Im Viertelfinale der Champions League kommt es zu einem legendären Aufeinandertreffen: Manchester United empfängt den FC Barcelona. An die letzten beiden Begegnungen werden sich die ManUtd-Fans nicht so gerne zurückerinnern: Barca – damals noch von Pep Guardiola trainiert – gewann jeweils 2009 und 2011 das Champions League Finale.
Das Finale 2011 gilt als eins der besten Barcelona Spiele in der Guardiola-Ära. Wir werfen für euch nochmal einen Blick zurück.
Sir Alex Ferguson, die Trainerlegende von Manchester United, konstatierte nach dem Spiel, dieses Barca sei das beste Team, dem er als Manager im Spiel begegnet ist. Michael Carrick lief in diesem Spiel als Sechser für die Engländer auf. Im kürzlich erschienenen Film „Take the ball, pass the ball“ über die Guardiola-Zeit bei Barca wurde ebenfalls Michael Carrick interviewt.
8 Jahre nach der Niederlage schien der Sechser immer noch fassungslos und gleichzeitig doch begeistert. Weshalb zeigen sich die Manchester United Protagonisten dermaßen ehrfürchtig vor dieser Leistung des FC Barcelona?
https://www.youtube.com/watch?v=CuVpb_ufUCE
Grundausrichtungen
Barcelonas Grundformation bildete ein 4-3-3 mit Sergio Busquets als Sechser. Xavi nahm verstärkt am tiefen Spielaufbau teil, während Iniesta Übergänge in höheren Zonen ermöglichte. Dani Alves schob auf rechts höher als sein Pendant Eric Abidal.
Sir Alex Ferguson setzte auf eine 4-4-1-1 Formation mit Wayne Rooney als zentral offensivem Mittelfeldspieler und Chicharito als alleiniger Spitze. Michael Carrick sollte den tiefen Spielaufbau als Sechser unterstützen. Der Waliser Ryan Giggs versuchte, mit nachrückenden Läufen Barcas Abwehr vor Probleme zu stellen.
Die Wortwahl mit „sollte“ und „versuchte“ ist bewusst gewählt – größtenteils gelang es nämlich nicht. In der 48. Minute wurden Zahlen eingeblendet, die dies untermalten: Xavi hatte bereits 74 Pässe mit einer Quote von 95% angebracht.
Michael Carrick konnte bis dato 19 Pässe an den Mann bringen. Der spielstarke Mittelfeldmann hatte keinen schlechten Tag: Ihm wurde von Barcas Pressing schlichtweg die Luft zum Atmen genommen.
Die ersten 10 Minuten
Dabei begann die Partie für ManUtd äußerst gut. Rooney und Chicharito liefen als Doppelspitze an und erzwangen lange Bälle der Barca-IVs. Barcelona schien komplett von der Rolle. Alves besaß keine Anspielstationen und selbst Busquets gab den Ball gegen das überfallartige Pressing Manchesters her.
Auffällig war, wie früh ManUtd die Katalanen unter Druck setzte: Sie nutzten die schwache Dreiecksbildung Barcas überragend aus, um die Katalanen außen zu isolieren. Am stärksten wirkte sich dies auf Eric Abidal aus, der von Ferguson als Pressingopfer ausgemacht war:
Valencia attackierte ihn frontal im höchsten Tempo, Chicharito stellte die Rückpassoption auf Pique zu, während Rooney den Horizontalpass auf Busquets zustellte. Iniesta konnte sich nicht optimal von der Mannorientierung Carricks lösen, sodass Abidal keine Anspielstationen besaß.
An vorderster Front kam David Villa die undankbare (und nicht geplante) Aufgabe zu, die langen Bälle Barcas festzumachen.
Doch nachdem Barcelona anfangs überhaupt nicht in die Partie fand, war nach 10 Minuten der Schalter wie umgelegt. Für die grausige Anfangsphase besitzen die Spieler eine einfache Erklärung: Pep Guardiola spielte unmittelbar vor dem Anpfiff ein Video vor.
Dieses Video war ein Highlight-Snippet jedes einzelnen Barca Spielers über die gesamte Saison. Xavi und Co. waren berührt von dem Video und starteten emotional vollkommen aufgelöst in die Partie.
Die restlichen 80 Minuten
Was nach diesen erschreckenden 10 Minuten passierte, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Barcelona schnürte Manchester United vollkommen ein. Dafür nutzten die Guardiola-Schützlinge eine unendliche Zahl an taktischen Mitteln. Daher werde ich nur die aus meiner Sicht wichtigsten vorstellen.
