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Wie gut war eigentlich… Lothar Matthäus?

Weltmeister, Weltfußballer, Rekordnationalspieler – es gibt wenige deutsche Fußballer, die in ihrer Karriere mehr erreicht haben als Lothar Matthäus. Doch die sportlichen Erfolge rücken in der öffentlichen Wahrnehmung gern in den Hintergrund.

Denn die Schlagzeilen, die sein Privatleben produziert, gemischt mit der Häme über den fehlenden Erfolg als Trainer garantieren sichere mediale Aufmerksamkeit; übrigens ein wiederkehrendes Muster in den deutschen Medien bei der Berichterstattung über ehemalige Sportgrößen.

Man frage nach bei Boris Becker. Um das Rauschen im Blätterwald soll es aber hier aber nur am Rande gehen, wir kümmern uns hauptsächlich um die Frage wie gut Lothar Matthäus zu seiner aktiven Zeit auf dem Platz war.

 

Von Herzogenaurach in die weite Welt

Lothar Herbert Matthäus begann noch klassisch bei seinem Heimat- und Jugendverein, dem 1. FC Herzogenaurach in der Landesliga und nicht wie heutzutage üblich in einem Internat.

Er wechselte dann bereits (oder aus heutiger Sicht: erst) mit 18 Jahren nach Mönchengladbach in die Bundesliga und spielte sich dort in der „Fohlen-Elf“ unter Trainer Jupp Heynckes schnell fest. Im Mittelfeld entwickelte er sich dank seines Tempos schnell zu einem Antreiber.

Matthäus war zu Beginn seiner Karriere weder klassischer Spielmacher noch Vorstopper noch Flügelflitzer, sondern am ehesten das was man heute wohl als einen Achter bezeichnen würde. Gern kam er mit Anlauf aus der Tiefe, um dann seine Schnelligkeit, Ballkontrolle und Dribbelfähigkeiten auszuspielen.

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Dynamik war schon früh das Attribut, das fortan mit seinem Namen verknüpft bleiben sollte. Dank seiner moderaten Größe von 1,74m und seiner sauberen Technik behielt er auch bei kleineren Fouls und Remplern die Balance und war enorm schwer vom Ball zu trennen – eine wichtige Fähigkeit im robusten und körperbetonten Fußball der 80er Jahre.

Dank seiner starken Physis war Matthäus in der Lage sich fallen zu lassen und die Abwehr zu verstärken, um sich dann nach Ballgewinn sofort mit in die Offensive einzuschalten.

Schon in jungen Jahren übernahm er Verantwortung und trat einen Großteil der Gladbacher Standards. Er verband dabei Härte und Präzision, beispielhaft seine punktgenaue Vorlage zum Borussen Führungstreffer im DFB-Pokalfinale 1984.

 

Die ersten Titel mit den Bayern

Allerdings konnte auch der junge Matthäus den schleichenden Niedergang der Gladbacher nicht verhindern und so wechselte er schließlich 1984 zum FC Bayern. Dort wurde er auf Anhieb Deutscher Meister, später auch DFB-Pokalsieger und erneut Meister.

Bei den Münchenern rückte Matthäus weiter in die Zentrale, wo er dem Spiel noch mehr seinen Stempel aufdrücken konnte und mit Übersicht die Fäden zog.

Sein rechter Fuß war eine absolute Waffe, die Distanzschüsse, mit denen er seine Dribblings in die Tiefe oftmals abschloss, wie an der Schnur gezogen. Er hatte eine Vorliebe für indirekt getretene Freistöße, welche er gern flach und platziert schoss, mit einer Härte, die den gegnerischen Torwarten wenig Abwehrchance ließen.


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Auf dem Höhepunkt der Karriere

Seine größte Zeit sollte jedoch noch vor ihm liegen. Nach dem Wechsel in der Serie A, der damals wohl stärksten Liga der Welt, gewann er mit Inter nationale und internationale Titel, wie den UEFA Cup 1991.

Auf dem Höhepunkt seines Schaffens wurde er zum ersten FIFA Weltfußballer gewählt und in diese Zeit fällt natürlich auch der WM-Triumph 1990 in Italien, als Matthäus die DFB-Elf im Finale gegen Argentinien als Kapitän zum Sieg führte.

