Korsika – Fußball auf hoher See

Die kleine Insel mitten im Mittelmeer ist manch deutschem Urlauber als Reiseziel bekannt; anders als in den Balearen kann man dort keine Riesenhotels oder Ballermann-Ambiente erwarten. „Wildnis“ kommt da eher als Stichwort hervor. Und dementsprechend sind auch die Einwohner.

Den Vorurteilen nach gelten die Korsen als Typen der rauen Sorte. Die kulturelle Eigentümlichkeit der Insel wird nach wie vor gepflegt, gegenüber den italienischen Nachbarn und vor allem gegenüber dem französischen Staat, der seit Jahrhunderten seine Probleme damit hat, auf der Insel das Regelwerk des Kontinents zu etablieren.

Neben der politischen Arena ist Fußball im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Schauplatz des korsischen Partikularismus geworden.

 

Korsischer Fußball – eine Eigentümlichkeit an sich

Diese Insel ist fußballverrückt. Statistisch hat Korsika mehr Fußballer ausgebildet als alle anderen Regionen Frankreichs. 20 aktive Profispieler stammen von der Insel, das entspricht einem Ratio von 6,5 Spielern pro 100 000 Einwohner.

Solch eine Zahl findet man in keiner anderen französischen Region; selbst höchst „produktive“ Ortschaften, wie Paris und seine Vorstadt Seine-St.Denis, bringen es nur auf ein Ratio von 3,5 beziehungsweise 3,9 Spieler.

Wie genau kann man das erklären? Die Nähe zur italienischen Kultur hat sicher dazu beigetragen, dass hier Fußball so einen Kultstatus angenommen hat, mehr als irgendwo sonst in Frankreich, wo die Sportförderung eigentlich darauf drängt, dass dem Bürger so viele Sportarten wie möglich zu Verfügung stehen.


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Und anders als zum Beispiel Pelota im Baskenland gibt es keine eigene, volkstümliche Sportart, die als Identifikationsfaktor hätte dienen können.

Nur so kann man es erklären, dass die Insel tatsächlich heute vier Profivereine hat (SC Bastia in der ersten Liga, AC Ajaccio und Gazelec Ajaccio in der zweiten und CA Bastia in der dritten), bei einer Einwohnerzahl von nur 300 000 Leuten! Die Pariser Stadtregion kann mit 12 Millionen Einwohner kaum mithalten (2 Profivereine + 2 Amateurvereine in der dritten Liga).

Wenn man die Zuschauerzahlen des letzten Jahres betrachtet sieht man, dass sich statistisch gesehen fast ein Zehntel der Korsen jedes Wochenende ein Profispiel angeschaut hat, das ist zahlenmäßig im europäischen Vergleich unglaublich hoch.

Dabei ist der Einfluss der korsischen Vereine im französischen Fußball recht bescheiden. Bis zu den 60er Jahren schaffte es keiner bis in die erste Liga.

AC Ajaccio schaffte als erster den Durchbruch, aber nur weil der bis dahin populärste Verein, Gazelec, an seinem Amateurstatus festhielt und aus politischen Gründen den Aufstieg in die Profiwelt verweigerte (damals war der Verein noch fest in der Hand der Kommunisten, die den Profisport als abwegig empfanden).

Viermal gewann Gazelec in diesen Jahren die französische Amateurmeisterschaft, damals das dritte Niveau des französischen Systems, es wäre also durchaus möglich gewesen aus dieser Mannschaft einen soliden Profiklub zu bauen.

AC Ajaccio dagegen währte nicht sehr lange im Oberhaus und stieg bald wieder ab. Es war ein anderer Verein, der von der goldenen Generation von Gazelec profitierte: SC Bastia. Pierre Cahuzac, der langjährige Kapitän und Trainer von Gazelec, wechselte als Trainer Anfang der Siebziger nach Bastia und bahnte das erfolgreichste Jahrzehnt des korsischen Fußballs an (sein Sohnemann Yannick ist übrigens heute Kapitän bei SC Bastia).

In zehn Jahren wurde Bastia zum Inbegriff des korsischen Fußballs; schon 72 stand die Mannschaft im Finale des französischen Pokals, 78 wurde mit einem dritten Platz die Bestmarke in der Meisterschaft gesetzt und nachfolgend schaffte man den Einzug ins Finale des UEFA-Cups.

Damit war Bastia erst der dritte französische Klub der es auf Europaniveau bis zum Finale brachte (und der erste überhaupt im UEFA-Cup), leider aber auch der Dritte der dort scheiterte.

