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Olivier Giroud: Nicht Dein klassischer Mittelstürmer

Bei der Bewertung von Mittelstürmern scheiden sich seit jeher die Geister. Die Einen sind der Meinung, ein Mittelstürmer müsse vorrangig an erzielten Toren gemessen werden.

Die Anderen behaupten, ein Stürmer definiert sich nicht nur über Tore und kann seiner Mannschaft auch mit Vorlagen, Zweikämpfen und Laufleistung einen Mehrwert bieten.

In Zeiten in denen sich die Position des zentralen Stürmers einmal mehr neu erfindet, ist die Gesamtbetrachtung dieser speziellen Rolle auf dem Feld wichtiger denn je.

Nehmen wir dazu eine Szene vom 9. Spieltag aus La Liga, welche die Vielfältigkeit von (eigentlichen) Mittelstürmern treffend unterstreicht: Der FC Barcelona gastiert bei Eibar und führt bereits mit 2:0.

Griezmann bekommt tief in der eigenen Hälfte den Ball. Etwa auf Höhe der Mittellinie lauern Lionel Messi und Luis Suárez. Der Uruguayer erkennt, dass er mit einem gut getimten Lauf Raum für einen Pass auf Messi öffnen kann und seinen Gegenspieler binden kann.

https://youtu.be/TV9rN2l9O34?t=180

(Gerne hätte ich euch das Video direkt hier bei uns im Blog gezeigt, jedoch verbieten es die Datenschutzrichtlinien des Urhebers.)

Griezmann, der gegen Eibar eines seiner besten Spiele im Barça-Dress machte, nahm die Situation richtig wahr und bediente den Argentinier mit einem mustergültigen Pass in die Tiefe. Messi lief fast allein auf das gegnerische Tor zu.

Doch statt selbst aufs Tor zu schießen und den Doppelpack zu schnüren, legte er auf Suárez quer, der nur noch einschieben musste.

 

Die Aufgaben eines Stürmers

In dieser so simpel anmutenden Szene war letztlich jede noch so kleine Handlung entscheidend. Vom Laufweg Suárez’, über Griezmanns Pass bis hin zu Messis Selbstlosigkeit.

Alle drei Akteure sind gelernte Stürmer bzw. haben auf dieser Position ihre größten Stärken. Gut.. außer vielleicht Messi, der hat überall seine Stärken.

Die Szene zeigt zudem, das es sehr wertvoll sein kann, wenn ein Stürmer viele Facetten eines Spiels beherrscht.


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Logisch: In der Vita eines jeden Angreifers machen sich hohe Torquoten, Vorlagen und idealerweise viele individuelle Auszeichnungen hervorragend.

Besonders in Phasen, in denen es einmal schlecht läuft, kann man auf die Zahlen des Stürmers verweisen – und die lügen bekanntlich nie.

Doch Fußballer nur anhand ihres Outputs zu bewerten, ist nicht nur auf der Position des Mittelstürmers zu kurz gedacht. Grundsätzlich hat jeder Spieler auf dem Feld die Möglichkeit, ein Tor zu erzielen.

Natürlich haben Angreifer in vorderster Linie allein schon wegen ihrer Grundposition eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit auf Tore als ein Innenverteidiger, der den gegnerischen Strafraum meist nur aus Erzählungen kennt.

Grundsätzlich kann aber ein jeder Spieler mit Pässen, Laufwegen, Zweikämpfen oder eben Abschlüssen auf den Ausgang eines Spiels einwirken. So kann ein Mittelstürmer wie beispielsweise Luis Suárez seinen Kollegen mit einem cleveren Laufweg Gegenspieler wegziehen und somit Räume öffnen.

Grob betrachtet ergeben sich daraus folgende Aufgabengebiete eines Stürmers:

Stürmermodell

Die Pyramide ist auf den Kopf gestellt, um die Wichtigkeit der einzelnen Bereiche in Relation zum großen Ziel, dem direkten Einfluss auf das Spiel darzustellen. Die Messbarkeit der Werte steigt mit jeder Ebene.

Den Begriff “Drecksarbeit” nutze ich an dieser Stelle als Sammelbegriff für Attribute wie Luftzweikämpfe, Interceptions, Laufleistung sowie Zweikämpfe am Boden. Dieser Teil der Pyramide hat den geringsten Output.

In der Mitte wird der direkte Einfluss auf das Spielgeschehen schon stärker. Mit Pässen, Vorlagen oder wie bei Griezmann Vor-Vorlagen kann ein Stürmer ebenso auf das Spielgeschehen einwirken, ohne selbst den Abschluss zu suchen.

