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Atalanta, Sassuolo, Bologna: Die Überraschungsteams der Serie A

(Grafiken: Erstellt von Cavanis Friseur / © Footyrenders)

Die Serie A erhielt zuletzt immer mehr Beachtung. Die Liga, die lange nur mit Catenaccio in Verbindung gebracht wurde, entwickelte sich seit der Ankunft von Cristiano Ronaldo in eine neue Richtung.

Inter holte sich mit Antonio Conte einen neuen Top-Trainer, Lazio spielte plötzlich um den Titel und in keiner anderen Top-Liga fallen mehr Tore.

Das Aushängeschild dieser Entwicklung ist aber keiner der traditionell großen Klubs und auch kein Super-Star wie Ronaldo sondern Atalanta Bergamo.

Der Verein aus der Lombardei steht sinnbildlich für eine offensive, spektakuläre Liga. Vor dem letzten Spieltag hat man bereits 98 Tore erzielt.

Diese Saison gewann man zweimal 5:0 und jeweils einmal 6:2, 7:0, 7:1 und 7:2. Im Champions-League-Achtelfinale besiegte Atalanta Valencia mit 4:1 und 4:3. Im Viertelfinale trifft man nun auf Paris Saint-Germain.


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Der Aufstieg Atalantas ist bemerkenswert. Vor neun Jahren stieg man in die Serie A auf, landete danach fünf Jahre in Folge in der unteren Tabellenhälfte.

In den letzten fünf Jahren wurde man dann zu der vielleicht spannendsten Mannschaft Europas. Das sorgt für Nachahmer. Diese finden sich direkt in der Serie A wieder und sorgen dafür, dass die Liga auch deswegen so interessant ist, weil nicht nur die Top-Teams guten Fußball spielen können.

Sassuolo führt das Verfolgerfeld hinter den klassischen Top-Teams an, ärgerte diese Saison besonders Juve (ein 2:2 und ein 3:3). Bologna hingegen klaute Napoli und Inter Punkte und wird im gesicherten Tabellenmittelfeld landen.

Vergleicht man Atalanta, Sassuolo und Bologna fallen erstaunlich viele Parallelen auf, die wunderbar zeigen, was es für kleinere Teams braucht, um zur großen Überraschung zu werden. In vier entscheidenden Punkten verfolgen die drei Mannschaften äußerst verwandte Ansätze.

 

Die Spielphilosophie von Atalanta & Co.

Sehr unterschiedlich, aber doch sehr ähnlich. So lassen sich die Spielideen Atalantas, Sassuolos und Bolognas charakterisieren. Auf den ersten Blick scheint man sich nicht allzu viel gemeinsam zu haben.

Atalantas Trainer Gian Piero Gasperini vertraut auf ein 3-4-2-1, Sassuolos Roberto de Zerbi auf ein 4-2-3-1, Bolognas Sinisa Mihajlovic auf eine Art 4-3-3.

Auch abgesehen von den Formationen gibt es einige entscheidende Unterschiede. Atalanta nutzt vor allem Positionswechsel auf den Flügeln, um sich nach vorne zu kombinieren. Sassuolo fokussiert sich im Aufbau dagegen stark aufs Zentrum. Bologna agiert von den drei Teams am vertikalsten, sucht oft aggressiv den Zwischenlinienraum.

In der Grundausrichtung findet man dann aber die entscheidenden Gemeinsamkeiten. Obwohl alle drei Teams verschiedene System spielen, vertrauen sie doch alle auf das Positionsspiel und versuchen, Spiele über ihre Offensive zu gewinnen.


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Das Ganze führt soweit, dass die Defensive oftmals etwas vernachlässigt wird. Das wird bereits am Torverhältnis ersichtlich.

Atalanta kassierte die meisten Gegentreffer aller Meister-Kandidaten, schoss aber auch fast zwanzig Tore mehr als seine direkten Konkurrenten. Sassuolo erzielte 69 Treffer, fing sich aber auch ganze 62.

Bologna kommt immerhin noch auf 52 Tore, vor dem misslungenen Restart war man auf noch besserem Kurs. Die Defensive ist mit zwei Gegentreffern mehr als Sassuolo ebenfalls anfällig.

Blickt man auf weitere Werte, verstärkt sich ein klares Bild. Ballberührungen im Angriffsdrittel und im Sechzehner, Schnittstellenpässe, komplettierte Pässe, xG: In all diesen Statistiken befinden sich die drei Klubs immer in der oberen Hälfte der Serie A, Atalanta führt viele Kategorien an.