Diese Europatour trug maßgeblich zur Hegemonie des SC Bastia auf der Insel, schließlich marschierten die Korsen mit 7 Siegen in Folge durch Europa, gegen durchaus harte Teams wie Sporting Lissabon, Newcastle oder Torino (und den FC Carl Zeiss Jena, nicht zu vergessen).

Erst im Endspiel gegen Eindhoven war Schluss mit lustig, nach einer bitteren Wasserschlacht die manch alten Korsen noch in Erinnerung bleibt. Die endgültige Krönung dieses Jahrzehnts war ein Pokalsieg im Jahre 1981, bisher immer noch die einzige Trophäe der ganzen Insel.

Die folgenden Jahre, bis in die Gegenwart, sind ein ständiges Auf und Ab; wenn auch mit durchaus robusten Leistungen schaffte es Bastia nicht, sich auf Dauer in der ersten Liga durchzusetzen, pendelte zwischen der zweiten, ja sogar der dritten Liga.

Das schlechte Management konnte dem Klub nie die gewollte Stabilität einhauchen, und so wurde er in den zwei letzten Jahrzehnten vor allem für außersportliche Schlagzeilen bekannt. Zum Beispiel, wenn der unglaubliche Enthusiasmus der korsischen Fans immer wieder aufs Spielfeld überschwappt und für wilde Szenen im Stadion von Furiani sorgt. Hierzu ein kleines Schmuckstück aus den tiefen Neunzigern: Bastia-Monaco aus dem Jahre 1994



Hier findet man die Zutaten eines typischen Bastia-Spiels. Ein intensives Spiel auf dem Platz, unglückliche Entscheidungen des Schiedsrichters, Platzsturm, Schlägerei unter Spielern, dann doch der Ausgleich, Kampfgeist in allen Sinnen des Wortes, exzessiver Freudenausdruck…

Fußballbegeisterung mit seiner schönen und seiner dunklen Seite, das alles in einem Spiel. Im sonst ruhigen französischen Mittelklassenfußball sorgt das natürlich für Aufsehen und Unverständnis.  Das hat dem Klub viel gekostet und jede Strafe steigert bei den Korsen die Paranoia und Komplott-Theorien,  die Lücke mit dem Festland wird immer größer.

So hat sich das Problem der Gewaltausbrüche in Furiani nie geregelt. Der Verein steht seinen Fans sehr nahe und die Kooperation mit den Polizeidiensten, wie sie sonst in Frankreich stattfindet, läuft hier bei weitem nicht so optimal. Vorfälle gibt es jede Saison, das Problem der Gewalt scheint nicht auf dem Weg der Besserung.

Dazu muss man noch hinzufügen, dass sich zum üblichen Repertoire der Hassgesänge in den letzten Jahren vermehrt rassistische Äußerungen wiederfanden.

Dabei sammeln die Rechten in Korsika viel weniger Stimmen ein als anderswo in der Republik, Bastia hatte bisher immer dunkelhäutige und nordafrikanische Spieler im Kader, ohne jegliche Probleme.

Rassismus scheint nach italienischem Vorbild eher als ultimative Provokation zu gelten, weniger als eine echte politische Überzeugung. Das verschlimmert aber erneut das Bild der korsischen Fußballfans und es ist sicher ein Anzeichen ihrer steigernder Radikalisierung gegenüber der ganzen Außenwelt.

 

Ein Schaufenster für die Politik

Es ist wahrscheinlich in allen Ländern der Welt verbreitet, dass sich Politiker bemühen im Profifußball mitzumischen um ein wenig vom Rampenlicht der Sportler zu profitieren. In Korsika hat es aber eine ganz besondere Bedeutung, denn die örtliche Politikszene wird sehr stark vom Nationalismus geprägt; „Nationalisten“ heißen in Korsika die Unabhängigkeitsbefürworter.

In Wahlstimmen gemessen sind sie zwar nie die größte Fraktion, dafür sind sie aber die Lautstärksten und schaffen es immer wieder die Debatte um einen Sonderstatus der Insel neu aufzufächern.

Ihre mediale Präsenz erklärt sich vor allem dadurch, dass seit den 70er Jahren aus ihren Rängen eine sehr aktive Terroristengruppe entsprungen ist, die in ganz Frankreich durch zahlreiche Bombenanschläge und Hinrichtungen bekannt ist.

