(Grafiken: Erstellt von Cavanis Friseur / © Footyrenders)
2015 endete Nicolas Anelkas Karriere still bei Mumbai City in der Indian Super League. Wer seine zwanzigjährige Karriere als Profi zuvor verfolgt hat,den werden seine Kommentare zu Kylian Mbappe womöglich verwundern: „Ich war der Pionier und er folgt mir.“ Das sagte Nicolas Anelka kürzlich der französischen Zeitung Le Parisien und: „Ich habe ihm die Tür geöffnet.“
Anelkas steiler Aufstieg
Und tatsächlich drängen sich einige Parallelen auf: Bereits mit 21 Jahren war Nicolas Anelka ein gefeierter Star. Nachdem der Junge aus der Banlieue bei Paris St. Germain zum Profi wurde, schoss er mit 19 Jahren England mit einem Doppelpack in Wembley ab.
Der FC Arsenal holte Anelka nach London, hier wurde er 1998 englischer Meister. Bald danach machte ihn Real Madrid mit 1999 mit 20 Jahren zum teuersten Spieler der Welt.
Die 35 Millionen Euro waren gut angelegt, bereits im Mai darauf gewannen die Madrilenen mit Anelka die Champions League. Als Frankreich im selben Sommer die Europameister wurde, waren die großen Stars nicht Zinedine Zidane oder Thierry Henry, sondern ebenjener Nicolas Anelka.
Der SPIEGEL schrieb „Dank Anelka spielt die Mannschaft in einer anderen Dimension“ und selbst Zidane sagte: „Mit ihm sind wir deutlich variabler.“
Eskapaden schaden Nicolas Anelka
Längst wurde er mit Ronaldo Nazario verglichen. Fußballerisch war er über jeden Zweifel erhaben. Zwei Jahre danach – bei der WM in Japan und Südkorea – fehlte der Franzose trotzdem im Kader der Equipe Tricolore.
Als Trainer Jacques Santini ihn danach wieder einladen wollte, verkündete Anelka, er werde nicht einmal dann zurückkommen, wenn Santini ihn auf den Knien anbetteln würde.
Eine Anekdote, die Anelkas größtes Problem erklärt: Neben dem Platz war er ein schwieriger Zeitgenosse, oft sogar unerträglich. Schon als der Angreifer mit 16 Jahren zu den Profis von PSG stößt seufzt Trainer Luis Fernandez: “Ich weiß nicht, ob ich elf Anelkas um mich herum ertragen könnte.”
Zu seinem übergroßen Ego kommen zahlreiche Eskapaden, die ein wildes Bild von Anelkas Charakter zeichnen, der sich nie Mühe gab sich bei seinen Vereinen anzupassen. Beispielsweise brachte er die Fans beim FC Arsenal trotz zahlreicher Erfolge gegen sich auf.
Der Grund: Anelka bejubelte seine Tore nicht. Der Klub war ihm egal – solange er persönlich vorankam.
Als er kurz danach bei Real unterschrieb, schwänzte Anelka den obligatorischen Besuch im Vereinsmuseum des stolzen Vereins. Die Titelsammlung der Königlichen interessierte ihn nicht, denn: „Die Vergangenheit ist mir egal“, so Anelka.
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Le fiasco de Knysna
Als er in diesen Tagen auf seinen älteren Teamkollegen Fernando Morientes angesprochen wurde, höhnte er: „Der macht Tore, für die ich mich schämen würde.“
Und so eckte Anelka in den nächsten Jahren weiter fleißig an und bringt Verein für Verein gegen sich auf. In der Folge stand er 2010 mit 31 Jahren beim FC Chelsea bereits bei seiner 9. Station unter Vertrag.
Anelka galt zwar als herausragender Fußballer, aber gleichzeitig als mindestens ebenso schwieriger Charakter. Dass Nationaltrainer Raymond Domenech den Stürmer trotzdem für die WM in Südafrika nominierte, wird er wohl bis heute bereuen.
Das Turnier ging als peinlichste Episode in die Geschichte des französischen Fußballs ein – und Anelka hatte daran entscheidenen Anteil. Das Unheil für die Franzosen begann schon bei der Wahl des Quartiers.
Der Verband FFF mietete eine 5-Sterne-Hotelanlage direkt am Indischen Ozean. In der Heimat gefiel das nicht jedem. Es wurde als dekadent aufgenommen, dass die Fußballer inmitten der weltweiten Finanzkrise in Knysna residierten, das als Saint-Tropez Südafrikas gilt.
Und vielleicht erwies sich das Quartier tatsächlich als kontraproduktiv.
