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Der schwarze Peter – Marseilles Präsident Pape Diouf

Im vergangenen März war mal wieder in ganz Frankreich Wahlstimmung angesagt, in sämtlichen Städten des Landes waren Bürgermeisterwahlen das herrschende Thema. In Marseille erwartete man ein langersehntes Duell zwischen dem alteingesessenen Bürgermeister Gaudin, Kandidat der Konservativen, und dem Kandidat einer zerrissenen sozialistischen Partei.

Natürlich verlief diese Wahl bei weitem nicht so einfach: es gesellten sich mächtige Störenfriede zur Debatte, von links die Altkommunisten der Front de Gauche, von rechts die ausländerfeindliche Front National.

Doch die echte Überraschung kam in letzter Minute (d.h. zwei Monaten vor den Wahlen): eine unabhängige Liste, geführt von einem Mann namens Pape Diouf. Für außenstehende Politikanalysten ein recht unbekannter Kandidat, aber für die Marseiller Bevölkerung und die Fußballfans ein Name mit einem gewissen Klang.

 

Habemus Diouf

Pape Diouf ist ein Vertreter der ersten Einwanderergeneration aus Senegal. Mit 18 Jahren kam er nach Marseille, ursprünglich um in der französischen Armee zu dienen, als Sohn eines treuen Soldaten der Kolonialtruppen des General De Gaulle.

Entgegen dem väterlichen Willen beendete Diouf kurzfristig seine Karriere beim Militär (nach einem Tag) und versuchte sich an mehreren Gelegenheitsjobs, um seine Studien ohne elterlichen Beistand zu finanzieren.

Nach einem gelungenen Studium der Politikwissenschaften wurde Diouf Sportreporter bei La Marseillaise, einer linksgerichteten Lokalzeitung. So fing die Karriere von Pape Diouf im Fußballbetrieb an.

Nach einem missglückten Versuch eine zweite Sportzeitung im Lande zu etablieren (neben dem ewigen Verkaufsrenner L’Equipe), verließ Pape Diouf die Wiege des Journalismus und nutzte seine zahlreiche Kontakte zu Profi-Spielern, um Organisator von Charity und Ehrenspiele zu werden.

Er organisierte Abschiedsspiele für mehrere Größen des schwarzafrikanischen Fußballs, unter anderem den Kameruner Roger Milla (Star der 90er WM) oder auch Benfica-Legende Eusebio.


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Als Freund und Vertrauter zahlreicher Spieler war es dann nicht mehr weit, bis Diouf aktiv in ihre Karriere eingriff und in den späten 80ern Spieleragent wurde. Als in den 90ern, nach dem Bosman-Urteil, das Transfergeschäft zu blühen anfing, war er der einzige schwarze Spieleragent auf dem Markt.

Für damalige Verhältnisse war es ein wichtiger Punkt, denn seine erste „Kunden“ waren Schwarzafrikaner, mit denen er ein Einwandererschicksal teilte. Zur Spieler/Agent-Beziehung gehört eben ein großes Maß Vertrauen und er konnte wie kein anderer nachvollziehen, was diese Spieler durchgelebt hatten.

Zu den ersten Spielern, die er betreute, gehörten Basile Boli und Marcel Desailly. Zwei wuchtige Innenverteidiger, die mit Marseille 1993 die Champions League gewannen und dann in die weite Welt zogen: Desailly vor allem absolvierte eine lange internationale Karriere, in Italien und in England, und wurde 1998 durch einen Weltmeistertitel gekrönt.

Diouf betreute auch den Kameruner Joseph-Antoine Bell, eine Torwartlegende der 80er und 90er, der auch für Marseille spielte und sich danach in Saint-Etienne niederließ.

Sein Portfolio wuchs schnell und begrenzte sich nicht auf Spieler mit afrikanischem Ursprung. Zum Kreis seiner Schützlinge gehörten Spieler wie der französische Nationaltorwart Bernard Lama, der Verteidiger William Gallas, der Stürmer Didier Drogba, oder auch Samir Nasri, als er noch Nachwuchsspieler bei OM war.

Anfang der 2000er Jahre galt Diouf als einer der einflussreichsten Spieleragenten auf dem französischen Markt und sein Geschäft hätte auch weiter wachsen können, wenn er nicht selbst beschlossen hätte aufzuhören. Diouf traf 2004 eine wichtige und bei weitem nicht selbstverständliche Entscheidung: er wurde zum Präsident von Olympique de Marseille.

