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Luca Toni – Die Kunst des Strafraumstürmers

Sie gelten als aussterbende Spezies – die Strafraumstürmer. Die Art von Stürmer, die das gesamte Spiel abgemeldet sind; und dann, kurz vor Schluss, stolpern sie den Ball aus 3 Metern ins leere Tor hinein.

Selten sind die Tore wirklich schön, kaum jemand sagt „Boah, wie hat er den denn gemacht?“ – aber der Ball ist drin.

Luca Toni gilt wahrscheinlich gemeinsam mit Landsmann Filippo Inzaghi als das Paradebeispiel des Strafraumstürmers.

Der Italiener besaß Qualitäten, die ihn selbst mit 38 Jahren noch dazu befähigten, Torschützenkönig in der Serie A zu werden – vor Spielern wie Carlos Tévez und Gonzalo Higuain.

Eine zufriedenstellende Erklärung dafür wurde dem Fußballfan nie geliefert. „Der weiß einfach, wo das Tor steht!“ hat mir nie ausgereicht.

Das muss doch irgendwie zu erklären sein, dass dieser unathletische 1,93m Schlaks so viele Tore schießt? Ein Porträt über Luca Toni: Den Strafraumstürmer, der so rational spielte, dass es irgendwie komisch war.

 

Luca Toni, der Stürmer, der immer richtig stand

Schaut man sich mal an, von wo der italienische Ohrenschrauber seine Tore erzielte, ergibt sich das erwartete Bild. Toni traf nahezu ausschließlich im Sechzehner.

Einige Tore waren sogar im Fünfmeterraum oder nur knapp dahinter. Und: Luca Toni traf vorrangig aus zentralen Positionen.

Luca Toni Tore

Diese Erkenntnisse sind wahrlich nicht bahnbrechend. Sicher, umso näher man am Tor steht, umso eher trifft man auch das Tor – ganz logisch. Die zentralen Positionen sind ebenfalls leicht zu erklären.

Schließlich ist der Einschusswinkel dort erheblich größer als aus äußeren Positionen. Die interessante Frage ist doch: Wie gelang es einem Luca Toni, so oft aus diesen Positionen zum Abschluss kommen?

Den Mittelstürmer zeichnete aus, dass die Verteidiger im Spiel auch einfach mal vergaßen, dass er da ist. Oder, etwas realitätsgetreuer formuliert: Sie hatten ihn nicht im Blick.

Ein Fußballspiel hat es an sich, dass nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Spieler die meiste Zeit auf den Ball schauen. Luca Toni wusste das für sich zu nutzen:

Besonders bei Flanken attackierte der Italiener immer wieder von der „blind side“ des Verteidigers. Dafür positionierte er sich zwischen beiden Innenverteidigern, meist näher am ballnahen.

Außerdem stellte er sich leicht hinter diesen Verteidiger, sodass dieser ihn nicht sehen konnte. Diese Position birgt für Flanken gleich mehrere Vorteile:

 

Die Position, aus der Luca Toni (fast) alles machen konnte

Luca Toni konnte so in den verschiedensten Szenarien eingreifen. Kam die Hereingabe in den Rückraum, konnte er sich noch weiter absetzen und von dort abschließen. Das machte er aber nur selten – Toni wollte ja hin zum Tor, nicht weg.

Das zweite Szenario ist die hohe Hereingabe zwischen beide Innenverteidiger. Durch seine tiefere Position konnte er mehr Dynamik zum gegnerischen Tor aufnehmen und mit Wucht in den Ball „hineingehen“.

Ein riesiger Pluspunkt gegenüber den Defensivspielern:Hätten diese ihren Körper und ihre gesamte Dynamik zum eigenen Tor ausgerichtet, wäre das eher kontraproduktiv gewesen – Stichwort Eigentor.

Luca Toni Strafraum

Wurde die Flanke eher zum ballfernen Innenverteidiger gezogen, konnte Toni den Körper dazwischenschieben: Ansonsten wäre ihm der Abwehrmann einfach in den Rücken gesprungen, was wohl einen Elfmeter zufolge gehabt hätte.

Kam die Hereingabe eher zum ballnahen Innenverteidiger, hat der Italiener den Vorteil, dass der Spieler ihn bis zum letzten Moment nicht sehen kann. So überraschte Toni den Verteidiger mit verschiedenen Bewegungen.

Ein beliebter Lauf war der Weg an den ersten Pfosten Der Mittelstürmer lief hier vor den ballnahen Innenverteidiger, der ihn wieder nicht sehen konnte.