Nicolas Anelka ist der Stein des Anstoßes
Vor Ort fallen nämlich ausgerechnet mehrere der Leitwölfe, einer vergleichsweise unerfahrenen Mannschaft, völlig aus der Rolle. Der abgesetzte Kapitän William Gallas zeigte einem Reporter nach dem Spiel gegen Mexiko den Mittelfinger.
Franck Ribery soll Mobbing gegen seinen Mannschaftskollegen Yoann Gourcuff angezettelt haben, weil der es gewagt hatte ein Buch zu lesen.
Am Ende verweigerte die Mannschaft aus Protest sogar das Training vor dem entscheidenden Gruppenspiel gegen die Gastgeber. Ein Eklat, an dem Nicolas Anelka einen großen Teil der Schuld trug.
Als Trainer Raymond Domenech dem eigenwilligen Star in der Halbzeit des Spiels gegen die Mexikaner nämlich taktische Anweisungen geben wollte, weigerte der sich nicht nur sie zu befolgen, sondern belegte den Übungsleiter wohl auch mit heftigen Flüchen.
Angeblich pöbelte Anelka: „Lass dich in den Arsch ficken, dreckiger Hurensohn.“ Ein inakzetabler Ausfall, der dazu führte, dass der Stürmer nach Hause geschickt wurde.
Weil der Wortlaut nach außen drang, fühlten sich Anelkas Mitspieler vom Trainerteam verraten. Es folgte der Streik. Das Fiasko von Knysna wurde zum Thema des Sommers – selbst Staatspräsident Sarkozy sah sich zu einem Kommentar genötigt.
Nicolas Anelka war anders – und ebnet doch den Weg
Das Fiasko hinterließ auch bei Anelka Spuren. Zwar erzielte er in seinem letzten Jahr bei Chelsea sieben Tore in der Champions League, zu seiner Bestform fand der Franzose trotzdem nie wieder.
Den Tiefpunkt erreichte er 2014, als sein Verein West Bromwich Albion Anelka entließ, weil er ein Tor mit einer antisemitischen und rechtsradikalen Geste zelebriert hatte.
In der Folge fand er keine Anstellung mehr im europäischen Fußball und wirkt so wie das Gegenteil der Spieler von heute. Einen Medienberater hatte Anelka nie, professionelle Kommunikation war für ihn ein Fremdwort.
Obwohl er in der legendären Akademie Clairefontaine ausgebildet wurde, war Anelka niemals so glatt, wie viele Stars von heute, die – um sich zu vermarkten – nach außen eine Saubermann-Image pflegen.
Trotzdem hat der Franzose mit seinen Kommentaren zu seinem Landsmann Mbappe nicht Unrecht. Denn so manche Episoden mit denen er aneckte, sind heute Normalität.
So schwänzte Nicolas Anelka einst das Training von Real Madrid, weil er nicht aufgestellt wurde. Um den erbosten Fans zu entkommen, flüchtete er filmreif im Kofferraum.
Gleichzeitig ließ er seinen Bruder mit Juventus Turin verhandeln – obwohl er nie nach Italien wollte. Denn eigentlich versuchten die Anelkas nur mit einem fremden Angebot Real Madrid unter Druck zu setzen, denn Anelka wollte einen besseren Vertrag.
Der Prototyp
Früh sah man ihn deshalb als den Prototyp des Fußballers des 21. Jahrhunderts. Geld geht vor. Ich zuerst. Profikicker spielen zu allererst für sich und erst danach für ihren Verein.
All das warf man Anelka vor und all das traf zu. Und wenn man an die Sancho-Saga, den Dembele-Abgang nach Barcelona oder Pierre Emerick-Aubameyang denkt, fanden sich kürzlich allein in Dortmund drei Spieler, die sich bei Anelka etwas abgeschaut haben.
Gewissermaßen kann man ihn also als den Prototypen moderner Unsitten bezeichnen – denn vor Anelka versuchte kein Spieler so dreist seine Interessen durchzusetzen.
Er selbst sieht seine Vorbildrolle naturgemäß etwas positiver: „Ich war der erste, der mit meinem Bruder, meiner Familie als Agent gearbeitet hat.“
Heute sei das normal – und auch Mbappe handhabe das so. Und noch bei einer weiteren Sache sieht er sich als Wegbereiter.
„Ich war einer der ersten, die den großen Sprung ins Ausland gewagt haben, mit einem großen Transfer zu Real Madrid.“ Sollte Mbappe ihm auf diesem Weg folgen, hoffen die Königlichen sicher auf einen anderen Ausgang der Zusammenarbeit.