Victor Wanyama wechselte im Sommer 2016 für läppische 14,4 Millionen Euro von Southampton zu Tottenham. An der White Hart Lane wurde der Kenianer schnell zum Stammspieler und nimmt nun neben Moussa Dembele die Rolle des Sechsers ein. Wir werfen einen Blick auf den Werdegang des Mittelfeldspielers.
Bis die Zehen bluten
1991 in Nairobi, der Hauptstadt Kenias, wurde Victor als jüngerer Bruder von Ex-Inter-Spieler McDonald Mariga in eine Sportlerfamilie geboren. Sein Vater war Nationalspieler und spielte in den 80ern beim Erstligisten AFC Leopards, doch selbst als Profispieler in der höchsten Liga Kenias verdiente man nicht viel Geld.
Die beiden Brüder wuchsen auf den Straßen Nairobis auf und spielten beim örtlichen Verein Fußball – mit selbstgebastelten Bällen aus Papier und Gummibändern. Die Reisen zu Auswärtsspielen wurden zu Fuß, barfuß, angetreten, oft eine Strecke von mehreren Kilometern. Sobald das Spiel vorbei war ging es wieder nach Hause – ebenfalls zu Fuß.
Und in Nairobi findet man kein gutes Pflaster vor. Die Kriminalität war hoch, oft mussten die beiden Brüder daher miterleben wie Leute ausgeraubt oder mit einem Messer attackiert wurden.
Im Alter von 12 Jahren gewann er bei einem Turnier schließlich sein erstes Paar Fußballschuhe, doch nach all den Jahren barfuß auf den Bolzplätzen, nach all den Jahren der Wunden durch den rauen Boden, war er die Schuhe nicht gewohnt und spielte anfangs ungern mit ihnen.
Im Alter von 15 Jahren probierte er es an verschiedenen Jugendakademien, hatte später einen kurzen Auftritt in der Jugend der Nairobi City Stars und schaffte es dank seinem Vater in die Jugend der AFC Leopards.
Schnell wurde jedoch klar, dass der junge Kenianer zu mehr berufen ist. Bereits im zarten Alter von 15 Jahren kam Victor Wanyama zu seinem ersten A-Länderspieleinsatz (!) als er in einem inoffizielen Testspiel gegen Nigeria zum Einsatz kam.
In der Zwischenzeit wechselte sein Bruder McDonald Mariga zu Helsingborg, wo dieser die Verantwortlichen dazu überredete seinen 16-jährigen Bruder zu verpflichten, wo er es schließlich in die zweite Mannschaft schaffte.
Doch wenig später wechselte McDonald Mariga nach Italien zu Parma und Victor Wanyama musste Schweden wieder verlassen, also ging er zurück in die Heimat zur JMJ Youth Academy, der Nationalakademie Kenias.
Rückkehr nach Europa und der erste Profivertrag
Im Sommer 2008, im Alter von 18 Jahren, unterschrieb er bei Germinal Beerschot in Belgien seinen ersten Profivertrag. Bereits im Oktober, nur wenige Monate nachdem er beim Verein unterschrieb, feierte er sein Debüt für Beerschot und spielte durch, was zugleich sein einziger Auftritt als Profi in dieser Saison bleiben sollte.
Erst in der darauffolgenden Saison gelang ihm als zentraler Mittelfeldspieler der Durchbruch.
Im Sommer 2010 lieferten sich Celtic und Spartak Moskau ein Kopf-an-Kopf-Duell, um den damals 19-Jährigen zu verpflichten, doch ein Abgang war für die Belgier kein Thema und so verlängerte man dessen Vertrag.
Eine gute Entscheidung der Belgier, denn Wanyama avancierte zum Leistungsträger. Am Ende der Saison 2011 zog es ihn schließlich doch noch zu Celtic Glasgow. Bereits vor seinem ersten Einsatz machte er sich bei den Celtic-Fans beliebt.
Der Kenianer nahm die Trikotnummer 67 in Ehren an die „Lisbon Lions“, die Celtic-Mannschaft, die 1967 den Europokal holte – eine Entscheidung, die nicht von irgendwo kam.
In seiner Kindheit besuchte er mit Freunden öfter das Kino, das immer wieder englische und schottische Spiele übertrug und er so großartigen Spielern wie Paul Scholes und Roy Keane auf die Beine schauen konnte – die schließlich zu seinen Vorbildern wurden.
Durch die Kinobesuche entdeckte er seine Liebe zum britischen Fußball und informierte sich vor seinem Transfer nach Schottland gut über die Geschichte der Celtics, der sofort vom Finalsieg von ’67 angetan war und sie sich zum Vorbild nahm. Aber auch auf dem Platz wusste Victor Wanyama zu begeistern.
Die defensivere Rolle des Sechsers kam dem kräftigen Kenianer sehr entgegen. Bereits im Dezember wurde er zum „Young Player of the Month“ ernannt und verhalf seiner Mannschaft mit seinen starken Leistungen zum Meistertitel.