Der Wahlmailänder war auf dem Platz die rechte Hand von Teamchef Franz Beckenbauer und trug einen großen Anteil zum Erfolg bei. Unvergessen sein Doppelpack im Gruppenspiel gegen Jugoslawien inklusive Tor des Jahres nach einem 50 Meter Sololauf.

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Matthäus als überragenden Solisten zu zeichnen ist dabei aber nicht die ganze Wahrheit, er schaffte es immer auch seine Mitspieler glänzen zu lassen. Meine Erinnerungen an den Fußball der späten 80er und frühen 90er Jahre sind geprägt von horizontalem Ballgeschiebe, doch nach Durchsicht alter Spiele muss dies zum Teil revidiert werden.

Gerade in der Nationalmannschaft wurde viel vertikal gespielt, gern auf die Stürmer Klinsmann und Völler, aber auch die technisch starken Dribbler Hässler oder Littbarski. Der Absender dieser Steilpässe war sehr oft Matthäus.

 

Schwere Verletzung und Umschulung

Ein Kreuzbandriss zwang ihn schließlich 1992 zu einer Pause und sorgte dafür, dass der geplante Wechsel nach Turin platzte und er stattdessen zum FC Bayern zurückkehrte. Dort rückte Matthäus auch aufgrund der Verletzung weiter nach hinten und nahm die Libero-Position ein.

Dadurch behielt er alle Freiheiten, um auch weiterhin offensiv in Erscheinung treten zu können, ohne sich im umkämpften Mittelfeld aufreiben und konditionell verausgaben zu müssen.

Manche Sportler erfinden sich bei fortschreitender Karrieredauer neu und so erinnert der Schritt zurück bei Matthäus ein wenig an Roger Federer, der sich in reiferem Tennisalter immer wieder mit neuen Spielweisen behilft, um an der Weltspitze dran zu bleiben.

 

Wie gut war eigentlich Lothar Mätthäus? Hat ein Matthäus auch Schwächen?

Wenn man eine Schwäche in Matthäus Spiel suchen müsste, dann wäre wohl am ehesten der Kopfball zu nennen, was bei seiner Körpergröße nicht allzu erstaunlich ist. Diese konnte er auch mit ordentlichem Timing nur bedingt ausgleichen.

Tore per Kopf waren daher eine Rarität für ihn und auch in seiner Zeit als Libero waren es eher die Kollegen Babbel, Kuffour oder Tarnat, die den Luftraum überwachten.


Lothar Matthäus Abschiedsspiel
Lothar Matthäus bei seinem Abschiedsspiel (© Getty Images)

 

Was auffällt, wenn man sich sehr frühe Spiele ansieht, ist eine gewisse Trägheit in der Rückwärtsbewegung nach seinen regelmäßigen Offensivvorstößen. Dies war zur damaligen Zeit keine Seltenheit, heutzutage würde dies einen mittelgroßen Wutanfall beim Trainer hervorrufen. Ansonsten war Matthäus ein robuster Zweikämpfer, der sich vor der profanen Grätsche nicht scheute und auch sein Stellungspiel als Libero war meist tadellos.

 

Die Nerven?

Ein besonderer Kritikpunkt der Medien war, dass Matthäus mehrfach in seiner Karriere Nervenschwäche vorgeworfen wurde, insbesondere nach verlorenen Endspielen. Inwiefern dies zutrifft lässt sich als Außenstehender schwer bewerten, Fakt ist jedoch, dass es in mehreren Finals unglückliche Situationen um Matthäus gab.

Im WM-Finale 1990 überließ er Andreas Brehme den entscheidenden Elfmeter, mit dem Hinweis auf schlechtes Schuhwerk.

1999 ließ er sich im Champions League Finale gegen Manchester United ob des sicher geglaubten Sieges kurz vor Schluss auswechseln und im DFB Pokal Finale 1984 verschoss er den ersten Elfmeter für Gladbach, ausgerechnet gegen den FC Bayern, zu dem er im Anschluss wechseln würde.

Die Bewertung dieser Anekdoten seien dem Leser selbst überlassen, demgegenüber stehen jedoch nicht wenige Gelegenheiten bei denen Matthäus Spiele im Alleingang entschied, wie beispielsweise das bereits angesprochene Spiel 1990 gegen Jugoslawien oder kurz darauf im Viertelfinale gegen die CSSR, als er das entscheidende Tor per Elfmeter erzielte.