Wer mehr Tore schießt gewinnt Spiele. Folglich ist der Torschütze oft der gefeierte Held und kann mit einem Schuss den größten Einfluss auf das Spiel in der Offensive einnehmen.

Diese Attribute lassen sich im Gegensatz zu denen aus Ebene 1 am deutlichsten wahrnehmen und stehen im direkten Bezug zum Output.

 

Wieso Olivier Giroud so unterschätzt wird

Bisher hält der Titel noch nicht das, was er verspricht oder? Das lässt sich auch über meine Leistungen damals bei der Gesangs-Leistungskontrolle im Musikunterricht sagen, aber das ist ein anderes Thema.

Keine Sorge, ich komme gleich auf Olivier Giroud zu sprechen.

Wir haben jetzt also definiert, welche Aufgaben einen Stürmer auszeichnen und wie wichtig auch indirekte Handlungen für ein Tor sein können.

Bei den Fans erhalten Stürmer wie Mario Mandžukić oder auch Antoine Griezmann schon länger die Wertschätzung, die sie aufgrund ihrer verrichteten “Drecksarbeit” verdient haben.

Und auch außerhalb Madrids erkennt man mittlerweile, dass Karim Benzema über Jahre hinweg zwar ein guter Vorlagengeber und Zuarbeiter Ronaldos war, in ihm aber genauso ein Torjäger steckt.

Das Beispiel Cristiano Ronaldo zeigt, dass es neben schillernden Angreifern immer wieder Sturmpartner wie Benzema gibt, die durch Selbstlosigkeit ihren direkten Output nach unten schrauben.

Noch viel mehr trifft das auf Olivier Giroud zu. Nach der WM 2018 grassierte die Statistik schlechthin durch die Gazetten: Während des gesamten Turniers hatte der Franzose nicht einen einzigen Torschuss abgegeben.

Nun kann man sich als externer Beobachter schon die Frage stellen, wieso Trainer Didier Deschamps trotzdem an Giroud festhielt. Schließlich hatte man im Turnier tor-orientierte Ballkünstler wie Florian Thauvin, Nabil Fekir oder Ousmane Dembélé auf der Bank.

Auch während seiner Zeit auf der Insel muss der französische Mittelstürmer immer wieder mit seinem Ruf kämpfen. Er sei ein passabler Stürmer, aber keineswegs ein Weltklassestürmer wie Sergio Agüero oder Harry Kane.

Selbst Arsenal-Legende Thierry Henry kritisierte seinen Landsmann 2015 in einer seiner TV-Analysen stark. Benzema verglich ihn und sich im März 2020 noch mit einem Go-Kart und einem Formel 1 Wagen.

Giroud steckte immer viel Arbeit in sein Spiel, damit Griezmann und Mbappé glänzen konnten und sagte abschließend: “Gefällt dieser Spielstil immer jedem? Ich weiß nicht.”

Wieso also kann sich Olivier Giroud dennoch Weltmeister, französischer Meister, Europa-League-Sieger sowie vierfachen FA-Cup-Gewinner nennen? Sein Ruf ist schlechter, als er sein sollte.

Immerhin erzielte er im Laufe seiner Karriere über 200 Tore und war an 80 weiteren direkt beteiligt. Seine Zahlen in der Premier League, in der er seit immerhin acht Saisons spielt, sind konstant gut.


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Noch kurioser wird es, wenn man sich die Tore und Highlight-Videos von Olivier Giroud anschaut. Wie es mein geschätzter Kollege Henri kürzlich auf den Punkt brachte: “Wenn man sich seine zehn besten Treffer anschaut, könnte man meinen er sei der beste Spieler aller Zeiten.”

So weit wollen wir nicht gehen, keine Sorge.

Aber es stimmt: Eine Vielzahl seiner Tore sind absolut spektakulär. Einfach nicht so abwegig wie Highlights anderer Stürmer, die aus 30 Metern einen in den Winkel ballern. Dass dabei die ersten hundert Versuche auf die Stehtribüne gingen, wird natürlich nicht erwähnt.

Bei Giroud ist es anders. Er kann zum Beispiel wie kaum ein Zweiter lose Bälle direkt per Volley oder Dropkick verwerten.

Es ist wirklich auffällig, wie gut der Ex-Gunner in solchen Szenen ist. Seine intuitive Berechnung der Flugkurve des Balles ist so gut, dass er Flanken oder Ablagen jederzeit direkt nehmen kann.

