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Die Heimkehr: Luis Suárez bei Club Nacional

Luis Suárez ist einer der besten Stürmer des 21. Jahrhunderts – und spielt nun in der rustikalen uruguayischen Liga. Dahinter stecken eine tiefe Verbundenheit zu seinem Verein, eine Social-Media-Kampagne und der Traum von der WM. Wir ordnen den Sensationstransfer ein.

Wer Luis Suárez ist weiß eigentlich jeder, trotzdem einmal im Schnelldurchlauf: Der beste Torschütze in der langen, stolzen Geschichte der uruguayischen Nationalmannschaft. Der vielleicht beste Liverpool-Stürmer des 21. Jahrhunderts. Bei Barça absolut vollwertiger Teil des MSN-Sturmtrios neben Messi und Neymar. 58 Scorerpunkte in 35 Ligaspielen in seiner zweiten Saison in Barcelona.

Wikipedia listet ihn auf Rang 20 der besten Torschützen aller Zeiten, mit 520 Toren in 861 Spielen. In den (zugegeben erst seit jüngeren Zeiten konsistent gepflegten) Vorlagengeber-Rankings wird er zwischen Platz 3 und Platz 7 geführt.

Nur ein einziger Spieler liegt in beiden Kategorien vor ihm, es ist (natürlich) Lionel Messi. Wäre Suárez nicht gleich alt wie der Argentinier und dessen ewiger Rivale Cristiano Ronaldo, man würde ihn womöglich als den besten Spieler seiner Generation wahrnehmen.

 

Unter dem Radar: Uruguays Liga

Was in der uruguayischen Liga passiert, interessiert dagegen außerhalb der Landesgrenzen in aller Regel nur die wenigsten. Das Land ist zwar außergewöhnlich fußballbegeistert, hat aber mit gerade mal 3,5 Millionen Einwohnern nicht die finanziellen Ressourcen, auch nur mit den größeren südamerikanischen Ligen mithalten zu können.

Das sorgt für einen konstanten Exodus der besten Spieler. Innerhalb der Liga selbst ist das Gefälle enorm. Peñarol und Nacional wissen zusammen fast 80% der fußballaffinen Bevölkerung hinter sich und zahlen ihren Spitzenspielern Gehälter, die in etwa im deutschen Zweitligamittelmaß liegen.


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Viele andere Profiklubs hingegen spielen regelmäßig vor einer dreistelligen Anzahl an Zuschauern in Stadien, die in Deutschland nicht mal drittligatauglich wären, und müssen von Spielerverkäufen und TV-Geldern leben.

Der Mindestlohn von circa 1.100 USD pro Monat für Erstligaprofis (entspricht in etwa dem 2,5-fachen des regulären Mindestlohns) hat daher für viele Vereine und Spieler ganz konkrete Relevanz. Zudem ist die Liga nicht nur medial, sondern auch räumlich extrem konzentriert: Als Luis Suárez acht Jahre alt ist, stammen 25 von 26 Profiklubs aus der Hauptstadt Montevideo.

 

Ein mythischer Ort des Weltfußballs: Der Gran Parque Central

Das ist durchaus wichtig, denn Suárez stammt aus der Stadt Salto an der Grenze zu Argentinien – fast sieben Stunden Autofahrt von Montevideo entfernt. Salto ist mit über 100.000 Einwohnern zwar für uruguayische Verhältnisse geradezu eine Metropole, hat aber dennoch keinen Profiverein.
Die Chance, hier Profifußballer zu werden, ist nicht null (Edinson Cavani, der nur drei Wochen nach Luis Suárez in der gleichen Stadt geboren wurde und dort auch aufwuchs, hat es bewiesen) – aber groß ist sie auch nicht gerade.

Doch die Familie Suárez Díaz zieht eher zufällig dem Profifußball entgegen: Als Luis sieben Jahre alt ist, findet der Vater nur in Montevideo Arbeit, wenig später folgt die Familie. Zwar geht die Ehe der Eltern nach dem Umzug rasch in die Brüche, doch für die fußballbegeisterten Söhne bieten sich in der Hauptstadt ganz andere Möglichkeiten.

Ein Ort ist für die Suárez-Brüder ganz besonders magisch: Der Gran Parque Central, Stadion und Vereinssitz des legendären Club Nacional de Football, liegt nur rund zwei Kilometer von der mütterlichen Wohnung entfernt. Hier Fußballspielen darf jedoch nur der mittlere von fünf ambitionierten Fußballern: Luis wird mit elf Jahren in die Jugendteams der Bolsos aufgenommen.

