Noch nie ist Leicester City so gut in die Premier League gestartet, wie in den letzten Wochen – sogar in der famosen Meistersaison vor fünf Jahren kam die Mannschaft nicht so gut aus den Startlöchern. Mit 18 Punkten aus acht Ligaspielen führen die Foxes die Liga an.
Nach Siegen gegen Manchester City und Arsenal soll mit Jürgen Klopps Liverpool FC nun auch der Titelverteidiger dran glauben. Und die Chancen für Leicesters ersten Sieg an der Anfield Road seit über 20 Jahren stehen gut.
Denn der Meister muss mit Virgil van Dijk, Joe Gomez, Trent Alexander-Arnold und Mo Salah nicht nur auf einige der wichtigsten Spieler verzichten. Die guten Leistungen Leicesters lassen Brendan Rodgers Mannschaft gleichzeitig von der Meisterschaft träumen. Aus diesen fünf Gründen könnte Leicester City in dieser Saison um den Titel mitspielen.
1. Trotz seines Alters trifft Jamie Vardy für Leicester City wie er will.
Seit Leicesters Meisterschaft ist Jamie Vardy ein Star. Oft wurde sein märchenhafter Aufstieg vom Amateurspieler, der wegen einer Verurteilung mit einer Fußfessel spielen musste, zum Torschützenkönig und Nationalstürmer beschrieben.
Während prägende Teamkollegen wie N’Golo Kante und Riyad Mahrez zu Chelsea und Manchester City wechselten, blieb Vardy Leicester treu. Lest hier mehr zur sensationellen Meisterschaft 2015/2016.
Vielleicht auch, weil er nach seinem ungewöhnlichen Weg bei seinem Durchbruch bereits 28 Jahre alt war.
So ist es umso beeindruckender, dass er fünf Jahre danach – mit 33 – noch immer das Spiel des Teams prägt und nach acht Toren in sechs Einsätzen die Torschützenliste der Liga anführt.
Zwar erzielte er fünf davon vom Elfmeterpunkt, holte aber gleichzeitig drei dieser Strafstöße im Alleingang. Als letztes Mittel um den pfeilschnellen Vardy zu stoppen, bleibt oft nur ein Foul.
Sein österreichischer Teamkollege Christian Fuchs lobt im englischen Radio: „Er zeigt seit Jahren, dass er eine Riesengefahr in Kontersituationen ist. Wenn er die Linien durchbricht, ist er nicht zu verteidigen.“
Gegen Liverpool war Vardy in seiner Karriere in elf Spielen insgesamt bereits sieben Mal erfolgreich. Lest hier unsere Saisonvorschau.
2. Brendan Rodgers ist einer der besten Trainer der Liga.
Seinen zweiten Frühling verdankt Vardy auch Chefcoach Brendan Rodgers. Bevor der Nordire Leicester im Februar 2019 übernommen hatte, musste der englische Nationalstürmer immer häufiger auf der Bank Platz nehmen.
Rodgers Vorgänger Claude Puel setzte nicht mehr auf ihn. In Puels abwartendem und vorsichtigem System waren die Qualitäten des Stürmers, der sich über Tiefenläufe und seine enorme Arbeitsrate gegen den Ball definiert, nicht mehr gefragt.
Stattdessen spielte der robuste Algerier Islam Slimani. Er passte besser zu Puels langsamen Fußball.
Trotz solider Ergebnisse musste der Franzose gehen. Bei den Fans und den Eigentümern kam sein Sicherheitsfaible nicht an. Außerdem waren er und Identifikationsfigur Vardy heillos zerstritten.
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Mit Rodgers verpflichteten die thailändischen Bosse das genaue Gegenteil. Er steht für intensives Pressing und hohes Tempo im Offensivspiel.
Perfekt für Vardy, der sofort in die Startelf zurückkehrte und seitdem regelmäßig trifft. Rodgers Ernennung zum Manager passte außerdem hervorragend zum Kader der Foxes.
Die Besitzer des Klubs verpflichten gerne junge und hochtalentierte Spieler. Rodgers bewies bereits bei Liverpool und als Nachwuchscoach bei Chelsea, dass er jungen Spielern vertraut.
So gelang es ihm, abgesehen vom erfahrenen Leitwolf Vardy, einen Generationswechsel einzuleiten. Akteure wie Caglar Söyuncu, Youri Tielemans, Wilfried N’Didi und James Maddison bekamen wichtige Rollen.
3. Kein Team in der Premier League ist taktisch so flexibel wie Leicester City.
Trotz der erst acht absolvierten Partien schickte Brendan Rodgers sein Team bereits in vier verschiedenen Formationen aufs Feld. In der vergangenen Saison waren es sogar deren acht.
