Das traumhafte Volleytor gegen die Sowjetunion bei der EM 1988, das niederländische Trio mit Ruud Gullit und Frank Rijkaard und das tragische Ende einer großen Karriere nach anhaltenden Verletzungsproblemen: Der gemeine Fußball-Fan weiß einiges über Marcel „Marco” van Basten.
https://youtu.be/gVZdz0fbdcg?t=44
Genau, Marcel van Basten. Was ich nicht wusste (und ich hoffe, ich bin nicht der Einzige): Marco van Basten heißt bürgerlich Marcel van Basten. Da seine Großmutter jedoch Probleme mit dem Aussprechen des Vornamens hatte, nannte sie ihn „Marco“. Ich habe leider keinen Text in einer mir verständlichen Sprache gefunden, der erklärt, wie der Spitzname bis heute überliefert wurde.
54 Jahre nach van Bastens Geburt ist jedoch festzuhalten: Die Großmutter hatte großen Erfolg mit ihrem abgewandelten Spitznamen. Ihr Enkel wird allerdings auch nicht als unerfolgreich in die Geschichtsbücher eingehen.
Der Spieler van Basten
Erstmal möchte ich jedoch meine Erwartungen an den Niederländer zusammenstellen, bevor ich etwaige Spiele gesehen hatte. Aufgrund einiger Traumtore von ihm hatte ich ihn mir als schussgewaltig vorgestellt, mit leichtem Hang zu übereilten und bedrängten Distanzschüssen.
Wegen seiner Größe malte ich mir den Niederländer als kopfballstark und im Strafraum kaum aufzuhalten aus.
Da van Basten die niederländische fußballerische Ausbildung genießen durfte, schwebte er mir ebenfalls als technisch sauber und kombinationsstark vor.
Der Leser merkt vielleicht: Ich wusste im Prinzip nichts über van Basten, hatte aber – zum ersten Mal in dieser Serie – hohe Erwartungen. Einzig sein Verhalten gegen den Ball stellte ich mir problematisch bzw. inexistent vor. Das hatte nichts mit ihm als Spieler zu tun: Ich verbinde mit der damaligen Zeit (auch aus Unwissenheit) lauffaule Stürmer.
Und um meine Unkenntnis zu offenbaren, werde ich zuerst auf van Bastens Verhalten im Pressing eingehen: Es war nämlich sehr gut.
van Bastens Bewegungen
Marco van Basten war – obwohl die Rückpassregel erst am Ende seiner Karriere eingeführt wurde – ein aktiver und disziplinierter Spieler im Pressing. Besonders unter Trainerlegende Arrigo Sacchi zeigte er in diesem Aspekt starke Leistungen: Stets aufmerksam, den zentralen Passweg belauernd und die Gegenspieler im Rücken immer im Blick.
Bei Ajax Amsterdam und in der niederländischen Nationalmanschaft bewies er ebenfalls seine starke Orientierung. Dort verzeichnete aufgrund des unterschiedlichen Pressingansatzes mehr Ballgewinne. Der Mittelstürmer wusste seine Dynamik clever einzusetzen, um kleine technische Schwächen oder eine schwache Vororientierung des Verteidigers zur Attacke zu nutzen.
Sein Bewegungsspiel bei eigenem Ballbesitz zeigte sich gleichermaßen stark. Ähnlich wie Robert Lewandowski ließ er sich oft nach links fallen, um eine Anspielstation in der Tiefe darzustellen. Diese Laufwege wählte er clever und schuf so einen Übergabemoment zwischen gegnerischem Innen- und Außenverteidiger.
In der kurzen Zeit, in der sich die Verteidigung noch auf den Laufweg einstellen musste, hatte der Niederländer den Ball bereits verarbeitet. Der inzwischen 54-Jährige war nämlich ein sensationeller Zielspieler.
Seine Ballverarbeitung war herausragend und erlaubte ihm, sogar unangenehme Bälle zu kontrollieren. Anschließend schirmte er mit seinem Körper den Ball stark ab und konnte einige Fouls ziehen. Im Dribbling zeigte sich die Ajax-Legende ebenfalls geschickt und sauber. Auf engem Raum konnte er – bei seiner Größe von 1,88m durchaus überraschend – seine Gegenspieler schwindelig spielen.
