Nach gut einem Drittel der Saison stehen die Tottenham Hotspurs auf dem fünften Tabellenplatz. An sich nichts Besonderes, in den letzten Jahren fand man die Londoner in aller Regelmäßigkeit in diesen Regionen. Das eigentlich Bemerkenswerte ist, welcher Spielweise sie es zu verdanken haben, dass sie jetzt dort stehen. Trainer Mauricio Pochettino scheint in seinem zweiten Jahr bei den Spurs nun die richtige Marschroute gefunden zu haben.
Geld schießt keine Tore
Nachdem die Nordlondoner im Sommer 2012 Luka Modric und ein Jahr später Gareth Bale für insgesamt 130 Millionen Euro an Real Madrid verkauften, suchten die Spurs nach ihrer eigenen Identität. Bis dahin war das Spiel sehr konterlastig angelegt: Aus einer tiefen Grundstellung heraus wollte man über Rafael van der Vaart und Luka Modric die schnellen Außenstürmer Aaron Lennon und Gareth Bale bedienen. Diese Konter spielten sie recht zielstrebig und kompromisslos aus, was vor allem der individuellen Qualität Bales in diesen Szenen zu verdanken war.
Mit dem Abgang Modrics ging das spielerische Element mehr und mehr verloren; auch der Abgang van der Vaarts wiegte schwer, da seine Reichweite im Passspiel nicht ersetzt werden konnte. Gegen tiefstehende Teams musste es zumeist Bale allein richten, bestenfalls eilten Lennon und Adebayor zur Hilfe.
Nach dem Verkauf Bales waren die Kassen bei Tottenham ordentlich gefüllt. Mit dem Erlös wollte man in die Breite des Kaders investieren. So kamen u.a. Roberto Soldado, Erik Lamela, Nacer Chadli, Christian Eriksen, Paulinho und viele weitere mehr oder weniger hochklassige Spieler für ordentliches Geld an die White Hart Lane.
Die Grundidee, einen abgehenden Leistungsträger durch mehrere Akteure zu ersetzen, mag sich vernünftig anhören. Im Fußball kann der Trainer allerdings nur maximal Elf Spieler aufs Feld schicken. Den Abgang eines Schlüsselspielers auf mehrere Schultern zu verteilen ist demnach recht schwer. Qualität schlägt in diesem Falle die Quantität. Nachzufragen beim FC Liverpool, der mit den Millionen für Luiz Suarez im Sommer 2014 ebenfalls überfordert schien.
Von den Neuzugängen schlug einzig Eriksen von Beginn an so richtig ein. Mittelfeld-Mann Paulinho war lange verletzt, Stürmer Soldado wurde nie so wirklich glücklich. Flügelstürmer Erik Lamela brauchte ebenfalls sehr lange, um sich bei den Londonern einzuleben. So hing Tottenham immer wieder der Ruf an, dass man zwar ein talentiertes Team habe, allerdings unter Wert spiele.
…eng ist gut
Mit dem Amtsantritt Pochettinos änderte sich einiges bei den Spurs: Dem 4-2-3-1 der Vorjahre blieb man weitestgehend treu; neu waren die Rollen der „Außen“-Stürmer. Klebten diese unter Vorgänger Harry Redknapp oder Tim Sherwood noch an der Seitenlinie, ziehen sie unter Pochettino in aller Regelmäßigkeit ins Zentrum.
Die offensive Dreierreihe wechselt untereinander munter die Positionen. Die Breite sollen die aufrückenden Außenverteidiger geben. Durch dieses Zusammenziehen erzeugt Tottenham mehr Präsenz im Zentrum, was zu Überzahl in Ballnähe führt.
Dadurch steht man im Falle des Ballverlustes bereits sehr kompakt und kann sofort ins Gegenpressing gehen. Teilweise kann man diese Strategie mit jener von Bayer Leverkusen vergleichen, die das Spielfeld ebenfalls möglichst eng halten und Überzahl in Ballnähe erzwingen wollen.
