Neben Stars wie Jamie Vardy, Trent Alexander Arnold und Kevin de Bruyne steht bei der Wahl zum Spieler des Monats in England ein Shooting Star im Fokus. Emiliano Buendia im Porträt.
Obwohl er beim Tabellenletzten Norwich City spielt, hatte er einen großartigen Jahresausklang.
Aus dem rechten Mittelfeld kreierte der 23-jährige 29 Chancen für seine Mitspieler. Das gelang seit Beginn der Datenerhebung durch Opta keinem anderen Spieler. So verkörpert der Argentinier die offensive Spielweise „Farkelonas“, wie kaum ein Zweiter.
Norwich und Emi Buendia, das passt: „Ich lebe gerne hier. Es ist eine ruhige Stadt. Ich fühle mich wohl mit meiner Familie“, antwortet er auf Norwichs Youtube-Channel auf eine Fanfrage.
Eine Zuneigung, die von den Angängern seines Vereins bedingungslos erwidert wird.
So singen sie über das Offensivgenie ein Lied, das der als „große Ehre“ bezeichnet: „Emi Buendia, From Argentina, He came to City from sunny Spain, He’s 5 foot seven, He’s football heaven, Please don’t take my Emi away.“
Es erzählt gleichermaßen seinen Weg nach oben, wie es die große, aber wohl unausweichliche Angst der Fans ausdrückt, ihren Liebling zu verlieren.
10.000 Kilometer weg von Zuhause
In seiner Heimatstadt Mar del Plata, Argentiniens bekanntestem Badeort, spielt Emi Buendia in den ersten Jahren vor allem Futsal.
Er ist stets der kleinste Junge auf dem Platz, doch das technisch anspruchsvolle Spiel auf engem Raum kommt ihm entgegen.
Soweit, dass sogar der argentinische Nationalstürmer Juan Esnaider auf das agile Talent aufmerksam wird. Wie Buendia kommt er aus Mar del Plata. In Spanien hat er Karriere gemacht.
Trotz der körperlichen Schwächen des elfjährigen Hallenfußballers ist Esnaider begeistert und vermittelt ihm ein Angebot von Real Madrid. Der kleine Emi ist sofort Feuer und Flamme.
Trotz des Unbehagens seiner Familie ergreift er die Gelegenheit und geht alleine ins 10.000 Kilometer entfernte Madrid, um in der legendären Akademie „La Fabrica“ zum Star zu werden.
In einem Interview mit Journalisten aus seiner Heimat erinnert er sich: „Ich war ein bisschen irre. Ich dachte mehr an Fußball als an die Familie. Ich lebte eine unglaubliche Geschichte. Daran habe ich nie gezweifelt.“
Buendia wird endlich Profi
Eine Spur zu unglaublich: In Madrid kommt Buendia schnell an seine Grenzen. Auch hier ist er der kleinste Spieler, außerdem ist die Umstellung von der Halle auf den Rasen nicht leicht. Schnell scheint klar, dass der Argentinier sich bei Real nicht durchsetzen wird.
Viele würden jetzt nach Hause fliegen. Nicht so Buendia. Er will sich in Spanien durchbeißen und wechselt in die Jugend des Vorortklubs Getafe. Anders als in der Jugendfabrik der Königlichen gibt man ihm hier die Zeit, die er braucht, um sein Talent zu entfalten.
Schon mit 17 Jahren debütiert er bei den Getafenses. Trotzdem kommt seine Karriere nicht wirklich in Gang. Getafe feuert zahlreiche Trainer, lustigerweise unter anderem seinen Entdecker Juan Esnaider, und steigt ab.
Buendia wird dabei entweder falsch eingesetzt oder ist verletzt. Seinen Tiefpunkt erlebt er bei einem 0:6 gegen den FC Barcelona, als er als Rechtsverteidiger spielen muss und Neymar decken soll. Der Brasilianer erzielt zwei Tore.
Nachdem Emi Buendia auch in der zweiten Liga kaum eingesetzt wird, braucht er einen Neuanfang.
Von Leon in den Himmel
Während argentinische Altersgenossen wie Cristian Pavon zu Nationalspielern reifen, flüchtet Buendia in die spanische Provinz.
Eine Leihe zum Zweitligisten Cultural Leonesa soll ihn wieder in die Spur bringen. Hier setzt man auf ihn.
Endlich darf Buendia Woche für Woche offensiv spielen. Endlich bleibt er verletzungsfrei.
Am Ende ist er Culturals Spieler des Jahres – und spielt sich so in den Fokus der Norwich Scouts. Für Scout Kieran Scott ist es Liebe auf den ersten Blick: „Wir flogen hin, um ihn live zu sehen und er war ein sofortiges ‚Ja‘“, sagt er gegenüber Reuters.
Schließlich sichern sich die Canaries im Sommer 2018 für 1,5 Millionen Euro die Dienste des Argentiniers.
Ein Schnäppchen, dass selbst Scott überrascht: „Warum war ich der einzige Scout in Leon? Ich weiß es bis heute nicht.“
Insbesondere weil Leonesa eigentlich Leeds Uniteds Kooperationsverein ist.
