Benficas Flügelzange im Porträt: Pizzi & Rafa Silva

Lissabon Ende Februar, Estádio da Luz. Die Gastgeber von SL Benfica müssen im Rückspiel der Europa League-Zwischenrunde gegen Schachtar Donezk die Hypothek einer 1:2 Hinspiel-Niederlage wettmachen.

Der Start verläuft vielversprechend. Benficas Pizzi setzt im linken Halbraum zu einem Solo an und befördert den Ball in einer schnellen Bewegung aus knapp 15 Metern ins lange Eck. Der Schuss ist so platziert, dass Schachtars Torhüter und Klubikone Andrii Piatov ohne Chance ist.

Zu Beginn der zweiten Hälfte erhöhen die Iberer mit einem abermals sehenswerten Treffer auf 3:1. Diesmal ist es Rafael Alexandre Fernandes Ferreira Silva, kurz Rafa Silva, der das Spielgerät von der halblinken Strafraumkante unhaltbar ins rechte Toreck zirkelt.

Den starken Leistungen von Pizzi und Rafa Silva zum Trotz müssen sich die Hauptstädter letztlich geschlagen geben, denn Abwehrfehler luden die Ukrainer noch zum 3:3 Ausgleich ein.

Die brillante Leistung der beiden portugiesischen Nationalspieler bewies einmal mehr, dass sie die mit Abstand wichtigsten Offensivspieler ihres Teams sind.

Wir haben Benficas Flügelzange daher ein Doppelporträt gewidmet.

Ein Text von Amadeus Marzai und Till Oppermann

– Pizzi im Porträt
– Rafa Silva im Porträt

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Pizzi Porträt

Pizzi im Porträt

Eigentlich heißt Benficas Mittelfeld-Ass mit der Nummer 21 Luis Miguel Afonso Fernandes, doch so nennt ihn schon seit seinem achten Lebensjahr niemand mehr. „Ich habe früher ein paar Tore in den Spielen mit meinen Freunden aus der Nachbarschaft gemacht“, erzählte der Portugiese im Rahmen des Confed Cups 2017 und: „Pizzi spielte damals ziemlich gut beim FC Barcelona, deshalb haben sie angefangen, mich mit seinem Namen zu rufen.“

Der Spitzname hält sich, weil der junge Pizzi weiter das Tor trifft und zum besten Fußballer seiner Heimatstadt Bragança reift. Schon mit 17 debütiert er in der dritten Liga für seinen Heimatverein.


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Ein sehr ungewöhnlicher Werdegang: In Portugal spielen die größten Talente oft schon früh in den Jugendabteilungen der renommierten Erstligaclubs. Und auch Pizzi wird nach den ersten Einsätzen endgültig aus Bragança abgeworben.

Beim großen FC Braga – nach Benfica, Sporting und Portos die Nummer Vier im portugiesischen Fußball – wird Pizzi in der U19 eingeplant und sogar in die portugiesische Jugendauswahl eingeladen.

Für Bragas Profiteam bestreitet der 1,72m große Edeltechniker trotzdem nur zwei Pflichtspiele in vier Jahren. Stattdessen wird Pizzi jedes Jahr ausgeliehen, erst in die dritte, dann in die zweite Liga.

 

Durchbruch in Paços de Ferreira

2010 greift Erstligist Paços de Ferreira zu. Mit 20 Jahren ist Pizzi endlich in der Primeira Liga angekommen und wird sofort eine der Entdeckungen der Saison.

Am 8. Mai 2011 reist Paços zum FC Porto. Die Mannschaft um James Rodríguez, Hulk und Radamel Falcao ist auf Meisterkurs und hat bisher jedes Heimspiel gewonnen. Obwohl Pizzi der zwischenzeitliche Anschlusstreffer gelingt, scheint das Spiel nach 55 Minuten entschieden zu sein, als Falcao mit seinem zweiten Tor auf 3:1 stellt.