Da Toni bereits Dynamik aufgenommen hatte, konnte er so wuchtige Abschlüsse direkt im Tor unterbringen. Denn zum Tore schießen gehört nicht nur die richtigen Position; man muss den Ball auch aus der Zentrale immer noch versenken.

 

Spezialität: Kopfball

Den Ball irgendwie reinmachen – das konnte Luca Toni. Viele seiner Torabschlüsse waren nicht schön, nicht wahnsinnig präzise, aber eben drin.

Was der Italiener herausragend konnte, war köpfen. Klar, er war 1,93m groß und durchaus robust gebaut, doch ein Großteil seiner Tore hatte er seiner sauberen Kopfballtechnik zu verdanken.

Interessant war vor allem, dass seine Absprünge variierten: Mal sprang er mit dem rechten, mal mit dem linken Fuß, mal beidbeinig ab.

Einbeinig sprang er eher ab, wenn er seine Position nicht fest hatte und den Sprung noch nutzte, um den Ball erreichen zu können.

Beidbeinige Sprünge verwendete er, sobald seine Position fest war und er die Präzision und die Kraft des Kopfballs erhöhen wollte.

Luca Toni Kopfball

Luca Toni konnte deswegen aus verschiedensten Situationen gefährlich werden. Ich weiß nicht, wieviele Kopfballtore ihr schon gesehen habt, bei denen ein Spieler zu Boden fällt oder gar rückwärts läuft: Wenn ihr sowas sehen wollt, schaut euch Luca Toni Videos an (Link kommt am Ende).

 

Spezialität: Volley

Eine weitere Spezialität waren die Volleys des Italieners. Selbst im Fallen oder gar im Rückwärtslaufen konnte Toni mit beiden Füßen (!) eine enorme Wucht aufbringen.

Das spricht für die technischen Fähigkeiten und die Koordination des Mittelstürmers.

Durch seine langen Beine konnte er ebenfalls Bälle mit dem Fuß treffen, die die meisten Spieler mit dem Kopf spielen würden: Das machte ihn nochmal unberechenbarer.

Zu dieser Unberechenbarkeit gehörte bei Toni ebenso, dass er auch mal völlig überraschend den Abschluss suchte.


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Teilweise stand der Mittelstürmer fast ganz mit dem Rücken zum Tor, schaute nicht mal, wo das Tor ist und zog einfach ab.

Tore schießen, ohne zum Tor hinzuschauen: Bei Luca Toni trifft der Spruch „Der weiß, wo das Tor steht!“ wirklich zu.

Dabei war es wieder beachtlich, wie viel Kraft der Mann aus der Provinz Modena in seine Schüsse legen konnte.

Die meisten Spieler hätten mit der Körperstellung den Ball nicht mal bis zum Tor bringen können, doch Toni konnte den Ball so wuchtig treffen, dass die Torhüter gar nicht erst reagierten.

 

Der Reinwurschtler aus Pavullo nel Frignano

Das klingt alles eigentlich schön. Gut köpfen konnte er, Volleys konnte er, Power hatte er auch – wunderbar. Luca Toni war allerdings nicht nur das, er war auch der Meister des berühmten „Kacktors“.

So Dinger, wo man sich fragt, wie die jetzt eigentlich reingehen konnten. Wie hast du das gemacht, Luca?

Die Abschlusstechnik von Luca Toni war – nett gesagt – unorthodox. Er variierte mit beiden Füßen fließend zwischen Abschlüssen mit dem Spann, der Innenseite, der Picke und dem Außenrist.

Da seine Abschlüsse selten genau ins Eck gingen und oft etwas hoppelten, sah es stets so aus, als hätte er den Ball gar nicht richtig getroffen.

Technik-Lehrbuch-Autoren schlugen sicher die Hände vor dem Kopf zusammen, aber: Wer trifft, hat Recht.


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Schließlich muss ja nicht jeder Ball genau in die Ecke gehen. Warum soll man es dann versuchen? Es reicht doch, wenn der Abschluss so kommt, dass der Torwart den Ball nicht mehr erreichen kann.

Das wusste auch Luca Toni: Die Abschlüsse waren nur so präzise wie eben nötig.

Dabei war eine seiner größten Qualitäten, dass er den Torwart lesen konnte. Aufgrund der Position und des Körperschwerpunktes sowie der Verlagerung zu einer Seite wusste der Italiener, wo der Torwart nicht mehr an den Ball kommt.

Es wäre spannend, Toni mal zu fragen, woran er sowas erkennen konnte – erklären könnte er es wahrscheinlich selbst nicht.

Daher gibt es eine Vielzahl von Torabschlüssen des Mittelstürmers, die nur knapp am Torhüter vorbeirollen. Manchmal fragt man sich, wie der Keeper diesen Schuss denn jetzt nicht halten konnte.