Die größten Probleme besaß ManUtd mit der eigenen Unterzahl im Zentrum. Da sich Messi immer wieder zurückfallen ließ, besaß Barca im Mittelfeld ein Quartett, bestehend aus: Sergio Busquets, Andres Iniesta, Xavi und besagtem Leo Messi. Busquets kam der absichernde Part zu.
Alle vier Spieler präsentierten sich unfassbar pressingresistent. Das Verschieben und Herausrücken der 4er Mittelfreihe ManUtds war gut, jedoch nicht so gut wie die Ballsicherheit des Katalanen.
Auffällig war, wie lange Messi und Co. den Ball hielten. Sie lockten den Gegner im Zentrum an, warteten auf aggressives Herausrücken und bespielten die sich ergebenden Lücken. Die Katalanen stellten offensive Pressingfallen für den Gegner auf.
Alves schob die gesamte Partie hoch und fungierte im Prinzip als rechter Flügelläufer. David Villa bewegte sich in diesem Kontext in den rechten Halbraum bzw. ins Zentrum. Damit schuf er Raum für den Brasilianer und konnte seine eigenen Stärken im Strafraum nutzen.
Auf der linken Seite sah die Rollenverteilung der Katalanen anders aus: Eric Abidal hinterlief Pedro seltener und meist nur, um ihm Raum bei Dribblings ins Zentrum zu schaffen. Dafür war der Franzose stärker in den Spielaufbau eingebunden.
Bei Barca zeigten jedoch fast alle Spieler herausragende Leistungen: Victor Valdes präsentierte sich sehr sicher mit dem Ball am Fuß. Außerdem zeigte er ein äußerst proaktives Torwartspiel vor dem eigenen Strafraum. Die beiden IV´s dribbelten immer wieder stark an und zwangen ManUtd dazu, sich zusammenzuschieben.
Manchester hoffnungslos unterlegen
Manchester United hingegen brach nach der starken Anfangsphase komplett ein. Gegen den Ball waren die Abstände zwischen den Spielern unpassend. Chicharito und Rooney waren im Pressing nahezu verschenkt. Mal liefen sie als Doppelspitze an, mal mit eindeutiger Verteilung als ZOM und MS.
Dem Rest des Teams schien das nicht ganz klar zu sein und so kam es zu katastrophalen Momenten im Pressing:
Wie auf den Bildern zu sehen ist, laufen Chicharito und Rooney als Doppelspitze an. Da die restlichen Spieler nicht nachschieben, kann Busquets frei aufdrehen.
Das fluide Spiel der Katalanen brachte die Engländer in Entscheidungsschwierigkeiten: Die Ferguson-Mannen waren hin- und hergerissen zwischen Mannorientierung und mannschaftstaktischem Verschieben. Rio Ferdinand bspw. verfolgte Messis Zurückfallen oft bis ins Mittelfeld, um sich dann wieder in die Abwehrkette fallen zu lassen.
Die Kommunikation untereinander passte jedoch nicht: ManUtds Mittelfeldspieler schienen unsicher und wussten nicht, wie und ob sie auf die Bewegungen reagieren sollten. Mal verfolgte ein Mittelfeldspieler Messi mannorientiert, dann verschob ManUtds Mittelfeld ballorientiert.
Das ganze wirkte willkürlich und keinem taktischen Plan verfolgend. Doch nicht nur gegen den Ball lief es bei den Red Devils unrund.
Fähigkeiten der Spieler sollten ins System passen
Etwas eigenartig war auch die Wahl der Spielerrollen – wenn ein 37-jähriger Ryan Giggs mehrmals in isolierte Flügeldribblings gegen Dani Alves gehen muss, passt die Rollenverteilung nicht. Chicharito hingegen musste als Zielspieler für lange Bälle herhalten, was seinem Spielerprofil ebenfalls nicht entgegenkommt.
Der Mexikaner agierte das ganze Spiel über äußerst unglücklich und befand sich alleine in den ersten 18 Minuten dreimal (!) im Abseits. Das regte den Kommentator dazu an, ihm den unrühmlichen Spitznamen „Abseitserbse“ zu verpassen.
Ein weiteres Problem war die doppelte Flügelbesetzung der Engländer. Barcelona wurde erheblich erleichtert, den Gegner zuzustellen. Besaßen Evra oder Fabio den Ball, konnten die beiden Außenverteidiger den Ball fast nie nach vorne spielen, da die Flügelspieler (Valencia/Park) breit blieben und somit IMMER im Deckungsschatten des anlaufenden Barca-Flügels (Pedro/Villa).