Luis Suárez Nacional
© Getty Images

Die uruguayische Nachwuchsarbeit ist ein Phänomen. Wo die Ressourcen schon in der ersten Liga knapp sind, ist der Nachwuchsbereich in vielerlei Hinsicht nicht vergleichbar mit den Möglichkeiten moderner Akademien, aus denen etwa Messi oder Ronaldo stammen.

Ausreichend Bälle und vom Verein gestellte Trainingsklamotten sind schon viel; von den Armeen an Psychologen, Pädagogen und Sportwissenschaftlern moderner Akademien kann man zumindest in den Nullerjahren nicht einmal träumen.

Dennoch bringt Uruguay in erstaunlicher Konstanz Spitzenspieler hervor, von Alvaro Recoba und Diego Forlán über Diego Godín und José María Giménez bis zu Federico Valverde und Darwin Núñez. Fußballbegeisterung und starke Trainer gehören sicherlich dazu, doch es gibt auch noch zwei weitere wichtige Komponenten.

Zum einen ist es die extreme Kompetitivität. Es gibt wohl keine Fußballkultur auf der Welt, die Kampfstärke, Entschlossenheit – in einem, nun ja: Biss – so hoch gewichtet. Und genau mit diesen Eigenschaften würzt Suárez seine technische Brillanz, um später zu einem der durchsetzungsstärksten Stürmer der Welt zu werden.

Als würde es der Name vorherbestimmen: Lucho, Koseform von Luis – aber auch Lucho, „ich kämpfe“. Zum Zweiten haben die geringen Ressourcen sicher auch ihre positive Wirkung: Selbst für die Großklubs ist die Integration eigener Nachwuchsspieler in die Stammelf an der Tagesordnung und auf Grund der Transfereinnahmen sogar überlebensnotwendig.

 

Schritt für Schritt in Richtung Weltspitze

Suárez geht diesen Weg auf prototypische Weise. Gleich in seinem ersten Jahr im Herrenbereich avanciert er zum Stammspieler und holt die Meisterschaft – und praktisch ehe er sich versieht, sitzt er mit seinen gerade mal 19 Jahren schon im Flieger nach Europa.

Auf dem Weg in eine goldene Zukunft, aber auch weg von seinem Heimatklub, für dessen Profis er nicht mal 40 Spiele bestritten hat. Der FC Groningen hat sich Suárez‘ Dienste gesichert, doch wie schon bei Nacional dauert es nur ein Jahr, bis der Pistolero ersichtlich zu gut für seine Mitspieler ist.




 

Schritt für Schritt klettert Suárez in Richtung Weltspitze, jeder Wechsel eine logische Verbesserung: Von Groningen zu Ajax zu Liverpool zu Barcelona. Selbst nach seiner Ausmusterung bei Barcelona schießt er die Außenseiter von Atlético Madrid auf Anhieb zur Meisterschaft.

Während sein Name Weltruhm erreicht – meistens aus sportlichen Gründen, manchmal auch durch groteske Beißattacken – bleibt seine Verbindung zu Heimatklub Nacional immer bestehen. Beispielsweise wird ihm ein Platz auf dem Trainingsgelände Los Céspedes gewidmet, und wenn er es während der Nationalmannschaftsreise oder Sommerpause einmal in den Gran Parque Central schafft, wird er bejubelt wie kein Zweiter.

 

Vom Traum zur Wirklichkeit

Besonders gern sehen die Anhänger der Bolsos aber Social-Media-Posts, in denen Suárez Nacional-Spiele guckt – dann regt sich die zarte Hoffnung, dass dieser Weltklassespieler einer der ihren ist und noch einmal das weiß-blau-rote Trikot überstreifen könnte.

Als Suárez aber dann nach seinem Vertragsende in Madrid tatsächlich auf dem Markt ist, gibt es zahlreiche Interessenten. River Plate aus Buenos Aires ist der erste unter ihnen – sicher nicht der finanzkräftigste, aber ein Klub mit Zugkraft und dem unbedingten Willen, Suárez zu verpflichten.

Wären die Millonarios in der Copa Libertadores nicht bereits im Achtelfinale ausgeschieden, trüge Suárez wohl heute das berühmte Trikot mit der Schärpe. Doch so zerschlägt sich der Wechsel. In einem wenig später stattfinden Interview gibt er, durchaus leicht pikiert, zu Protokoll: Wenn River Plate ihn habe begeistern können, dann könne übrigens auch Nacional das schaffen. Nur leider habe sich niemand vom Klub bezüglich eines Transfers gemeldet.

