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Wie gut war eigentlich… Juan Román Riquelme?

Weltmeisterschaft: Argentinien gegen Deutschland. Deutschland gilt als Musterbeispiel des Kollektivfußballs, kein Spieler ist wichtiger als „Die Mannschaft“. Auf der Gegenseite Argentinien: Alle Hoffnungen ruhen auf der Nummer 10, dem Individualisten und einem der besten Spieler der Welt. Und während Juan Román Riquelme die Torvorlage zum 1:0 gibt, sitzt Lionel Messi nur auf der Bank.

Spricht man über Riquelme, gibt es keine Meinungsverschiedenheiten. Einzig, ob er nun der „letzte echte“ Zehner, der „letzte klassische“ Zehner oder gar der „letzte“ Zehner war, steht zur Debatte. Kaum ein Fußballspieler wird so stark mit seiner Position bzw. Rückennummer verbunden wie die Nummer 10.

 

Wie gut war Riquelme?

Riquelme – die Nummer Zehn

Die Position des Zehners wird, besonders in betagten Fußballkreisen, romantisiert. Der Spieler hinter den Spitzen, der die Angreifer mit butterweichen Pässen füttert.

Der Mann, der alles so einfach aussehen lassen kann, als würde und müsste er sich nicht anstrengen. Eine Nummer 10 läuft nicht, für ihn wird gelaufen. Er ist das Epizentrum der Mannschaft, alle Wege führen zu ihm hin und hat er den Ball am Fuß, führt auch kein Weg zurück.

Riquelme gilt als Prototyp des Spielers, der all die schönen Facetten des Fußballs vereinte. Ein Markenzeichen der Zehn war das stets leidend dreinschauende Gesicht, als würde es ihm weh tun, dass seine Mit- und Gegenspieler nicht die selbe Brillanz wie er besitzen.


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Zum Glück lasse ich mich von dem ganzen Romantik-Riquelme-Zehner-Gedöns nicht blenden – denke ich. Mit meinen jungen 21 Jahren habe ich den Argentinier das letzte Mal bei der WM 2006 gegen Deutschland spielen sehen.

Wenn der so gut gewesen wäre, hätte er mehr Trophäen geholt. Der 4-fache argentinische Fußballer des Jahres konnte in fast sieben Jahren in Europa nämlich keinen einzigen Titel gewinnen, obwohl er bei Topmannschaften wie dem FC Barcelona oder FC Villareal spielte.

Naja, dann habe ich mir die ersten Spiele des argentinischen Großmeisters angeschaut. Anfänglicher Argwohn – man könnte es gar Misstrauen nennen – verflog und wich Begeisterung über den unverkennbaren Spielstil Riquelmes.

 

Nicht so faul wie der Ruf

Zuerst räumte der Zehner mit seinen Vorurteilen auf: So oft als lauffaul und undiszipliniert betitelt, machte Riquelme defensiv einen ordentlichen Eindruck. Als Mittelfeldspieler verschob er diszipliniert und zog in Ballnähe sogar einige Sprints an, um Gegenspieler unter Druck zu setzen.


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Besonders im damals noch nicht strukturierten Gegenpressing zeigte sich Riquelme teilweise stark: Wenn es ihm gelang, unmittelbar in den Zweikampf zu kommen, gewann er den Großteil der Duelle.

Tatsächlich war Riquelme in Zweikämpfen besser, wenn diese mit hartem Körpereinsatz geführt wurden. Dann konnte er nämlich mit seiner extrem guten Körperbeherrschung glänzen.

Die überragende Körperbeherrschung half ihm im defensiven wie im offensiven 1 gegen 1: Wie es sich für einen Zehner gehört, gestaltete es sich sehr schwierig, dem Argentinier den Ball abzunehmen.

Im direkten 1-gegen-1 erschien dies nahezu unmöglich – sobald Riquelme seinen Körper zwischen Ball und Gegner geschoben hatte, war er nur noch per Foul vom Ball zu trennen.

Im Dribbling half ihm ein weiterer Aspekt seiner weitgehend unterschätzten Athletik; der Antritt. Sicher, Riquelme sah nicht nach einem Sprintmonster aus und war es auch schlichtweg nicht.

Auf den ersten 5-10 Metern entwickelte er jedoch eine ordentliche Dynamik, die die Gegenspieler immer wieder überraschte.