Zu den taktischen Problemen ManUtds gesellten sich viele individualtaktische Fehler hinzu: Die Ferguson-Schützlinge trafen oftmals falsche Entscheidungen mit Ball – hektische Distanzschüsse, überambitionierte lange Bälle und technische Fehler.
Vidic und Ferdinand stellten mit fortlaufender Zeit keine Anspielstationen mehr für ihren Torwart dar. Beide positionierten sich für van der Sar mit dem Rücken zum Spielfeld. Und wenn Carrick im Mittelfeld Platz hatte, wurde der offene Pass zu ihm vermieden und der Ball stattdessen lang geschlagen.
Die typischen Charakteristika eines Teams, wessen Selbstvertrauen und -verständnis immer mehr dahinschwindet.
Hätten Rio Ferdinand und Nemanja Vidic keine herausragende Strafraumverteidigung bewiesen, wäre das Resultat vermutlich deutlich höher ausgefallen.
Resümee
Es war eine Machtdemonstration des FC Barcelona: Selten gab es ein Champions League Finale, indem eine Mannschaft derart überlegen war. Das Guardiola-Team zeigte sich in allen Aspekten des Fußballspiels absolut herausragend: Das Pressing griff, nach Ballverlust erzeugten die Spieler kollektiv Druck und die Stärken jedes Spielers wurden optimal ins System eingebunden.
Die Dribbelfähigkeit Messis, die Ballsicherheit Xavis und Iniestas oder das Traumtor David Villas – bei Barcelona gab es einiges zu bestaunen.
Für mich jedoch war besonders beeindruckend, welches Verständnis jeder Barca-Spieler für jede Situation mitbrachte. Zu keinem Zeitpunkt der letzten 80 Minuten wirkte es so, als wüsste ein Spieler nicht, was zu tun ist. Riskante Aktionen wie das Rausrücken Abidals bis zum gegnerischen AV erschienen unriskant, weil alle Spieler wussten, wie sie auf die sich verändernde Staffelung zu reagieren haben. Da war durchaus nützlich, dass Leo Messi defensiv noch engagierter war, als er es heute ist.
Mit dem Ball drückte sich dieses allumfassende Verständnis ebenfalls aus: In einer Szene rückt Dani Alves (RV) in den Halbraum ein und Xavi (DM/ZM) hinterläuft ihn an der Außenbahn mit perfektem Timing. Sehr einfaches Beispiel, doch gewissermaßen hatte ich während des Spiels das Gefühl, jeder Barca-Spieler könnte jede Position im Barca-System (vom Verständnis) bekleiden. Und zwar, weil ihm die Anforderungen an die Position klar sind.
Blick in die nicht so lang vergangene Vergangenheit
Ich springe mal acht Jahre voraus, um meine These verständlicher zu machen und um zu zeigen, was Manchester United dieses Mal erwartet: Das Tor findet man bei Minute 3:54.
https://youtu.be/GOS1JNksO6w?t=234
Das Tor ist brilliant, für mich macht das ganze aber besonders, welche Spieler in welchen Rollen auftreten. Gerard Pique, seines Zeichens Innenverteidiger, legt perfekt One-Touch mit der Hacke auf den durchstartenden Suarez ab. Das Besondere ist nicht die technische Sauberkeit, sondern wie Pique sich optimal zwischen beiden Innenverteidigern mit dem Rücken zum gegnerischen Tor positioniert. Als Innenverteidiger kommt diese Situation so gut wie nie zustande.
Und wer macht den Laufweg an den ersten Pfosten, um den Ball anschließend perfekt mit der Sohle zu Messi zurückrollen zu lassen? Jordi Alba, Linksverteidiger. Auch hier: Der Weg ist gut und die Ablage technisch überragend. Aber dass er sich seinem Umfeld im eigenen Rücken so bewusst ist und zu Messi durchrollen lässt, ist das überraschende. In den meisten Fällen sollte ein Außenverteidiger den Ball bei der Ballempfängnis nicht durchrollen lassen – dann wäre er nämlich im Aus.
Acht Jahre nach dem denkwürdigen Triumph ist Barcelona immer noch in der Lage, für grandiose Szenen zu sorgen. Nun sind die Katalanen gefordert, ihre erfolgreiche Serie gegen den englischen Rekordmeister weiter auszubauen.
Ach ja: Pique hätte übrigens hinter Messi für den Torabschluss gelauert.