Am 23. Mai um 18 Uhr beginnt die FIFA U20-Weltmeisterschaft 2019 in Polen. Das Auftaktspiel bestreitet nicht etwa der Gastgeber, sondern laut Auslosung „empfängt“ Tahitis U20 die U20 Senegals. Tahiti bei der U20-WM?! Wie konnten die sich qualifizieren? Können die was erreichen?
So lautete die Frage einer meiner Freunde bezüglich des diesjährigen Auftaktmatches. Nun möchte ich die dazu passende, etwas ausführlichere Antwort geben und gleichzeitig den anderen Teilnehmer Ozeaniens Neuseeland etwas ausführlicher betrachten.
Ein Gastbeitrag von Eric Hielscher.
→ zur Vorschau von Tahiti bei der U20-WM 2019 in Polen
→ zur Vorschau von Neuseeland bei der U20-WM 2019 in Polen
Ozeanien bei der U20-WM 2019
Seit der FIFA U20-WM 2017 werden zwei der 24 Teilnehmerplätze an die Oceania Football Confederation (OFC) vergeben.
Der zweite Startplatz kam von der UEFA, deren Starter von sechs auf fünf reduziert wurden, um – so der offizielle Wortlaut – den Fußball in aller Welt zu fördern und tatsächlich reisen Teams aus der ganzen Welt zur diesjährigen U20-WM in Polen.
So sind, neben den altbekannten wie favorisierten Nationen Frankreich, Italien oder Argentinien auch einige fußballerische Exoten wie Norwegen, Katar oder eben die ozeanischen Vertreter Neuseeland und Tahiti dabei.
Da die Kader, Stärken und Schwächen der letztgenannten Teams eher unbekannt sind, gibt es im Folgenden einen kurzen Abriss über die OFC-Nationen.
U20 Tahiti im Porträt
Gerade der 190.000 Einwohner fassende frankophone Inselstaat Tahiti ist dabei fußballerisch nur den wenigsten ein Begriff.
Der seit dem 19.Jahrhundert als „Inbegriff des Südseetraums“ geltende Staat mit einer der höchsten Urbanisierungsquoten der Welt schaffte es durch kontinuierliche Arbeit, französischen Legionären und schlussendlich dem Heimvorteil zum ersten Mal seit zehn Jahren zur FIFA U20-WM.
Beim letzten Mal verabschiedeten sich „Toa Aito“ – die „Eisernen Krieger“ – klanglos mit drei Niederlagen und 0:21 Toren aus Ägypten.
Das soll diesmal anders werden und dafür sollen diese Jungs von Chefcoach Bruno Tehaamoana sorgen:
Tor:
Ohne einen guten Keeper wäre das Team sicherlich nicht zur U20-WM gefahren und ein solcher ist Moana Pito, der in der Qualifikation nur vier Mal hinter sich greifen musste und als Torhüter des Turniers ausgezeichnet wurde.
Ihn zeichnen tolle Reflexe und ein sehr gutes 1-gegen-1 aus. Der Stammkeeper des AS Tefana wird viel zu tun bekommen. Die Position des Torwarts ist sicherlich die beste und tiefste im Kader.
Abwehr:
Fünf Frankreichlegionäre spielen im Team von Bruno Tehaamoaha, vier davon sind unumstrittene Stammspieler.
Dazu gehören Samuel Liparo und Tevaitini Teumere, der in der Jugend des französischen Erstligisten FC Toulouse ausgebildet wird und daher sicher die besten Ansätze mitbringt.
Dies wird ergänzt durch Hennel Tehaamoana und Mauri Heitaa, die beide OFC-Championsleagueerfahrung einbringen können.
Die Abwehr ist sicher ordentlich für eine Pazifiknation aufgestellt, wird aber einiges zu tun bekommen und kann kaum Ausfälle kompensieren.
Es ist ebenfalls fraglich, ob viele die Belastung und die mentale Stärke mitbringen über 90 Minuten einen konzentrierten Auftritt auf diesem Level abzuliefern.
Die Qualität in der heimischen ersten Liga ist überschaubar und es gibt keinerlei Profispieler, sodass es für die meisten eine große Umstellung werden wird.