Heute ist diese Frage so aktuell wie nie. Auf dem Weg in der Premier League war Buendia unverzichtbar.
Seine sieben Assists seit dem Aufstieg sind kein Zufall. Nach dem xA-Wert, der die Qualität der Pässe eines Spielers darstellt, ist er der drittgefährlichste Mann der Liga.
Buendia im Poträt: Analyse
Wenige Vorstöße der Canaries laufen nicht über den Argentinier. Wenn er nicht den entscheidenden Pass in die Box spielt, dann leitet er Norwichs Angriffe ein.
Buendia passt perfekt in Daniel Farkes ballbesitzorientiertes Spiel. Selbst als Tabellenletzter der Premier League hat Norwich mit 50,2% laut whoscored.com noch durchschnittlich leicht mehr Ballbesitz als seine Gegner.
Ohne Emi Buendia wäre das wohl undenkbar. Im 4-2-3-1 der Kanarienvögel wird er zwar auf der rechten Offensivposition aufgeboten, nimmt aber eine freie Rolle ein. Sein Aktionsradius erstreckt sich auch in die Mitte oder sogar nach links.
Besonders auffällig ist, wie intelligent der Argentinier die Halbräume findet und besetzt. In Norwich macht er so gerne Platz für seinen Hintermann, den hochtalentierten Außenverteidiger Max Aarons.
Der nutzt das, indem er in Buendias freien Raum stößt und sich in die Offensive einschaltet.
Dadurch, dass Buendia in die Halbräume driftet, gelingt es ihm immer wieder die Zentrale zu überladen. Er zieht Verteidiger aus ihrer Position und nutzt seine starke Technik, um direkt in die entstandenen Räume zu spielen oder mit einem schnellen Doppelpass auf den nun freien Mann selbst hineinzustoßen.
Der Spielmacher von rechts
Farke tut gut daran, dem Argentinier alle Freiheiten zu lassen. So kann er seine Stärken besonders effektiv einsetzen. Buendia taucht überall auf, seine ständigen Positionswechsel sorgen für Verwirrung beim Gegner.
Er verbindet mehrere Attribute, die ihn unberechenbar machen. Seine starke Vororientierung erlaubt es ihm sich entweder direkt in mit der Ballannahme in den offenen Raum aufzudrehen, oder die Kugel sofort – gerne mit der Hacke – zu einem freien Nebenmann weiterzuleiten.
Die hervorragende Übersicht macht Buendia pressingresistent.
Chancen legt der 23-Jährige, wie zum Beispiel bei Pukkis Tor gegen Liverpool, mit Steckpässen in die Box, aber auch mit punktgenauen langen Bällen in die Spitze vor.
Ein besonderer Spieler
Doch er hat noch eine weitere Dimension. Buendia läuft stark an und arbeitet gut gegen den Ball. Farkes dominanter Fußball verlangt von seinen Offensivkräften schnelle Ballgewinne in hohen Zonen.
Buendias Spielverständnis erlaubt es ihm Räume zuzustellen und Passwege abzuschneiden. Im Schnitt gelingt es ihm dieses Jahr ca. einen gegnerischen Pass pro Spiel abzufangen.
Trotz seiner geringen Körpergröße scheut Emi Buendia keinen Zweikampf. Der Argentinier geht gern ins Tackling und versucht immer wieder dem Gegner den Ball direkt abzuluchsen.
Im Spiel gegen Manchester City führt das sogar zu einer Torvorlage, als Buendia den Ball am gegnerischen 16er gewinnt und klug auf Pukki querlegt.
Ein Assist, der seiner Mannschaft hilft, das erste Team zu werden, dem es in neun Monaten gelingt Manchester City in der Liga zu schlagen.
Nach dem Match adelt bei Sky sogar der große Alan Shearer seine Leistung: „Buendia machte alles gegen den amtierenden Meister. Er hatte zwei Assists und war einfach überall.“
Wie geht’s weiter?
Spätestens seit seinem überragenden Dezember ist klar, dass Buendia nicht mehr lange für Norwich spielen wird.
In seiner ersten Saison, in der er konstant in einer ersten Liga spielen darf, ist das Spiel des Argentiniers quasi frei von Schwächen.
Zwar lässt sein erstes Tor noch auf sich warten, trotzdem ist er an jedem dritten Norwich-Treffer direkt beteiligt.
Sein Paket aus toller Technik und intelligenter Arbeit gegen den Ball ruft breites Interesse auf den Plan. Sogar Liverpool soll an einem Kauf des Argentiniers interessiert sein.
Bei seiner Entscheidung sollte Buendia sich aber an seine Karriere erinnern. Der Schritt zu einem Topverein wie Liverpool wäre vergleichbar mit seinem Wechsel in Reals Jugend.
Am besten läuft es für Buendia bisher immer, wenn er das volle Vertrauen genießt. So war es in Leon und so ist es in Norwich.
Sein nächster Verein sollte also bereit sein, dem Argentinier die gleichen Freiheiten einzuräumen, die er bei Farke genießt.
Wer das tut, darf sich auf einen der kreativsten Spieler in Europa freuen. Eben auf den „football heaven.“