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Taktikanalyse: Atalanta Bergamo

(Grafiken: Erstellt von Cavanis Friseur / © Footyrenders)

Denkt man an Offensivspektakel in der Serie A, denkt man an Napoli, AC und Inter Mailand und den AS Rom. Und wer hat in dieser Saison die zweitmeisten Tore geschossen? Richtig erkannt:

Atalanta Bergamo.

Mit 66 erzielten Toren stehen die Norditaliener knapp hinter Tabellenführer Juventus Turin. Besonders seit der Winterpause präsentiert sich Atalanta in Hochform:

Besagtes Juventus Turin wurde in der Coppa Italia mit 3:0 aus dem Stadion geschossen. Gegen Bologna ging man bereits nach 15 Minuten mit 4:0 in Führung. Und gegen den AS Rom wandelten sie einen 3:0 Rückstand in ein 3:3 um.

Was macht Atalanta so gefährlich?

Das Gasperini-Team zeichnet sich besonders durch die flexiblen Bewegungen der Spieler aus. Bergamo spielt aus einer 3-4-1-2/3-4-2-1 Hybridformation. Innerhalb des Systems gibt es jedoch unzählige teils improvisierte, teils geplante Bewegungen.

Die zentralen Spieler im System Atalantas sind Kapitän und Zehner Papu Gómez, die beiden passstarken zentralen Mittelfeldspieler Remo Freuler und Marten de Roon, der andribbelnde Halbverteidiger Rafael Toloi und natürlich Goalgetter Duván Zapata.

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Spielaufbau

Bergamo eröffnet das Spiel aus einer Dreierkette. Die Verteidiger agieren im Passspiel auf Sicherheit bedacht. Der Großteil der Pässe wandert zu den beiden ZM´s oder zum abkippenden Papú Gomez.

Freuler und de Roon zeigen sich in ihren Bewegungen flexibel: Häufig kippen sie weit nach außen in die Halbräume ab. Das bedeutet dann für Gómez, dass er sich den Ball tief abholen kann.

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Teilweise lässt sich de Roon auch zwischen die Verteidiger fallen und erzeugt eine Viererkette. Dieses Zurückfallen wird vor allem gegen hohes Pressing genutzt, um einen Spieler mehr im Aufbau zu haben.

Die Bewegungen der drei Verteidiger sind ebenfalls äußerst interessant. Mit Ball dribbeln sie aggressiv an und zwingen den Gegner zum Zusammenziehen der Formation. Jedoch dribbeln nicht nur die beiden Halbverteidiger an, was die Norm darstellt: Der zentrale Verteidiger rückt ebenfalls mit Ball vereinzelt weit auf.

Was erstmal wirr klingt, ist – bei der richtigen Einbindung – alles andere als wirr. Jeder Spieler weiß, wie er auf die Bewegungen zu reagieren hat. Dribbelt bspw. der zentrale Innenverteidiger an, rücken die beiden Halbverteidiger ein und sichern ab.

Fächert de Roon zu einer Viererkette auf, verschiebt sich das gesamte Team nach hinten. Befinden sich Freuler und de Roon in den äußeren Halbräumen, besetzt Gómez den Sechserraum usw.

Wie unkonventionell die Bewegungen auch sein mögen: Atalanta Bergamos System balanciert sie nicht nur aus – Atalanta Bergamo bindet sie ins System ein.

Die schießen viele Tore

Im Offensivspiel stellen die Gasperini-Schützlinge ebenfalls ihre Variabilität unter Beweis. Den Norditalienern gelingt es konstant, in Ballnähe Überzahlen zu schaffen. Der ballführende Spieler bekommt immer Unterstützung seiner Mitspieler.

Somit besitzt er eine Anbindung ans Spiel. Der Gegner wird ballnah angelockt, woraufhin das Spiel auf die andere Seite verlagert wird. Im Flügelspiel zeigen sich die Norditaliener dann von ihrer besten Seite.

Das Hinterlaufen der Flügelverteidiger geschieht auf hohem Niveau. Gosens, Castagne und Hateboer besitzen ein herausragendes Timing. Sie schauen genau, wann sie den gegnerischen Verteidiger vor die Entscheidungsschwierigkeit stellen können: Stellt er den Dribbelweg des Ballführenden zu oder den Passweg zum hinterlaufenden Spieler?

Gómez und Ilicic bedienen diese Laufwege mit ihren Pässen sehr stark.

Bergamo sorgt mit einem simplen taktischen Mittel, welches überragend ausgeführt wird, offensiv für Gefahr. Die Strafraumbesetzung veredelt das Hinterlaufen nochmals:

Atalanta erzielt viele Tore über Hereingaben an den zweiten Pfosten. Dieser wird flexibel besetzt, wobei Zapata dort am häufigsten lauert. Bereits einige Male war jedoch der ballferne Flügelverteidiger (!) Nutznießer der Hereingaben. Castagne hat 2 Treffer erzielt, Gosens 3 und Hateboer bereits 5.

Das ist ungewöhnlich, da beim Großteil der Teams der ballferne Außenverteidiger in der Restverteidigung bleibt. Nicht so bei Atalanta: Die Dreierkette dient als Absicherung sowie mindestens einer der beiden Sechser. Dementsprechend hat der ballferne Flügelverteidiger die Möglichkeit, mit in den Strafraum zu stoßen.

Dieses flexible Nachrücken in den Sechzehner macht sie unausrechenbar. Der erste und zweite Pfosten sind IMMER besetzt. Fast ein Viertel ihrer Tore erzielte Bergamo innerhalb des Fünfmeterraums.