Mittelfeld:
Das Mittelfeld überzeugte defensiv, ließ aber offensiv bisher einiges zu wünschen übrig. Erfahrungsgemäß wird es wohl die Änderung zu einer noch defensiveren Spielweise geben, da die Gegner allesamt stärker einzuschätzen sind.
In der Qualifikation überzeugten Außenstürmer Eddy Kaspard sowie Abräumer Terai Bremond, der aktuell in Frankreich in der U19 von Toulouse spielt.
Die oberste Priorität wird es sein möglichst lang die null zu halten, daher wird das 4-2-3-1 System sicher sehr defensiv ausgelegt und teilweise auf eine 6er-Kette umgestellt werden.
Angriff:
Der einzige Stürmer auf weiter Flur wird Kapitän Roonui Tehau (siehe unten) sein. Tehau spielte eine sehr starke Qualifikation. Große Wechselmöglichkeiten bestehen hier jedoch nicht.
U20 Tahiti – der Star des Teams
Die Pazifiknationen zeichnen sich gerade im Jugendbereich durch viele körperlich starke Spieler aus.
Einer davon ist Stürmer und Kapitän Roonui Tehau, der sowohl im OM als auch als MS eingesetzt werden kann. Dieser spielte mit drei Toren und zwei Vorlagen eine starke Qualifikation und konnte sich sogar schon in die Torschützenliste der OFC-Championsleague eintragen.
Tehau ist sehr kopfballstark, was ihn vor allem bei Standardsituationen zu einer gefährlichen Waffe macht.
Auf diese wird es in der Gruppenphase auch ankommen, da es schwierig wird aus dem Spiel heraus Chancen zu kreieren.
Tahiti wird diesbezüglich einige Überraschungen bereithalten und den ruhenden Ball verstärkt trainieren.
U20 Tahiti – der Trainer
Bruno Tehaamoana ist ein unbeschriebenes Blatt in Ozeanien. Sein erster Job war die Übernahme des U20-Teams vor der WM-Qualifikation im eigenen Land.
Dort fuhr er in fünf Spielen drei Siege und zwei knappe Niederlagen (beide gegen Neuseeland) ein. Tehaamoana lässt sehr defensiv spielen, sodass die DM häufig zwischen der Abwehr stehen.
Nach vorne setzt er auf die individuelle Klasse von Roonui Tehau und Eddy Kaspard sowie auf Standardsituationen durch den Spezialisten Yann Vivi.
U20 Tahitis Qualifikation:
Die Qualifikation im eigenen Land lief recht ordentlich. Tahiti startete als Mitfavorit und musste sich im ersten Spiel sehr knapp mit 2:1 gegen Neuseeland geschlagen geben.
In den beiden folgenden Gruppenspielen erreichte man ein starkes 6:0 gegen Papua-Neuguinea, die ohne jede Chance waren und im Abschlussspiel ein 2:0 über Tonga mit der B-Elf. Im Halbfinale traf Toa Aito auf die bis dahin ungeschlagenen Bonitos von den Salomon-Inseln.
Tahiti konnte das Spiel nach Belieben dominieren und zurecht mit 3:1 für sich entscheiden. Im Finale wartete erneut Neuseelands U20, wo man sich nach einem langen Kampf mit 1:0 geschlagen geben musste.
Ausblick:
Tahitis U20 ist zum zweiten Mal dabei und wird sich hoffentlich besser als beim ersten Mal verkaufen.
Durch die Frankreichlegionäre, Kapitän Tehau und Keeper Pito können die „Eisernen Krieger“ hoffen, dass kein 0:21 nach drei Spielen in der Tabelle zu Buche steht.
Ich denke, dass in der schweren Gruppe A mit Polen, Kolumbien und Senegal kein Punkt geholt werden kann.
Einzig Senegals U20 hat ebenfalls viele unbekannte Spieler, sollte jedoch als Afrikazweiter Tahiti deutlich überlegen sein.
Das Ziel ist „viele Erfahrungen mitzunehmen“ und dabei wird es auch bleiben. Ein Tor wäre zu wünschen und ein Punkt wäre sensationell.
Schön wäre, wenn am Ende eine Tordifferenz von bspw. 1:9 machbar ist und die Spieler Tahitis mit erhobenen Häuptern nach Hause fliegen können.