Luis Suárez Nacional
© Getty Images

Während die uruguayische Liga insgesamt nicht die ganz großen Massen anzieht, ist die Fankultur und Fanbasis der Großklubs Nacional und Peñarol bemerkenswert und steht in ihrer Intensität und ihrem Mobilisierungspotential dem in dieser Hinsicht legendären argentinischen Fußball kaum nach (Nacional reklamiert sogar für sich, selbst Urheber des Begriffs Hinchada zu sein).

Als die Nacional-Fans von Suárez‘ grundsätzlichem Interesse erfahren, dauert es keine 24 Stunden, bis unter dem Hashtag #SuarezANacional eine virale Graswurzel-Kampagne gestartet ist: Aufrufe an die Vereinsführung, gefühlvolle Botschaften an den Star selbst, gebastelte Plakate und, vielleicht das sichtbarste Zeichen, die tausenden Suarez-Masken, die Nacional-Fans während des Ligaspiels gegen Cerrito aufsetzen. Wohlwissend, dass der Star selbst dieses Spiel mit hoher Wahrscheinlichkeit live im TV verfolgt.

Angesichts des medialen Drucks kann die Vereinsführung kaum anders, als mit dem Star Kontakt aufzunehmen. Die ursprüngliche Reserviertheit ist dabei nachvollziehbar: Suárez‘ Gehalt bei Atlético Madrid war höher als Nacionals Gesamtbudget für die erste Mannschaft, das mäßige Liganiveau ist kein gutes Argument, und die Mannschaft hat auch ohne Starstürmer einen richtig guten Lauf.

Luis Suárez Nacional
© Getty Images

Rein rational gibt es nur ein einziges Pfund, mit dem Nacional wuchern kann: Die Aussicht auf Einsatzminuten vor der WM 2022. Doch offenbar hatte Nacionals Führung die rationalen Aspekte schlichtweg überschätzt: Luis Suárez, dieser Weltstar, wollte nicht für West Ham United, Borussia Dortmund oder irgendeinen MLS-Klub spielen, sondern für den Klub, für den sein Herz schlägt und dessen Fans ihn mit Liebesbeweisen überflutet hatten: Nacional.

Eine Weile ziehen sich die Verhandlungen, dann tritt Luis Suarez vor die Kamera und verkündet die bevorstehende Rückkehr zu seinem Stammklub.

Die “Montevidean Farmers League” und der Weltstar, es ist eine Out of Context-Nachricht. Die sozialen Netzwerke des Klubs explodieren, Lionel Messi gratuliert per Video zum Wechsel, Sergio Agüero reist extra zur Präsentation an, zu der sich der Gran Parque Nacional mehr herausputzt und besser füllt als zu manchem Ligaspiel.

Es ist wohl der größte Transfer der uruguayischen Liga aller Zeiten, ein denkbar großer Kontrast zu allem, was in der kleinen Fußballnation sonst so vor sich geht. Nur emotional ist der Wechsel erklärbar; in allen Videos betont Suárez seine Dankbarkeit gegenüber dem Klub, der ihn großgemacht habe, und gegenüber den Fans, deren Kampagne ausschlaggebend für den Wechsel gewesen sei.

Dass Suárez den Vorschusslorbeeren gerecht werden wird, daran lässt er keinen Zweifel. Keine ganze Woche nach seiner Vorstellung trifft Luis Suárez wieder für Nacional, nach 16 Jahren wieder ein Tor in weiß, blau und rot.

Im Ligaspiel gegen Rentistas wird Lucho zur Pause eingewechselt und köpft keine Viertelstunde später eine Ecke zum 3:0 ein. Beim anschließenden Torjubel springt ein Fan über die Bande und verschwindet in der Jubeltraube der Spieler.

Es ist ein passendes Symbol: So professionell wie in Spanien oder England geht es im Gran Parque Central vielleicht nicht zu. Aber Luis Suárez ist wieder dort, wo man ihn bedingungslos liebt. Diese Liebe wertschätzen zu haben, wird zu den größten Vermächtnissen seiner legendären Karriere gehören.

(Titelbild: ©Getty Images/Amadeus Marzai)

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Daniel Bramkamp
Mag vieles, aber keinen Hochglanz und schaut im Zweifel statt Champions League eher zweite uruguayische Liga. Kann es trotzdem nicht lassen, dort nach Supertalenten und taktischen Revolutionen zu suchen. Spoiler: Meistens vergeblich. Aber wenn es mal jemand von den Rampla Juniors zum Champions-League-Sieger bringen sollte - Daniel hat ihn als Erster gekannt.

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