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Ein modernes Fußballmärchen: Tahiti beim Confed Cup 2013

Traumhafte Sandstrände, Kokosnüsse in Hülle und Fülle oder der fünfmonatige Aufenthalt der legendären Bounty. Tahiti ist für viele Dinge bekannt, der Fußball jedoch gehörte lange nicht dazu. Dies sollte sich 2013 schlagartig ändern, als das Nationalteam Tahitis (das übrigens ganz Französisch-Polynesien vertritt), die größte Bühne des damaligen Fußball-Sommers betrat: den FIFA Confederations Cup in Brasilien.

Aber von Anfang: im beschaulichen, von grünen Hügeln umsäumten Lawson-Tama-Stadion auf den Salomonen wurde im Sommer 2012 ozeanische Fußballgeschichte geschrieben.

In der absoluten Peripherie des Weltfußballs wurden knapp 9.000 Zuschauer Zeugen, wie zum ersten Mal ein Team den OFC Nations Cup gewinnen konnte, das nicht aus Australien oder Neuseeland kam.

Im Finale traf das Team aus Tahiti auf das ozeanische Schwergewicht Neukaledonien (2012 immerhin mal auf Platz 108 der Weltrangliste). Die Neukaledonier hatten da schon die eigentliche Sensation des Turniers vollbracht und die haushoch favorisierten Kiwis aus Neuseeland im Halbfinale mit 2:0 geschlagen.




 

Die Neuseeländer waren bei der WM zwei Jahre zuvor als einziger aller WM-Teilnehmer ungeschlagen geblieben und mit einigen relativ namhaften Akteuren wie Chris Wood oder Shane Smeltz auf die Salomonen gereist.

Im Endspiel hielt die starke Abwehr Tahitis und die Polynesier schlugen die Melanesier aus Neukaledonien nach einer unterhaltsamen Gruppen-Paarung (4:3 Sieg) zum zweiten und entscheidenden Mal im Turnier. Der frenetisch gefeierte 1:0 Sieg war der erste internationale Titel der Toa Aito (Eisernen Krieger) und wurde das Ticket zum Confed-Cup nach Brasilien.

 

Vahiruas Traum wird wahr

Da Französisch-Polynesien politisch kein eigener Staat ist, sondern als Überseegebiet Teil des französischen Staatsgebietes außerhalb Europas ist, war man berechtigt am Coupe de l’Outre-Mer 2012 in Paris teilzunehmen. Das inzwischen eingestellte Turnier der Fédération Française de Football sollte den Auswahlmannschaften der Überseeterritorien die Chance geben, sich alle vier Jahre in Frankreich zu messen.

Die Niederlage im Auftaktspiel gegen Mayotte (Inseln nördlich vor Madagaskar) erwies sich letztlich als entscheidend. Knappe Siege gegen Martinique (Karibikinsel) und Neukaledonien reichten nicht zum Finaleinzug. Der erhoffte Schub an Selbstvertrauen vor dem größten Ereignis der nationalen Fußballgeschichte blieb aus.

Umsonst war die Reise in die koloniale Metropole Frankreich jedoch nicht. Man konnte den einzigen Profi-Fußballer Tahitis überzeugen, den lang gehegten Traum für seine Heimat aufzulaufen, endlich in die Tat umzusetzen.

Der 33-jährige Offensivspieler Marama Vahirua war zu der Zeit von der AS Nancy an den griechischen Erstligisten Panthrakikos ausgeliehen, wo er Stammspieler war.

Trotz dieses bescheiden anmutenden Karriere-Herbstes konnte Vahirua auf eine veritable Karriere zurückblicken. Der sechsmalige französische U21-Nationalspieler hatte es auf mehr als 300 Spiele in der Ligue 1 gebracht und hatte zu Karrierebeginn für Nantes in der Champions League gespielt (1 Tor gegen Eindhoven).

Aufgrund der riesigen Entfernung in seine Heimat war es ihm jedoch nie erlaubt, an den aus europäischer Sicht bedeutungslosen ozeanischen Turnieren oder WM-Qualifikationsspielen teilzunehmen.

