Wieso die Schweiz so gute Torhüter hervorbringt

Warum sind im Schweizer Fußball gerade die Torhüter so gut? Auf der Spurensuche hat Chris Eggenberger unter anderem mit Torhüterlegende Pascal Zuberbühler gesprochen.

Ihre Fehler entscheiden Spiele, ihre Glanztaten ebenso. Doch wenn Fußballvereine heutzutage hohe zweistellige Millionenbeträge in den Transfer eines Torhüters investieren, erhoffen sie sich dabei nicht nur weniger Gegentore, sondern einen elften Feldspieler, der in Spieleröffnung und Ballbesitzspiel mitwirkt.

Die Torhüterposition ist im Fußball des Jahres 2021 wichtiger denn je und ein Land, das sich über diese Entwicklung zwischen den Pfosten besonders freuen wird, ist die Schweiz.

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Die Eidgenossen stellen bereits seit Jahrzehnten fantastische Torhüter – heutzutage sind Yann Sommer von Borussia Mönchengladbach und Roman Bürki von Borussia Dortmund Aushängeschilder. Mit Gregor Kobel vom VfB Stuttgart oder auch Jonas Omlin, Stammkeeper in Montpellier, haben sich weitere Keeper aus der Schweiz in den europäischen Top-5-Ligen etabliert.

Tatsächlich absolvierten Torhüter 24% der Spielminuten aller Schweizer in Top-5-Ligen in dieser Saison, der zweithöchste Anteil aller Länder mit mindestens 100 Einsätzen in den Top-Ligen.

Schweizer Torhüter
*min. 100 Spiele gesamt – bei weniger kann ein einzelner Torhüter bereits zu einem hohen Anteil führen

Die fußballerisch mit der Schweiz vergleichbaren Länder Österreich und die Niederlande zum Beispiel, stellen keinen Stammkeeper in den Top-Ligen. Auch Belgien (9%) oder Portugal (10%) kommen nicht annähernd an die Schweiz heran. Doch woran liegt es, dass die Alpennation gerade auf der Torhüterposition derart gut besetzt ist?

 

Torhüter in der Schweiz: Vorbilder inspirieren die nächste Generation

Diese Frage habe ich auch Pascal Zuberbühler gestellt. Der ehemalige Schweizer Nationaltorhüter und heutige Verantwortliche für Torhüterausbildung beim Weltverband FIFA erklärt:

„Torhüter erfahren in der Schweiz eine hohe Wertschätzung. Jugendliche sind begeistert, spielen gerne auf der Goalie-Position und erhalten dafür auch die Unterstützung von außen. Nachwuchsspieler schauen zu den Großen des Landes auf, wodurch automatisch mehr Talente ihren Weg als Torhüter gehen. Die aktuell aufstrebende Schweizer Torhütergeneration ist fantastisch.“

Auch in Deutschland erkennt Zuberbühler einen vergleichbaren Erfolgs-Zyklus.

Ein Highlight meiner eigenen Spielerkarriere war zum Beispiel ein Elfmeter, den ich in einem Jugendcamp gegen den ehemaligen Nati-Keeper Jörg Stiel treten (und verwandeln) durfte.


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Zuberbühler selbst blieb bei der WM 2006 in Deutschland in sämtlichen Partien ohne Gegentreffer (exkl. Elfmeterschießen) – das ist weder davor noch danach, je einem Goalie bei einer Weltmeisterschaft gelungen.

Solche Geschichten machen Fußballer zu Vorbildern, die Diego Benaglio und Yann Sommer für die nächste Generation sein werden.

Ein Negativbeispiel für eine solche Vorbild-Entwicklung sei indes England – auf der Insel haben die Three-Lions-Torhüter seit den 90er-Jahren in den Medien und der Allgemeinheit einen schweren Stand.

„In der Nationalmannschaft wird jeder Fehler, den du machst, zehnfach vergrößert“, sagte beispielsweise der ehemalige Nationalkeeper Ben Foster einmal «The Telegraph». Und tatsächlich, nur 6% der Spielminuten von Engländern in Top-Ligen 2020/21 machen Torhüter aus, das ist der klar tiefste Wert der fünf Nationen mit heimischer Top-Liga.

 

Vorreiter in der Nachwuchsförderung und Trainerausbildung

Unterschiede beispielsweise zu Deutschland, gibt es in der Schweiz in der Nachwuchsförderung von Torhütern, beziehungsweise gab es diesen vor einigen Jahren.

Pascal Zuberbühler erklärt: „Torhütertrainer und deren Ausbildung sind enorm wichtig. Die Schweiz war eines der ersten Länder, in denen der Verband Ausbildungen für Torhütertrainer durchführte und förderte“.