Ebenfalls stark sind seine Bewegungen innerhalb des Strafraumes. Giroud beläuft den ersten Pfosten immer mit so einer Wucht, dass es verbunden mit seinem Timing für die Verteidiger schwer wird, ihn zu stoppen.

Die größte Ebene unserer Pyramide, die Tore und Abschlüsse, kann er also liefern. Schauen wir uns die anderen Ebenen an.

Vorlagen und Pässe kann der Weltmeister vor allem als Wandspieler liefern. Mit dem Rücken zum Tor kann er viele Bälle entweder festmachen oder direkt auf die nachrückenden Mittelfeldspieler abprallen lassen.

In der aktuellen Saison nutzt Chelsea häufig lange Bälle auf den Mittelstürmer, um in den Zwischenlinienraum zu gelangen.

Diese Bälle konnte Giroud in den Partien gegen Everton oder Bournemouth hervorragend sichern und auf die nachrückenden Mason Mount oder N’Golo Kanté ablegen.

Olivier Giroud Wallpaper

Das bringt mich zur untersten Ebene, der “Drecksarbeit”. Der Chelsea-Profi kann hervorragend am Gegenspieler arbeiten und Bälle, selbst mit gegnerischem Druck von hinten, behaupten.

In der Luft gewinnt er dank seiner 1,92 m Körpergröße unheimlich viele Zweikämpfe: Blickt man auf seine Zeit in der Premier League, gewinnt er pro 90 Minuten 4,82 Luftduelle.

Dadurch gibt er seiner Mannschaft einerseits immer den “Plan B”, sollte die flache Spieleröffnung nicht funktionieren.

Seine Mitspieler können andererseits nachrücken während Giroud die Bälle festmacht und ebenso in die Tiefe sprinten, wenn er die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Am Gegenspieler arbeitet er aufgrund seiner Physis und Cleverness hervorragend.

So muss er gar keine raumgreifenden Läufe einbauen, um den Ball kontrollieren zu können – er kann ihn allein mit seiner Physis abschirmen. Selbst in Strafraumszenen kann der Franzose aus dem Stand seine Gegner überspringen und für Gefahr sorgen.

Eine weitere oft unterschätzte Stärke ist sein Spiel ohne Ball. Mit klugen Läufen kann er Gegenspieler ebenfalls auf sich ziehen und Räume für die Mitspieler öffnen.

Ein Mittel, das auch sein besonderer Freund Karim Benzema mit Bravour beherrscht.

 

Worin Olivier Giroud besser als Harry Kane und Roberto Firmino ist

Seine mannschaftsdienliche Spielweise scheinen nicht nur Trainer wie Didier Deschamps zu schätzen.

Sein ehemaliger Trainer bei Arsenal, Arsène Wenger, setzte vor allem in den berühmten “schwierigen Spielen” vermehrt auf den kantigen Franzosen.

Giroud sollte gegen robuste Teams seine Stärken einbringen und war für sein Team besser geeignet als beispielsweise ein Theo Walcott.

Dass er aber nicht nur ein Rammbock in forderster Front sein kann, zeigen seine vielen sehenswerten Treffer. Das berühmte Scorpion-Kick-Tor aus Januar 2017 wird meist nur wegen der Vollendung gefeiert.

Oft unterschätzt wird sein Anteil an der Entstehung des Tores. Er ließ sich zunächst tief fallen und legte den Ball geschickt mit der Hacke ab.

Anstatt dann aber stehen zu bleiben oder halbherzig nachzulaufen, zieht er im Vollsprint Richtung Strafraum. Dass er den Ball dann so sehenswert verwertete, war nur das i-Tüpfelchen.

Diese auf den ersten Blick unauffälligen Aktionen sind aber ein wichtiger Grund, wieso Olivier Giroud in all seinen Mannschaften stets eine wichtige Rolle spielte.

Auch beim FC Chelsea kann man auf den Franzosen zählen. In der Europa-League-Saison 2018/19 wurde auf dem Weg zu Titel Torschützenkönig. Auch in dieser Saison ist auf ihn Verlass. Trotz weniger Einsatzminuten zeigte er gegen Tottenham eine sehr gute Leistung.

Doch wie schneidet Giroud im Vergleich mit den besten Stürmern der jüngeren Premier League Geschichte ab?

Dafür habe ich mir über FBref.com die Statistiken zu den Eingangs definierten herausgesucht.

