Ronald Koeman und FC Everton: Ein Projekt des Scheiterns

Ich und meine große Klappe. Noch im Sommer schwärmte ich von Evertons Transferstrategie und davon, dass sie sogar Außenseiterchancen auf die Champions League-Plätze haben.

Nach sieben Spieltagen haben die Toffees gerade einmal sieben Punkte auf dem Konto und gammeln auf dem 16. Tabellenplatz herum – immerhin zwei Punkte vor dem glorreichen Swansea City AFC.

Die Erwartungen wurden aufgrund der zahlreichen Investitionen im Sommer in keinster Weise erfüllt und Ronald Koeman stand angeblich bereits vor der Partie gegen Burnley vor dem Aus.

Lustigerweise ging diese Partie mit 0:1 verloren und Koeman sitzt wohl auch am nächsten Spieltag auf der Trainerbank. Okay, so lustig ist es vielleicht doch nicht. Der Fall zeigt allerdings, wie sehr manchmal die Schere zwischen Erwartung und Realität auseinandergehen und wie wichtig der Spielplan sein kann.

Ein kurzer Erklärungsversuch zu einem mehr als komplexen Thema.

Die Sache mit den Transfers

Im Sommer wechselte Romelu Lukaku bekanntlich von der Mersey ins Old Trafford. Der Belgier reifte bei Everton zum Weltklassestürmer und erzielte in 166 Einsätzen unglaubliche 87 Treffer und legte 29 weitere auf. In jeder seiner Spielzeiten im Goodison Park traf er zweistellig, im letzten Jahr waren es sogar 25 Treffer.

Einen solchen Mann sofort 1-zu-1 zu ersetzen ist schwierig, dafür muss man kein Experte sein. Anstatt die Millionen für einen einzigen Star auszugeben, auf dessen Schultern all die Last liegt, entschied sich Everton in erster Linie dazu, die Spitze zu verbreitern.

Klaassen, Ramirez, Pickford, Keane und Rooney kamen nicht für Unsummen. Einzig Sigurdsson tanzte mit seinen fast 50 Mio. Euro Ablöse aus der Reihe. Es ist ja ein altbekanntes Phänomen, dass sich Vereine, die einen Leistungsträger verloren haben, mit vielen Spielern verstärken.

Ähnlich wie es damals in Liverpool nach dem Abgang Luis Suarez‘ gewesen ist, versucht Everton die individuelle Klasse im Kollektiv aufzufangen.

Die Logik dahinter: Ein Sandro Ramirez alleine kann Lukaku nicht ersetzen, dafür aber im Verbund mit Rooney zumindest ansatzweise. Das Problem an der ganzen Geschichte ist nun aber, dass man im Fußball nicht mehr als elf Spieler aufstellen kann.

Überspitzt formuliert: Hätte sich Everton drei Spieler geholt, die in Summe Lukaku ergeben, müsste man in anderen Bereichen Abstriche machen.

Genau hierin liegt vermutlich eines der größten Probleme der Toffees in dieser Saison: Sie haben zwar einen guten Kader, allerdings fehlt ihnen gerade im Sturm die absolute Weltklasse, wie sie Lukaku in den letzten beiden Jahren verkörperte.


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Ein Rooney ist nicht der klassische Mittelstürmer und Sandro Ramirez braucht noch Zeit, wenngleich er bereits gute Ansätze im Bewegungsspiel zeigte.

Auch Defensiv steht man vor allem durch die Verletzung Colemans nicht gerade sicher. Bedenkt man, dass sich der Ire bereits im Frühjahr verletzte, erscheint es fahrlässig, dass man hier nicht nochmal auf dem Transfermarkt tätig wurde.

Cuco Martina erfüllt vorerst nicht das Anforderungsprofil eines adäquaten Rechtsverteidigers. Die Dreierkette bzw. Fünferkette fruchtete bisher auch nicht so recht, weil eben ein rechter Wingback fehlt.

Die jungen Holgate und Calvert-Levin wurden zwar getestet, jedoch ist es einfach nicht ihre Idealposition. Ich bleibe jedoch bei meiner Meinung, die ich bereits im Sommer hatte: Everton hat gut eingekauft und der Kader ist weitaus besser als es die Tabelle suggeriert.

Es fehlt aktuell schlichtweg noch an Akteuren, die sich deutlich vom Premier-League-Schnitt abheben. Von Spielern wie Rooney, Baines oder Barkley haben die Toffees aktuell noch nicht so viele. In der nächsten Saison sieht das sicher anders aus, wenn sich Klaassen, Ramirez und Davies etabliert haben.

Die Sache mit dem TSR

Der TSR (= Total Shots Ratio) ist ein statistischer Wert für die Chancenverteilung einer Mannschaft. Er stellt die eigenen abgegebenen Schüsse ins Verhältnis zur Summe aus eigenen abgegebenen Schüssen und den zugelassenen Schüssen.