Doch nur drei Minuten später schenkt Pizzi mit seinem zweiten Treffer den Gästen neue Hoffnung. Er vernascht seinen Gegenspieler, den Innenverteidiger Maicon, mit einer gekonnten Körpertäuschung und markiert mit einem trockenen Schuss ins kurze Eck den erneuten Anschluss.

Eine Qualität, die ihn bis heute besonders auszeichnet, wird dann kurz vor Schluss deutlich. Mit 95 Stundenkilometern hämmert der junge Mittelfeldspieler aus über 20 Metern den Ball vorbei an Torhüter Beto ins linke Toreck.

Das 3:3 Remis bleibt das einzige Heimspiel der Saison, das Porto nicht gewinnen kann und wird gleichzeitig Pizzis endgültiges Empfehlungsschreiben für die große Bühne. Er wechselt zu Atletico Madrid und gilt als eines der heißesten Talente Europas. Da jedoch Diego Simeones Stil nicht unbedingt der von Pizzi ist, muss er mal wieder den Umweg über Leihgeschäfte gehen.

Bei Deportivo La Coruña etabliert sich der Nordportugiese als Leistungsträger in La Liga, bei Atletico geht es trotzdem nicht weiter. Die Konkurrenz ist mit Saúl, Koke und Arda Turan einfach zu groß.

Deshalb entschließt sich der nun 23-jährige zur Rückkehr in die Heimat und wechselt zu Benfica. Nach einer weiteren Leihe, diesmal zu Espanyol, findet Pizzi ab 2014 endlich seine fußballerische Heimat. In den sechs Jahren seitdem, gewinnt Benfica vier Meisterschaften und insgesamt zehn Titel.

 

Pizzis Stärken & Schwächen

Pizzi ist in dieser Zeit der kreativste Mittelfeldspieler der Mannschaft. Entweder als Zehner oder rechter Mittelfeldspieler aufgeboten, steuert er regelmäßig Tore und direkte Torvorlagen bei.

Seine einzige wirkliche Schwäche sind Tacklings und Defensivzweikämpfe. Gelingt es den Mitspielern, das abzufangen sorgt er mit brillanten Flanken, Seitenwechseln und Steckpässen ständig für Torgefahr.

In 90 Minuten spielt Pizzi in der nun unterbrochenen Saison durchschnittlich 25 Pässe im letzten Drittel. Außerdem schlägt er jeden Standard. Aber auch wenn er selbst zum Abschluss kommt, ist Pizzi brandgefährlich. Seine 14 Saisontore in der Liga dokumentieren das deutlich.


Grafik von @DatoBHJ

Von der rechten Mittelfeldseite, wo Trainer Bruno Lage ihn am liebsten aufbietet, zieht der Linksfuß oft nach innen, um zum Abschluss zu kommen oder hinter die gegnerische Kette zu spielen. Sein gutes Dribbling macht Pizzi quasi unmöglich zu verteidigen und lässt ihm in der Auswahl seiner Aktionen absolut freie Wahl.

Kürzlich verlängerte er seinen Vertrag bis 2023. Dann wäre Benficas derzeit bester Spieler 33 Jahre alt und er zehn Jahre im Verein. Er wird seine Karriere als Vereinslegende beenden. Hoffentlich ein Trost für seine eher durchwachsene Karriere in der Nationalmannschaft.

Obwohl er schon 2012 debütierte, bestritt Pizzi bis dato erst 17 Länderspiele. Nachdem er schon bei der EM 2016 außen vor blieb und nicht Europameister wurde, verschiebt sich seine zweite Chance wegen des neuartigen Coronavirus auf den nächsten Sommer.


 

Rafa Silva Porträt

Rafa Silva im Porträt

Genau wie Pizzi entstammt auch Rafa Silva nicht einer der bekannten portugiesischen Nachwuchsakademien. Der quirlige Tempodribbler genoss seine Fußballausbildung beim niederklassigen FC Alverca in der Metropolregion Lissabon und wechselte als 18-Jähriger in die U19 des CD Feirense.