 

Das Mandat

Vereinspräsident zu sein ist wahrscheinlich der absolute Traum eines jeden Fans. Wenn man sich aber genauer das Alltagsgeschäft der heutigen Profivereine anschaut, kann man schnell erkennen, dass so ein Job nichts für schwache Nerven ist, vor allem nicht bei OM.

Seit 1996 ist OM im Besitz von Robert-Louis Dreyfus, der damals auch der Besitzer von Adidas war. Die Louis-Dreyfus-Gruppe ist eine sehr alte französische Firma, die hauptsächlich mit dem Handel von Rohstoffen ihr Geld verdient.

Die Investitionen im Sportgeschäft waren also ein kurzer Abstecher aus dem Kernbereich der Gruppe; Adidas wurde relativ schnell wieder verkauft, doch Robert-Louis Dreyfus blieb OM bis zu seinem Tod treu.

Da er aber mit der Leitung seiner eigenen Firma schon mehr als beschäftigt war, fungierte er nur als Hauptaktionär von OM und ernannte Vereinspräsidenten, um das Management des Klubs zu übernehmen.

Von 1996 bis 2004 gab es unzählige davon, keiner hielt es auf die Länge durch: mal waren die sportlichen Ergebnisse ungenügend, mal waren die Spieler mürrisch, die Trainer unfähig oder es haperte an der Beziehung mit den allmächtigen Fangruppen des Klubs.

Für OM-Fans ist diese Zeitspanne keine schöne Erinnerung. Die meisten erwarteten, dass der Klub wieder an die Spitze sturmen würde, so wie es vor 1994 gewesen war.

Tatsächlich aber glichen die Ergebnisse einer Achterbahnfahrt, mal Top, mal Flop; 1999 entging OM knapp die Meisterschaft und der UEFA Pokal, dagegen entging man 2000 und 2001 nur sehr knapp dem Abstieg. Die Trainer hatten dementsprechend eine sehr kurze Lebenserwartung: von 2000 bis 2002 wurden gleich neun Trainer verbraucht!

Das allein zeigt schon, wie planlos die Vereinsleitung war.

Als 2004 Pape Diouf zu OM kommt, wird er zuerst nur als Sportdirektor rekrutiert und muss sich gegen die anderen Mitglieder der Vereinsleitung behaupten. Solche Rivalitäten, die sich infolge der Nominierung von etlichen Aufsichtsräten, Vize-Direktoren, Managern usw. vereinsintern gebildet haben, sind quasi ein Bestandteil der Vereinskultur geworden.

Die distanzierte Beziehung von Robert-Louis Dreyfus gegenüber dem Fußballgeschehen hat er dadurch kompensiert, indem er ständig neue „Vertrauensleute“ kennenlernt und entsendet.

Am Anfang der Saison 2004/2005 hat Diouf endlich die Möglichkeit, die sportliche und administrative Führung zu vereinen, eine wahre Neuigkeit in der Louis-Dreyfus Ära. Und gleich geht es „erstaunlicherweise“ dem Verein viel besser.

Dabei war sein Amtseintritt eigentlich nicht einfach: mit einem guten Ensemble um Starstürmer Didier Drogba war OM 2004 ins Finale des UEFA-Cups eingezogen, hatte dafür aber den Ligawettbewerb an zweiter Stelle rücken lassen.

Eine Beteiligung am Intertoto-Cup im Sommer 2004 wäre möglich gewesen, aber der Verein winkte ab: zu viele Spiele in der Vorbereitungsphase. Das Team musste nämlich ein neues Gleichgewicht finden, weil Drogba diesen Sommer nach Chelsea ging: eine herzzerreißende Angelegenheit für die Fans und für Pape Diouf, denn nach seiner Hammersaison war Drogba zum ultimativen Publikumsliebling erkoren worden und es stand ihm eine blühende Zukunft vor.

Doch Diouf hatte sich vorgenommen, eine makellose wirtschaftliche Führung abzuliefern; nach Jahren sinnloser Ausgaben sollte OM nun endlich dem Hauptaktionär nichts mehr kosten.