Der Mittelwert einer Mannschaft liegt hierbei bei 0,5: Gibt ein Team beispielsweise in einer Partie 10 Schüsse ab und muss im selben Spiel 10 Schüsse hinnehmen, ist das Verhältnis ausgeglichen.

Selbstverständlich lässt sich dieser Wert auch auf eine ganze Saison herunterbrechen. Dafür habe ich den jeweiligen Durchschnittswert pro 90 Minuten über whoscored.com gezogen, wodurch sich folgende TSR-Werte für Everton ergeben:

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Im Vorjahr lagen die Toffees noch minimal über dem Mittelwert, ihr Verhältnis zwischen abgegebenen und zugelassenen Schüssen war also positiv. In dieser Saison fällt aber auf, dass das Team von Koeman im Schnitt zweimal weniger aufs Tor schießt und einen Schuss mehr zulässt als noch in der vergangenen Spielzeit.

Ihr aktueller Wert ist daher minimal negativ. Sicherlich ist es schwierig den Wert einer ganzen Saison mit jenem für sieben Spieltage zu vergleichen, weshalb ich im Speziellen nochmal den TSR der einzelnen Spiele mit denen des Vorjahres verglichen habe.

In den Spielen gegen die „Kleinen“ hatte man meist einen ordentlichen TSR, gegen Burnley war er sogar sehr gut. In dieser Saison hatte man diesbezüglich sehr schlechte Werte gegen City & Co., wobei diese im Vergleich zum Vorjahr besser sind.

Aber gut: Man hat sich hierbei halt von sehr schlecht auf schlecht gesteigert. Immerhin. Everton zeigte also durchaus gute Ansätze, hat in den großen Spielen allerdings ordentlich eins vors Brett bekommen. Was mich zum nächsten Punkt bringt.

Die Sache mit dem Spielplan

Es gibt sicherlich angenehmere Sachen, als zu Saisonbeginn Auswärts bei beiden Manchester-Clubs und Chelsea anzutreten und mittendrin noch Tottenham zu empfangen. Everton hat also bereits nach fünf(!) Spieltagen gegen die derzeitige Top-4 gespielt.

Das muss bei der Bewertung der derzeitigen Lage Evertons bedacht werden. Ein Team, welches sich im Umbruch befindet und seinen Top-Stürmer verloren hat, braucht gerade zu Saisonbeginn Erfolgserlebnisse, um nicht zu schnell in einen Abwärtsstrudel zu geraten.

Genau das ist den Toffees passiert. Gegen City, United, Chelsea und die Spurs kann man verlieren, keine Frage. Dass man diese allesamt nacheinander als Gegner hatte, ist maximal unglücklich.

Bedenkt man zudem, dass gerade die Partie gegen United im Ergebnis zu hoch ausfiel und drei der vier Gegentreffer in den Schlussminuten fielen, wird die Leistung Evertons ein wenig verzerrt. Natürlich haben sie Fehler begangen, wie vorher bereits aufgeführt. Abschreiben sollte man sie aber keineswegs.

Es ist eine Unsitte, eine ganze Mannschaft und ihren Trainer bereits nach sieben Spieltagen zu bewerten als wäre man bereits am Saisonende. Die Spiele in denen sie Punkten müssen kommen erst noch.

Gegen Bournemouth gewann man mit 2:1 und gegen Sam Dyches Burnley verlor man sehr unglücklich mit 0:1, obwohl man die weitaus bessere Mannschaft war. Der Kader, der Trainer und auch das Umfeld entsprechen nicht der Tabellenregion in der sich Everton aktuell befindet.

Eine genauere Bewertung ihrer Lage sollte daher erst in ein paar Wochen erfolgen, wenn man gegen die unmittelbare Konkurrenz gespielt hat. Einen Trainerwechsel dürfte es jedoch nicht so schnell geben.

Evertons CEO, Farhad Moshiri, verkündete unlängst, dass Koeman seinen „totalen Support“ genieße. Ein wichtiges Zeichen für den Trainer und die Spieler. Aus Evertons „Goldenem Transfersommer“ kann nach Startschwierigkeiten noch immer eine glänzende Saison werden. Die Frage ist nur, wie sehr sie glänzen wird…

Sascha
Hat genauso eine Daseinsberechtigung wie Torrichter während der Champions League Spiele. Passionierter Schachtelsatzschreiber. Gilt intern nicht umsonst als L’Akquisiteur – wenn nicht da, dann zumindest bei sich selbst. Man soll sich immerhin treu bleiben wie Javier Pinola den Überresten seiner Haare. Glaubt noch immer, dass in Enes Ünal ein Weltklassestürmer schlummert, den aber nicht einmal Houdini hervorzaubern könnte. Einziges Vorbild von Max Dettmer.

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