In Santa Maria da Feira im Norden Portugals kann er sich in seinem zweiten Jahr mit 10 Zweitligatoren einen Namen verschaffen und wechselt daraufhin im Sommer 2013 zum Erstligisten SC Braga. Dort kann er sich auf Anhieb in die Rotation der Arcebispos spielen und avanciert zu einem der größten Talente der Liga NOS.

In seiner ersten Saison im „Felsendom“ von Braga überzeugt er so sehr, dass Nationaltrainer Paulo Bento ihn für die WM 2014 in Brasilien als Ergänzungsspieler nominiert. Damit erhält der damals 21-Jährige den Vorzug vor keinem Geringeren als Ricardo Quaresma.


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Nachdem er in der Folgesaison stagniert und nicht mehr für die portugiesische Seleção nominiert wird, lässt er in der Saison 2015/16 eine klare Leistungssteigerung erkennen. Mit wettbewerbsübergreifenden 12 Toren und 8 Vorlagen ist er Bragas bester Offensivspieler und führt sein Team ins Viertelfinale der Europa League.

Folgerichtig wird er von Fernando Santos für die EURO 2016 nominiert, die Portugal überraschend gewinnen kann. Zwar spielt Rafa dabei sportlich keine Rolle, kann sich im Sommer 2016 jedoch nicht zuletzt über einen Transfer zum amtierenden Meister SL Benfica freuen.

Die portugiesischen Rekordmeister lassen sich den Wechsel 16 Millionen € kosten und machen Rafa Silva damit zum damals zweitteuersten Neuzugang der Vereinsgeschichte (Rekordhalter ist bis heute der im gleichen Sommer für 22 Millionen € verpflichtete Raúl Jiménez).

 

Eine Karriere am Scheideweg

Unter Benfica-Coach Rui Vitória tut sich der Top-Transfer aber schwer und kann nur noch selten an seine erfolgreiche Zeit in Braga anknüpfen. Während sich sein Marktwert fast halbiert, spielt er im Nationalteam erneut keine Rolle mehr.

Zu Beginn der Saison 2018/19 steht die Karriere des 25-Jährigen am Scheideweg. Vieles deutet darauf hin, dass er ein ewiges Talent bleiben wird, eine Fußnote in der Geschichte des portugiesischen Fußballs, ein Name dessen Bekanntheit sich allein aus dem Dasein als Kaderfüller einer Europameister-Mannschaft speist. Doch es sollte ganz anders kommen.

Im Januar 2019 wird Rui Vitória entlassen. Die darauffolgende Ernennung des Nachwuchstrainers Bruno Lage erweist sich sowohl für Benfica als auch für die Karriere Rafas als Glücksfall.

In den verbleibenden 19 Ligaspielen, können die Adler 18 Spiele gewinnen und bleiben ungeschlagen. So kann man den Erzrivalen aus Porto den schon sicher geglaubten Titel noch entreißen.

 

Revitalisierung unter Bruno Lage

In Lages 4-4-2 System, in dem João Félix Dreh- und Angelpunkt ist, nehmen Rafa und Pizzi Schlüsselrollen ein. Beide erhalten mehr Freiheiten und haben nun die Aufgabe vom linken bzw. rechten Halbraum aus für Gefahr zu sorgen.

Die Flügel werden den aufrückenden Außenverteidigern überlassen. Insbesondere auf der linken Angriffsseite bilden Rafa und Außenverteidiger Alejandro Grimaldo ein formidables Duo.


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Während Rafa unter Vitória in 77 Spielen auf gerade einmal 13 Tore kam, avanciert er unter Lage regelrecht zum Goalgetter. In bislang 48 Partien unter dem neuen Übungsleiter hat der „portugiesische Hazard“ schon 22 Tore erzielt. In seinen letzten fünf Einsätzen der vergangenen Spielzeit kam er auf beeindruckende sieben Treffer.

Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass Rafa und Pizzi nach dem 126 Millionen-Abgang von João Félix im Sommer 2019, zu den unangefochtenen Leistungsträgern Benficas werden. Doch auch unsere beiden Protagonisten können den Abgang des Wunderkinds Félix nicht kompensieren und Benfica kann insgesamt nicht an den berauschenden Offensivfußball der Vorsaison anknüpfen.

