seine Linksverteidigerposition und Messi und Griezmann sollten vorne als Doppelspitze pressen.
Nachdem Messis Inaktivität gegen Granada nicht ins Gewicht fiel, war dann gegen das stärkere Valencia auffällig, wie schwer sich Barça gegen geordneten Ballbesitz Valencias tat.
Griezmann lief konstant wie ein Stürmer einer Doppelspitze an, während Messi nichts tat. Das sah nicht nur schlecht aus, es war auch schlecht. Am Ende setzte es gegen Valencia dann die verdiente 2:0 Niederlage.
Barça gelang es nicht, gegen die in den Pressingphasen wechselnden Fledermäuse zu Torchancen zu kommen.
Gegen das hohe Angriffspressing mussten die Innenverteidiger oft lang schlagen, gegen das Abwehrpressing mangelte es Barça wieder an Präsenz im letzten Drittel. Erst nach der Einwechslung Vidals, der deutlich höher schob als Arthur, wurden die Katalanen druckvoller.
Die Handschrift Setiéns ließ sich jedoch in den ersten Spielen im 3-1-4-2 erkennen – und das nicht nur wegen der für ihn typischen Dreierkette: Viel Ballbesitz im ersten und zweiten Drittel, den Gegner hinten einschnüren und der Versuch, kontrolliert zu Torchancen zu kommen.
Was unter Valverde noch als inspirationslos und langweilig abgetan worden wäre, wurde in den ersten Spielen Setiéns jedoch als Rückkehr zum Barça-Fußball gefeiert. Naja.
Außerdem warf das Spiel gegen den Ball doch einige Fragezeichen auf. Setién war bekannt dafür, darauf keinen großen Wert zu legen.
Doch in jedem der drei Spiele im 3-1-4-2 den Achtern die selbe mannorientierte Rolle zu geben und das Pressing im 4-4-2 gegen Valencia nicht umzustellen, wirkte nachlässig.
Same formation, just a different coach
30. Januar bis 6. Februar
Im Spiel gegen Leganés wartete der neue Trainer dann mit einer Überraschung auf: Nelson Semedo statt Sergi Roberto war nicht nur eine nominelle Änderung, sondern trug ebenfalls zu einem Formationswechsel bei: zurück ins 4-3-3, zurück in die Vergangenheit.
Ansu-Fati blieb links breit und sollte sich von dort in Dribblings stürzen. Messi war der nominell rechte Flügel und blieb ebenfalls erstaunlich oft breit am Flügel. Jordi Alba und Nelson Semedo positionierten sich daher im Halbraum, um den beiden Dribblern vor sich Platz zu verschaffen.
Außerdem schoben die beiden Achter in Ballbesitz ab der ersten Minute höher, was mehr Vertikalität ermöglichte.
Gegen das enge 5-3-2 Pressing Levantes zeigten sich die vielversprechendsten Momente, wenn Jordi Alba oder Semedo rechts die Abwehrreihe überliefen und den Ball in die Tiefe gespielt bekamen. Auf diese Art und Weise erzielte Griezmann bereits nach 4 Minuten das 1:0.
Danach verkam das Spiel zu einer Machtdemonstration Barças gegen – ein zugegeben extrem schwaches – Leganés, was trotzdem zu einigen Torchancen kam.
Die Katalanen spielten gegen den Ball ebenfalls ein 4-3-3, bei dem die Achter – Überraschung – Mannorientierungen aufnahmen. Wenn diese temporär aufgelöst waren, konnte Barça keinen Zugriff herstellen.
Leganés konnte aus einigen vielversprechenden Szenen schließlich kein Kapital schlagen, da der Abschluss verfrüht und überhastet gesucht wurde.
Bei Barça wusste jedoch die flexible Besetzung der Tiefe mit Vidal, de Jong, Messi, Griezmann und Ansu-Fati zu gefallen. Das Aufrücken der Außenverteidiger verlieh dem Angriffsspiel ebenfalls neue Dimensionen.
Messi zeigte sich in unglaublicher Spiellaune und gab den Culés Hoffnung. Vielleicht ist der Schlüssel zu den Titeln doch das 4-3-3?
Gegen Levante setzte der Trainer gleich nochmal auf das 4-3-3 – mit Erfolg. Ansu-Fati blühte auf dem linken Flügel auf und erzielte nach zwei Vorlagen von Messi den schnellen Doppelpack.
