Es ist Samstag, der 05. September 2020. Der Saisonstart in den italienischen Ligen naht, ein klassisches Vorbereitungsspiel zweier Teams aus benachbarten Städten steht auf dem Programm. Das große Milan gegen die kleine AC Monza.
Man sollte meinen, dass sei nichts Besonderes – doch zwischen den beiden Vereinen und insbesondere den beiden Städten besteht nicht erst seit wenigen Jahren eine besondere Beziehung.
Die lombardische Stadt Monza wird oft spöttisch als Vorstadt Mailands bezeichnet. Was geographisch absolut richtig ist, der Stadt jedoch keinen Gefallen tut. Immerhin ist diese nach Mailand und Brescia die drittgrößte Stadt der Lombardei, durchaus mit einigen Sehenswürdigkeiten wie dem Dom oder der königlichen „Villa Reale“ gespickt.
Natürlich wecken der Name und die Stadt Monza vor allem in Deutschland aber ganz andere Assoziationen. Formel 1-Legende Michael Schumacher konnte auf dem „Autodromo Nazionale Monza“ während seiner gesamten Laufbahn fünf Siege erringen, allesamt im roten Wagen der Scuderia Ferrari.
Doch die Stadt Monza hat neben ihrer Formel 1-Historie auch einige illustre Persönlichkeiten aus der Welt des Fußballs zu bieten. Beispielsweise die Ex-Laziali Stefano Mauri oder Adriano Galliani, seines Zeichens jahrzehntelang Vorstandsvorsitzender der AC Milan, bis zum Besitzerwechsel im Jahr 2017.
Dies ist ein Gastbeitrag von Steffen Rank, Betreiber von hellasblog.de
Eine neue Ära beginnt in Monza mit Boateng
Ende September 2018 schließt sich dann zumindest für Galliani der Kreis. Er kehrt zurück in den Fußball, erneut als Vorstandsvorsitzender, diesmal in seiner Heimatstadt Monza bei der dort ansässigen AC Monza. Galliani hat bereits eine Vergangenheit beim Vorgängerverein Monza FBC vorzuweisen, doch seine „Heimkehr“ hatte einen ganz anderen Grund: Der Verkauf der AC Monza.
Der alte Besitzer Nicola Colombo, dessen Familie ebenfalls eine Milan-Vergangenheit hat, gab den kompletten Aktienbesitz an einen alten Bekannten Gallianis ab: Silvio Berlusconi – Medienzar, Ex-Ministerpräsident Italiens und in der Fußballwelt natürlich als Ex-Besitzer Milans bekannt.
Dort konnte er zusammen mit Galliani eine glorreiche und oft auch umstrittene Ära prägen, nun übernahm Berlusconi in Form seiner Holding „Fininvest“ also die Bagai aus Monza. Und Berlusconi nimmt kein Blatt vor den Mund, schon wenige Tage nach der Übernahme kündigt er an, 2021 mit Monza in der Serie A spielen zu wollen.
Wohlgemerkt, die AC Monza spielt zu diesem Zeitpunkt in der drittklassigen Serie C und hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich.
Mit Auflösungen, Neugründungen, einem Neustart in der Serie D sowie vor allem mit einem Negativ-Rekord: Monza, zuletzt in der Saison 2000/01 in der zweitklassigen Serie B am Start, ist das Team mit der höchsten Anzahl von Spieljahren in eben jener Serie B ohne auch nur einen einzigen Aufstieg in die italienische Beletage Serie A.
Übrigens konnte diese Tatsache auch eine andere Milan-Legende nicht ändern, Clarence Seedorf. Es war Mitte des Jahres 2009, als sich der Niederländer als Teil eines Konsortiums kurzerhand dazu entschloss, die AC Monza zu kaufen.
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Nicht sonderlich erfolgreich, nach einem Abstieg und durchwachsenen Saisons verließ er den Verein wieder, nur um kurze Zeit später dem Ruf Gallianis und Berlusconis zu folgen und Milan-Coach zu werden. Ebenso eher wenig erfolgreich.
Doch zurück nach Monza. Kurz nach der Übernahme im September 2018 kündigte Berlusconi an, einen Verein schaffen zu wollen, ganz im Sinne „alter Tage“. Keine Spieler mit Tattoos, keine langen Haare oder Bärte, italienisch sollten die Spieler sein – böse Zungen behaupteten, er hätte sich dabei ganz dem damaligen politischen Klima in Italien angepasst.
Doch wie es auch auf anderen Hochzeiten gang und gäbe ist, auf denen Berlusconi im Laufe seines Lebens tanzte, waren seine Worte nach Amtsantritt nicht mehr als doch nur heiße Luft.
In einer ihrer ersten Amtshandlungen holten Berlusconi und Galliani den früheren Milan-Spieler Cristian Brocchi als neuen Coach, der – man ahnt es schon – sichtbar tätowiert ist.
Was dem Projekt aber nicht schaden sollte. Brocchi erhielt die Zeit und die finanziellen Mittel, die er benötigte und bekam so schon in Form von Enrico Bearzotti und Marco Fossati in der Wintertransferperiode im Januar 2019 zwei Serie A erprobte Spieler von Hellas Verona.
Aber trotz dieser Verstärkungen sprang in der ersten Saison der Übernahme nur Platz fünf heraus, mit einem anschließenden Play-Off Aus gegen Imolese.
AC Monza: Der Erfolg ist das Ziel
Die Zielsetzung vor der Saison 2019/20 war dann unmissverständlich: Der direkte Aufstieg in die Serie A musste her. Dafür wurde der Kader mit viel Qualität verstärkt, eine Mischung aus etablierten Serie B-Spielern wie Mattia Finotto und jungen, entwicklungsfähigen Talenten wie José Machin und Dany Mota.