Betrachtet werden alle für Stürmer relevanten Daten, welche auf 90 Minuten hochgerechnet werden. Dazu zählen Tore und Vorlagen, aber auch die Tore und Vorlagen abzüglich der Elfmetertore (G-PK und G+A-PK), die so manche Torquoten korrigieren. Looking at you, Kane and Agüero!

Stürmerqualitäten, die ansonsten im Verborgenen bleiben sind die Expected Goals (xG) und Expected Assists (xA), welche die statistische Wahrscheinlichkeit einer Vorlage oder eines Tores ausdrücken.

Je mehr gute Szenen sich ein Spieler für sich oder seine Mitspieler erarbeitet, umso höher ist der Wert. Olivier Giroud schafft dies in 90 Minuten sehr häufig.

Statistisch müsste er im Schnitt an 0,71 Toren pro 90 Minuten beteiligt sein, selbst wenn die Elfmetertreffer abgezogen werden. Giroud überperformt nicht so stark wie zum Beispiel Harry Kane oder Pierre-Emerick Aubameyang.

Ein Sergio Agüero ragt hier heraus, weil sich City in der Regel bis weit in den Strafraum durchspielt und seinen Stürmern dadurch aussichtsreiche Torchancen ermöglicht.

Dass vor allem Aubameyang mehr Tore erzielt als statistisch zu erwarten ist, liegt an seinen herausragenden Abschlussfähigkeiten.

Bei den Defensivaktionen (Interceptions) ist Giroud solide, aber keineswegs so herausragend wie Firmino, der auch von der Spielweise seiner Mannschaft profitiert. Auch Luis Suárez war zu seiner Liverpool-Zeit ein abfangstarker Stürmer.

In Luftduellen jedoch machen ihm auch Kane und Lukaku nichts vor. Auch hier muss der Kontext der Spielanlage wieder betrachtet werden. Da Arsenal und Chelsea Giroud auch als “Plan B” (= lange Bälle) verwenden können, ist die Zahl der gewonnenen Luftduelle sehr hoch.

Dass er sich dennoch spielerisch einzubinden weiß, unterstreichen die 1,46 Key Passes, die er pro 90 Minuten spielt.

Es ist also falsch, Olivier Giroud nicht den Wert zuzuschreiben, den er eigentlich verdient. Bei all seinen Teams, ob nun Arsenal, Chelsea oder der französischen Nationalmannschaft, hatte er einen entscheidenden Einfluss auf das Spiel.

Dieser war auf den ersten Blick nicht immer zu sehen, weil er sich oft für die Mannschaft einsetzt bzw. vor dem Tor nicht immer den Killerinstinkt eines Jamie Vardy aufweisen kann. Dadurch wäre sein öffentliches Bild sicher nochmal besser.

Grundsätzlich beherrscht Giroud aber eine Vielzahl von Fähigkeiten, die ihn in Summe zu einem sehr kompletten Angreifer machen.

Da aber keine Eigenschaft eindeutig heraussticht und er durch Statistiken wie bei der WM 2018 auffällt, ist sein Image nicht das eines Harry Kane oder Édinson Cavani.

Einzig als er den HSC Montpellier 2012 zum sensationellen Meistertitel schoss, galten die Lobeshymnen besonders Giroud.

Einige Stürmer brauchen ein passendes Umfeld um aufzublühen – Giroud durchlebte bei Arsenal und in der Nationalmannschaft viele verschiedene Phasen in denen er konstant ablieferte.

180 Torbeteiligungen in über 300 Spielen für Arsenal und Chelsea sind alles andere als Indizien für einen unfähigen Stürmer. Ein Weltmeistertitel und neun weitere Titel tun ihr übriges.

Seine Spielweise wird immer wieder unterschätzt und ironischerweise brachte sein Go-Kart-Buddy Benzema diese treffend auf den Punkt, als er sagte, dass Giroud nur dafür da wäre, damit Griezmann und Mbappé glänzen können.

Was als spöttischer Kommentar gedacht war, ist eigentlich ein Lob in Zeiten egoistischer Mittelstürmer.


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Sascha
Hat genauso eine Daseinsberechtigung wie Torrichter während der Champions League Spiele. Passionierter Schachtelsatzschreiber. Gilt intern nicht umsonst als L’Akquisiteur – wenn nicht da, dann zumindest bei sich selbst. Man soll sich immerhin treu bleiben wie Javier Pinola den Überresten seiner Haare. Glaubt noch immer, dass in Enes Ünal ein Weltklassestürmer schlummert, den aber nicht einmal Houdini hervorzaubern könnte. Einziges Vorbild von Max Dettmer.

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