Bereits ab 2010 sei dies in der Schweiz Praxis gewesen, in Deutschland hingegen erst Jahre später, in manchen Ländern sei dies auch heute noch nicht Standard.

Nicht nur auf der Torhüterposition ist der Fokus auf Nachwuchsförderung im Schweizer Fußball immens. Die Schweizer Super League ist bekannt als Ausbildungsliga, Vereine müssen aufgrund der vergleichsweise geringen TV-Einnahmen Spieler verkaufen, um finanziell überleben zu können.

Das Ziel der Klubs ist es also, so viele Talente wie möglich so früh wie möglich zu fördern. So holen Vereine in den umliegenden Regionen mithilfe von Stützpunkten bereits Spieler im D-Jugend-Alter (11-13 Jahre) zahlreich in die eigene Akademie und versuchen, diese an den Verein zu binden.

Zum Beispiel in der Ostschweiz in den Nachwuchsstützpunkten des Erstligisten FC St. Gallen, wo talentierte Keeper bereits seit fast einem Jahrzehnt, schon ab dem Alter von elf Jahren individuell und spezifisch gefördert werden.


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Ab der U14 besuchen sie mehrmals pro Woche Torhütertrainings am Stützpunkt, wie der damals am Stützpunkt tätige Torhütertrainer Rene Rieser dem «Tagblatt» schilderte.

Diese zum Teil übermäßige Aufnahme von jungen Talenten führt zum einen dazu, dass 99.9% der Spieler ihre Träume auf Profifußball bis zum Alter von 18 Jahren auch (vorerst) wieder aufgeben und aus der Akademie zum Dorfverein zurückkehren müssen.

Durch einen solchen Rückschlag in jungen Jahren können die Jugendlichen in eine schwierige soziale Situation geraten, was hierzulande auch viel kritisiert wird.

Gleichzeitig werden dadurch aber viele Talente so gut wie möglich gefördert, das Modell hat bis zur Coronakrise vielerorts gut funktioniert.

Das Ausbildungsliga-System kann natürlich nicht nur, aber auch für Torhüter im internationalen Vergleich ein Vorteil sein. Dazu kommt, dass der Klassenunterschied zwischen der Super League und zum Beispiel der Bundesliga nicht übermäßig groß ist.

Die überdurchschnittlichen Super-League-Teams können und wollen so als ideale Sprungbretter für die große Karriere genutzt werden.

 

Super League: Sprungbrett für Torhüter aus der Schweiz

Schweizer Torhüter
*Keeping Goals Prevented ist die Differenz aus Expected Goals on Target Against (auch bekannt als Post-Shot Expected Goals) und kassierten Gegentoren.

Sieht man sich die relative Performance von Torhütern in der Schweizer Super League in dieser Saison an, dann zahlt sich die Torhüterförderung aktuell aus – sie sind nach dem Expected-Goals-Modell deutlich besser als jene in den Top-5-Ligen (Statistiken via fbref.com, Stand 21.1.2021).

Vor allem Noam Baumann vom FC Lugano sticht in dieser Spielzeit heraus. Der 24-Jährige fehlte zu Saisonbeginn verletzungsbedingt und kassierte seit seiner Rückkehr in zehn Einsätzen nur sieben Gegentore.

Noah Baumann
© IMAGO

Baumann fällt auf dem Platz mit blitzschnellen Reflexen und seiner emotionalen Art durchaus auf und wird sich mit seinen Leistungen, mit oder ohne Zwischenstation bei einem Spitzenklub in der Schweiz, früher oder später in einer ausländischen Top-Liga wiederfinden.

Noch einige Jahrgänge tiefer reifen mit Anthony Racioppi (11 Saisoneinätze für Dijon in der Ligue 1) oder Philipp Köhn (RB Salzburg, aktuell verliehen) auch im Ausland bereits die nächsten schweizerischen Talente heran.

Neben Talent, vielen Vorbildern und früher Förderung sieht der Berner Schriftsteller Pedro Lenz noch ein weiteres Attribut in den Schweizern. „Das Vermeiden von Fehlern gehört gleichsam zu unseren nationalen Haupttugenden“, schrieb er einst.

Ob schlussendlich auch diese stereotypischen Werte des Schweizers einen Einfluss auf die Qualität der Torhüter haben, darüber könnte man wohl lange diskutieren. Fast sicher ist indes, dass sich die Vorbilder-Zyklen weiterdrehen und die Eidgenossenschaft auch in Zukunft eine Torhüternation sein wird…

Dies ist ein Gastbeitrag von Chris Eggenberger

(Titelbild: © Getty Images)

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