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Legionärsbericht: Julian Gressel

In Deutschland hörten die meisten das erste Mal von Julian Gressel, als er mit Atlanta United MLS Cup Champion wurde. Der 1,85m große Deutsche erregte dort mit seiner Arbeitsrate und seiner Flexibilität Aufmerksamkeit.

 

Gressel on the road

Dabei ist der Weg, der ihn in die höchste amerikanische Liga geführt hat, durchaus bemerkenswert. Mit 19 Jahren wechselte er aus seinem Geburtsort – dem beschaulichen Neustadt an der Aisch – auf das Providence College im Bundesstaat Rhode Island.

Dort spielte er vier Jahre für die Providence Friars, bis er zu Atlanta United gedrafted wurde. Richtig: Im Basketball, American Football UND im Fußball gibt es Drafts in der USA. Unterschied: In der NBA werden die Top-Spieler aus dem College gedrafted, meistens im Alter von 19-21 Jahren.

Im Fußball-Draft sieht das anders aus. Die Spieler sind teilweise schon 24-25 Jahre alt und haben maximal ein halbes Jahr Saison. Bedeutet: Der Draft setzt sich aus Spielern zusammen, die im fortgeschrittenen Talent-Alter sind – aber kaum Erfahrung besitzen.

Außerdem besitzen die Vereine allesamt Jugendakademien, in denen sie Spieler mit ihrer Philosophie ausbilden. Zusätzlich werden die Talente professioneller trainiert und haben in jüngerem Alter mehr Erfahrung als die College-Spieler.

Bedeutet im Umkehrschluss: Die Jugendakademie-Spieler sind oftmals besser ausgebildet und deutlich jünger als die College-Spieler. Von den College-Spielern schafft es meist nur eine Handvoll in den MLS-Kader; der Großteil wird nicht mal mit einem Vertrag ausgestattet.



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Unter diesen Umständen ist der Aufschwung Gressels umso bemerkenswerter. Als einer der ganz wenigen Spieler hat er nicht nur einen Vertrag bekommen, sondern ist Stammspieler beim MLS Cup Gewinner.

Dort hat der Deutsche einen solchen Hype entfacht, dass der Hashtag #gresselmania auf sämtlichen sozialen Plattformen Wellen schlägt. Wie ist Gressel das gelungen?

 

Der Alleskönner

Julian Gressel ist ein Arbeiter. Doch nicht der klassische Arbeiter, der seine technischen Schwächen mit Einsatz kompensiert. Sondern ein Arbeiter, der mit dem Ball ebenfalls besticht. Und einer, der aufgrund seiner Spielintelligenz in zwei Jahren bei Atlanta auf fast jeder Position zum Einsatz kam.

Der Deutsche spult in jedem Spiel ein unfassbares Laufpensum ab. Dabei macht er Wege, die dem allgemeinen Zuschauer nicht auffallen: Er läuft Lücken zu, verschiebt diszipliniert und macht die Wege nach hinten.

Oftmals sind es kleine Bewegungen und die Korrektur an der eigenen Position, die den Unterschied machen können: Fängt man den Ball ab, kann man den Gegner rechtzeitig unter Druck setzen, ist der Passweg rechzeitig geschlossen usw.

Diese kleinen Bewegungen macht Gressel konstant und vor allem konstant richtig. Doch machen wir uns nicht vor: Mit detaillierten Verschiebebewegungen kreiert man keinen Hype.

Gressels starke Flanken

Wege, die der Fan sehen möchte und mit Applaus belohnt, sind bevorzugt die „ungemütlichen Wege“. Das aggressive Nachsetzen nach Ballverlust und wenn es nötig ist, den Gegenspieler im Konter bis zum eigenen Strafraum verfolgen. Gressel ragt mit seinem Einsatz heraus.

Er bleibt nie stehen, sondern setzt IMMER nach. Das gesamte Spiel über befindet sich der Deutsche in Bewegung. Doch sind das eben nicht die einzigen Qualitäten, die der robuste Gressel bringt.

Der Mittelfeldspieler gilt als der beste Flankengeber der MLS. Beeindruckend ist, wie er aus völlig undynamischen Szenen Gefahr erzeugen kann.

Besonders seine – von mir eigentlich gehassten – Halbfeldflanken besitzen eine außerordentliche Präzision, gepaart mit einem sensationellen Auge für die Position des Gegenspielers.



Der Flankengeber spielt seine Hereingaben meist an den zweiten Pfosten. Seine Flanken aus dem Halbfeld schlägt er mit einem inversen Spin, sodass sich der Ball in den Lauf des Stürmers „hineindreht“. Das erleichtert den Abschluss ungemein, während die Klärung für den Verteidiger deutlich erschwert wird.

Schlägt er seine Flanken von der Grundlinie, variiert er die Wahl seiner Technik. Befindet sich ein Verteidiger auf der horizontalen Linie wie er, spielt er angenehm gewichtete Flugbälle in den Strafraum. Diese können von seinen Mitspielern verarbeitet werden.

Befindet sich kein Verteidiger auf einer horizontalen Linie mit Gressel, ist das ein Fehler: Der Mittelfeldspieler schlägt den Ball ohne Spin, aber mit viel Wucht, ins Zentrum.

Seine Technik mag unkonventionell sein, ist aber wahnsinnig effektiv. Kein Verteidiger der Welt – außer Thiago Silva – kann einen solchen Ball kontrolliert klären.