Während sich beispielsweise Joachim Löw auch über zwei Jahre nach der verpatzten WM in Russland noch immer nicht sicher ist, ob seine Mannschaft mit drei oder vier Verteidigern auflaufen soll, wechselt Leicester problemlos zwischen Dreier- und Viererkette.
So können die Foxes flexibel auf Verletzungen reagieren. Mit Außenverteidiger Danilo Pereira, den Innenverteidigern Söyuncu und Johnny Evans, Sechser N’Didi, dem vielleicht besten Ballgewinner der Liga, und Maddison fiel bereits die Hälfte der Stammspieler der Vorsaison aus.
Trotzdem trafen die Foxes im Schnitt 2,3 Mal pro Spiel, während sie nur 1,1 Gegentore kassierten.
Das gelingt nicht zuletzt, weil der Plan der Mannschaft in jeder Formation der gleiche ist: Innerhalb von fünf bis neun Sekunden nach der Balleroberung soll sich Leicester ins letzte Angriffsdrittel kombinieren.
Das verlangt ein gutes Pressing. Gegen den Ball rücken Stürmer Vardy oder die Flügelangreifer zurück, um die Mitte kompakt zu halten und jederzeit eine Überzahl in der Zentrale zu erzeugen.
Nach Ballgewinnen schwärmt die Mannschaft aus und geht sofort in die Tiefe. Vor dem Ballführenden starten drei Spieler mit viel Tempo hinter die Kette.
Vor dem Topspiel zwischen @LCFC und @LFC am Sonntag beschäftigen wir uns gerade genauer mit den Foxes. Die zeichnet besonders ihr vertikales Angriffsspiel aus. Denkt ihr, sie können damit am Sonntag auch Liverpool in Bedrängnis bringen? pic.twitter.com/JufBQPt0t8
— Cavanis Friseur (@Cavanisfriseur) November 20, 2020
4. Leicester Citys Kader ist breit genug, um die ganze Saison mit den Großen Schritt zu halten.
In Anbetracht der zahlreichen Verletzungen und des engen Spielplans hat Rodgers den Stil seiner Mannschaft etwas angepasst. Sei favorisiertes 4-1-4-1-System funktioniert ohne N’Didi nicht.
Sein Ersatzmann Papy Mendy kann das hohe Pressing nicht allein absichern. Deshalb rückt Achter Tielemans eine Position nach hinten und sichert und sichert neben Mendy ab.
Das führt dazu, dass Leicesters Pressing nicht mehr am gegnerischen Strafraum beginnt, sondern etwas tiefer. Gleichzeitig kommen aus der tieferen Position die herausragenden Spielmacherqualitäten des Belgiers Tielemans eher zu tragen. Trotzdem wollen die Foxes weiter schnelle Angriffe vortragen.
Youri Tielemans -> Cengiz Under -> Jamie Vardypic.twitter.com/tcpI75HlxY
— tubirbola (@tubir_bola) November 18, 2020
Dabei kann Rodgers sich auf die herausragende Technik von Spielern wie Maddison, Ayoze Perez, Dennis Praet und Eigengewächs Harvey Barnes verlassen, die mit Kombinationen und Dribblings jederzeit ihre Gegner überspielen können.
Zusätzlich zur variablen Offensive ist auch die Defensive breit aufgestellt. Sogar die 36- und 34-jährigen Veteranen Wes Morgan und Fuchs sind noch in der Lage zu überzeugen.
Flankiert werden sie von hervorragenden Außenverteidigern. Insbesondere auf der rechten Seite bilden Pereira und Neuzugang Timothy Castagne das wohl beste Duo der Liga.
5. Die Visionen des verstorbenen Klubchefs für Leicester City werden zur Realität.
All das hat Leicester nicht zuletzt der thailändischen Vereinsführung zu verdanken. Unter Milliardär Vichai Srivaddhanaprabha begann Leicesters Aufstieg vom Abstiegskandidaten zu einer der Topadressen der Liga.
Auch zwei Jahre nachdem der bei einem Hubschrauberabsturz vor dem Stadion starb, erinnert sich Torwart Kasper Schmeichel ehrfürchtig: „Alles bei Leicester ist sein Verdienst. Er erfand das moderne Leicester City.“
Tatsächlich folgt das Board um Geschäftsführerin Susan Wheeler und Sportdirektor Jon Rudkin weiter seiner Vision, den Klub langfristig erfolgreich zu machen. Vichai selbst drückte das 2018 folgendermaßen aus: „Unser Hauptziel ist es Leicester nachhaltig zu machen.“
Die alte Meistermannschaft sollte deshalb nach und nach durch Eigengewächse und junge Neuzugänge ergänzt werden. Das Ergebnis ist heute ein breiter Kader, der es Trainer Rodgers erlaubt erfolgreich spielen zu lassen. Sollte seine Mannschaft nun auch Liverpool schlagen, werden die Träume vom nächsten Titel größer.
(Titelbild: ©Getty Images)
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