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Die Krux mit dem xG-Modell – Exptected Goals in der Kritik

Expected Goals ist ein modernes Modell, das auch immer mehr im Mainstream Anklang findet. Das xG-Modell ist ein sehr hilfreiches, oftmals kommt es jedoch zur falschen Anwendung, zur Missinterpretation und zur Überbewertung der Statistiken.

Expected Goals lässt viel Interpretationsfreiheit und berechnet viele Faktoren nicht mit ein, womit die Statistiken nicht oder nur bedingt zu Vorhersagen zukünftiger Spiele bzw. als Bewertung der vergangenen Spiele dienen sollte.

Viele nehmen die Ergebnisse jedoch zu wortwörtlich und reißen sie aus dem Kontext. Aussagen wie „Mannschaft XY hat seit Wochen nur Glück, die Ergebnisse werden nicht lange so bleiben“ in sozialen Netzwerken haben uns deshalb dazu motiviert, Kritik am System und seiner Anwendung vieler zu äußern.

Was ist Expected Goals (xG)?

Doch erstmal von Anfang an, für alle, die nicht wissen, was Expected Goal eigentlich ist. Das Expected Goal-Modell (xG) berechnet die Qualität einer Torchance. Eine hochkomplexe Formel, errechnet die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tor aus der gegebenen Tormöglichkeit resultiert.

Dabei werden Faktoren miteinberechnet wie die Position des Schusses, die Freiheit oder Unfreiheit der Schussbahn sowie die Art der Hereingabe. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil dieser Statistik ist die vorherige Erfolgsquote von Schüssen aus genau dieser Position.

Landeten von 1000 vorherigen Schüssen aus genau der Position, in der sich der Stürmer gerade befindet, 500 im Tor, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Stürmer trifft statistisch gesehen bei 50%. Aus unzähligen Daten wurde damit die Erfolgsquote aus jeweiligen Situationen berechnet.


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Als ideales Beispiel dient dazu der Elfmeter: freie Schussbahn, bloß ein einziger Gegner (der Torhüter) ist vor dem Ball, der Standort des Schusses ist stets gleich. Laut Berechnungen liegt die Erfolgsquote der Schützen bei 75%. Im xG-Modell wird diese jedoch nicht in Prozent, sondern zwischen 1 (100%-iges Tor) und 0 (absolut unmöglich) definiert.

Ein xG von 0,2 besagt beispielsweise, dass einer von fünf Schüssen in derselben Situation im Tor landet. Damit ist es ein hilfreiches und interessantes Modell, das mit unzähligen Daten gespickt und mit einer hochkomplexen Formel, die immer wieder angepasst und erweitert wird, errechnet wird.

Auch wir benutzen die Ergebnisse des xG-Modells, dennoch ist Expected Goals keineswegs fehlerfrei und bietet eine Menge Raum an Fehlinterpretation.

Kritik an Expected Goals

Die wohl bekannteste Kritik am Expected Goals-Modell ist die Summierung von schlechten Chancen.

Dominiert Team A beispielsweise das Spiel, geht aber nur wenig Risiko ein und hat nach 90 Minuten nur zwei, aber dafür recht gute Chancen im gesamten Spiel, so könnte Team B, das wie wild 20 Mal aus allen Positionen aufs Tor schießt, aufgrund der Summe als „verdienter Sieger“ dastehen, da das Modell einen höheren Wert ausspuckt als den von Team A.

Zwar wurde hier in den letzten Jahren nachgeschraubt, sodass der Schnitt im Falle einer Vielzahl schlechter Schüsse fallen würde, dennoch würde das Team, das weniger Risiko eingeht und sich lediglich eine Chance erspielt, anhand der wenigen vorhandenen Daten wohl schlechter dastehen als jenes, das es aus öfter aus nicht-aussichtsreichen Lagen probiert.

Defensiv ausgerichtete oder passiv spielende Teams stehen damit nahezu immer schlechter da, als sehr offensiv agierende Mannschaften, die sich im Minutentakt Chancen erspielen.