Dementsprechend deutlich gestaltete sich dann anschließend auch die Corona-bedingt kurze Saison. Monza konnte erwartungsgemäß den direkten Aufstieg schaffen, letztendlich mit 16 Punkten Vorsprung vor Carrarese Calcio.
Doch dieser Aufstieg in die Zweitklassigkeit soll natürlich nur ein Zwischenschritt zum großen Ziel Berlusconis sein: Die Serie A und vor allem Pflichtspiel-Duelle gegen die AC Milan.
Um dieses Ziel möglichst schon in der kommenden Saison zu erreichen (Erinnerung: Berlusconis Zielvorgabe war von Anfang an der Serie A-Aufstieg 2021…), wurde die Schatulle reichlich geöffnet, um den Kader in einer für die zweiten Liga ungewöhnlichen Qualität zu verstärken.
Für den Sturm wurden Mirko Marić aus Osijek, Torschützenkönig der kroatischen Liga, und der Ex-Sechzger Christian Gytkjær geholt, seines Zeichens in der letzten Saison polnischer Torschützenkönig im Dress von Lech Posen.
Zwei Spieler, die man – insbesondere in Marić’ Fall – eher nicht in der zweiten italienischen Liga bei einem Aufsteiger vermuten würde. Genauso wenig wie den umworbenen brasilianischen U20-Nationalspieler Carlos Augusto, der sich den bragai für 4,00 Millionen € von den Corinthians anschloss.
Zusammen mit den nun fest verpflichteten früheren Leihspielern José Machin, Andrea Palazzi und Dany Mota summieren sich die Ausgaben auf 17,30 Millionen €.
Der Wechsel des Kevin-Prince Boateng zur AC Monza
Nachdem auch noch der frühere Bundesliga-Spieler Giulio Donati geholt wurde, in der vorherigen Saison immerhin mit 20 Einsätzen in der Serie A für Lecce am Ball, wurde zu guter Letzt, wenige Tage vor Saisonstart, noch ein alter Bekannter der beiden früheren Milan-Granden Berlusconi und Galliani verpflichtet: Kevin-Prince Boateng.
Für den Wandervogel ist es bereits die fünfte Station auf dem Apennin. Zumindest auf seinem letzten Serie A-Halt in Florenz, war ihm eher mäßiger Erfolg beschieden.
In der Rückrunde der vergangenen Saison war er dann von der Fiorentina an Beşiktaş ausgeliehen. Dennoch wird Boateng für den Aufsteiger mit seiner Erfahrung, seiner Qualität sowie seiner unbestritten vorhandenen “eigenen” Mentalität, ein mitentscheidender Faktor werden können.
Normalerweise arbeiten die Vereine der zweiten italienischen Liga allerdings insbesondere mit ablösefreien Neuzugängen und Leihspielern aus der Serie A.
Monza setzt hier also ein sehr deutliches Zeichen, was vor allem der Vergleich mit der Konkurrenz zeigt. Bisher investierten die Serie B-Teams im Schnitt ungefähr 182.000 € pro Spieler, die Neuzugänge der Bragai mit einberechnet – Mirko Marić mit seiner Ablösesumme in Höhe von 4,5 Millionen € und Carlos Augusto mit den angesprochenen 4 Millionen € stechen deutlich heraus und zeigen ganz klar die Ambitionen der Lombarden.
Das frühere Milan-Trio um Berlusconi, Galliani und Brocchi will also wenig dem Zufall überlassen. Man möchte die Liga früh dominieren, den Aufstieg so früh und schnell wie möglich perfekt machen, um so einen kleinen zeitlichen Planungsvorsprung für die Saison 2021/22 in der italienischen Beletage haben zu können.
Die Ziele von Il Cavaliere
Die genaue Motivation Berlusconis sowie seine Motive bleiben jedoch weiterhin unklar. Im Gegensatz zu „Heimkehrer“ Galliani stammt Berlusconi nicht aus Monza, er wohnt heute zwar nur wenige Kilometer von Monza entfernt, hatte jedoch zuvor keinerlei persönliche Verbindungen oder Beziehungen zur Stadt oder dem Verein.
Berlusconi wird nicht müde zu betonen, dass er Milan schlagen möchte, dass er eine große und bedeutende Kraft in der Serie A werden will. Die Chance, diese Art von Rachegelüsten tatsächlich befriedigen zu können, wird er wohl bald bekommen.
Der finanzielle Vorteil für Berlusconi wird jedoch eher überschaubar sein. Das 18.500 Zuschauer fassende Stadio Brianteo wäre in der Serie A sicherlich immer sehr gut ausgelastet, das Wachstumspotenzial des Vereins ist jedoch definitiv limitiert.
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Im Umkreis von 100 km gibt es mit den beiden Mailänder Klubs zwei absolute europäische Schwergewichte von Weltformat sowie mit Atalanta BC einen aufstrebenden Klub, der sogar in der Champions League für ordentlich Furore gesorgt hat. Nicht zu vergessen I Biancazzuri aus Brescia, ein ebenfalls über Jahrzehnte gewachsener Traditionsverein.
Von seinem Credo der rein italienischen Mannschaft ohne Glanz und Glamour ist Berlusconi längst abgerückt. Von seinem damaligen Ziel, dem Aufstieg in die Serie A, natürlich nicht. Der Erfolg zählt, alles andere spielt eine lediglich untergeordnete Rolle.
Und der Traum von Duellen in der Serie A gegen die große AC Milan wird in der „Mailänder Vorstadt“ mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit schon bald Realität werden. Berlusconi wird alles in seiner Macht mögliche tun, um zu verhindern, dass diese Duelle wie an diesem 05. September 2020 ebenfalls in eine 4:1 Niederlage resultieren.
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