Der Stürmer profitiert davon, da er sich immer darauf einstellen kann, dass der Ball zu ihm durchkommt. Dort kann er mit einem Kontakt aufs Tor abschließen.

 

Kreativitätsbombe Gressel

Gressels Passtechnik kann sich ansonsten ebenfalls sehen lassen. Oft probiert er es mit kurzen Steckpässen hinter die Abwehr in den Lauf seines Mitspielers. Hierbei besitzt er ein gutes Auge für sämtliche Tiefensprints und bedient diese zuverlässig.

Seine Flugbälle sind – wie bereits angeschnitten – ebenso stark. Für einen offensiven Flügelspieler ungewöhnlich, verlagert Gressel das Spiel öfter komplett, um sich von Druck zu lösen.

Was bereits angsteinflößend klingt, wird noch viel angsteinflößender, wenn man regelmäßig Spiele von Gressel sieht: Es gibt nämlich kaum einen Qualitätsverlust zwischen seinen beiden Füßen. Das erlaubte ihm, seine Stärken auf gleiche Art und Weise als linker Flügelspieler einzubringen.

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Von seinem überragenden Passspiel abgesehen, befindet sich der robuste Mittelfeldmann auf solidem technischen Niveau. Sein Torabschluss ist präzise und besitzt ordentlich Wumms, dafür ist sein erster Kontakt bisweilen etwas unsauber.

Physisch bringt Gressel ebenso einiges mit: Trotz seiner für einen Flügelspieler ungewöhnlichen 1,85m besitzt der Deutsche eine gute Höchstgeschwindigkeit.

Ebenfalls mit ordentlichem Antritt und durchschnittlicher Agilität ausgestattet, ist Gressel kein isolierter 1vs.1 Flügeldribbler. Aber das braucht er auch gar nicht zu sein.

 

In neuer Rolle?

Stattdessen überzeugte er in den ersten Partien der neuen Saison als Rechtsverteidiger, auch wenn er inzwischen wieder öfter auf dem rechten Flügel anzufinden ist.

Ich sehe ihn auf der Position des Rechtsverteidigers am stärksten. Bei all den Lobpreisungen sollte nicht vernachlässigt werden, dass die #gresselmania seine Schwächen besitzt.

Gressel nimmt oftmals Kontern die Dynamik, weil sein erster Kontakt zu statisch ist. Nicht nur verspringt ihm der Ball manchmal, sondern er nimmt ihn zu selten in die Dynamik mit. Da ein Konter im Normalfall aber Tempo beinhalten sollte, ist Gressel in solchen Szenen eher störend.

Außerdem ist sein Anlaufverhalten für einen Außenverteidiger geeigneter: Er erkennt den Moment für den Zugriff gut und startet seine Läufe mit passendem Timing.

Jedoch variiert er seine Läufe zu wenig. Bogenläufe und das Leiten nach außen sieht man im Laufweg selten, stattdessen ein geradliniger Sprint auf den Ballführenden.

Als Außenverteidiger macht sich dies nicht so bemerkbar, weil das Lenken dort eher im Zweikampf geschieht. Außerdem präsentierte sich der Außenverteidiger-Gressel im Anlaufen bisher geschickter als Flügelspieler-Gressel.

“Neu in der MLS: Los Angeles FC”. Hier zu lesen

Zusätzlich ist der Deutsche stark darin, Passwege zu belauern und im richtigen Moment den entscheidenden Schritt zu machen, um Pässe abzufangen.

Was ihm seit seiner Umstellung entgegenkommt: Da der Raum für den Gegner immer knapper wird, umso näher er Richtung Tor kommt, hat Gressel weniger Raum abzusichern.

Das starke Timing im Hinter- und Vorderlaufen kommt auf der Rechtsverteidiger-Position ebenso stärker zur Geltung. Gressel muss nicht selbst Tempo mit Ball aufnehmen, sondern bekommt den Pass direkt in seine Dynamik gespielt.

Die Vertikalität seines Spiels wird so ebenfalls in richtige Bahnen geleitet. Ist Gressel in Tornähe, verfällt er desöfteren in übertriebenen Aktionismus. Besonders seine Flanken schlägt er in wahnsinniger Frequenz. Der Erfolg gibt ihm dabei gewissermaßen Recht, jedoch könnte er in einigen Szenen geduldiger agieren.

 

Wie geht es weiter?

Der Querpass im Mittelfeld entfacht zwar keine Gresselmania, ist aber manchmal die sinnvolle Entscheidung. Zu Atlanta United passt sein Spielstil jedoch ziemlich gut: Barco im Mittelfeld ist ebenfalls äußerst vertikal ausgerichtet und entfacht dabei wahnsinnige Durchschlagskraft.

Josef Martinez macht hingegen einen Tiefensprint nach dem anderen und wartet auf den entscheidenden Steckpass.

Wird Gressel als Rechtsverteidiger aufgeboten, muss sich Martinez darauf einstellen, diese Steckpässe vor allem von Barco zu bekommen. Der Deutsche wird vor allem dafür zuständig sein, seinem Vordermann Raum zu schaffen und mit seinen Flanken Gefahr zu stiften.

In jedem Fall werden die Stärken von Flankengott Gressel weiter genutzt, denn: Seine Qualitäten sind zu vielfältig, um sie nicht einzubinden.

Die #gresselmania kann weitergehen.



Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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