Dafür nutzte der Niederländer Tempovariationen, Körper- und Schusstäuschungen sowie seine starke Dynamik. Er agierte sehr geduldig und wartete Bewegungen des Gegners ab, um diese dann zu bestrafen.
Oftmals musste van Basten den Ball jedoch gar nicht kontrollieren, sondern leitete diesen mit einem Kontakt weiter. Und da fehlt mir leider der Superlativ, der beschreibt, wie gut er das konnte.
Der Niederländer wusste intuitiv, wann er sich zum „klatschen lassen“ entgegen bewegen sollte und wie er sich dabei zu positionieren hat. Selbst extrem komplizierte Weiterleitungen mit einem Kontakt aus der Luft gelangen ihm konstant. Außerdem war es nahezu irrelevant, wo van Basten der Ball hingespielt wurde: Er konnte ihn mit rechts, mit links, mit der Hacke oder mit dem Kopf dem Mitspieler perfekt servieren. Mit einem Kontakt, wohlgemerkt.
Das Auge für seine Mitspieler bewies die Nummer 9 nicht nur bei Ablagen; falls er nach einem Dribbling am Flügel durchbrach, brachte er gefährliche Flanken in den Strafraum. Bevorzugt schlug er diese mit Topspin an den zweiten Pfosten.
van Basten vor dem Tor
Alleine alle bisher genannten Qualitäten berechtigen den Niederländer dazu, als einer der besten Stürmer aller Zeiten angesehen zu werden. Doch eine große und nicht ganz unwichtige Stärke van Bastens fehlt noch: Das Toreschießen.
Die Nummer 9 besaß einen herausragenden Torabschluss. Im 1 gegen 1 gegen den Torhüter war er nervenstark und zeigte eine große Bandbreite an Abschlüssen. Ob per Lupfer, in die kurze Ecke, in die lange Ecke, mit dem rechten Fuß oder mit dem linken Fuß; van Basten war unberechenbar.
Der schlaksige Mittelstürmer verfügte über einen harten und präzisen Distanzschuss. Hatte van Basten viel Platz vor dem Tor, bestrafte er dies mit fulminanten Toren.
Die Tore zeigen die angesprochenen Stärken van Bastens gut: Er setzte sich auf engem Raum durch, war schnell, hatte einen harten Schuss und konnte ebenso mit links stark abschließen. Artistisch war er auch noch, wie die letzten beiden Tore beweisen.
Zusätzlich war van Basten ein herausragender Kopfballspieler. Nicht nur seine Ablagen, auch seine Torabschlüsse per Kopf waren beeindruckend.
Physisch verfügte der Niederländer über das nötige Werkzeug: Mit 1,88m hatte er Gardemaß, besaß eine gewaltige Sprungkraft und eine gute Körperbalance. Das würde ihn schon zu einem starken Kopfballspieler befähigen; er konnte aber noch mehr.
Seine Kopfbälle verfügten über eine gesunde Härte und beeindruckende Präzision. Das Tor gegen Real Madrid veranschaulicht, aus welch unvorteilhaften Positionen van Basten gefährliche Abschlüsse per Kopf verzeichnen konnte. Welcher Leser jetzt 12 Minuten Zeit mitbringt, findet im folgenden Video einige Kopfballtore des Niederländers:
https://www.youtube.com/watch?v=XQIG-2rbsgI
Was besitzt ein torgefährlicher Stürmer noch außer einem präzisen Torabschluss? Genau, ein cleveres Bewegungsspiel; er muss ja erstmal in die Position für einen Torabschluss kommen. Und ja – Überraschung – van Basten konnte das.
Intelligent positionierte er sich in der Schnittstelle zwischen Innen- und Außenverteidiger und startete von dort in die Tiefe. Seine Tiefensprints in Kombination mit seiner Dynamik und den starken Ballmitnahmen waren kaum zu verteidigen.