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Doch nicht nur die Summierung der Chancen ist ein Problem, sondern auch die schwierige Integrierung von weiteren Faktoren. Ein wichtiger Faktor im Fußball ist beispielsweise das Timing und die Berechenbarkeit eines Zuspiels.

Steht ein Stürmer beispielsweise in idealer Position und hat freie Schussbahn, rechnet jedoch nicht mit dem Ball oder dieser verspringt in einer Pfütze, so ist der xG zwar sehr hoch, die Wahrscheinlichkeit eines Tores in der Praxis jedoch um ein Vielfaches geringer.

Die Entstehung einer Torchance dürfte wohl das größte Problem des Expected Goals-Modells sein. So vergleicht das Modell rein idente Situationen. Fußball ist jedoch keineswegs monoton oder linear.

Als konkretes Beispiel: ein Spieler, der in der 93. Minute mit letzter Kraft ein fantastisches 40 Meter-Solo hinlegt und schlussendlich nur noch den Torhüter vor sich hat, hat den gleichen xG wie ein fitter und hochkonzentrierter Spieler, der in der 10. Minute glücklich alleine vor dem Torhüter steht.

Die Erschöpfung und der davor bestrittene Aufwand des Spielers werden nicht berücksichtigt, sind aber wichtige Einflussfaktoren für die Erfolgsquote.

Maschine vs. Mensch – Spieler machen Fehler

Generell ist ein Problem des Modells – so wie von allen Modellen –, dass keine Formel das emotionale Umfeld miteinberechnet. Ob im Sport oder in der Wirtschaft.

So entstand die Finanzkrise 2009 unter anderem aufgrund des Ausness‘ Modells, das automatisch und schneller als Menschen erkannte, wann gekauft oder verkauft werden sollte, konnte jedoch Emotionen wie Angst und Skepsis im Markt nicht wahrnahmen, was letztendlich zum Kollaps führte.

Ein ähnliches Problem hat auch Expected Goals. So werden eigentlich toll herausgespielte Chancen schlussendlich schlecht bewertet, sollte ein Passgeber beispielsweise in einer Drucksituation (aufgrund von Abstiegsgefahr, Angst vor dem Scheitern, etc.) den allerletzten Pass unsauber oder nicht ganz ideal spielen.


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Aufgrund dessen kann es sein, dass ein Stürmer zwar aus nächster Nähe und mit freier Schussbahn eine hochwertige xG-Situation vorfindet, ein zu hohes Zuspiel oder ein Pass gegen die Laufrichtung schmälert die Torwahrscheinlichkeit aber deutlich.

Andersrum kann dies ebenso dazu führen, dass eine Mannschaft eigentlich hervorragenden Fußball spielt, aber lediglich aufgrund des letzten Passes oder der Nicht-Abgabe eines Schusses einen niedrigen xG-Wert erhält und damit als „schlecht“ wahrgenommen wird. Denn: Wo kein Schuss, da kein xG.

Gerade dieser Punkt ist in sozialen Netzwerken ein großes Problem. Viele interpretieren die xG-Werte nämlich rein als Gradmesser für eine gute Leistung und gehen weit über den Gedanken der Bewertungen der Torchancen hinaus.

Eine Mannschaft, die einen niedrigen xG hat, ist damit nicht automatisch schlecht. Ebenso besagt ein hoher xG nicht immer, dass eine Mannschaft gut gespielt hat, sondern lediglich – wie auch immer – zu Torchancen kam, die durchschnittlich eine hohe Erfolgsquote vorweisen.

Wenn ein Torhüter beispielsweise einen Eckball abfängt, bei der Landung den Ball jedoch loslässt bzw. diesen verliert und der Stürmer den Ball nur noch ins leere Tor stochern muss, so wird von vielen Modellen (zurecht) ein hoher xG errechnet – „erspielt“ wurde das Tor deshalb aber nicht gut.

