Gestern versetzte ein Video von Robert Klauß die Fußballrepublik Deutschland in helle Aufruhr. Der Trainer des 1. FC Nürnberg war nach der 1:2 Niederlage gegen den FC St. Pauli mit dem Vorwurf konfrontiert worden, der Matchplan seines Teams sei nicht zu erkennen gewesen. Was machte Klauß? Er erklärte dem Sportjournalisten kurzerhand seinen „Matchplan“:
📋 Matchplan – ihr kennt ihn aus der Kreisliga. 🤷#FCNSTP #fcnürnberg #stpauli #bundesliga2 #robertklauß #sportschau pic.twitter.com/vWQz0vdS10
— Sportschau (@sportschau) February 15, 2021
Gegen den Ball hatte er ein hohes 4-2-2-2 Pressing gewählt. Wenn der Ballgewinn erfolgt war, sollte über den ballfernen Zehner umgeschaltet werden. Im Spielaufbau wurde aus dem 4-2-2-2 ein 3-4-3 mit einer Asymmetrie auf der linken Seite.
Die Reaktionen auf das Video könnten unterschiedlicher kaum sein: Eine Seite meint, das wäre Alltag im Profifußball und Bezeichnungen wie „breitziehender Zehner“ seien notwendig, um die Aufgaben eines Spielers präzise zu beschreiben.
Die andere Seite wirft dem Trainer vor, den Fußball unnötig kompliziert zu machen und mit seinen Aussagen intelligent wirken zu wollen. „Wie sollen die Spieler das denn verstehen?“ war eine häufig gestellte Frage.
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Welche Seite hat nun Recht? Oder liegt die Wahrheit – wie so häufig – in der Mitte?
Kommentar zu Robert Klauß: Der Fußball hat sich weiterentwickelt
Fußball ist sehr beliebt. Das WM-Finale 2018 zwischen Frankreich und Kroatien schauten insgesamt 1,12 Milliarden Menschen. Diese Popularität bedingt, dass mit dem Fußball sehr viel Geld verdient werden kann.
Fernsehsender bezahlen Millionen dafür, ein Fußballspiel übertragen zu können. Fans zahlen viel Geld für Fußball-Abonnements, Merchandise und Eintrittskarten (vor Corona). Die Konsequenz der weiterhin steigenden Beliebtheit ist, dass die Transfersummen und die Gehälter der Spieler immer höher werden.
Im Profifußball ist ein Abstieg nicht nur traurig für die Fans, Spieler und Verantwortliche. Ein Abstieg bedeutet ebenfalls (meist) einen großen finanziellen Einschnitt, wenn Fernsehgelder wegbrechen. Wie sagte der bei Klauß-Kritikern sicherlich beliebte Steffen Baumgart nach der Niederlage gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokal? „Das geht hier für uns gerade um 2 Millionen! Ich bin keine Aktiengesellschaft. Wir kämpfen um jede müde Mark!“
Steffen Baumgart ist eine Legende. #BVBSCP pic.twitter.com/oadn5atcjf
— Tim (@edeljoker_) February 2, 2021
Was hat das jetzt mit den Aussagen von Robert Klauß zu tun? Sehr viel. Im Fußball geht es um immer mehr Geld, in der Folge professionalisiert sich der Sport immer weiter. Alle streben nach stetiger Verbesserung.
Dadurch entstehen Veränderungen: Die Spieler werden fitter und die Räume enger. Da die körperliche Entwicklung der Spieler wohl bald ihr Limit erreichen wird, rückt ein Bereich verstärkt in den Fokus: Die Taktik.
Das Ziel jedes Trainers ist es, die Qualitäten seiner Spieler zu maximieren. Die Konsequenz daraus soll der Sieg im nächsten, übernächsten und am besten in allen Spielen sein. Dafür muss ich die passende Ausrichtung für mein Team wählen.
Welche Spieler stelle ich auf, wo stelle ich sie auf und welche Aufgaben gebe ich ihnen an die Hand? Über all das muss sich der Trainer Gedanken machen und darauf basierend eine Entscheidung treffen. Das macht Jürgen Klopp, das macht José Mourinho, das macht Steffen Baumgart und das macht auch Robert Klauß.
In dem so heiß diskutierten Video macht Klauß nichts anderes, als dem Journalisten die taktische Ausrichtung für das Spiel zu beschreiben. Dabei lässt er sogar mehrere Faktoren außer Acht, die durchaus interessant gewesen wären: Warum hat er sich für diese Ausrichtung entschieden?