 

Lothar Matthäus im Porträt: Titel, Zahlen, Rekorde

Man kann sich dem Herzogenauracher aber auch über die Zahlen nähern und diese sprechen eine eindeutige Sprache: Weltklasse. In seiner frühen Zeit am Niederrhein erzielte er in knapp 200 Spielen beachtenswerte 48 Tore, beim FC Bayern in über 400 Spielen 100 Tore und für Inter in ungefähr jedem dritten seiner gut 150 Spielen ein Tor. Eine exzellente Quote, die so manchen Stürmer vor Neid erblassen lässt, auch wenn etliche dieser Treffer vom Elfmeterpunkt fielen.


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Seine 150 Einsätze im Adlerdress über einen Zeitraum von 20 Jahren sind ein Rekord, der wohl so schnell nicht geknackt werden wird, ebenso seine 25 Spiele bei WM-Endrunden. Abgesehen von der Champions League hat er alle wichtigen Titel auf Vereins- und Nationalmannschaftsebene gewonnen.

Darüber hinaus ist es bis zum heutigen Tag der einzige Deutsche, der je zum Weltfußballer gekürt worden ist – eine ganz besondere Ehre.

Doch Statistiken allein reichen nicht aus, um Matthäus und sein Spiel komplett zu begreifen. Allein sein Name auf dem Spielberichtsbogen reichte aus, um manchen Gegnern bereits vor Anpfiff den Glauben zu nehmen, etwas reißen zu können.

Man kann darüber hinaus nur vermuten wie der Ehrgeiz regelrecht Funken gesprüht haben muss in einer Kabine gemeinsam mit Oliver Kahn und Stefan Effenberg.

 

Wie gut war eigentlich Lothar Mätthäus? Ein Fazit

Dass Lothar Matthäus einer der besten Fußballer war, der jemals die Stiefel für den FC Bayern und die DFB-Elf geschnürt hat, steht außer Frage. Sein Ansehen bei Gegnern wie Mitspielern war stets außergewöhnlich hoch.

Der kürzlich verstorbene Diego Maradona, der andere große Mittelfeldregisseur der 80er Jahre, bezeichnete Matthäus einmal als den besten Gegenspieler, den er je hatte. Mehmet Scholl, ebenfalls Bayern-Ikone, sagte kürzlich Matthäus wäre der beste Fußballer, mit dem er je zusammengespielt hätte.

Um das Phänomen Lothar Matthäus ganz zu begreifen reicht daher ein Blick auf das Sportliche allein nicht aus, sondern es muss zur Bewertung auch mit einbezogen werden, wie das Land mit seinen Sportstars umgeht.

Um beim Vergleich mit Maradona zu bleiben: der Argentinier war in seiner Heimat ein Nationalheiliger, dem jede private Eskapade verziehen wurde und dessen Erfolglosigkeit als Trainer seinem Ruhm keinen Abbruch tat. Matthäus hingegen wurde von den deutschen Medien nie zum „Dios“ oder „Kaiser“ gekrönt.

Bemerkenswert ist außerdem, dass sein Ansehen im Ausland deutlich höher ist als im eigenen Land. Matthäus schrieb lange eine Kolumne für die englische „Sun“, welche auf der Insel hohes Ansehen genoss und auch seine Analysen in diversen Pay-TV Sendern sind durchaus kompetent und medial gut verwertbar.

Dem gegenüber steht, dass Lothar Matthäus gewiss ein unbequemer Mitspieler war. Sein Beitrag zum „FC Hollywood“, seine Scharmützel mit Medien und Mitspielern sowie seine Indiskretionen sind legendär, daher ist ein gewisser Teil des öffentlichen Bildes wohl selbst (vor)gezeichnet.

Falls aber das alte Rehhagel Sprichwort gilt, nach dem die Wahrheit auf dem Platz liegt, so steht fest, dass Lothar Matthäus nicht nur außergewöhnlich gut, sondern wahrscheinlich der beste deutsche Fußballspieler seit der Ära Beckenbauer war.

(Titelbild: @Getty Images)

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