Viele würden ohne Kontext dieser Statistiken aber wohl davon ausgehen, dass sich das Team dieses Tor verdient hat, denn der Expected Goals-Wert besagt ja laut Meinung vieler, dass dieses Tor verdient erspielt und nicht durch Glück fiel.

Expected Goals steht für den Durchschnitt

Doch was, wenn ein Team mehr Tore erzielt als das Expected Goals-Modell errechnete. Der O-Ton in den sozialen Netzwerken lautet: „Die hatten Glück. Sobald die Glückssträhne vorbei ist, verlieren sie wieder.“

Was aber nicht stimmt. Zum einen spielt Glück im Sport immer eine große Rolle, ob bei einer Annahme oder einer Parade, die nötigen Zentimeter sind oftmals Glücksfaktor und sollten keineswegs verleugnet werden.

Zum anderen berechnet das Modell nur den Durschnitt. Aufgrund dessen haben Spieler wie Lionel Messi, Harry Kane oder Edinson Cavani oftmals Torwerte, die über ihren xG-Werten liegen. Der Grund ist schnell gefunden: diese Spieler sind im Abschluss einfach überdurchschnittlich gut. Überarbeitung: Der Unterschied in der Abschlussqualität von Top-Spielern zum Durchschnitt liegt im xG-Modell bei rund 10 %. Hinweis von Raphael Honigstein.

Zwar mag der durchschnittliche Spieler in dieser Situation nur bei jedem fünften Versuch treffen, Top-Spieler wie die zuvor genannten schaffen es hingegen womöglich bei jedem zweiten.


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Als Idealbeispiel kann man hier wohl Arjen Robben nehmen. Man denke an die berühmten Tore während seiner Zeit beim FC Bayern.

Der Holländer zieht von der rechten Seite nach links und zieht aus rund 20-25 Metern ab, hat mehrere Verteidiger vor sich, die er nur nach einem schnellen Haken neben sich lässt, die Distanz ist groß – das Expected Goals-Modell würde in diesem Fall wohl nur einen niedrigen Wert ausspucken.

Doch Robben hatte diese Angriffe perfektioniert und dürfte mit seiner Erfolgsquote aus dieser Lage wohl deutlich über dem Schnitt liegen.

Wenn Mannschaften überperformen: Expected Goals (xG) in der Kritik?

Als der Liverpool FC vor wenigen Tagen die erste Meisterschaft seit 30 Jahren feierte, wurden vor allem bei Twitter Stimmen laut, dass der Champions-League-Sieger von 2019 im Grunde nur Glück hatte. Der Meistertitel wäre in der Deutlichkeit ungerechtfertigt.

Schließlich hat Liverpool laut dem Expected-Goals-Modell bis zum 31. Spieltag 21,96 Punkte mehr geholt, als sie statistisch hätten holen sollen. War der Meistertitel des LFC also unverdient?

Absolut nicht. Gerade Klopp-Mannschaften spielten in den vergangenen Saisons statistisch gesehen fast immer über ihren Möglichkeiten – in den fünf Spielzeiten, in denen Klopp die Geschicke an der Anfield Road leitet, performte man dreimal deutlich über.

Auch Hertha BSC wurde unter Pál Dárdai ähnliches vorgeworfen. In den fünf Jahren unter seiner Leitung sammelte die alte Dame stets mehr Punkte als statistisch laut Expected Goals zu erwarten war. Im Torabschluss schien sein Team laut dem xG-Modell übermäßig viel Glück zu haben: Mit Ausnahme der letzten Dárdai-Saison war Hertha stets über dem Schnitt.


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Es nur auf das Glück zu schließen wäre wie bei Klopps Liverpool ein Fehler. Hertha hatte seinerzeit mit Vedad Ibišević und Salomon Kalou zwei überdurchschnittlich starke Abschlussstürmer. Dass die Berliner unter Dárdai so lange in ruhigem Fahrwasser schwammen, ist nicht nur auf den Zufall zurückzuführen.

Das Expected-Goals-Modell ist ein gutes Werkzeug, um einen Trend oder den Umgang mit gegnerischen und eigenen Chancen einer Mannschaft zu erkennen. Trifft ein Team konstant mehr als es statistisch zu erwarten war, sind die Stürmer vermutlich überdurchschnittlich stark im Abschluss.