 

Alle Wege führen nach Riquelme

Nachdem er mit meinen Vorurteilen gegenüber seiner Athletik und seinem defensiven Einsatz aufgeräumt hatte, widerlegte er etwas, was ich gar nicht genau definiert hatte. Wie bewegt sich ein Zehner eigentlich auf dem Feld?

Also erstmal bleibt er im Zentrum – ein echter Zehner hat es nicht nötig, nach außen zu laufen. Außerdem hat er eine hohe Grundposition, unmittelbar hinter den Stürmern, sodass er diese mit seinen tödlichen Pässen versorgen kann.

Mit dem Spielaufbau hat er jedoch wenig zu tun, das machen andere – so war mein Verständnis des klassischen Zehners, ich bin jedoch offen für andere Versionen.


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Allerdings gibt es bei dieser Definition des echten Zehners ein Problem: Riquelme war dann gar kein klassischer Zehner. Der Argentinier zeigte weiträumige Freilaufbewegungen, unterstütze Angriffe über verschiedene Laufwege und ja, ihn zog es verhältnismäßig oft nach außen.

Außerdem ließ er sich im Spielaufbau auch gerne weiter nach hinten fallen, um das Spiel anzukurbeln und nach vorne zu tragen.

Dabei riss Riquelme das Spiel nicht an sich oder war übermäßig dominant; er bewegte sich klug, machte auch die einfachen Aktionen und ermöglichte seinen Teamkollegen eine saubere Spielfortsetzung, ohne sich diesen aufzudrängen.

Lustigerweise war Riquelme jedoch am stärksten, wenn er als Übergangsspieler vom ersten ins letzte Drittel fungierte. Er fand überragende Positionen im Zentrum und im Halbraum, die seine Mitspieler mit flachen Vertikalpässen bedienen konnten.

 

Der Kreativposten seiner Mannschaft

Was dann kam, wenn der Argentinier aus diesen Positionen den Ball an- und zum Tor mitgenommen hatte, war das, wofür die Zuschauer ihr Geld bezahlten: Der tödliche Pass, hinter die Abwehr, genau in den Lauf des Stürmers, den außer Riquelme niemand im Stadion gesehen hatte.

Dabei gelang es dem 4-fachen argentinischen Fußballer des Jahres, diese Aktionen einfach aussehen zu lassen. Aus dem Stand, völlig mühelos, dreht sich der Ball perfekt gegen die Laufrichtung aller Verteidiger und in den Laufweg des Stürmers – Tor.


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Im Packing müsste Riquelme sensationelle Zahlen haben, ob als Passempfänger oder als Passspieler. (Mehr zum Thema “Packing” in unserem Text “Verdiente Siege im Fußball)

Eigentlich ist das alles schon genug, um das romantisierte Bild des letzten echten Zehners zu bestätigen. Doch da gibt es noch etwas, was ich mir in meinen Notizen wie folgt aufgeschrieben habe: „Übertrieben gute Standards“.

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich das jetzt mehr beschreiben soll. Riquelmes Freistöße und Ecken kamen stets gefährlich, immer mit Schnitt zum Tor und immer zu einem Mitspieler. So auch beim in Deutschland vermutlich bekanntesten Spiel des Zehners bei der WM 2006:

 

Das Unaussprechliche: Seine Defizite

Schwächen von Riquelme? Wenn er anscheinend gar nicht so lauffaul und übertrieben dominant war, kann es da eigentlich gar nichts geben. Oder?

Doch, schon. Sogar in den Aspekten, die ihn als klassischen Zehner ausmachen sollten.

Zuerst: Die technische Qualität seiner Pässe war seeehr inkonstant. Wenn er den finalen Pass spielte, kamen seine Bälle nahezu perfekt, immer angenehm gewichtet und ideal für den Stürmer.

Abgesehen davon schwankte sein Passspiel jedoch: Mal kam ein Pass zu lasch, mal kam er zu straff und manchmal spielte der Argentinier den Ball so unsauber, dass dieser auf dem Rasen hoppelte – Dennis Bergkamp würde verrückt werden ob dieser Nachlässigkeit.

Darüber hinaus waren die Freilaufbewegungen Riquelmes manchmal unpassend. Der Zehner zeigte sich sehr umtriebig und ließ sich dann unnötig weit auf den Flügel ziehen.

