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Schalke 04 in der Krise – Ein Erklärungsansatz

Schalke 04 zieht momentan den Spott von Fußballdeutschland auf sich. Dies stellt kein Wunder dar nach mehreren, enttäuschenden Spielen, speziell nach der Corona-Zwangspause.

Ein – wenn nicht der Grund dafür – ist das katastrophal scheinende Spiel der Schalker, sofern sie im eigenen Ballbesitz sind. Extrem deutlich wurde dies gegen Union Berlin, als man mit einem xG-Wert von 0.15 (!) aufwarten konnte.

Wer mit diesem Wert nichts anfangen kann: Das bedeutet frei übersetzt, dass man aus so gut wie gar keiner Torchance ein Treffer erzielt hat. Doch wie kommt es zu dieser Schwäche?

Zunächst sei gesagt, dass zwischen Hin- und Rückrunde bzw. “nach Corona” fußballerisch gar nicht so viele Welten liegen. Auch im Jahr 2019 bzw. zu Beginn dieses Jahres lag das Hauptaugenmerk von Wagners Truppe klar auf dem Spiel gegen den Ball und den Umschaltmoment nach einem Ballgewinn.

Großer Unterschied war: Die Ergebnisse stimmten. Im Übrigen gab es ein ähnliches Phänomen vor kurzer Zeit, ebenfalls auf Schalke.

Unter Domenico Tedesco erreichte man in der Saison 2017/2018 die Vizemeisterschaft, während man im darauffolgenden Jahr mit einem ähnlichen Spielsystem und nur mit marginalen, personellen Veränderungen nur knapp dem Abstieg entging. Tedesco wurde im Laufe der Saison geschasst.


Dies ist ein Gastbeitrag von Tim Tornow

Die Schalke-Verletztenliste – Eine Geschichte für sich

Auf die Frage, was Schalke so historisch schlecht macht, führt Coach Wagner gerne die Verletztenmisere an. Was nach billiger Ausrede klingt, verdient aber durchaus einer näheren Betrachtung.

Mit Serdar und Harit fehlen seit nun schon geraumer Zeit zwei durchaus pressingresistente und spielstarke Mittelfeldakteure. Beide überzeugten ebenfalls in der Hinrunde mit Spielwitz und im Falle von Serdar sogar mit einer außergewöhnlichen Torgefahr.

Doch ein Ausfall schmerzt dem Ballbesitzspiel von Schalke meiner Meinung nach noch mehr: Omar Mascarell. Der Spanier fehlt nun seit Ende Februar – also kurz vor der Zwangspause und mit ihm der berühmtberüchtigte abkippende Sechser.

Mascarell lässt sich zwischen die Innenverteidiger fallen, Kenny als Rechtsverteidiger (unten rechts am Bildrand) deutlich nach vorne geschoben, Oczipka kommt entgegen aufgrund des hohen Gladbacher Pressings – Bild aus der Hinrunde

Immer wieder schob er sich bei Ballbesitz zwischen die Innenverteidiger der Viererkette, trieb dadurch Angriffe voran. Nebeneffekt hierbei war, dass die nominellen Innenverteidiger breiter auffächerten und dadurch, quasi “zwangsläufig”, die Außenverteidiger etwas höher, hinter die erste Pressinglinie, schoben.

Dies führte automatisch dazu, dass Schalke die Außenbahnen leichter überladen konnte.

Dies passiert mittlerweile gar nicht bzw. nur noch extrem situationsabhängig und scheint wenn, eher dem Zufall oder einer Systemumstellung auf eine Fünferkette geschuldet.

Schubert wird durch Haarlands Pressing zum langen Ball gezwungen – nicht ganz unschuldig allerdings auch die Schalker Zentrale, wäre der Sechser näher am Geschehen gewesen, hätte man relativ leicht über den Dritten (den Innenverteidiger am rechten Bildrand) auflösen können. In der Folge fällt das Dortmunder 2:0

Hier wirft sich mir dadurch beinahe schon die Frage auf, wie sehr dieses Abkippen überhaupt eine Trainervorgabe darstellt. So wie es im Nachhinein scheint, ist diese Bewegung eher dem individuellen Spielstil Mascarells geschuldet.