U20 Neuseeland im Porträt: ein mögliches Überraschungsteam
Das zweite Team ist schon deutlich bekannter und zum sechsten Mal vertreten. Neuseeland hat sich die Vorherrschaft in Ozeanien nach dem Wechsel Australiens 2005 nie mehr streitig machen lassen.
Das Land der langen weißen Wolke spielt seine fünfte U20-WM in Folge, die sechste überhaupt. Der einzige Kratzer kam 2009, als „die eisernen Krieger“ Französisch-Polynesiens diese Serie unterbrachen.
Trotz vieler Teilnahmen konnte Neuseeland nie mehr als das Achtelfinale erreichen, wo man teilweise krachend scheiterte.
Wenn im Folgenden die Aufstellungen der letzten Achtelfinalpartie (0:6 gegen die USA) und der jetzigen voraussichtlichen Startaufstellung verglichen werden, dann hat das Team rund um Chefcoach Des Buckingham beste Chancen dieses Jahr das selbstgesteckte Ziel zu übertreffen und das Achtelfinale zu überstehen.
Das Team ist gespickt mit internationalen Aktueren und rekrutiert den Rest vom amtierenden neuseeländischen Meister. Dies sah vor zwei Jahren noch ganz anders aus, wo sogar Spieler aus Neuseelands Jugendliga zur Startelf gehörten.
Auch die damaligen A-League-Spieler standen bestenfalls im erweiterten Kader und zählen jetzt zu den umumstrittenen Stammakturen.
Die Qualität ist vorhanden und es kann, ohne zu übertreiben, von einer Goldenen Generation Neuseelands gesprochen werden, der für die Maßstäbe des OFC großes zugetraut werden kann.
Tor:
Im Tor steht Stammkeeper Michael Woud. Der 1,94m-Mann verbrachte seine Jugend beim AFC Sunderland und wechselte von dort zu Willem II Tilburg, wo er vor kurzem die ersten Einsätze in der niederländischen Liga verbuchen konnte.
Er ist der Rückhalt des Teams und gilt als erfahrener Spielführer, da es schon seine zweite U20-WM ist.
Schwächen im 1-gegen-1 werden durch Glanzparaden auf der Linie und eine ordentliche Strafraumbeherrschung ausgeglichen. Woud zählt sicher zu den stärkeren Keepern des Turniers.
Abwehr:
In der Abwehr spielen als LV Liberato Cacace und als RV Dalton Wilkins. Diese Positionen sind gut besetzt und gerade auf der häufig schwächeren LV-Position spielt mit Cacace einer der besten des Turniers.
Der 18-Jährige liefert eine Wahnsinnssaison ab und kommt auf 26 Spiele (1 Tor, 3 Vorlagen) in Australiens höchster Spielklasse. Innen werden George Stanger und Nando Pijnaker auflaufen.
Die Innenverteidiger könnten eine Schwachstelle des Teams sein und sind sicher schwächer einzuschätzen als die Spieler auf der Außenbahn, dennoch haben beide ein ordentliches Niveau.
Mittelfeld:
Defensiv spielen dort Kapitän Joe Bell, der einer von drei Akteuren ist, die schon 2017 dabei waren. Er kann das Spiel sehr gut lesen und verstehen und bringt für sein Alter eine Menge Erfahrung mit.
Sein sehr gutes Auge hilft ihm für gutgetimte Pässe in die Schnittstelle. Daneben wird der Bremer Trevor Zweetsloot seinen Platz als Abräumer einnehmen.
Auf den Außen agieren der Torschützenkönig Neuseelands Callum McCowatt und Leon van den Hoven, die für viel Wirbel sorgen.
Gerade ersterer strahlt mit seiner Schnelligkeit und seinem Zug zum Tor eine unglaubliche Torgefahr aus. Zwischen Zehner und Hängender Spitze verschiebend, spielt das Herzstück dieses Teams Sarpreet Singh (Siehe unten).
Sturm:
Im Sturm sehe ich Max Mata als gesetzt an. Der ehemalige U17-Kapitän empfiehlt sich gerade bei der U21 der Grashoppers Zürich für die 1.Schweizer Liga.
Mata ist der typisch bullige Stürmer mit Torinstinkt und einem guten Abschluss. Er ist ein Ballverteiler, dem es sicher an Schnelligkeit fehlt, der dafür aber Robustheit und Kopfballspiel mitbringt.
