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„Stadionflair” – Warum es im Stadion unerträglich ist

Fußball schaut der Fußballfan am liebsten im Stadion. Nirgendwo sonst ist man so nah dran, nirgendwo sonst ist die Sicht auf das Spiel so gut. Die Stadionatmosphäre, die kollektive Explosion von Gefühlen, wenn das angefeuerte Team das Siegtor schießt.

Das in den Armen liegen mit fremden Menschen, denen man sich in diesem Moment verbunden fühlt, weil alle zum selben Anlass ins Stadion gegangen sind – um ihre Lieblingsmannschaft anzufeuern.

Samstag, 30. November 2019 in der Benteler Arena: Gerade sind die letzten üblichen Beleidigungen nach einer völlig nachvollziehbaren Entscheidung der Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus verklungen, da sieht ein besonders cleverer junger Mann seine Chance. Laut ruft er in die sich langsam ausbreitende Stille hinein: „Bibi, hast du deine Tage oder was?“

Während ich über die Menstruationskenntnisse des schreienden Mannes grüble, erntet sein Spruch ob seiner Originalität schallendes Gelächter. Doch urplötzlich dreht sich die junge Frau zwei Stehplätze neben mir zum Übeltäter um und entgegnet ihm ebenso laut: „Das war sexistisch!“

Endlich, denke ich. Endlich wehrt sich jemand laut gegen den dauernden Sexismus im Stadion. Während ich im Stillen juble, wird die Kurve still. Scheiße, sie hat ja irgendwie Recht, das ist ja echt sexistisch. Noch während sich alle in der Kurve leise fragen, was man denn dann im Stadion noch sagen darf, kommt der erlösende Ruf vom Messias.

Der Freund der Dame mit den moralischen Ansprüchen antwortet ihr: „Sexistisch… aber lustig!“

Erleichtert lachen alle Fans auf. Puh, gerade nochmal gut gegangen.

 

Eine Schiedsrichterin? Beim Fußball? – Sexismus im Stadion

Dabei hatte alles so harmlos begonnen: Beim Aufwärmen sprachen die ersten Zuschauer hinter mir über die Ansetzung von Bibiana Steinhaus als Schiedsrichterin. Stilvolle Kommentare wie „Bibi die geile Sau“ wurden mit einem schlagfertigen „Geht so, guck dir mal die Schenkel an“ gekontert. Eine Frau mit trainierten Oberschenkeln – skandalös!


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Meine Hoffnung, dass das nur ein kleiner geschmackloser Ausrutscher war, zerschlug sich schnell. Mit jedem Pfiff wurden die Beleidigungen häufiger und heftiger. Aus „Die Alte hat voll einen an der Schüssel“ wurde „Du blonde Schlampe“ und „Du Fotze“. Dazu kamen etliche weitere Beleidigungen, die vorrangig auf das Geschlecht der Schiedsrichterin abzielten.

Beim Spielende entlud sich dann der komplette Frust. Die beiden Männer hinter mir schrien alles an Schimpfwörtern heraus, was ihnen für Frauen einfiel.

 

Sexismus? Aber wir sind doch im Stadion!

Dabei sah der Mann, den ich auf irgendwo zwischen 20-30 Jahre alt schätzen würde, gar nicht wie der übliche sexistische Idiot aus. Er trug einen gepflegten Bart, Hornbrille und eine Carhartt-Mütze. Der Mann neben ihm war vermutlich sein Vater, dessen Kommentare noch harmloser waren als die seines Sohnes.

Mit deutlichen Worten gab ich dem Mann zu verstehen, was ich von seinen Kommentaren hielt. Seine Antwort? Wenig überraschend beleidigte er mich zurück und meinte, ich solle mich doch einfach verpissen. Doch die spannendste und einleuchtendste Aussage war im zweiten Teil seiner Antwort versteckt.

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„Im Stadion musst du sowas aushalten!“ Daraufhin meinte ich: „Ach, weil wir gerade im Stadion sind, ist Sexismus jetzt in Ordnung oder was?“ Seine lapidare Antwort: „Im Stadion ist das halt so!“

Ich verstand. Dem jungen Herren waren seine Verfehlungen vollends bewusst, doch weil er sich im Stadion aufhielt, waren es keine Verfehlungen mehr, sondern stinknormale Stadionkommentare. Das Stadion bleibt ein rechtsfreier Raum, in dem keine ethischen Richtlinien gelten.

 

Stadion – wo Björn Höcke auch nur ein x-beliebiger Fan wäre

Und ich vermute inzwischen, dass genau das für viele „Fans“ der größte Anreiz ist, ins Stadion zu gehen. Der gesamte Frust, der sich über die Woche aufgeladen hat, kann ungefiltert und ohne böse Blicke der Mitmenschen herausgelassen werden – mit wüsten Beschimpfungen zu jeglichen Feindbildern.

Wo sonst kann man sich so stark über Frauen auslassen? Wo sonst ist es völlig legitim, als erwachsener Mann anderen erwachsenen Männern jegliche Beleidigungen an den Kopf zu werfen?


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Wo sonst kann man schwarze Spieler durchgehend als „Affen“ beschimpfen? Wo sonst ist es akzeptiert, nicht-deutschen Spielern bei jeder Aktion zuzurufen, sie sollen sich doch wieder dahin verpissen, wo sie herkommen?

All das geht nirgendwo so unbehelligt wie im Stadion. Die Gesellschaft mag sich weiterentwickeln, doch das Stadion stellt eine der wenigen räumlichen Konstanten dar, wo Mann noch ungefiltert Mann sein darf.


Und nein, das ist keine Paderborner Eigenheit. Ich war in den letzten Jahren in vielen verschiedenen Stadien in unterschiedlichen Ligen und es stellt sich nur die Frage, wo die Probleme am extremsten ausgeprägt waren. Es mag sein, dass ich einigen Fankulturen Unrecht tue, aber bisher habe ich live leider kein Positivbeispiel erlebt.

Für mich ist es inzwischen nahezu unerträglich geworden, Fußballspiele ab 3. Liga aufwärts im Stadion zu schauen. Die Flut an rassistischen und sexistischen Kommentaren ist derart groß, dass eine einzelne Person, die sich dagegenstellt, nichts ausrichten kann.

Dafür ist die Stadionkultur zu stark verankert, der Rassismus zu festgewachsen, der Sexismus zu akzeptiert.

Die räumliche Distanz zu den Feindbildern (Schiedsrichter*in, Spieler*innen) der Fans lässt sie sich stark fühlen, sie haben schließlich keine unmittelbaren Konsequenzen für ihre Beleidigungen zu fürchten.

Das ist großartig für die Fußballfans, die schwarze Spieler*innen weiterhin als „Affen“ und die Schiedsrichterin „Blonde Schlampe“ bezeichnen möchten. Für mich und wohl für viele weitere Fans bedeutet das:

Nächstes Wochenende schaue ich wieder zuhause Fußball.

Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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