Die Profiklubs der Insel sind im Laufe der Jahre regelrecht von den Nationalisten unterwandert worden. Und dabei ist zu beachten, dass es sich bei den Nationalisten nicht um eine einheitliche Meinungsgruppe handelt: die Hauptzahl der Opfer des Terrors gehören eigentlich selber zum Kreis der Nationalisten.

Anstatt der alten Korsischen Befreiungsfront „FLNC“ gibt es seit den 90ern mindestens zwei Terrororganisationen auf der Insel, die sich einen Bandenkrieg liefern, nicht nur um die politische Meinungshoheit sondern auch um dubiose Geschäfte.

Im Untergrund ertappten die Nationalisten schnell neue Geschäftszweige, wie Erpressung und diverse Schmuggelaktivitäten, sodass heutzutage keiner so richtig zwischen nationalistischen Untergrundorganisationen und organisiertem Verbrechen unterscheiden mag.

Aufgeklärte Affären scheinen darüber Auskunft zu geben, dass Mafiakarrieren in Korsika fast immer in Berührung mit den Untergrundorganisationen der Nationalisten kommen.

Die Nationalisten haben die Profivereine der Insel sehr schnell als günstige PR-Angelegenheit erkannt. Und so bleiben die korsischen Klubs von den Machenschaften der diversen Untergrundorganisationen nicht erspart.

Der Vereinspräsident von AC Ajaccio (siehe unser Portrait der Absteiger des letzten Jahres) ist eine Verbildlichung dieses Phänomens.

Alain Orsoni ist seit Jahren ein wichtiger Weggefährte des korsischen Nationalismus und verbrachte mehr als ein Jahrzehnt in der Pampa, um sowohl den Ermittlungen als auch seinen Feinden im Milieu zu entgehen. Er kam 2008 extra aus dem südamerikanischen Exil zurück, um die Nachfolge von Michel Morretti an der Spitze des AC Ajaccio anzutreten.

Orsoni und sein Bruder haben in den 70er an der ersten Gewaltaktion des modernen korsischen Nationalismus teilgenommen, eine Geiselnahme, die in einem Blutbad endete.

Sein Bruder wurde in den 80ern selbst ein Opfer der Gewalt; für die nachfolgende Racheaktion wurde Orsoni von der Polizei verhört und jedoch freigesprochen (in seiner Biographie bereut er allerdings, nicht an dieser Mordwelle teilgenommen zu haben!).

Orsoni gehörte zum Umfeld der Splittergruppe FLNC-Canal habituel und war Präsident derer politischen Partei „MPA“ (politisch gesehen vertritt diese Partei die Idee eines „einfachen“ Autonomiestatus für die Insel, also nicht einer vollständigen Unabhängigkeit). Sein Sohn ist seit einigen Jahren im Gefängnis, weil die Justiz ihm eine Beteiligung an drei Mordfällen vorwirft.

Orsoni selbst verschwindet regelmäßig aus der Öffentlichkeit, wenn er fühlt dass sich die Lage zuspitzt; schon 2008, bei seiner Rückkehr nach Korsika, hatte die Polizei einen Mordversuch gegen ihn vereitelt.

In den letzten zwei Jahren kann man mindestens drei Morde in seinem engen Umfeld listen (sein Anwalt, ein Freund und Geschäftspartner, sowie ein Mitstreiter aus der MPA fanden auf gewaltsame Weise den Tod). Kein normaler Vereinspräsident eben.

Der andere Verein von Ajaccio, Gazelec, steht für eine andere politische Gruppe. Jahrelang war Gazelec eher mit den Kommunisten verbunden, weil dieser Klub aus der Betriebsmannschaft der französischen Elektrizitäts- und Gasgesellschaft EDF-GDF entstammt (daher auch Vereinsname).

Heutzutage wird die Vereinsführung eher mit der ehemaligen Partei „A Cuncolta“ in Verbindung gebracht, die wiederrum die Untergrundorganisation FLNC-Canal Historique vertritt, eher die Hardliner unter den Nationalisten. Prominente Mordopfer gibt es auch hier, zwei ehemalige Vereinsfunktionäre aus dieser Organisation.

Dieselbe politische Influenz sieht man auch beim SC Bastia. Vielleicht erklärt sich dadurch, dass Bastia für seine Heimspiele nach der Furiani-Katastrophe (Einsturz einer Tribüne in 1992) beim Gazelec zu Gast war.

Die politische Tendenz mag zwar eine andere sein als beim Rivalen AC Ajaccio, dafür gibt es in Bastia nicht weniger Affären. Gerade weil Bastia über lange Jahre der korsische Vorzeigeverein war, haben sich besonders viele dunkle Gestalten um den Klub herumgetrieben.