Umgekehrt gilt dies natürlich auch für den Defensivverbund, der gegnerische Angreifer entsprechend beim Abschluss stört.

Den xG-Wert für bare Münze zu nehmen und darin allumfassende Rückschlüsse auf das Spiel zu ziehen, wäre zu kurz gedacht. Um Mannschaften und ihre Leistungen korrekt einschätzen zu können, ist das Modell ein Werkzeug, aber nicht der Werkzeugkasten.


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Marco Stein
Co-Gründer von Cavanis Friseur und für Alles und Nichts zuständig. Ist Leeds United-Fan und weiß das immer und überall zu erwähnen.

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4 comments

  1. Welches Modell ist denn besser und lässt vor allem bessere Vorhersagen, besonders über Teams oder Spieler, zu? Klar gibt es eine Handvoll Spieler und ein paar Trainer, deren Teams xG dauerhaft übertreffen. Dagegen gibt es aber unzählige Beispiele, wo ein Spieler einen Lauf hat und danach zurück auf die Erde (und zu seinen xG-Werten) kommt — genauso mit Teams. Beispiel Monaco letzte Saison, erst schlechte Ergebnisse bei ordentlichen xG-Werten, dann Trainerwechsel und beides schlecht, bevor sie den alten Trainer wieder einstellen und den Klassenerhalt schaffen.

    Natürlich ist Kritik legitim und wird auch immer geübt (Beispiel Liverpool: welches Rekordteam hatte denn kein Glück? Rekorde werden nunmal aufgestellt, wenn alles richtig läuft). Aber gerade das erste Beispiel würde ich nochmal überdenken: wenn ein Team gut spielt, aber keine Chancen generiert, nennt man das nicht umsonst in Schönheit sterben. Das Ziel im Fußball ist nunmal der Sieg (und Tore schießen). Vielmehr könnte man es auch xG anrechnen, dass immer weniger Teams wilde Abschlüsse aus der ganz großen Distanz versuchen, sondern deutlich näher vom Tor erst abziehen. Übrigens ist es statistisch sinnvoller, wenig gute Chancen als viele schlechte zu haben (gerade auch bei gleicher Summe).

    • Hi!
      Es ist wie gesagt weniger Kritik am xG, sondern mehr an der Miss- oder Überinterpretation vieler. Das xG-Modell ist ein sehr gutes und vor allem die vielen Sub-xG-Modelle, wie beispielsweise der PSxG sind wahnsinnig hilfreich. Aber dein Kommentar und deine Beispiele sind ja eben jener Denkanstoß, den wir damit erreichen wollten: Es spielen im Fußball so viele Faktoren mit, dass eine einfach Bewertung nach “der xG war hoch, die Tore fehlten aber, also hätten sie verdient zu gewinnen” oder umgekehrt eben nicht ganz so einfach ist und der Kontext immer mitspielt. Was wenn ein Team sensationell spielt, aber der Stürmer nie zum Abschluss kommt, weil der Verteidiger in letzter Sekunde immer dazwischen kommt oder der Stürmer, die einzige Schwachstelle ist und vielleicht eigensinnig spielt? Das System würde ausspucken, dass dieses Team einen niedrigen xG hat, obwohl die Schussposition – wenn der Spieler einfach geschossen hätte anstatt den Ball zu halten oder doch nochmal zurückzupassen (krass formuliertes Beispiel) – eine deutlich bessere gewesen wäre. Es geht im Grunde einfach darum, dass – wie bei allen Modellen – so viele Variablen mitspielen, dass sie ein UNFASSBAR GUTER Anhaltspunkt sind und viel Positives haben, sie aber nie rein ohne Kontext bewertet und erst recht nicht rein aufgrund dessen bewertet werden sollen – was aber eben vielen machen, und das war unsere Kritik. Mit deinem Kommentar hast du daher absolut recht 🙂

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