Dabei fand er sich dann häufiger in Positionen ohne gute Anschlussoptionen wieder. Der Argentinier war jedoch als Dribbler so gut, dass er den Ball so lange halten konnte, bis er gute Anschlussaktionen hatte.

Riquelme wäre besser beraten gewesen, hätte er versucht, das Bild des klassischen Zehners zu bestätigen – seine Positionen im Zentrum und im Halbraum waren schließlich sensationell.

 

Bemüht≠gut

Gegen den Ball schützt ordentliches Engagement nicht vor Kritik. Besonders am Anfang seiner Karriere war offensichtlich, dass Riquelme kein gutes defensives Verständnis besaß.

Mal sprintete er schnurstracks auf den Gegenspieler zu, sodass diesem eine kleine Finte genügte, um den bulligen Argentinier hinter sich zu lassen. Und bei der nächsten Aktion verpasste Riquelme es, Zugriff herzustellen.

Umso einfacher die Szene, umso mehr kam dies dem Zehner entgegen. Klare, körperliche im 1vs.1 geführte Zweikämpfe, das konnte er. In der späteren Phase seiner Karriere hatte der 51-fache argentinische Nationalspieler außerdem ein gutes Gespür dafür entwickelt, wo der Ball hinkommen wird. So gelang es ihm, viele Pässe zu antizipieren und abzufangen.

Wenn er jedoch viel laufen musste, um defensiv Effekt zu haben, war er wirkungslos – wie es sich für einen echten Zehner gehört.

 

Mehr als nur der Unvollendete

Juan Román Riquelme galt als Letzter seiner Art. Ein Spieler, der individuell so herausragend war, dass er sich nicht in ein Mannschaftsgefüge einzufinden brauchte. Ein Spieler, dem trotzdem ein unschätzbarer Wert für die Mannschaft zugesprochen wird.

Jedoch ist Riquelme nicht nur der letzte Zehner – in Argentinien ist er auch der Unvollendete, der nie ganz an die gigantischen Erwartungen anknüpfen konnte. Damit tut man dem leidend schauenden Genie jedoch Unrecht:

Der Argentinier gewann mehrere Titel, darunter dreimal die Copa Libertadores, fünfmal wurde er argentinischer Meister und im Jahr 2000 gewann er gar den Weltpokal gegen Real Madrid – alles mit seiner Liebe Boca Juniors, bei der er die meiste Zeit seiner Karriere verbrachte.

Und doch bleiben vorrangig die tragischen Geschichten im Gedächtnis des Fußballfans: Zum Beispiel bei der WM 2006, Riquelme gibt bei einem individuell herausragenden Turnier die Vorlage zum 1:0 im Viertelfinale gegen Deutschland. In der 70. Minute wird er für den defensiver denkenden Cambiasso ausgewechselt – der Rest ist bekannt:

Deutschland erzielt kurz danach das 1:1, im Elfmeterschießen vergibt ausgerechnet Cambiasso den entscheidenden Elfmeter – Argentinien ist raus und die Geschichte des unglücklichen Riquelme scheint kein Ende zu nehmen; auch nicht, als er 2008 mit Argentinien olympisches Gold erlangt.


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Zugegeben, es ist schwierig für mich, die Gefühle derer nachzuempfinden, die Riquelme und den Trubel um ihn live mitbekommen haben. Die Spiele, die ich von ihm gesehen habe, widerlegten jedoch den Großteil meiner Vorurteile.

Er war nicht (sehr) lauffaul, er war nicht übertrieben dominant und er konnte sich – auf dem Fußballplatz – in ein Mannschaftsgefüge einbringen. Individuell war er ein absolut herausragender Spieler, der ein Spiel nicht zwangsläufig an sich reißen musste, um Wirkung zu entfalten.

Den riesigen Erwartungen in Argentinien gerecht zu werden, ist unmöglich; das wird Leo Messi bestätigen. Und doch sprechen die Erfolge und das Standing, was sich Juan Román Riquelme aufgebaut und – man mag es kaum sagen – erarbeitet hat, für sich:

Ob der schwermütige Argentinier der letzte, echte Zehner war, vermag ich nicht zu beurteilen. Was er jedoch war, war ein herausragender Fußballer, der jeden Fußballfan mit seinen Aktionen ins Schwärmen bringen kann. Das sollte reichen, um in der Riege der herausragenden Zehner mehr als nur „der Unvollendete“ zu sein.


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Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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