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Papu Gómez in der Analyse: Das Herz im Spiel der Göttin

(Grafiken: Erstellt von Cavanis Friseur / © Footyrenders)

Atalanta Bergamo aka La Dea (die Göttin) hat sich unter Gian Piero Gasperini mit begeisterndem Offensivfußball gerade zum zweiten Mal in Folge den Einzug in die Champions-League gesichert. Ein wesentlicher Faktor dabei: Alejandro -Papu- Gómez. Dieser Text stellt das kreative Herzstück Atalantas vor!

Die Situation ist eigentlich tot. Jegliche Dynamik ist dem Angriff Bergamos flöten gegangen.

Atalantas Nummer Zehn steht an der linken Außenlinie im Mittelfelddrittel, den Ball am rechten Fuß. Der gegnerische Rechtsaußen hat ihn gestellt, der Sechser eilt gerade noch zum Doppeln hinzu.

Doch plötzlich Bewegung: Papu Gómez lässt die rechte Schulter leicht fallen, ein kleiner Ausfallschritt nach rechts, schon ist der Gegenspieler aus der Balance.

Blitzschnell legt sich der kleine Argentinier den Ball links vorbei und davon ist er. Den Ball eng am – nun wieder rechten – Fuß zieht er nach innen und dribbelt auf die gegnerische Abwehrkette zu.

Jetzt hat er alle Optionen: Steckpass auf einen seiner kongenialen Sturmpartner Josip Iličić, Duván Zapata oder Luis Muriel? Doppelpass mit einem der drei, um selbst in den Strafraum zu starten?

Sucht er gar selbst nochmal das 1 gegen 1? Spielt er die Verlagerung auf die rechte Seite oder legt er den Ball zurück links raus auf den hinterlaufenden Robin Gosens?


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Die oben beschriebene Szene lässt sich so oder so ähnlich in unzähligen Spielen von La Dea finden. Innerhalb von Augenblicken hat Gómez eine komplett statische Situation in höchste Torgefahr verwandelt.

Schon seit einigen Jahren trägt der Kapitän der Lombarden einen entscheidenden Teil zur beeindruckenden offensiven Durchschlagskraft seines Teams bei.

Doch was kennzeichnet die Spielweise des 32-Jährigen? Was macht ihn so stark? Und warum spielt er eigentlich nicht längst in Barcelona, Madrid oder Manchester?

Bergamo beheimatet eine der gefährlichsten Offensiven des Kontinents. Fantastische 98 Tore stehen in der abgelaufenen Saison für die Göttin zu Buche – mit Abstand der Spitzenwert der Serie A. In den Topligen Europas haben nur Manchester City (102) und Bayern München (100) öfter getroffen.

Atalantas Coach Gian Piero Gasperini ist einer dieser Trainer, die ein 4:3 einem 1:0 deutlichvorziehen. Mit Duvan Zapata, Josip Iličić, Alejandro Gómez sowie Luis Muriel verfügt er über hervorragendes Personal dafür. Gleich mehrmals schoss La Dea ihre Gegner in dieser Spielzeit regelrecht aus dem Stadion.

Völlig zurecht heimste in der Hinrunde vor allem Josip Iličić einen großen Teil der Lorbeeren für die Offensivspektakel Atalantas ein.

Der Slowene gehörte – bevor ihn die Corona-Pandemie ausbremste – zeitweise zu den besten Stürmern der Welt, überzeugte durch Dynamik, starke Technik und Abschlussstärke.

Auch der komplette Mittelstürmer Duvan Zapata steht völlig berechtigt im Rampenlicht. Seine Strafraumpräsenz, sein erster Kontakt und sein Abschluss sind absolut beeindruckend. Mit Luis Muriel verfügt La Dea zudem über den vielleicht edelsten Edeljoker überhaupt.

Dieser Text möchte aber den Blick auf denjenigen richten, der diese Vollstrecker immer wieder perfekt in Szene setzt: Papu Gómez, das Herzstück im Spiel Bergamos.

 

Papu Gómez: Der Stratege

Gian Piero Gasperini lässt seine Jungs für gewöhnlich in einer Variante der 3-4-3 Formation antreten: Hinten eine echte Dreierkette, im Zentrum zwei lauf- und spielstarke Achter, auf den Außenbahnen zwei offensivstarke Flügelflitzer.

Und vorne? Dort sorgt vor allem Papu Gómez für etwas Varianz in der Formation: Oft spielt er auf der klassischen Zehnerposition hinter zwei Sturmspitzen, so dass sich die Grundformation Atalantas als 3-4-1-2 aufstellt. Alternativ startet er als inverser Außenstürmer im linken Halbraum und schon läuft Bergamo im 3-4-2-1 auf.


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Ob als Zehner hinter einem Sturmduo oder als eingerückter Außenstürmer bzw. Hängende Spitze in einem Sturmtrio: Der lediglich 1,67 m große Argentinier nimmt Schlüsselpositionen in der Formation der Nerazzurri ein.

Als Zehner bildet er die vordere Spitze einer Raute mit den beiden Achtern sowie dem mittleren Innenverteidiger. Hier sorgt Papu für die Verbindung ins letzte Drittel.