Als sich das Team eine Woche vor Start des Konföderationen-Pokals auf den Weg machte war bereits klar, dass dies die vorerst letzte gemeinsame Reise nach Brasilien sein sollte. In der dritten Runde der OFC WM-Qualifikation war man mit nur einem Sieg aus sechs Spielen hinter Neuseeland, Neukaledonien und nur vor den Salomonen ausgeschieden.


(Foto: Tânia Rêgo/ABr/Wikimedia cc-by-sa3.0)

Umso bedeutender wurde dementsprechend die Generalprobe der WM. Kein anderes Team wird mit einer ähnlichen Vorfreude bzw. Anspannung in Richtung Zuckerhut aufgebrochen sein, natürlich wohlwissend, dass man chancenlos sein würde.

Alles was für heutige Profi-Fußballer selbstverständlich ist, stellte für die Südseebewohner Neuland dar. Die meisten Spieler flogen zum ersten Mal in ihrem Leben in der Business Class und viele von ihnen hatten noch nie einen anderen Kontinent betreten. Und auch der Umgang mit der internationalen Presse war fremdes Terrain.

Jedoch hatten acht Spieler des Kaders an der U20-WM 2009 in Ägypten teilgenommen. Der Confed Cup sollte die Krönung für diese „Goldene Generation“ werden.

 

Ungewöhnliche Vorbereitung

Genauso ungewohnt wie Interkontinentalreisen und ausländische Journalisten würde die Geräuschkulisse von zehntausenden Zuschauern in Belo Horizonte, Rio de Janeiro und Recife werden.

Trainer Eddy Etaeta, der in Tahiti als Lehrer arbeitet, kam daher auf eine ungewöhnliche Idee: “Wir haben beim Training zu Hause über den Lautsprecher die Atmosphäre eingespielt, damit sich die Jungs an das Geschrei von 100.000 Zuschauern gewöhnen können und nicht überwältigt sind.”

Als Testspielpartner in den Tagen vor dem Turnier dienten Jugendteams oder unterklassige Vereine. Gegen das U-20 Team aus Chile verlor man 0:7, gegen den brasilianischen Zweitligisten América FC immerhin nur mit 0:1.


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Dementsprechend stellte manch einer die Sinnhaftigkeit des Unterfangens in Frage. Der Online-Auftritt der Bild-Zeitung sah sich gar veranlasst, einen Artikel mit der Überschrift „Warum spielt Tahiti mit und wir nicht?“ zu veröffentlichen.

Dabei hatte sich Tahiti das Recht sich mit den besten Nationalteams der Welt zu messen genauso redlich verdient wie alle anderen Teilnehmer auch.

Abgesehen davon hält das Nationalteam Tahitis auch einen Weltrekord: keine andere Nationalmannschaft gewann so häufig mit 13 oder mehr Toren (10 Spiele).

 

Der Moment des Turniers

Nichtsdestotrotz ging der 138. der Weltrangliste (platziert zwischen Sudan und Ruanda) als krasser Außenseiter ins Auftakt-Match gegen Afrikameister Nigeria. Die Westafrikaner gaben sich dann auch keine Blöße und hatten nach 28 Minuten bereits auf 3:0 gestellt. Dann jedoch kam der vielleicht herzerwärmendste Moment des Turniers.

In der 54. Minute schlug Marama Varihua eine Ecke auf den langen Pfosten wo sich Abwehrspieler Jonathan Tehau, einer von vier Tehaus im Kader (drei Brüder und ein Cousin), über seinen Verteidiger schraubte und aus kurzer Distanz ins Tor von Vincent Enyeama einnickte. Die knapp 20.000 Zuschauer in Belo Horizonte sprangen geschlossen von ihren Sitzen und brachten das weite Rund zum Kochen.


https://youtu.be/pgghE8VJB9I?t=142

 

Die Mannschaft feierte das historische Tor indem sie auf die Knie ging und Paddelbewegungen imitierte um so dem eigentlichen Nationalsport, dem traditionellen Va’a Kanurennen, Tribut zu zollen. Die Bilder sollten in den nächsten Tagen um die Welt gehen und das Herz von Fußballfans rund um den Globus erwärmen.