In diesem Jahr wird dieses Konzept allerdings noch klarer durchgedrückt. In der letzten Saison war man wesentlich gestreckter und wies einige Lücken im zentralen Mittelfeld auf, die von den Sechsern nur unzureichend gefüllt wurden. Offensiv hing vieles von der individuellen Qualität Eriksens und Kanes ab, die im letzten Drittel für Durchschlagskraft sorgten. Vielfach tritt man jetzt geschlossener und dadurch dominanter auf als noch im letzten Jahr, als die Spurs oftmals in der Schlussphase den Siegtreffer erzielten und das Ergebnis über eine schlechte Leistung hinwegtäuschte.
Tottenham Taktik: Asymmetrie der Doppelsechs
Ein Grund für die geschlossene Spielweise der Nordlondoner ist nicht nur die engere Staffelung der offensiven Drei, sondern die Rollenverteilung im defensiven Mittelfeld. Im letzten Jahr spielten Abräumer Nabil Bentaleb und Ryan Mason in den meisten Fällen im Zentrum.
Problematisch war das Zusammenspiel dieser beiden. Während Bentaleb häufig tief an der eigenen Verteidigung blieb, rannte Mason von Strafraum zu Strafraum und so klafften einige Lücken zwischen diesen beiden, die der Gegner oft gut bespielen konnte. Ein langer Ball auf den Stürmer, der anschließend auf die nachrückenden Spieler ablegte reichte aus, um die Spurs-Defensive vor Probleme zu stellen.
In dieser Saison kam dieses Duo kein einziges Mal zum Zug. Pochettinos Vertrauen bekamen bisher der 21-jährige Eric Dier und der 19-jährige Dele Alli. Die Aufgaben sind hier klar verteilt: Dier ist der absichernde Sechser, Alli der aufrückende Verbindungsgeber im zweiten Drittel. Eric Dier, gelernter Innenverteidiger, ist ein technisch nicht herausragender aber dennoch solider Sechser, der durch seine Einfachheit überzeugt.
Spektakuläre Dribblings à la Eriksen sieht man bei ihm eher selten. Seine Aufgaben liegen in der Defensive und der Stabilität. Im Spielaufbau lässt er sich zumeist zwischen die Innenverteidiger fallen, jedoch ohne dabei für den Gegner vorhersehbar zu sein. Er fällt nur zurück, wenn es passend ist.
Erhält Dier in diesen Szenen den Ball, spielt er entweder einen Querpass zum nächsten Mann oder er spielt vereinzelt ansehnliche Diagonalbälle auf den Flügel. Im Spiel gegen den Ball ist Dier sehr aufopferungsvoll. Es gibt keinen Ball, den er herschenkt, keinen Ball will er ohne Kampf dem Gegner überlassen.
Ein Markenzeichen sind seine Grätschen, bei denen er den Gegner leicht schräg von hinten auf der Seite rutschend mit dem unteren Bein vom Ball trennt. Weiterhin nutzt er das Sichtfeld des Gegners clever aus: ahnt er einen Pass zum Gegner voraus, welcher sich mit dem Rücken zu Dier befindet, rückt er überfallartig heraus, um ihn zu stellen. Ist dies nicht der Fall verzögert der 21-Jährige den Angriff.
Dele Alli ist wesentlich feingliedriger als Dier. Letzte Saison noch an MK Dons in die zweite Liga verliehen, zeigt der 19-Jährige in dieser frühen Phase der Saison sein Können. Als halblinker Achter kümmert er sich zumeist um die Ballzirkulation im zweiten Drittel. Manchmal rückt er auch sehr weit aus seiner Position heraus, um die vorderste Linie zu unterstützen, wenn sich beispielsweise Eriksen zurückfallen lässt.
In der Ballbehandlung zeigt er bereits einige für sein Alter herausragende Fähigkeiten. So bewahrt er unter Druck sehr oft die Ruhe, hin und wieder lässt er neben Beinschüssen auch mal ‘nen Außenristpass raushängen. Mit 19 Jahren. In direkten Zweikämpfen überdreht er ab und an, was aber seit Anfang der Saison besser wurde. Aufgrund seiner Leistungen wurde Alli folgerichtig für die letzten beiden Nationalspiele nominiert und hat gegen Frankreich mal eben einen in den Knick gehauen. Mit 19 Jahren.