Im Strafraum und um den Strafraum zeigten sich seine Läufe variabel und abhängig von der sonstigen Strafraumbesetzung: van Bastens Repertoire beinhaltete Sprints an den ersten Pfosten, das Lauern am zweiten Pfosten sowie das Besetzen des Rückraums.
Seine tororientierten Bewegungen führte er gerne im Rücken des Gegners durch. Verlor der Verteidiger den Niederländer einmal aus den Augen, kam van Basten frei zum Abschluss.
Verletzungsanfälligkeit als größte Schwäche
Lange hatte ich überlegt, ob ich den Teil freilasse und direkt zum Fazit übergehe – wie der Leser sieht, habe ich das nicht getan. Bei van Basten möchte ich jedoch nicht von Schwächen sprechen, sondern von: „Das konnte er nicht so überragend wie alles andere“.
Die größte Schwäche van Bastens war die Konstanz: Seine Torquote – abgesehen von der Saison 90/91 – bewegte sich stets auf hohem Niveau. Jedoch täuscht das nicht über einzelne Schwächephasen in der Saison und in einigen großen Spielen hinweg.
Bedenkt man jedoch die Verletzungsanfälligkeit des Mittelstürmers, ist seine Inkonstanz die logische Konsequenz: Nach transfermarkt.de hatte van Basten von 1986 bis 1993 4(!) Knöcheloperationen. Das macht seine Torquote eigentlich noch beeindruckender.
Die letzte der vier Knöcheloperationen 1993 besiegelte sein Karriereende 1995. Sein letztes offizielles Fußballspiel bestritt er mit 28 Jahren.
Doch auch ein Marco van Basten in Topform besaß (kleine) Schwächen. Nachdem ich sein One-Touch-Spiel sehr gelobt habe, muss ich diese Facette seines Spiels minimal abwerten. Der Niederländer fokussierte sich nämlich zu stark darauf.
Oftmals besaß van Basten die Chance mit dem Ball Richtung gegnerisches Tor aufzudrehen: Der Gegenspieler war weit entfernt und der Weg zum Tor frei. Aufgrund mangelnder Orientierung verpasste der Neuner diese Möglichkeit aber und spielte stattdessen technisch anspruchsvolle Ablagen. Diese Ablagen kamen in beeindruckender Frequenz an, stellten aber nicht die optimale Lösung dar.
Die mangelnde Orientierung zeigte sich ebenfalls in manchen Dribblings. Der Mittelstürmer isolierte sich selbst, da er gute Anspielstationen übersah. So hielt er den Ball lange und trieb immer weiter vom Mannschaftsverbund weg.
Und gegen fünf Gegenspieler ohne Unterstützung vom eigenen Team hatte selbst van Basten Probleme.
Marco van Basten: Eine zu kurze Karriere
All das ändert nichts an dem Fakt: Marco van Basten war großartig. Das Trio mit Frank Rijkaard und Ruud Gullit in der niederländischen Nationalmannschaft und beim AC Mailand ist legendär. In 6 aktiven Saisons in Italien gewann van Basten 3x die Meisterschaft, 2x den Europapokal der Landesmeister und den Weltpokal. Außerdem wurde er 3x Europas Fußballer des Jahres und gewann 1988 mit der Europameisterschaft den einzigen Titel in Niederlandes Fußballgeschichte.
Unvergessen sind seine spektakulären Tore gegen Real Madrid und die Sowjetunion. Marco van Basten war DER Mittelstürmer.
Ein Mittelstürmer, der alles mitbrachte, was ein „klassischer“ Neuner braucht. Ein Mittelstürmer, der ebenfalls alle Facetten der modernen Neun besaß. Und ein Mittelstürmer, dessen Karriere viel zu früh vorbei war.
Schaut man sich seine Torquoten und die Qualität seiner Tore an, stellt sich die Frage: Wie gut wäre van Basten erst gewesen, hätte er keine Verletzungsprobleme gehabt?
Die Verteidiger der Serie A werden froh sein, dass sich diese Frage nicht beantwortet werden lässt.