Dennoch agieren Pizzi und Rafa individuell weiterhin auf sehr hohem Niveau. Während Erstgenannter in bislang 40 Spielen auf monströse 26 Tore und 13 Assists kommt, kann Rafa 9 Tore und 6 Assists aus 25 Spielen vorweisen (er verpasste 17 Spiele aufgrund einer Adduktorenverletzung).

 

Rafas Stärken & Schwächen

Ähnlich wie sein kongenialer Mitspieler ist auch Rafa ein begnadeter Dribbler, der sich durch eine enge Ballführung sowie einen niedrigen Körperschwerpunkt auszeichnet und mit dem Spielgerät am Fuß kaum an Tempo verliert.

Nicht umsonst suchen in Portugal nur zwei Spieler häufiger das Dribbling. Genau wie Pizzi ist er sehr ballsicher und lässt sich kaum fair vom Ball trennen (beide lassen sich pro Spiel jeweils nur knapp einmal das Leder abnehmen).

Der 17-malige Nationalspieler verfügt außerdem über eine starke Annahme und seine Aktionen haben einen ungeheuren Flair. So ist The Flash bekannt dafür, Pässe und Schüsse häufig per Außenrist abzugeben.

Ab und an agiert Rafa – dessen Erscheinung ein wenig an die portugiesischen Entdecker von einst erinnert – jedoch zu verspielt. Seine Dribblings zeugen zwar von unbändigem Spielwitz, sind dafür aber nicht immer zweckorientiert. Hin und wieder hält er den Ball zu lange und verpasst dadurch den geeigneten Moment für das Abspiel.


Grafik von @DatoBHJ

Nichtsdestotrotz ist das Meckern auf hohem Niveau. Denn Rafa fällt im Passspiel im Vergleich zu Pizzi zwar ab, kommt aber dennoch auf starke 0.23 expected assists pro Spiel.

In Lages System fungiert Benficas Nummer 27 als inverser Flügelspieler, der mit seinem starken rechten Fuß von links in die Mitte schneidet. Dort visiert er das Tor entweder selbst an oder bedient Mitspieler, die von den dadurch geöffneten Räumen profitieren.

Hat sich Benfica am Sechzehner des Gegners festgesetzt bewegen sich Rafa und Pizzi oft ins Zentrum und fungieren als Passstationen in einem für den Gegner oft heillos überfüllten Strafraum. Allgemein agiert Rafa ohne den Ball sehr clever.

Bei Angriffen lässt er sich immer wieder zurückfallen, um unauffällig im Rücken der Verteidiger zu traben. Ist der richtige Moment gekommen, beschleunigt er blitzschnell vertikal in den Strafraum, Gefahr für das gegnerische Gehäuse ist dann garantiert.

Zwar ist Rafa ebenso wie Pizzi keine wirkliche Hilfe in der Defensive (nicht zuletzt wegen seiner geringen Körpergröße von 1,71 m), kompensiert diese Schwäche aber durch ein nahezu tadelloses Offensivspiel.

 

Quo vadis?

Inzwischen hat Benfica die vertraglich vereinbarte Ablösesumme des Edeltechnikers auf stolze 80 Millionen € festgesetzt. Allerdings muss Rafa noch unter Beweis stellen, dass er auch außerhalb der heimischen Gefilde erfolgreich sein kann.

Sein Resümee auf europäischer Bühne liest sich bisher noch wenig beeindruckend. Ein Wechsel in eine Top-5-Liga könnte daher den nächsten Karriereschritt bedeuten.

Silvas Berater schürte unlängst Wechselgerüchte: „Rafa wird bald 27. Unserer Meinung nach ist er ein Spieler, der bereit ist auf einem höheren Level zu spielen…in der Premier League oder in Spanien.“

Es dürfte spannend zu beobachten sein, welche Wendung die Karriere des Linksaußen als nächstes nimmt. Dass er das Zeug für höhere Aufgaben hat, dürfte schon lange unbestritten sein.


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Ein Text von Amadeus Marzai und Till Oppermann

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