Wenn beide Außenbahnspieler mit eingerechnet werden, hat der Sturm mit Vorlagengeber Singh unwahrscheinliche Qualität für dieses Niveau.
U20 Neuseeland – Star des Teams:
Der Starspieler des Teams ist Sarpreet Singh. Der Neuseeländer mit indischen Wurzeln spielt seine zweite U20-WM und kann zu einem Gesicht des Turniers aufsteigen.
Er ist einer der herausragendensten Jungstars der australischen Liga und empfiehlt sich mit fünf Toren und acht Vorlagen in 26 A-Leaguespielen für höhere Aufgaben.
Es ist vor allem seine Übersicht und Passgenauigkeit, die ihn schon in der neuseeländischen Liga besonders gemacht haben.
Nachdem er letztes Jahr vor allem auf den außen eingesetzt wurde, kreierte Coach Mark Rudan dieses Jahr die klassische 10er-Position, die für ihn prädestiniert erscheint.
Singh muss zwar noch körperlich zulegen, aber er hat ein unwahrscheinliches Auge und setzt selbiges mit Schnittstellenpässen und top getimten Flanken sehr gut ein.
Zusammen mit dem 8er Bell werde beide häufig für McCowatt und Mata auflegen können.
U20 Neuseeland – der Trainer
Gecoacht werden die „Junior All Whites“ vom Engländer Des Buckingham. Buckingham war Trainer in den Jugendteams von Oxford bevor er nach Neuseeland ging und als Co-Trainer von Wellington Phoenix verpflichtet wurde.
Dort sprang er 2017 interimsmäßig für 14 Spiele ein, wo er im Schnitt auf 1,3 Punkte kam. Nach einem kurzen Aufenthalt bei Stoke Citys U23 wurde er Anfang 2018 Trainer des U20-Teams.
Buckingham lässt ein 4-2-3-1 spielen, was er offensiv auslegt. Meistens sind die Außenbahnspieler verkappte Stürmer, sodass eine gewisse Schnelligkeit und Zug zum Tor ins System einwirkt.
Dies lässt Räume in der Defensive, weswegen auf die Außenverteidiger defensiv einiges zukommen wird.
Durch das starke Aufgebot dieses Jahr wird Neuseeland jedoch kaum in die sehr defensive Grundausrichtung zurückfinden, welche sonst das Team charakterisierte.
U20 Neuseelands Qualifikation:
Die Qualifikation überstanden die „All Whites“ mit einer Traumbilanz. Fünf Spiele, Fünf Siege, 23:2 Tore.
Das einzige Team, das auf Augenhöhe spielen konnte, war Tahiti, wo beide Spiele sehr knapp mit 2:1 (Gruppenphase) und 1:0 (Finale) gewonnen wurden.
Das 2:1 im Halbfinale gegen Neukaledonien sieht knapper aus als es schlussendlich war. Diese Spiele können jedoch keine Richtlinie sein, da in der Qualifikation aus verschiedenen Gründen acht Stammspieler fehlten, welche jetzt nominiert wurden und die Qualität im Team damit deutlich erhöhen.
Ausblick:
Neuseelands U20 möchte wieder ins Achtelfinale, aber ich denke, dass dieses Jahr durchaus mehr möglich ist.
Die Gruppe ist mit Uruguay, Honduras und Norwegen nicht übermäßig stark besetzt, sodass der zweite Platz angestrebt werden kann und man möglicherweise auf einen anderen Gruppenzweiten treffen könnte.
Ich rechne damit, dass Neuseeland seine Leistung und das ausgegebene Ziel toppt und bis ins Viertelfinale vorstoßen kann.
Ein Gastbeitrag von Eric Hielscher, Jahrgang ’92, seit 2011 Datenscout für Neuseeland, Fidschi und Ozeanien. Aus dem Erzgebirge kommend, lila-weißes Blut durch die Adern strömend, wurde ich schon früh Schiedsrichter beim FCE.
Ozeanien allgemein faszinierte mich als Region schon immer, sodass es nur allzu logisch erschien, mich näher mit dem Fußball in dieser Region zu befassen.
[…] Zu diesen Feldspielern zählen unter anderem auch Jann-Fiete Arp, Lars-Lukas Mai und Sarpreet Singh. […]