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Neben den sechs traditionellen Top-Teams Italiens, die grundsätzlich hohe Ballbesitzwerte haben, sind Atalanta, Sassuolo und Bologna die spielstärksten Mannschaften der Liga.

Die Defensive galt lange als Mittel der Außenseiter. Mittlerweile gibt es aber genug Beispiele, die zeigen, dass die Flucht in die Offensive vielversprechender ist. Ein defensivstarkes Team ist für viele Klubs einfacher zu bespielen.

Ist man kein Top-Team, von dem stets erwartet wird, anzugreifen, reicht es schon, dem Gegner den Ball zu überlassen. Dieser findet dann keine Lösungen.

Bestes Beispiel hierfür ist Schalke 04 in der Rückrunde der vergangenen Bundesliga-Saison. Als das Team von David Wagner nicht mehr nur auf sein Pressing vertrauen konnte, stürzte man massiv ab.

Atalanta schafft es dagegen, gegen jedes Team der Liga gewinnen zu können, indem sie kleine wie große Teams mit ihrem offensiven Einfallsreichtum immer wieder aufs Neue überrumpeln.

Sassuolo und Bologna schaffen dasselbe, wenn auch noch in jeweils etwas geringerer Konstanz und Qualität. Alle Teams nutzen dabei andere Mittel. Was jedoch bleibt: Es soll mit dem Ball gespielt und der Gegner dominiert werden. Eher gewinnt man 4:3 als 1:0.

 

Konstanz und Ruhe bei Bologna, Sassuolo und Atalanta

„Das schnelllebige Fußballgeschäft“ ist eine der Floskeln rund um den Fußball, die mit am inflationärsten genutzt wird.

Die Gründe sind dabei oft die gleichen: Ein Verein heuert mal wieder den dritten Trainer in einer Saison an, ein Spieler wechselt zum vierten Mal in drei Jahren den Verein, der ehemalige Fan-Liebling und Stammspieler ist ein halbes Jahr später Verkaufskandidat.


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Atalanta, Sassuolo und Bologna schaffen es dagegen eine große Ruhe zu bewahren. Das beginnt schon auf dem Trainerposten. Seit der Saison 2015/16 hatten Bologna und Sassuolo jeweils nur vier Trainer, Atalanta sogar nur zwei.

Das ist bereits bemerkenswert, wird es aber noch mehr, wenn man sich die Ergebnisse dieser Zeit anschaut. Nachdem Eusebio di Francesco in der ersten Serie-A-Saison mit Sassuolo gegen den Abstieg kämpfte und nur 17. wurde, durfte er bleiben und führte Sassuolo zwei Jahre später auf Platz 6 und damit in die Europa League.

Roberto Donadoni blieb drei Jahre bei Bologna trotz ständigem Abstiegskampf und keiner höheren Platzierung als Platz 14.

Den Verein musste er letztlich auch nicht, wie so viele andere, inmitten der Saison verlassen, sondern gab seinen Posten am Ende der Spielzeit ab.

Viel entscheidender sind aber noch die Personen hinter dem Erfolg, die auch trainerunabhängig eine Idee vorantreiben konnten.

Atalanta wird seit dem Amtsantritt des Präsidenten Antonio Percassis im Jahr 2010 sehr ruhig geführt. Zusammen mit ihm kam damals Gabriele Zamagna als sportlicher Direktor. Gemeinsam legten sie über viele Jahre den Grundstein des heutigen Erfolgs.


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Sassuolos Sportdirektor Giovanni Rossi ist seit 2013 im Amt, verbrachte zwischenzeitlich lediglich ein Jahr bei Cagliari.

Teammanager Massimiliano Fusani kam im selben Jahr zum Verein. Bei Bologna kontrolliert seit 2016 Riccardo Bigon das sportliche Geschehen. Seitdem befindet sich der Klub aus Norditalien im Aufschwung.

Die Serie A erlangte in den vergangenen Jahren Aufmerksamkeit als eine Liga, in der einige Präsidenten Trainer halbjährig austauschten.

Mysteriöse Konsortien übernehmen Top-Klubs, in denen anschließend die Führungspositionen kein Jahr in Folge von denselben Personen besetzt werden.

Atalanta, Sassuolo und Bologna zeigen derweil, was passieren kann, wenn man über einen längeren Zeitraum den gleichen Personen vertraut und diese einen guten Plan mitbringen.