Dann spult man zurück, schaut auf die Position und die Körperhaltung des Torwarts und denkt sich „Luca Toni, du bist ein Genie!“.

 

Probier´s mal mit Gelassenheit, mit Ruhe und Gelassenheit

Um das so genau analysieren zu können, muss man vor dem Tor natürlich einen kühlen Kopf bewahren.

Während viele Mittelstürmer als „eiskalt“ vor dem Tor bezeichnet werden, trifft es bei Toni das Wort Gelassenheit wohl am besten. Selten wirkte er gestresst vor dem Tor oder suchte überhastet den Abschluss.

Stattdessen wartete er gut ab, bis der Ball wirklich perfekt lag, der Torwart bereits kurz entspannt und Toni keinen Kontakt mehr vom Verteidiger bekommt.


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Dabei schaute Toni vor allem auf den Torwart, um eben dessen Bewegung zu lesen: Rechnet der Torwart mit einem Schuss? Zu welcher Seite bewegt er sich gerade? Welche Zone im Tor kann er gerade nicht abdecken?

All das nahm der Italiener blitzschnell auf, zog die richtigen Schlüsse und setzte seine Entscheidungen technisch ungewöhnlich, aber zielbringend um.

Teilweise waren es Milisekunden, die der Italiener länger wartete als der gewöhnliche Mittelstürmer – diese Milisekunden entschieden jedoch über Tor oder nicht Tor.

 

Nicht nur ein Strafraumstürmer

Luca Toni war ein überragender Strafraumstürmer, das war allen bereits bekannt. Zuletzt geht es mir noch darum, meine größten Überraschungen im Bezug auf den italienischen Mittelstürmer herauszustellen.

Am Anfang des Texts schrieb ich von einem unathletischen 1,93m Schlaks. Das ist falsch. Der Italiener war kein Sprinter, für seine Größe aber sehr dynamisch.

Außerdem war er koordinativ extrem gut ausgebildet, was sich vor allem in seinen unorthodoxen Volleys zeigte.

In Italien bezeichnete man ihn nicht umsonst als den “Schrank“. Toni war sehr robust, ließ sich von Gegnern kaum abkochen und war vor allem in der Luft quasi unaufhaltbar.


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Viel überraschender war für mich jedoch, wie gut sich der Italiener im Dribbling behaupten konnte. Besonders im Strafraum konnte er sich mit überragenden Bewegungen nochmal Platz für seine Abschlüsse verschaffen.

Mal war es eine Schussfinte, dann war es nur ein kleiner Haken: Wo viele Stürmer bereits draufgebolzt hätten, nutzte Toni seine Finten, um seine Abschlüsse ideal zu vorbereiten.

Ihm gelang es ebenfalls, in dynamischen Situationen mit Dribblings an Verteidigern vorbeizuziehen.

Ich muss zugeben, als Verteidiger wäre ich auch überrascht gewesen, wenn dieses nicht nach Dribbelkünstler aussehende Schlitzohr den Ball an mir vorbeilegt.

Dabei war Luca Toni ein Musterbeispiel dafür, wie sich kleine Finten und Dribblings im Strafraum effektiv nutzen lassen.

 

Luca Toni – How to be a good Strafraumstürmer

Ach, was soll der Geiz: Luca Toni war ein Musterbeispiel dafür, was einen guten Strafraumstürmer ausmacht! Kaum ein Spieler kam auch im hohen Alter so zuverlässig zu hochkarätigen Torchancen.

Der Italiener brachte alles mit: Herausragendes Bewegungsspiel, gute Abschlusstechnik mit Kopf und Fuß, Gelassenheit vor dem Tor, Überraschungsmomente jeglicher Natur und vor allem einen coolen Torjubel.

Dabei beleuchtet der Text längst nicht alle Facetten der Bayern-Legende: Seine Defensivarbeit war – in jüngeren Zeiten – ordentlich, außerdem machte er als Zielspieler für lange Bälle ebenfalls einen guten Job.

Am prägendsten waren jedoch seine Aktionen direkt vor dem Tor.

Dabei bediente er sich der hohen Kunst des Strafraumstürmers, das Tore schießen leicht aussehen zu lassen. „Den hätte ich auch noch gemacht!“ durchfuhr es die Zuschauer.

Aber Luca Toni konnte es egal sein, welch ästhetischer Wert seinen Toren beigemessen wurde.

Wisst ihr nämlich, was viel geiler ist, als ein Traumtor aus 30 Metern zu schießen? Zwei Tore zu schießen – mit zwei Toren gewinnt man nämlich eher.


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Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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