Alli und Dier bestritten ein Großteil der Spiele. Umso wichtiger ist es, den jungen Spielern die nötigen Pausen zu geben. Mit Bentaleb, Mason und Dembélé hat Pochettino ordentliche Optionen.
Punktuelle Verstärkungen in der Defensive
In der Defensive rüsteten die Spurs mit Toby Alderweireld und Kevin Wimmer vom 1.FC Köln auf. Während Wimmer noch nicht so richtig in Tritt kommt, ist Alderweireld zur festen Größe in der Abwehr der Spurs geworden.
Der Belgier ist ein athletischer Innenverteidiger, der über ein gutes Aufbauspiel verfügt und kompromisslos verteidigt. Seine Gefahr bei Standards ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Zusammen mit Nationalmannschafts-Kollege Jan Vertonghen bildet er die zweitbeste Defensive der Liga (11 Gegentreffer; Manchester United 9 Gegentreffer).
Die Außenverteidiger sind mit Danny Rose und Kyle Walker wie bereits erwähnt sehr offensiv besetzt.
Beide haben einen enormen Drang nach vorn, auch wenn Rose auf Links teilweise etwas ungestüm wirkt. Walker hält sich etwas mehr zurück, sucht nicht ganz so häufig den Weg zur Grundlinie wie sein Pendant und beteiligt sich aktiver am Kombinationsspiel. Mit Kane und Lamela funktionierte dies in der Vergangenheit recht ordentlich. Die Außenverteidiger sollen Druck nach vorn ausüben, Breite geben und im besten Fall die flexible Offensive der Spurs unterstützen.
Respektiert meine Flexibilitäää!
In der Offensive agieren die Tottenham Hotspur wie erwähnt sehr geschlossen. Fixpunkt ist dabei Christian Eriksen. Der Däne wird zumeist im Zentrum oder auf der linken Seite eingesetzt, von wo aus er mit Dribblings in die Mitte zieht.
Dort angekommen sucht er entweder den Abschluss oder er bedient die diagonal einlaufenden Stürmer mit
Schnittstellenpässen. Vereinzelt zieht er auch gar nicht erst in die Mitte, sondern wuchtet den Ball mit viel Schnitt Richtung Elfmeterpunkt, was für die Verteidiger und den Torhüter extrem unangenehm zu verteidigen ist. Weiterhin ist Eriksen bei ruhenden Bällen der Chef, was in Summe zu bisher 5 Assists und insgesamt 31 erspielten Chancen führt.
Flankiert wird Eriksen häufig von Erik Lamela, Nacer Chadli oder Heung-min Son, mit dem er sehr oft die Positionen tauscht. In einigen Partien gab auch Mousa Dembélé den Zehner und Eriksen war auf dem linken Flügel wiederzufinden. Mittelstürmer Harry Kane driftet im Angriffsverlauf der Spurs vom Zentrum auf die Flügel ab, um den Flügelstürmern Raum zu öffnen.
Dies ist ein gängiges Prozedere bei Pochettinos Mannschaft in dieser Saison: Kane weicht sehr oft auf Außen aus und bietet dem nominellen Flügelspieler die Chance nach Innen zu ziehen. Zusammen mit Eriksen soll dieser Flügelspieler dann die Bälle entweder schnell in die Spitze spielen oder es wird versucht, mittels Querpässen die Verteidigung zum Verschieben zu bringen, um auf die passende Gelegenheit zu warten.
Das Ziel dieser beiden Varianten in beiden Fällen identisch: Die aus dieser 4-2-4-artigen Staffelung neuentstandenen Flügelspieler sollen diagonal Richtung Tor ziehen und den Abschluss suchen. Harry Kane ist in diesen Situationen Gold wert, da er ein hervorragendes Gespür für gegnerische Laufwege hat und seinen eigenen dementsprechend steuern kann. Son ist im Vergleich zu Chadli oder Lamela noch geeigneter, da er zum einen wesentlich schneller ist und zum anderen eine bessere Technik besitzt, um den Ball im höchsten Tempo zu verarbeiten.