 

Die Arbeit auf dem Transfermarkt von Bologna & Co.

Ein Überraschungsteam spielt hervorragenden Fußball und muss im folgenden Transferfenster seine Leistungsträger abgeben. Es ist eines der bekanntesten Phänomene im Fußball.

Oft folgt danach dann der Zusammenbruch. Viel scheint man dagegen nicht ausrichten zu können. Auch Atalanta und Co. sind hiervon betroffen. Allerdings fanden sie auch eine elegante Lösung, um den Aderlass stets möglichst gering zu halten.

Atalanta lässt sich als Poster-Boy dieser Strategie aufführen. La Dea verpflichtet vor allem zwei Spielertypen: Ältere unterschätzte Spieler und jüngere talentierte Spieler.


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Überraschungsteams versprühen meist etwas Frisches und Neues. Atalanta ist dagegen ein verhältnismäßig altes Team. Der Altersschnitt liegt bei 26,8 Jahren. Der jüngste Stammspieler ist der 25-jährige Mario Pašalić.

Das Ganze ist jedoch nur eine Momentaufnahme. In den vergangenen Jahren war Atalanta auch eine optimale Station für Talente, die den Verein dann aber wieder verließen.

Der Vorteil von etwas älteren Spieler ist allerdings, dass sie dem Verein länger erhalten bleiben. Atalantas furioses Sturm-Quartett aus Papu Gomez, Josip Ilicic, Duvan Zapata und Luis Muriel besteht aus zwei 32- und zwei 29-Jährigen.

Diese Spieler agieren aktuell auf höchstem europäischem Level. Das Interesse an ihnen ist trotzdem verhältnismäßig gering.

Die großen Klubs möchten vielversprechende Spieler, potenziell langfristige Stützen verpflichten. Die finden sie bei Atalanta nicht und der Verein aus der Lombardei darf seine Schlüsselspieler halten.

Am Transfergeschehen dieser Saison ist die Strategie gut zu erkennen. Der 29-jährige Muriel kam für knapp 20 Millionen Euro, der 27-jährige Ruslan Malinovskyi für 13,6 Millionen Euro.

Zusätzlich wurden die 26-Jährigen Adrien Tameze und Mattia Caldara geliehen und könnten über den Sommer hinaus bleiben. Währenddessen investiert man aber auch in die Jugend.


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So kamen der 20-jährige Bosko Sutalo und der 21-jährige Lennart Czyborra, der die langfristige Nachfolge von Robin Gosens antreten könnte. Eben jener Gosens kam mit nur 22 Jahren zu Atalanta und könnte bald für großen Profit weiterverkauft werden.

Bologna kopiert diese Strategie nahezu komplett. Während unterschätzte, alte Spieler wie Gary Medel, Stefano Denswil oder Roberto Soriano das Rückgrat darstellen sollen, werden Talente wie Moussa Barrow, Takehiro Tomiyasu oder Nicolas Dominguez verpflichtet, deren Marktwerte sich in kurzer Zeit bereits vervielfacht haben.

Die Verkäufe von Talenten sichern die finanzielle Zukunft des Vereins. Bologna kassierte so in den letzten beiden Sommern alleine für Erick Pulgar und Simone Verdi über 30 Millionen Euro, die sofort wieder in weitere Talente reinvestiert wurden.

Sassuolo verfolgt diesen Ansatz am aggressivsten. Sie zeigten sich immer wieder bereit für Spieler ohne jegliche Erfahrung auf Top-Level, viel Geld hinzulegen.

2017 überwies man beispielsweise für den damals noch 17-jährigen Davide Fratessi, der bis dahin nur in den Jugend-Teams der Roma spielte, 5 Millionen Euro. Während seiner Leihe zu Empoli gehört er aktuell zu den besten Spielern der Serie B.


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Und auch in vielen anderen Fällen ging das Modell schon auf. Merih Demiral holte man für 8 Millionen Euro von Alanyaspor und gab ihn nur ein halbes Jahr später für einen Profit von 10 Millionen € an Juventus Turin ab.

Auch für Spieler wie Matteo Politano und Stefano Sensi kassierte man einen zweistelligen Gewinn.

Und zwischen all diesen Talenten tummeln sich dann doch immer wieder erfahrene Spieler. So ist Sassuolos Top-Scorer Francesco Caputo (21 Tore, 7 Vorlagen) 32 Jahre alt und kam im vergangenen Sommer von Empoli.