Um diese Situation wiederherzustellen müsste Wagner deutlich mehr coachen, so ist es ansonsten für jeden Gegner ein leichtes Schalke zu leiten, oder noch besser, zum langen Ball zu zwingen.

Vielleicht traut Wagner diesen Spielstil auch keinem anderen Spieler zu. Ein Ersatzkandidat hierfür wäre Stambouli – ebenfalls ein Langzeitverletzter.

Zum 19-jährigen Levent Mercan fehlt offensichtlich noch das Vertrauen, eventuell auch durch seinen Aussetzer aus dem Augsburg-Spiel. Von seiner Spielanlage wäre er aber in der Lage, diese Rolle zu spielen.

Das angesprochene Leiten der gegnerischen Mannschaft führt mich hierbei direkt zum nächsten Punkt: Schalke spielt extrem viele lange Bälle.

Ein Grund sind die oben erwähnten, sehr tiefen, Außenverteidiger. So reichen wenige Spieler, um ein sowieso schon viel zu tiefes Aufbauspiel zuzustellen.

Düsseldorf presst situativ mit zwei Leuten, hinter der ersten Pressinglinie ist massig Raum für Schalke vorhanden (am unteren Bildschirmrand kommt der Außenverteidiger gerade entgegen), trotzdem wird der Ball lang geschlagen.

Schalke 04 in der Analyse: Der „lange Hafer“ hat ausgedient

Lange Bälle besitzen von Haus aus eine Menge Zufall in ihrer Ausführung, eine Eigenschaft, die man im modernen Fußball so gut es geht, verringern möchte.

Natürlich können diese ein Erfolgsmodell darstellen, letztendlich hat man allerdings, schon seit längerer Zeit, nicht die Spieler im Kader, diese (konstant) sinnvoll zu verarbeiten.

Auch in der Nachrückbewegung, beim sogenannten zweiten Ball, schwächeln sie in der Rückrunde überraschenderweise. Hier konnten sie 2019 noch deutlich mehr Bälle gewinnen.

Allerdings muss man hier den Schalkern auch zugutehalten, dass Spieler mit diesen verarbeitetenden Fähigkeiten unheimlich schwer zu finden sind, vom Bezahlen ist hier noch gar nicht die Rede.

Das Spiel mit dem langen Ball funktioniert nicht, ist ausrechenbar und noch dazu fehlt es dem Kader hier in Sachen Ausführung und Verarbeitung deutlich an Qualität. Doch auch bei den kurzen Pässen ist besondere Vorsicht geboten.


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Schalke schaffte es nur erschreckende 32,7 % seiner Kurzpässe an den Mann zu bringen (Quelle Statsbomb / Pässe unter fünf (!) Meter / Stand 12.06.2020), damit liegen sie im Ligavergleich gerade einmal auf Platz zwölf.

Auch fehlt den Spielern oftmals der Mut, die flache Lösung zu suchen. Ist es hier also Maßgabe des Trainers, den Ball oft lang zu schlagen? Das oben gezeigte Beispiel gegen den BVB könnte man auch hier als Beispiel vorzeigen.

Möglicherweise wird sogar eine etwas anders gemeinte Aufforderung, wie etwa den Ball möglichst schnell ins letzte Drittel zu bekommen, schlichtweg falsch aufgenommen.

Das ist natürlich Spekulation meinerseits, das Gefühl wird man aber nicht los, auch da Wagner eher ein wenig coachender Trainer ist, wie wir durch die Geisterspiele nun deutlich zu spüren bekommen.