Mit Celtic konnte er in der darauffolgenden Saison nicht nur den Meistertitel verteidigen, sondern gewann auch den schottischen Cup und wurde zum Young Player of the Season ernannt.
Verständlich, dass nach solchen Leistungen viele Vereine Interesse am damals 22-jährigen Mittelfeldspieler hatten. Erneut versuchte es Spartak Moskau und erneut scheiterten die Russen – ihr Angebot über knapp zehn Millionen Euro wurde abgelehnt.
Stattdessen nahm Celtic das Angebot der Saints in Höhe von knapp 14,5 Millionen Euro an, womit er zum Rekordverkauf des schottischen Serienmeisters wurde – mit einem Reinerlös von 13,4 Millionen Euro.
The Beauty and the Beast
Bei Southampton hatte er mit Mauricio Pochettino einen großartigen Trainer, der zudem als großer Fan Victor Wanyama galt.
Durch seinen Körpereinsatz, seinen bulligen Körperbau und seine Leidenschaft taufte ihn der Argentinier „the Beast“. Zusammen mit Morgan Schneiderlin bildete er eine starke Doppelsechs, mit dem er oft die Rollen tauschte, jedoch Großteils den defensiveren Part innehatte.
Bei den Saints agierte er situativ mannorientiert und probierte bei gegnerischerem Ballbesitz den Gegner durch Anlaufen in Bedrängung zu bringen, während sich seine Kollegen in den Deckungsschatten der Anspielpositionen stellten und somit den Pass des unter Druck gestellten Spielers abzufangen versuchten.
Victor Wanyama gewann viele Bälle im zweiten Drittel. Nach einem Passspiel folgte meist eine schlaue Bewegung nach hinten, um sofort die aufgerissenen Zonen selbst wieder zu besetzen.
Nach dem Abgang von Pochettino und Mittelfeldkollegen Schneiderlin übernahm Ronald Koeman das Ufer und machte neben dem Holländer Jordy Clasie unter anderem auch Oriol Romeu oder vereinzelt James Ward-Prowse zu seinem Nebenspieler.
Hin und wieder spielten die Saints mit drei zentralen Mittelfeldspielern, wodurch Wanyamas weiträumige und teils wilde Natur durch einen zusätzlichen Spieler abgesichert wurde.
Vorigen Sommer folgte sein Wechsel an die White Hart Lane und wurde so mit seinem ehemaligen Förderer Mauricio Pochettino wieder vereint. Bei den Spurs kam Wanyama in verschiedensten Spielsystemen zum Einsatz.
3-4-2-1, 4-2-2-2, 3-5-2, 4-1-4-1, … das einzige was sich jedoch (fast) nie änderte war seine Mittelfeldkollege: der Belgier Moussa Dembele, mit dem er bei den Spurs die Doppelsechs bildet.
Wanyama bewegt sich vor allem horizontal und kippt gerne in den linken Halbraum ab. Mit seiner Größe von 1,88m, seiner Physis und seiner Kopfballstärke ist er unglaublich gefährlich bei Flanken und gewinnt viele Luft- und Laufduelle.
Defensiv weiß er seinen Körper schlau einzusetzen, auch wenn er dabei oft etwas zu forsch ist (In den letzten Jahren war er stets unter den Spielern mit den meisten Fouls; in der laufenden Saison hat er die zweitmeisten Fouls der Premier League begangen). Technisch ist er etwas unsauber und behäbig, macht jedoch viel mit seiner Physis wett.
Er nutzt mit seinem Antritt den Umschaltmoment, gefolgt von Pässen in die Schnittstellen der gegnerischen Verteidigung. Der Kenianer verfügt über eine enorme Passgenauigkeit (mit 88% der drittgenaueste Passgeber der Spurs) und über taktisches Feingefühl, wenn es ihm auch zugleich an Kreativität mangelt.
Mit Dembele als Verbindungsgeber hat er den idealen Partner an seiner Seite. Wanyama hat in der laufenden Saison die viertmeisten Ballgewinne in der Liga und weiß sich auch defensiv fast immer im 1-gegen-1 gegen seinen Gegner durchzusetzen.
Durch diese defensive Dominanz und Stabilität bringt er Ruhe ins Spiel und gibt seinen Vordermännern die nötigen Freiheiten um sich auf die Offensive zu konzentrieren und aufzublühen.
Victor Wanyama kombiniert Kampfgeist, Leidenschaft, Einsatz und robustes Spiel, das bei Engländern sehr beliebt ist, sowie Spielverständnis und intelligentes, pressingresistentes Spiel für Taktikliebhaber.
Er ist ein interessanter, facettenreicher Spieler, ein bodenständiger Mensch und erreichte all seine Ziele im Leben durch Schweiß und harte Arbeit.
Zusammen mit seinen Anlagen ist er damit ein idealer Spieler für die Spurs und kann unter Mauricio Pochettino noch besser werden. Doch egal wieviel er noch erreicht, in seiner Heimat ist er bereits ein Star.