Die Rechnung ist recht simpel: Je jünger und je besser die Mannschaft ist, desto weniger ist im nächsten Jahr von der Mannschaft noch vorhanden.

Gleichzeitig braucht man aber auch die Talente, um Geld in die Kassen zu spülen. Hier den Spagat zwischen älteren und jüngeren Spielern zu finden, ist eine schwere Aufgabe. Atalanta meisterte diese zuletzt besonders gut. Sassuolo und Bologna probieren bereits nachzuziehen.

 

Die Jugendarbeit als Grundstein für Sassuolo & Co.

196,6 Millionen Euro. Das ist die Summe, die Atalanta seit 2017 für Verkäufe von Jugendspielern eingenommen hat. Allein für Alessandro Bastoni und Dejan Kulusevski nahm Atalanta 66,6 Millionen Euro ein. Beide haben zusammengerechnet lediglich zwölfmal für den Verein aus der Lombardei gespielt.

Die Jugendarbeit ist die größte Einnahmequelle Atalantas. Ohne sie hätte man den aktuellen Kader gar nicht erst zusammenstellen können.

Man es schafft es, Talente so zu entwickeln, dass sie den Spielstil Gian Piero Gasperinis schon früh verinnerlichen.

Das macht ihnen die Integration in die erste Mannschaft bedeutend einfacher. Früh bekommen Spieler aus der eigenen Jugend schon Chancen. Dank der sinnvollen Transferpolitik bricht das Team nach den unvermeidlichen Verkäufen nicht zusammen.

In der Jugendarbeit liegt auch der größte Unterschied zwischen Atalanta und Sassuolo sowie Bologna.


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Sassuolo konnte mit Domenico Berardi und Rogerio immerhin zwei Stammspieler selber ausbilden, mit Giacoma Raspadori und Gianluca Scamacca haben auch zwei weitere Talente Chancen auf diese Positionen.

Bologna brachte Fabio Borini und Adam Masina hervor. Mit Musa Juwara hat man zusätzlich einen der spannendsten jungen Flügelspieler der Serie A. Insgesamt stehen Sassuolo und Bologna jedoch klar hinter Atalanta.

In der Ausbildung junger Spieler wird hier sehr viel richtig gemacht. An Vereinen wie Ajax Amsterdam oder Olympique Lyon ist zu sehen, wie weit eine gute Jugendarbeit einen Klub führen kann.

Atalanta Bergamo hat über viele Jahre so viel richtig gemacht, dass sie eigentlich nicht als Überraschungsteam bezeichnet werden sollten. Der Erfolg ist lediglich die logische Konsequenz hervorragender Arbeit. Bei solch einer grandiosen Arbeit wäre eher Misserfolg die Überraschung.

Die kleineren Teams der Serie A zeigen ganz Europa, wie nachhaltiger Erfolg zu erreichen ist. Atalanta ebnet dabei den Weg für Mannschaften wie Sassuolo und Bologna, welche die nächste große „Überraschungsmannschaft“ werden könnten.

Einfach wird das allerdings nicht. Bricht einmal einer der Grundpfeiler zusammen – sollte zum Beispiel der brillante Roberto de Zerbi Sassuolo verlassen oder ein paar Neuverpflichtungen aus Verletzungsgründen nicht einschlagen – fällt es kleineren Teams schwerer, dies auszugleichen.

Um fester Bestandteil der Top-Teams zu werden, muss viel mehr perfekt funktionieren als bei den klassischen Top-Teams.

Es gibt keine Garantie, dass Sassuolo oder Bologna in die Fußstapfen von Atalanta treten können. Sie können lediglich alles versuchen, um ihre Chancen darauf so hoch wie möglich zu halten.

Genau das vollbringen sie aktuell. Sollte es einer der beiden Vereine in den nächsten Jahren dann nach ganz oben schaffen, sollte niemand überrascht sein.


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Alexander Rudies
Tennisspieler und Trainer mit noch größerer Liebe zum Fußball Schaut täglich Fußball, großer Fan von Fußball außerhalb der Top-Ligen und der Geschichte des Sports Beschäftigt sich viel zu intensiv mit Fußball. Bewunderer des Positionsspiel Guardiolas und Bielsas, trotzdem Fan von West Ham und Atletico. Leidenschaftlicher Tennis-Spieler und Cristian-Garin-Anhänger.

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