Eriksen und Lamela steht diese neue Rolle als einrückende Ballverteiler im Zentrum ebenfalls gut zu Gesicht. Beide sind in ihren Dribblings sehr explosiv und können sich mit kurzen Drehungen schnell Druck entziehen.
Lamela, der im Sommer beinahe verkauft worden wäre, blüht nun so richtig auf. Anders als Eriksen sucht er öfter das Dribbling und geht noch mehr Risiko in seinen Pässen. Den Querpass sieht man eher vom Dänen als vom Argentinier. Auch Dembélé ist für diese Rolle bestens geeignet, wenn nicht sogar noch besser als Lamela, da er umsichtiger ist und sich stärker an der Defensivarbeit beteiligt.
Unterstützt wird die Offensivreihe zumeist von Alli, der in manchen Szenen sogar die Sturmspitze besetzte. Dazu gesellt sich der ballnahe Außenverteidiger, der wie erwähnt frühzeitig Breite geben soll. Diese Vorstöße werden in der Regel sehr gut von Dier und den Innenverteidigern ausbalanciert, weshalb man hier im Vergleich zum Vorjahr wesentlich weniger Torchancen zulässt.
Ein Für und Wider
Dennoch ist bei den Spurs noch nicht alles Gold, was glänzt; so kam es in dieser Saison hin und wieder vor, dass der Spielrhythmus einschläfernd und blutleer wirkte, da sich die Offensivreihe gegenseitig auf den Füßen stand. Durch die enge Staffelung der Spieler zu einander kann man zwar wie erwähnt sehr schnell in die Ballrückeroberung gehen, steht man jedoch zu eng, läuft man Gefahr sich selbst zu isolieren.
Im Spiel gegen Swansea standen sich Eriksen & Co. vielfach auf engstem Raum beieinander, wodurch es für die Defensive der Swans ein Leichtes war, den Gegner zu kontrollieren. Rücken die Außenverteidiger in solchen Situationen nicht konsequent genug nach, werden diese Probleme noch immenser.
Die Offensive ist an normalen Tagen dennoch immer in der Lage, Torchancen zu kreieren. Gelingt das nicht, ist man bei Standards immer noch sehr gefährlich, sei es durch Ecken oder direkte Freistöße Eriksens, die als Dosenöffner dienen.
Die Spielweise Tottenhams lässt allerdings ein dominantes Auftreten zu, wodurch man den Treffer notfalls auch erzwingen kann. Die Spurs sind kein reines Konterteam mehr. Ein klares Ballbesitzspiel mit vielen Dreiecken im Stile des FC Bayern sieht man auch nur vereinzelt. Vielmehr will Pochettinos Team den Ball möglichst frühzeitig erobern, aggressiv den Gegner anlaufen. Umso wichtiger ist bei dieser Spielweise die Absicherung der Spieler untereinander. Die aktuelle Lage bei Bayer Leverkusen zeigt, wie entscheidend diese gegenseitige Sicherung für den Erfolg dieser Spielidee ist.
Aussichten
Um ein Fazit zu fassen: die Spurs haben sich zur neuen Saison prächtig entwickelt. Man verfolgt eine gute Spielidee, an der man noch feilen kann. Jedoch ist es schon ein großer Vorteil in der Premier League, wenn man eine klare Spielstruktur verfolgt. Die Ergebnisse der letzten Wochen geben Mauricio Pochettino Recht. Die Mannschaft ist jung und mit Talenten gespickt, dazu besteht die Möglichkeit sich mit einzelnen Spielern in Breite und Spitze zu verstärken.
Southamptons Victor Wanyama, West Broms Sadio Berahino und das ewige Talent Alexandre Pato, dessen Vertrag zum Jahresende ausläuft werden da immer wieder genannt. Aber auch schon in dieser Saison scheint die Champions League möglich. Den Big Playern kann man jedenfalls Paroli bieten, die Stadtrivalen hat man schon geschlagen. Tottenham die Nummer 1 in London? Maybe they Kane…