Das Angebot von Chelsea für Drogba war mit 37,5 M€ das allerhöchste, was ein französischer Verein jemals bekommen hatte (wurde inzwischen nur vom Hazard-Transfer um ein paar Millionen überschritten). Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

So musste OM mit einem Team aus Namenlosen in diese erste Saison der Diouf-Ära starten. Namenlos ist relativ, denn man hatte immerhin zwei alternde Weltmeister im Kader (Torhüter Barthez und der ex-Bayer Lizarazu).

Zu dieser gibt es nicht viel zu sagen, OM endete fast planmäßig auf dem fünften Tabellenplatz und musste sich wieder mit dem Intertoto-Cup zufrieden geben. Diesmal aber war der Verein zuversichtlicher und es lohnte sich. Marseille gewann im Sommer 2005 den Intertoto-Cup: nach einem 0-2 im Hinspiel gegen La Coruña und einen 0-1 Rückstand drehte OM schließlich das Rückspiel und gewann 5-1.

Diese Trophäe, so glimpflich sie auch scheinen mag, war die einzige zu Lebzeiten von Robert Louis-Dreyfus, ein Mann, der in 15 Jahren 200 Millionen Euro für seinen Lieblingsverein verschleudert hatte.

Wie ein Symbol kam diese erste Trophäe nicht durch ein aufregendes Starensemble, das durch teure Transfers zusammengebastelt wurde, sondern durch ein Team, das nach und nach zusammengesetzt wurde und dem man Zeit gelassen hat.

Neue Talente stießen hervor: Franck Ribery gab 2005 sein Debüt, der junge Samir Nasri wurde langsam zur Stammkraft, Mamadou Niang wurde zur Nummer 1 im Sturm, die Defensive war mit Lorik Cana, Taye Taiwo oder Renato Civelli gut besetzt ; 2006 kam Mathieu Valbuena quasi aus dem Amateurfußball.

Das OM-Team, das sich über den Jahren 2005, 2006 und 2007 bildete, gab einen frischen Eindruck, ein junges Team das zusammenwächst. Pape Diouf hatte dem Verein endlich Stabilität vermittelt, sowie Zeit für die Jugend- und Förderungsarbeit.

Die Entdeckung solcher Spieler hat während des Diouf-Mandates für die wirtschaftliche Gesundheit des Vereins gesorgt: die teuren Ablösen von Drogba, später von Ribery (2007 – 26M€) und dann von Nasri (2008 – 17M€) haben die Bilanz des Vereins auf Dauer bereinigt.

 

Ende oder der Neuanfang bei Olympique Marseille

Kein Wunder, dass mit Diouf zum ersten Mal seit 10 Jahren endlich ein Vereinspräsident zum Publikumsliebling wurde. Obwohl die meisten Analysten von OM-Fans erwartet hätten, dass sie ungeduldig reagieren und eher eine verschwenderische Transferpolitik anfordern, unterstütze die Fanszene die Vorgehensweise von Diouf.

Sein Auftreten vermittelte ein anderes Image vom südfranzösischen Fußballmilieu: ruhige Stimme, klare Erklärungen, gehobener Stil (er ist bekannt für seine altmodischen Ausdrücke).

Ganz das Gegenteil von Schönredner Bernard Tapie, der in den Neunzigern den Klub zum Champions League Sieg führte. Weil er genau erklärte, was sich der Verein leisten kann oder nicht, hatten Fans Verständnis für seine Politik.

Diouf wusste sich auch durch besondere Gesten bei den Fans beliebt machen. Besonders treffend ist diese Anekdote: 2006, beim Auswärtsspiel in Paris, bekommen OM-Fans ein reduziertes Kartenkontingent, wegen strengeren Sicherheitsauflagen.

PSG verkauft jedoch seinen eigenen Fans den oberen, freigewordenen Auswärtsblock. In so einer Konfiguration war es aber in den Vorjahren zum Wurf von Gegenständen gekommen, die sogar einen Marseille-Fan lebensgefährlich verletzt hatten. Weil Diouf darauf besteht, dass der obere Teil frei bleibt, und PSG nicht nachlassen will, wird beschlossen, dass die Partie ohne Auswärtsfans gespielt wird.

Diouf meint daraufhin, aus Respekt zu den Fans, dass sein Team nicht ohne den Auswärtsblock spielt. Und prompt die Lösung: Diouf schickt das Reserveteam von OM (also junge fünftklassige Spieler) nach Paris.