Schalke agiert, wie man es von seinen Kreisligahelden gewohnt ist

Zudem spielt noch eine sehr subjektive Wahrnehmung meinerseits mit in die Problematik, die ich so eher von meiner Kreisligamannschaft kennengelernt habe und die ich immer als “Abschalten” betitele.

Spielt ein Schalker Spieler einen Pass, bleibt er immer den Bruchteil einer Sekunde stehen, um wahrzunehmen, was er da verzapft hat. Bei meinen Mannschaften fiel mir dieser Effekt immer auf, wenn wir uns um andere Dinge als dem Ballbesitzspiel in unseren Trainingseinheiten gekümmert haben.

Generell steht der Schalker Kader per se nicht für eine Spielidee, sondern scheint auf dem Papier relativ zusammengewürfelt zu sein.


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Die Vorgabe der Vereinsführung, wie man denn Schalke spielen sehen möchte, gibt es nur in der Form, dass “Leidenschaft gezeigt werden soll”.

Natürlich ist dies auch wichtig, so macht man sich aber auch sehr abhängig vom jeweiligen Coach, was für ein Fußball denn nun präsentiert wird. Hierbei müsste den Verantwortlichen klar und bekannt gewesen sein, wofür Wagner steht.

Ihn nun als dem alleinigen Buhmann abzustempeln ist in der Weise unfair, als dass auch er eine Mischung aus dem finden muss, was er will und was er vorfindet. Gefühlt klafft hier vereinsintern eine gewaltige Lücke und das schon seit Jahren.

Schalke 04 in der Krise: Wie könnte Schalkes Zukunft aussehen?

Hat Wagner denn nun noch eine Chance auf Schalke? In meinen Augen ja, unabhängig davon, dass man es sich schlichtweg nicht leisten kann, einen Trainer auf der Gehaltsliste zu haben, der nicht täglich mit der Mannschaft arbeitet.

Mit der „Wiedereinführung“ des abkippenden, aufbauenden Sechsers könnten sich die restlichen Spieler höher staffeln, um ruhigere und vor allem längere Ballzirkulationen voranzutreiben.

Schafft er es dazu noch seine Spieler zu ermutigen auch flache, linienüberspielende Lösungen zu finden, könnte er auch über dem Sommer hinaus noch Trainer bei Schalke sein.


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Gegen den Ball sieht es bei Schalke hingegen immer recht ordentlich aus. Vor allem nach der katastrophalen Leistung im Derby wurde hier offensichtlich das Hauptaugenmerk in der jeweiligen Spielvorbereitung gelegt, auch wenn das Anlaufen der jeweiligen Achter nicht mehr ganz so aggressiv erfolgt.

Das Spiel gegen Augsburg wurde letztendlich über Standards entschieden, im Düsseldorf-Spiel gab es eine merkwürdige Dynamik nach Fortunas Ausgleich, an der die momentane Situation und die “Angst Fehler zu machen”, sicher nicht ganz unschuldig waren.

Zudem kam ein individueller Fehler im Bremen-Spiel, also Todibo den Ball vertändelte und schon steckt man in einer handfesten Krise.

Transfertechnisch wird aufgrund der finanziellen Lage kein großer Sprung möglich sein. Auffällig ist jedoch, dass der Kader noch dringend eins bis zwei technisch stärkere Spieler benötigt, vor allem im Abwehr- und Mittelfeldbereich.

Sind diese (positionellen und spielerischen) Baustellen gelöst, kann man auch wieder darüber reden, wie torgefährlich Schalkes Stürmer sind.

Aber gerade jetzt ist auf Schalke eine Sache wichtiger denn je: Ein Schritt nach dem anderen.


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Tim Tornow
Hasst Bürokratie, wird dennoch bald das Ungetüm B-Lizenz wagen – einfach nur um seine Spieler noch mehr nerven zu können. Liebt es zu erfahren, was Fußballer aus den Neunzigern jetzt machen und hätte gerne eine Retro-Trikot-Sammlung.

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