Beeindruckend ist dabei die Ruhe, mit der sie die Flanken vorbereiten. Anstatt den Ball blind in den Strafraum zu schlagen, verlagern die Flügelverteidiger das Spiel. Den Norditalienern gelingt es herausragend, die Flanke in die passende Dynamik hineinzubringen. Und ein Spieler sticht dort besonders hervor:

Es ist unausweichlich – spricht man über den Erfolg Atalantas, spricht man über Leihspieler Duván Zapata. Der 28-jährige Mittelstürmer hat in einer Saison für Bergamo mehr Tore erzielt als für irgendeinen anderen Verein in seiner Karriere.

Mit 21 Toren ist er nicht nur Toptorjäger Atalantas, sondern kann sich berechtige Hoffnungen auf die Torjägerkrone machen. Zapata profitiert wesentlich vom Offensivspiel der Norditaliener.

Die Läufe des Kolumbianers an den zweiten Pfosten sind aufgrund seines Tempos kaum zu verteidigen. Zapata gelingt es immer wieder, sich in gefährliche Positionen zu bringen. Dabei ist sehr interessant, dass er von seinen 21 Toren jedes innerhalb des Sechzehnmeterraums erzielt hat.

Atalanta gegen den Ball

Gegen den Ball agieren die Norditaliener im 5-2-2-1. Je nach Ausrichtung des Gegners wird in einer 2-1 oder in einer 1-2 Staffelung angelaufen. Im Pressing verhält sich Bergamo durchaus mutig: Von Phasen eines höheren Mittelfeldpressings wird nach Triggern ins Angriffspressing umgeschaltet.

Dort gelingt es Zapata gut, den Gegner auf eine Seite zu lenken. Daraufhin rücken die Flügelverteidiger vereinzelt weit vor, um den Gegner unter Druck zu sichern. Das weiträumige Herausrücken wird sauber vom restlichen Team abgesichert. Defensiv besitzen de Roon und Freuler ebenfalls ein gutes Stellungsspiel.

Die beiden erzielen die meisten Ballgewinne bei Bergamo. Konterabsicherung und gefährliche Ballgewinne in der Hälfte des Gegners funktionieren ebenso top. Dabei stechen besonders das Zugriffstiming Gómez und die Athletik Zapatas heraus.

Für eine Fünferkette untypisch besitzt Atalanta die größten Probleme in der tiefen Verteidigung am Flügel.

Ist der Ball außen, rückt der ballnahe Flügelverteidiger heraus. Der ballnahe Halbverteidiger schiebt weit mit und sichert einen möglichen Durchbruch ab.

Klingt sinnvoll, doch es gibt ein Problem: Der zentrale Verteidiger der Fünferkette kann nicht so weit mitschieben, da das Zentrum sonst unterbesetzt ist.

Nun wird die Position von de Roon und Freuler entscheidend: Rücken sie mit auf den Ballführenden heraus und erhöhen die Chance auf einen direkten Ballgewinn? Oder bleiben sie zentraler und sichern damit Halbraumverlagerungen ab?

In jedem Fall entstehen Lücken, die der Gegner bespielen kann. Unter den Top 5 hat Atalanta mit 41 Treffern die meisten Gegentore kassiert.

Die individuelle Qualität der Flügelverteidiger und der ZM´s kompensiert das sogar ordentlich. Das Rückzugsverhalten der Offensiv-Akteure ist ebenfalls stark. Außerdem macht Bergamo das schnelle Umschalten aus: Dabei entstehen nunmal Lücken im eigenen Verbund.

Da geht noch was

Atalanta Bergamo ist in dieser Saison eins der eigenartigsten Teams im europäischen Spitzenfußball. Trotz geringer Offensivpräsenz erzielen sie die meisten Tore in der Serie A. Und trotz Fünferkette sind sie defensiv anfällig.

Ihre Zahlen unterstreichen nochmal ihre Ungewöhnlichkeit: Nur einen von den 66 Treffern erzielten sie per Elfmeter. Tabellenführer Juventus Turin hat hingegen bereits siebenmal (!) per Elfmeter getroffen.

 

Doch Atalanta wird es egal sein: Ihnen gelingt es in dieser Saison, wie kaum einem anderen Team Hereingaben vom Flügel überragend vorzubereiten und abzuschließen. Dazu kommen ein Papu Gómez in bestechender Form und Duván Zapata mit der Saison seines Lebens.

All das ist jedoch kein Glück: Atalanta Bergamo befindet sich derzeit verdient auf dem fünften Tabellenplatz der Serie A. In der Coppa Italia haben sie nach dem 3:3 im Hinspiel in Florenz ebenfalls gute Chancen auf den Finaleinzug.

Ein Titel wäre die Krönung für die bemerkenswerte Saison Atalantas. Wird es am Ende „nur“ das internationale Geschäft, wird man sich damit ebenso zufrieden geben.

Den Titel „ungewöhnlichstes Team im europäischen Spitzenfußball“ haben sie allerdings sicher.


Fussball Blog Italien

Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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3 comments

  1. Vielen Dank für diesen tollen Bericht! Wirklich Schade, dass Christante und Kessie dort nicht mehr spielen… Eins der spannenderen Teams in Europa. Bei Spielen von denen kann man gewiss sein, das sich das Zuschauen lohnt!

    Gerne mehr davon! (Vielleicht über Betis Sevilla?)

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