Spielt er eher auf halblinks entsteht die Raute mit dem halblinken Achter, dem Linksaußen und dem Halbverteidiger auf dieser Seite. Auch auf dieser Position bilden Pässe zum Mann mit der Nummer 10 eine beliebte Variante für Atalanta, um ins Angriffsdrittel zu gelangen.

Durch seine enorme Wendigkeit und seine enge Ballführung kommt Papu bestens in den engen Zonen des letzten Drittels zurecht.

Das Schwimmen zwischen den Linien liegt der Nummer Zehn. Trotz hohem Druck kann er hier die Pässe seiner Mitspieler empfangen und das Spiel nach einer schnellen Drehung sinnvoll fortsetzen.


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Findet der Kreativspieler in der gegnerischen Defensivformation keinen Raum, kippt er nicht selten aus dem engen Dickicht der Gegenspieler heraus. Mal nach ganz links an die Seitenlinie – wie in der Eingangsszene beschrieben – mal zentral hinter die beiden Achter.

Im Zentrum kurbelt Gómez dann, ganz gleich einem spielmachenden Sechser, das Aufbau- und Übergangsspiel seines Teams an. Manchmal sieht man von ihm sogar lang geschlagenen Diagonalbälle à la Xabi Alonso.

Gómez ist ein wahrer Ballmagnet. Besonders im Angriffsdrittel geht der Blick seiner Mitspieler immer wieder zu ihm. Durch seine Bewegungen und seine Kommunikation fordert er das Spielgerät fast pausenlos.


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Auch ohne Ball am Fuß dirigiert der Kapitän der Nerazurri das Spiel seines Teams.

Ständig sieht man Papu gestikulieren, die Richtung einer Spielverlagerung anzeigen, zur Ruhe ermahnen oder zum schnelleren Spiel animieren.

Zudem ist Bergamos Kapitän ein echter Dauerbrenner: In 36 von 38 Serie A Spielen der vergangenen Spielzeit stand Gómez auf dem Feld, zumeist spielte er durch. Von allen Offensivspielern Atalantas spulte er die meisten Kilometer ab.

 

Der Magier Papu Gómez

Noch heller als in seiner Rolle als Stratege und Taktgeber glänzt Papu, wenn er nicht für das Fundament der Angriffe Bergamos sorgen muss, sondern ihnen in Strafraumnähe die Krone aufsetzen darf.

Zunächst spricht hier ein Blick auf ein paar nackte Zahlen aus der vergangenen Saison 2019/20 Bände für die Torgefahr, die Atalantas kleiner Magier kreiert: 7 Tore und hervorragende 16 Assists steuerte Papu in dieser Spielzeit der Serie A zur Offensivpower von La Dea bei – Letzteres ist der Bestwert in Italiens Oberhaus!

Lediglich Lionel Messi (21), Kevin De Bruyne (20) und Thomas Müller (21) konnten in Europas Top-5-Ligen mehr Tore direkt vorbereiten, Jadon Sancho kommt ebenfalls auf 16.

Im Schnitt legt Gómez seinen Mitspielern starke 2,8 Torschüsse pro Spiel direkt auf (Statistiken nach whoscored.com) – beinahe ebenfalls Topwert in der Serie A. Dabei nutzt er durchaus Flanken (im Schnitt 1,8), noch lieber aber den Steckpass durch oder den Chipball über die Abwehrkette.


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Für besondere Gefahr sorgt der quirlige Argentinier, wenn er in den Rücken der Abwehr an die Grundlinie im Sechzehner startet, während des Laufs einen Pass empfängt und seinerseits einen der Stürmer mit einer flachen Hereingabe bedient.

Startet Gómez nicht selbst zur Grundlinie durch, kann er mindestens ebenso gut einen Mitspieler durch einen Pass hinter die gegnerische Kette an die Torauslinie schicken.

Noch spektakulärer als sein Passspiel lassen sich Papus Dribblings ansehen. Im Schnitt 3 mal pro Spiel sucht Gómez das offensive Eins-gegen-Eins, durchschnittlich 1,8 mal ist er dabei erfolgreich.

Anders als so mancher Top-Außenstürmer des Weltfußballs besitzt der kleine Argentinier nicht die allerhöchste Endgeschwindigkeit. Sich den Ball weit am Gegenspieler vorbei zu legen, um dann in einem langgezogenen Sprint an ihm vorbei zu ziehen, entspricht daher eher nicht Gómez‘ Spielweise.

Dafür brilliert der 32-Jährige bei schnellen Tempo- und Richtungswechseln – ist eher flink und wendig als ein 100-Meter-Sprinter. Atalantas Kapitän wählt daher meist eine eher engräumige Art zu dribbeln.

Den Ball eng am (zumeist rechten) Fuß und mit vielen Kontakten, dribbelt er so auf seine Gegenspieler zu, behält auch in winzigsten Räumen und bei Tackles Balance und Übersicht, trickst den Gegner durch feine Körpertäuschungen aus und hat danach obendrein meistens die passende Anschlussaktion parat.