Angepasste Spielerrollen > angepasste Formation
Barça zeigte gegen das 4-4-2 Levantes zwei Variationen in Ballbesitz: So kippte Busquets oft zwischen die Innenverteidiger ab und stellte die heiß geliebte Dreierkette her.
Daraufhin schoben Rakitic oder de Jong in den Sechserraum. Der andere Achter schob hingegen hoch und erhöhte die Präsenz im letzten Drittel.
War das Pressing überspielt, demonstrierten die Katalanen noch eine weitere Umformung: Griezmann bewegte sich aus dem ballfernen Halbraum dem ballführenden Sechser entgegen und wurde dabei stets mannorientiert vom Innenverteidiger verfolgt.
Somit entstanden Lücken auf der ballfernen Seite in der Viererkette Levantes. In diese Lücken sprintete dann der ballferne Achter Barças (meistens de Jong, der ist schneller als Rakitic).
Eine gute und sinnvolle Variante des Trainerteams und ein Beispiel dafür, wie sich weiträumige Mannorientierungen bespielen lassen.
6. Februar: Copa del Rey Viertelfinale gegen Athletic Bilbao
Wie schnell sich die Stimmung ändern kann, zeigte dann das Spiel am Donnerstag gegen das unangenehme Athletic Bilbao. Ja, Barça ist mit einer 0:1 Niederlage im Estadio San Mamés aus der Copa del Rey ausgeschieden: Enttäuschend für den spanischen Meister.
Dabei sollte jedoch nicht zu kurz geraten, dass die Katalanen ihren besten Auftritt in der jungen Setién-Ära ablieferten – und das mit Sergi Roberto als rechtem Flügel.
Setién wählte wieder die 4-3-3 Formation und schonte Antoine Griezmann, der erst in der 57. Minute für Ansu-Fati eingewechselt wurde.
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Im Mittelfeld schenkte er abermals Rakitic und de Jong das Vertrauen. Der Niederländer schob in Ballbesitz deutlich höher als sein kroatischer Kollege und gab die dringend benötigte Tiefe.
Barça hatte zwar das gesamte Spiel Probleme, das extrem mannorientierte Pressing Bilbaos sauber zu überspielen; wenn das Pressing jedoch überspielt war, kamen sie zu einigen hochkarätigen Torchancen.
Außerdem zeigte sich die Katalanen gegen den Ball ungewohnt stark: Die meisten Angriffe der Basken wurden bereits im Keim erstickt, die Mannorientierungen von de Jong und Rakitic zahlten sich aus.
Bilbao kam ausschließlich nach (ungewohnt vielen) Fehlpässen ter Stegens zu Torabschlüssen.
Schließlich war es eben die Verwertung dieser Torchancen, die die Katalanen daran hinderte, ins Halbfinale einzuziehen. Während Messi, Ansu-Fati und schließlich Griezmann munter Großchancen vergaben, erzielte Bilbao mit ihrem ersten Schuss aufs Tor direkt den Siegtreffer – in der 93. Minute.
Kein einfacher Job
Dabei sollte bei allem Ärger über die Niederlage nicht vergessen werden, dass Setién einen extrem schwierigen Job hat.
Der Kader ist durch Verletzungen und die schwache Transferpolitik so ausgedünnt, dass auf den beiden Flügelpositionen ein nomineller Rechtsverteidiger und ein 17-jähriges (wohlgemerkt großes) Talent zum Einsatz kommen mussten.
Außerdem hatte Barça seit Setiéns Amtsantritt ausschließlich englische Wochen. Da bleibt für den Trainer schlichtweg kaum Zeit, grundlegend das System zu ändern. Zusätzlich sind einige der Spieler müde, da aufgrund der Kaderstruktur kaum rotiert werden konnte.
In jedem Fall ist es Setién gelungen, dem FC Barcelona frischen Wind einzuhauchen.
Nicht nur die Fans können sich mit dem alten neuen Fußball mehr identifizieren, auch einige der Spieler, z.B. Frenkie de Jong und Sergio Busquets, bekommen langsam Auftrieb.
Die Anpassungen des Trainerteams in den letzten Spielen erschienen ebenfalls durchgehend sinnvoll.
Vielleicht beinhaltet das Ausscheiden aus der Copa del Rey langfristig sogar etwas Gutes, da es den Spielern Zeit zur Regeneration gibt und dem Trainer die benötigte Zeit, um seine Philosophie zu implementieren.
Zumindest der Meistertitel erscheint nicht unrealistisch und könnte aus einer verkorksten Saison eine „Übergangssaison“ machen.