Eine einmalige Situation im französischen Ligabetrieb (die Liga erließ übrigens kurz darauf eine neue Regel, damit dies nicht nochmal vorkommt). In einem erbitterten Spiel holte dieses Team übrigens ein 0-0, das in Marseille wie ein Sieg gefeiert wurde.

Gegenüber den Spielern kam Diouf auch gut an. Zum einen wusste er durch seine Erfahrung als Agent wie man mit Profispieler umgeht. Zum anderen zeigte er sich immer wieder als ein Mann mit Herz: als Marseille in Verhandlungen mit Liverpool stand, um den Stürmer Djibril Cissé zu holen, brach sich dieser während eines Länderspiels das Bein.

Trotz des monatelangen Ausfalls führte Diouf den Transfer durch, um Cissé nicht im Stich zu lassen und ihm sein Vertrauen zu zeigen. Wahrscheinlich hätten die meisten Manager eher 6 Monate auf das nächste Transferfenster gewartet, um der Genesung sicher zu sein.

Die Bilanz von Diouf war also auf mehreren Ebenen positiv. Aber ein Titel fehlte. 2006 und 2007 verlor OM im Finale der Coupe de France. Auf europäischer Ebene gelang es OM vier Jahre lang, ziemlich weit im UEFA-Cup zu kommen: zweimal bis ins Achtelfinale, einmal im Viertelfinale; dazu kamen zwei Champions League Teilnahmen.

Aber eben kein Finale. Und in der Meisterschaft musste man sich zweimal mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Aber das Gefühl war da, die Mannschaft verbesserte sich von Jahr zu Jahr. Dieses Gefühl täuschte nicht, denn tatsächlich wurde OM 2010 endlich wieder Meister. Doch diesen Triumph konnte Diouf nicht direkt miterleben, denn 2009 musste er sein Amt niederlegen.

Ihm wurde wahrscheinlich zum Verhängnis, dass eben der Klub so gut geführt wurde. Das allmähliche Aufstreben des Klubs zur alten Größe machte ihn wieder attraktiv und so tummelten sich wieder neue Gestalten um den Hauptaktionär. Einer von ihnen war Vincent Labrune, der heutige Vereinspräsident.

Als persönlicher Freund der Louis-Dreyfus Familie, ohne jeglichen Bezug zum Fußball (er ist eigentlich TV-Produzent), schaffte er es zuerst in den Aufsichtsrat, wo er die Ohren und Augen von Louis-Dreyfus war, der selbst zu schwer erkrankt war um selber für Ordnung zu sorgen.

Kurz bevor Louis-Dreyfus verstarb, im Sommer 2009, platzierte er Labrune als engen Vertrauten auf dem Königsstuhl, als Verwalter im Namen der Witwe Margarita Louis-Dreyfus. Diouf, der Labrune überhaupt nicht leiden konnte, musste gehen, trotz seiner Bilanz.

Labrune hat inzwischen gezeigt, dass der sportliche Erfolg nicht von alleine kommt, aber von alleine weggehen kann. Die Meistermannschaft von 2010 hatte Diouf quasi gebildet, das gibt auch Meistertrainer Didier Deschamps zu (er konnte allerdings mit Gabi Heinze und Lucho Gonzalez zwei Trumpfkarten hinzufügen, die Diouf sich nicht hätte leisten können).

Wie unfair also, dass Dioufs Lebenswerk von einem anderen vollendet wird. Diouf hat sich auch seit 2009 nicht mehr am Fußballbetrieb beteiligt und laut eigenen Aussagen hat er es auch nicht mehr vor.

Sein Engagement für Marseille geht jetzt sowieso über den Fußball hinaus. Seine erste Wahlkampagne bei den Kommunalwahlen endete mit einem bescheidenen Ergebnis: 6% der Stimmen. Aber, wie beim Fußball, scheint es ihn nicht zu stören, klein anzufangen und sich durchzuarbeiten.

Während seiner Zeit bei OM war er europaweit der einzige schwarze Vereinspräsident, in einer Fußballwelt, die jedoch immer mehr internationale Spieler anzieht. Auch in der Politik möchte Diouf nun die gläserne Decke durchbrechen, die Menschen mit Migrationshintergrund Entscheidungsposten vorenthält.

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