Lange Zeit wurde der Klub von Charles Pieri geführt, der 2006 in den Knast musste. Charles Pieri war vermeintlicher Vorsitzender der Untergrundorganisation FLNC-Canal historique (und dessen Nachfolgeorganisation FLNC-UC).

Die Liste seiner Vergehen ist ziemlich weitreichend, er wird mit Mordfällen, Attentaten aber auch wirtschaftliche Missetaten in Verbindung gebracht, und der Klub stand mittendrin.

Über den Sicherheitsdienst wurden die Untergrundorganisationen gesponsert, es wurden unberechtigte Provisionen auf Spielertransfers ausgezahlt, Aufträge wurden an Meinungsbrüder vergeben und der langjährige Sponsor war eigentlich erpresst: die Firma „Nouvelles Frontières“, die in Korsika Ferienclubs betrieb, musste an den Klub spenden um den Bombenanschlägen zu entgehen.

Nachdem diese Affären aufgeflogen sind, könnte man hoffen, dass die neue Vereinsführung seit 2010 nun vorbildlich ist. Doch seit Anfang 2014 ist Bastia schon wieder im Visier der Justiz.

Es wird wegen Verdacht auf Geldwäsche ermittelt, verdächtige Finanztransfers fanden bei der Rasenerneuerung, dem Stadioncatering und der Vermietung von Wagen statt. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, aber es hört sich so an als würde Bastia wieder unter seinen schlechten Beziehungen leiden.

 

Gemischte Perspektiven

Zwar gibt es einen Andrang, eine Begeisterung, nur muss man zusehen wie man effektiv damit umgeht. Dieses Jahr steht nun eine Rekordzahl von korsischen Vereinen in den oberen Ligen, das Fußballinteresse ist also nicht zu leugnen. Aber nutzt es der Insel, wenn es vier schlechtgeführte Profivereine gibt, die immer nur Auf- und Absteigen?

Schließlich ist die Insel ja nicht sehr groß, die Klubs haben es schwer beim Zuschauerdurchschnitt die 15000er-Marke zu überschreiten, dies ergibt also wirtschaftlich keine großen Ressourcen.

Um das Potenzial von Korsika voll auszuschöpfen bedarf es einer grundlegenden Änderung im Führungsstil und einer echten Fanarbeit um die Gewalt aus der örtlichen Folklore auszutreiben.

Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es dementsprechend schlecht aus. Von der Management-Seite aus sind sowohl in Bastia wie Ajaccio noch Affären in Sicht.

Was die Fans angeht gab es in Bastia schon heftige Auseinandersetzung im Rahmen des Spiels Bastia-OM, gleich am ersten Spieltag der Saison 2014-2015; es kommt wahrscheinlich eine Stadionsperre auf Bastia zu –  wie schon letztes Jahr.

Selbst auf die Spieler scheint sich die hitzige Atmosphäre zu übertragen: nach seiner Kopfnuss gegen Thiago Motta hat der Brasilianer Brandao eine monatelange Sperre vor sich.

Nun befindet sich der SC Bastia im Abstiegskampf, trotz sportlicher Qualitäten, die nicht zu leugnen sind (wenn man zum Beispiel die Leistung mit AC Ajaccio von letzter Saison vergleicht…).

Beide Vereine aus Ajaccio scheinen im Mittelfeld der zweiten Liga gut verankert, doch langfristig muss man sich fragen ob die wirtschaftlichen Ressourcen für die nachhaltige Entwicklung zweier Vereine reichen…

Solange sich an den obengenannten Punkten nichts ändert verharrt also der korsische Fußball in der Rolle des hässlichen Entleins der Liga.

Das ist natürlich sehr schade für die Korsen, aber nicht für alle: die schlechte Lage wird immer sehr geschickt von den Nationalisten ausgenützt, in ihrem Diskurs über die Benachteiligung der Insel… so schließt sich der Teufelskreis. Das rettende Ufer ist für den korsischen Fußball noch nicht in Sicht.

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3 comments

  1. Sehr interessanter und gut recherchierter Artikel. Danke vor allem auch für die Informationen über Gazelec Ajaccio. Ich hatte mich schon gefragt, wie eine Stadt von der Göße Ajaccios es schafft, zwei Vereine im Profifussball zu etablieren. Bin ansonsten nur auf wenig Informationen zu diesem Verein gestoßen, umso interessanter dieser Hintergrundbericht!

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