Was hat er als problematisch wahrgenommen, was hat gut funktioniert? Hat er die taktische Ausrichtung im Laufe des Spiels angepasst und wenn ja, wie?
Doch Klauß Ausführungen zum Matchplan genügten schon, um viele Kritiker auf den Plan zu rufen. Das sei alles viel zu kompliziert und sie würden nicht verstehen, wovon er da spricht. Aber Achtung: Sie müssen es auch gar nicht verstehen.
Es ist in Ordnung, nicht alles zu wissen
Der Nürnberg Coach wird seinen „Matchplan” vermutlich anders an seine Spieler kommuniziert haben. Das Ziel sollte immer sein, den Spielern den Plan möglichst einfach zu vermitteln – Verständlichkeit geht dabei vor sprachliche Präzision.
Vermutlich war das noch etwas aktionsorientierter, also z.B. „Wenn wir den Ball im Aufbau haben, fällst du zurück und wir spielen in einer Dreierkette!“. Für die Spieler ist so etwas längst Alltag und auch gewünscht. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Spieler ebenfalls besser werden und jedes Spiel gewinnen möchten.
3 kurze Gedanken aus kommunikationspsychologischer Perspektive (Thread): https://t.co/IHppsCssGX
— Christoph Becker (@chribecke) February 15, 2021
Dafür ist es notwendig, dass der Trainer einzelne Abläufe etwas präziser beschreibt als „Geht´s raus und spielt Fußball!“. Dabei erfindet Klauß das Rad nun wirklich nicht neu: Einen Spieler im Spielaufbau abkippen zu lassen ist nicht wahnsinnig innovativ.
In jedem Kreisliga-Team fällt ein Spieler mal im Aufbau zurück, um beispielsweise eine Überzahl zu schaffen. Der Unterschied ist nur, dass dies nicht so geplant passiert und vom Zuschauer auch nicht zwangsläufig als „abkippender Sechser“ wahrgenommen wird.
Und da sind wir wieder bei dem Punkt. Der Zuschauer muss das auch alles gar nicht erkennen und verstehen. Ich kann eine große Faszination für einen Sport mitbringen, ohne mich intensiv mit den dort angewandten Taktiken und Techniken zu beschäftigen. Der allgemeine Zuschauer möchte unterhalten werden, also: Viele Tore und am besten ein Sieg für das Lieblingsteam.
Die Aufregung um die Klauß-Aussagen beschreiben ganz gut, wie unterschiedlich die Wünsche an den Sportjournalismus sind. Einige wollen einen taktischen Diskurs, andere sind daran nicht interessiert. Ist auch vollkommen in Ordnung.
— Alex (@AlexAlxalix) February 15, 2021
Wie es zu den Toren und zu dem Sieg kommt, ist dem Zuschauer egal – ein Trainer wäre aber ein schlechter Trainer, wenn er auch so denken würde. Damit der Zuschauer gut unterhalten werden kann, arbeiten die Trainer von morgens bis abends (und auch nachts) an der Verbesserung der Leistungen des Teams.
Fußballtrainer im Profibereich sind Fachmänner – sie können beim Schauen eines Spiels das Spiel „lesen“, verschiedene Muster erkennen und beurteilen. Um das Gesehene präziser als mit „gewöhnlichen“ Begriffen beschreiben zu können, nutzen die Fachmänner Fachbegriffe.
Das ist in jedem Job Alltag – wenn ein Maschinenbauingenieur über die Strömungsmechanik in Rohrleitungen spricht, verstehe ich das auch nicht. Aber nur weil ich etwas nicht verstehe, bedeutet das nicht, dass es unverständlich ist. Mein Wissen zum Thema Maschinenbau reicht schlichtweg nicht aus, um die Strömungsmechanik in Rohrleitungen zu verstehen oder gar erklären zu können.
Und das gilt genau so für den Fußball: Wenn meine Kompetenz bzw. mein Vokabular nicht genügt, um zu verstehen oder erklären zu können, wovon Robert Klauß spricht, dann bin ich einer ganz großen Erkenntnis auf der Spur.
Ich habe herausgefunden, warum Robert Klauß eine Mannschaft in der 2.Bundesliga trainiert und ich nicht.
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