Papu Gomez Statistiken

 

Papu rennt nicht „mit dem Kopf durch die Wand“ und dribbelt sich am zweiten, dritten oder vierten Abwehrspieler fest. Vielmehr spielt er durch sein Dribbling einen Mitspieler frei, den er dann bedient.

Wie in der Eingangsszene beschrieben, kann Gómez so scheinbar aus dem Nichts Gefahr erzeugen – ein Grund dafür, warum er im letzten Drittel immer wieder gesucht wird.

Äußerst beeindruckend ist dabeidie Gabe des Argentiniers, seine Gegenspieler zu lesen. Dies gilt einmal individuell für den Abwehrspieler, der ihm im Dribbling unmittelbar gegenübersteht. Papu hat ein starkes Auge dafür, wie er den Gegenüber aus der Balance bringen kann.

Ebenso gilt dies für die Struktur der gegnerischen Abwehr, wo Bergamos Magier mit schlafwandlerischer Sicherheit Lücken und Schwachstellen erkennt.

 

Hat Papu Gómez Schwachstellen?

Warum steht ein Spieler mit diesen Fähigkeiten eigentlich nicht längst bei Real Madrid, Manchester City, Paris Saint Germain etc. unter Vertrag und verdient sich dort viereckig? Für den großen Wechsel zu den ganz dicken Fischen des Weltfußballs ist der 32-Jährige wohl mittlerweile ein wenig zu alt.

Doch warum hat sich nicht schon vor Jahren ein absoluter europäischer Topclub die Dienste des Kreativspielers gesichtert? Betrachtet man die aktuelle Saison von Papu Gómez, lässt einen diese Frage – ähnlich wie bei Josip Iličić – ziemlich ratlos zurück.

Ja, der Argentinier hat Schwächen: Manchmal übertreibt er sein ballforderndes Verhalten ein wenig, läuft zu nah auf den ballführenden Mitspieler an und macht das Spiel so unnötig eng. Im Pressing nimmt er sich gelegentliche Auszeiten.


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Die Schussauswahl könnte einen Tick besser, der eigene Abschluss eine Spur torgefährlicher sein. Doch hier geht es um Klagen auf sehr hohem Niveau – Marginalien im Vergleich zu dem, was Papu einer Mannschaft geben kann.

Man könnte sagen, Papu sei eher ein Spätzünder. Seine Werte der letzten Spielzeiten lesen sich ähnlich beeindruckend, wie in der jüngsten Saison.

In dem Alter (bis Anfang/Mitte Zwanzig), in dem die Toptalente heute üblicherweise den größten Hype erfahren, hatte seine Karriere jedoch noch nicht so richtig Fahrt aufgenommen.

Für Catania Calcio (damals noch Erstligist) legte der Argentinier eher durchschnittliche Statistiken auf, auch ein Abstecher zu Metallist Charkiw verlief wenig spektakulär.

Erst nach seinem Wechsel nach Bergamo zur Saison 2014/15 gelang Papu der Durchbruch – nicht mit einem Knall, sondern Stück für Stück.

Erst mit Ende Zwanzig/Anfang Dreißig hatte er sich so richtig ins Rampenlicht gespielt. Der Wechsel an die größten Fleischtöpfe des Fußball-Business blieb dem Argentinier somit verwehrt.

 

Papu Gómez: Bergamos Herz

Man hat jedoch nie das Gefühl, Gómez trauere einer solchen verpassten Gelegenheit hinterher. Im Gegenteil: Die gegenseitige Identifikation zwischen Klub, Fans und ihrem Kapitän scheint – soweit man dies von außen überhaupt beurteilen kann – ausgesprochen hoch.

Papu verkörpert Herz und Seele im Team Gasperinis. Er bildet einen unverzichtbaren Eckstein im System seines Teams.

Umgekehrt hat er bei La Dea einen Platz gefunden, an dem er sein Potential nahezu optimal ausschöpfen kann. Papu Gómez harmoniert perfekt mit seinen Nebenspielern.

Aktuell gehört er zu den besten und elegantesten Offensivkräften der Welt. Wenn man die Traumvorlagen von Bergamos Nummer 10 betrachtet, erscheint es plötzlich sehr plausibel, dass Fußball kein Kampf und keine Arbeit, sondern vor allem eine Kunst ist.

PS: Allzu pathetische Sätze über die besondere Betroffenheit Bergamos von der Corona-Pandemie wären in diesem Text über Fußball unangemessen gewesen, daher wurde darauf bewusst verzichtet. Allen Betroffenen und deren Angehörigen in Bergamo und anderswo gilt selbstverständlich die vollste Solidarität. Bergamo mola mia!


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Christian Stein
Kann viel besser Minigolf als Fußball spielen. Wirklich! Liebt das schöne Spiel und die Diva vom Main, ist selbst aber ein Holzfuß und würde sich deshalb niemals aufstellen. Schreibt gerne über Offensivfußball und laviert dabei stilistisch stets zwischen Kreisliga-Seitenlinie und Kaminzimmer.

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