Das Spiel ging am Ende zwar mit 6:1 verloren (auch durch ein Eigentor des Torschützen Tehau), kann aber dennoch als Riesenerfolg gewertet werden. Gerade in der Mitte der Partie taten sich die müde wirkenden Black Eagles unheimlich schwer mit dem Underdog und Tahiti konnte immer wieder einige umfeierte Pass-Stafetten zeigen. Die ungeteilte Sympathie des brasilianischen Publikums hatten sie da schon längst inne.


Auch die nigerianischen Spieler waren angetan und umarmten die Polynesier nach Spielende herzlich.

Coach Etaeta zeigte sich besonders ergriffen und gestand: „Ich war tief ergriffen, habe fast geweint. Wir schauen Weltmeisterschaften im Fernsehen. Heute waren wir die Darsteller! “. Schon da war klar, dass das Abenteuer am anderen Ende der Welt ein voller Erfolg war.

 

Eine historisch ungleiche Begegnung

Einige Tage später wurde sowohl die Bühne als auch der Gegner nochmal ein Stück eindrucksvoller. Im sagenumwobenen Estádio Jornalista Mário Filho von Rio, besser als Maracanã bekannt, traf man auf den amtierenden Welt- und Europameister Spanien. Eine derart ungleiche Begegnung zwischen Nationalteams wird es wohl noch nie gegeben haben, und das in einem der legendärsten Stadien, das der Weltfußball zu bieten hat.

Folgerichtig setzte es gegen die B-Elf der Iberer eine auch in der Höhe wenig überraschende 10:0 Pleite, die höchste Niederlage in der Geschichte der FIFA-Wettbewerbe. Aber auch dieser Klatsche konnte man viel Positives abgewinnen.




 

Jeder gelungene Pass Tahitis wurde frenetisch bejubelt. Gerade in der Zeit zwischen 0:1 (5. Minute durch Fernando Torres) und 0:2 (31. Minute durch David Silva) verkauften sich die Insulaner teuer und versuchten immer wieder Gegenangriffe zu initiieren.

Doch gerade gegen Ende der Partie wurde der Klassenunterschied zwischen David und Goliath immer deutlicher und den Spaniern war es ein leichtes, dem Ozeanienmeister ein Tor nach dem anderen einzuschenken.

Die Spanier wiederum zeigten sich beeindruckt vom Kampfeswillen der Eisernen Krieger und machten klar, dass man die historisch ungleiche Begegnung nicht auf die leichte Schulter genommen hatte. „Wir waren fokussiert als hätten wir ein Finale gespielt. Tahiti hat ein großartiges Beispiel geliefert, wie man Fußball spielen sollte. Wir haben versucht ihnen in jeder Hinsicht Respekt zu zollen“ so Fernando Torres. Trainer Vicente del Bosque und David Villa lobten das Fairplay der haushoch unterlegenen Exoten.

 

Das brasilianische Publikum im Rücken

Neben dem Respekt der Spanier hatten die Tahitianer auch die Herzen der über 70.000 Zuschauer in Rio de Janeiro gewonnen. Ihr aufopferungsvolles und von unbändigem Willen geprägtes Spiel gegen eines der besten Nationalteams der Geschichte, hatte nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

„Ich bin immer noch überwältigt“ so Mikael Roche, Tahitis Torhüter nach dem Spiel. „Die brasilianische Menge war so wundervoll. Sie haben für uns gejubelt obwohl wir nur kleine Spieler sind, ein kleines Team. Ich werde nie vergessen was sie für uns getan haben.“

Im letzten Spiel setzte es gegen den Südamerikameister aus Uruguay erneut eine herbe Pleite. Doch auch diesmal konnte Tahiti ein Highlight für sich verbuchen.

In der 50. Minute hielt Keeper Gilbert Meriel (in den drei Spielen kamen alle Keeper zum Einsatz) einen von Andrés Scotti schwach geschossenen Elfer. Auch diese Aktion führte zu frenetischem Jubel des brasilianischen Heimpublikums. Wohl auch deshalb, weil es sich mit den Urus um einen der großen südamerikanischen Rivalen handelte.




 

Der Endstand von 0:8 war schnell vergessen. Die Fußballer aus Französisch-Polynesien wussten, dass sie sich dem Ende der größten Reise ihrer Karriere, wenn nicht gar ihres Lebens näherten und verabschiedeten sich gebührend.

Mit Tränen in den Augen und ausgestattet mit einer Brasilien-Flagge sowie einem Riesenbanner mit der Aufschrift „Obrigado, Brasil“ (Danke, Brasilien) zogen die Publikumslieblinge eine Ehrenrunde durch die Arena Pernambuco von Recife.

„Wir haben wunderbare Momente in Brasilien erlebt. Niemals werden wir genug Dank für die Unterstützung finden, die wir erhalten haben. Ihr habt uns träumen lassen. Aber jetzt müssen wir in unser wahres Leben zurück“, so Torhüter Roche, der eigentlich als Sportlehrer tätig ist.

„Ich will Brasilien nicht verlassen“, verkündete Coach Etaeta wehmütig auf der Pressekonferenz und verabschiedete sich von jedem der anwesenden Journalisten persönlich per Handschlag.

 

Werbung für den Amateurfußball

Die Auswahl Französisch-Polynesiens, wo es überhaupt nur 11.000 registrierte Fußballer bei einer Bevölkerung von ca. 283.000 Menschen gibt, hatte Großes vollbracht. Sie hatte es geschafft, den Amateur-Fußball im Konzert der großen Fußballmächte bestmöglich zu vertreten.

Die Spieler, die bis auf Vahirua Amateure waren und entweder keine Arbeit hatten (10 Spieler) oder sich etwa als Strandverkäufer oder Regaleinräumer verdingten, konnten die Heimreise erhobenen Hauptes antreten.

Sie hatten der Welt gezeigt wie man das Spiel respektiert indem man auch in Momenten hoffnungsloser Unterlegenheit Spaß hat, den Moment genießt und versucht dem Gegner sein Spiel aufzuzwingen. Letzteres mag gescheitert sein aber mit ihrem fairen (zwei Gelbe Karten einmal Gelb-Rot), demütigen aber immer selbstbewusstem Auftreten hatte Tahiti nicht nur die Fans in Brasilien für sich begeistert.


(Foto: Tânia Rêgo/ABr/Wikimedia cc-by-sa3.0)

In der Heimat werden die lange wenig beachteten Spieler wahrscheinlich zu unsterblichen Helden avanciert sein.

“Wer wusste vorher schon, dass Tahiti ein Fußballteam hat? Selbst von unseren 200.000 Einwohnern wusste das höchstens die Hälfte, und noch weniger interessierten sich dafür”, so Stürmer Steevy Chong Hue.

„Wir holen den Profifußball ein Stück weit in die Realität zurück. Und die sieht so aus, dass es auf der Welt 99 Prozent Amateurfußballer und nur ein Prozent Profis gibt”, sagte Nationaltrainer Etaeta.

Sein Team sei mit dem Ziel in Brasilien angetreten “Werte wie Respekt und Loyalität (zu) vermitteln, die im Profifußball oft verlorengehen, an der Basis aber unabdinglich sind”. Dieses hehre Ziel haben die Toa Aito aus Tahiti eindrucksvoll erreicht und damit ein modernes Fußballmärchen geschrieben.


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Amadeus Marzai
Fun Guy und leidenschaftlicher Streetballer. Seit er denken kann schlägt sein Herz für die Toronto Raptors. Im zweiten Leben Fußball-Fan, der eine Taktik nicht einmal dann erkennen könnte, wenn sein Leben davon abhinge. Für Cavanis Friseur reicht es trotzdem. Auch deshalb, weil Edinson Cavani neben Xabi Alonso sein All-Time Lieblingsspieler ist. Aufgrund seiner vielfältigen Interessen intern als „Random Amy“ verspottet. Einer von mehreren Weltmeister-Abiturienten im Team, der ausdruckstechnisch zu den brillantesten Friseuren gehört.

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