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Wie gut war eigentlich… Franco Baresi?

Franco Baresi – eine weitere Legende aus der Riege der italienischen Verteidiger. Für viele ist er der beste Innenverteidiger aller Zeiten, einige bezeichnen ihn gar als „den letzten echten Libero“. Sein Spitzname: „Kaiser“, angelehnt an niemand geringeren als Franz Beckenbauer.

Meine Erwartungen an den inzwischen 61-jährigen Italiener waren ebenfalls sehr hoch. Besonders die Vergleiche mit Beckenbauer weckten bei mir die Hoffnung, es mit einem Spieler zu tun zu haben, welcher vorrangig über Intelligenz und nicht über Physis kommt.

Das galt gleichermaßen für sein Spiel gegen und mit dem Ball. Ich erwartete viele andribbelnde Momente, aber auch eine beträchtliche Anzahl von Flugbällen – wie es damals eben üblich war.

Negative Erwartungen hatte ich eigentlich keine. Ich erwartete einzig nichts Spektakuläres – Baresi war sicher solide, intelligent und mit dem Ball seiner Zeit voraus, aber aus heutiger Sicht wirkt es beinahe fahrlässig, wenn ein Spieler in den 1990ern bei den riesigen Räumen auf dem Spielfeld nicht andribbelte.


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Wie so oft in dieser Serie lag ich mit dieser Annahme natürlich falsch. Besonders mit dem Ball waren die Aktionen des 1,76m großen Innenverteidigers spektakulär und gewissermaßen das Wiedererkennungsmerkmal des Franco Baresis.

 

Dribbeln Dribbeln Dribbeln

Der italienische Innenverteidiger zeichnete sich dadurch aus, dass er jeden vorhandenen Raum nutzte, um anzudribbeln. Das konnten kurze Dribblings über 5-10 Meter sein, um den Gegner nach hinten zu drücken – es konnten aber auch Dribblings über 40 Meter sein, bei denen er tief in die gegnerische Formation eindrang.

Das war keinesfalls wild, sondern kontrolliert und zielstrebig. Baresi blieb zentral und nutzte einfach nur den Raum, den der Gegner ihm ließ. Oftmals musste er gar keine Gegner im „1 vs. 1 schlagen“, sondern zog so an ihnen vorbei, dass er einfach nur den Raum neben oder hinter ihnen nutzte.


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Dabei behielt er stets die Orientierung und spielte den Ball schließlich ab, wenn ein Mitspieler in einer besseren Situation als er war. Baresi kreierte mit seinem Andribbeln ebenfalls verbesserte Situationen für seine Mitspieler – schließlich ist der Gegner gezwungen, irgendwann auf den andribbelnden Spieler herauszurücken und seinen ursprünglichen Gegenspieler zu verlassen. Hier gilt wieder die Faustregel: Stelle ich eine Gefahr dar, kreiere ich Raum und einen Orientierungsvorteil für meine Mitspieler.

 

Dribbeln und Spielen, Dribbeln und Spielen

Was Baresi von vielen Innenverteidigern unterschied (und immer noch unterscheidet), ist die Vielfältigkeit seiner Aktionen aus und mit dem Andribbeln. Die meisten Innenverteidiger nutzen das Andribbeln aus zwei Gründen:

1. Ein Mitspieler ist in einer guten Situation bespielbar, sie können ihn aber nicht anspielen. Also laufen sie 10 Meter mit dem Ball, sodass sich der Passweg öffnet und sie den Pass spielen können. Job done.
2. Der Gegner bietet unheimlich viel Raum, welchen der Spieler mit Ball nutzt. Am Ende kommt er selbst zum Abschluss oder spielt ab. Job done.

Das war Franco Baresi aber zu langweilig. Hatte dieser erstmal Dynamik aufgenommen, behielt er diese auch bei. In einfacher: Der “Kaiser” spielte den Ball zwar ab, lief aber weiter zum gegnerischen Tor durch.


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Im Deutschen wird dies als „Spielen und Gehen“ bezeichnet und ist – richtig angewendet – sehr schwierig zu verteidigen. Nach dem Pass von Baresi war die natürlichste Reaktion des Gegners, dem Pass hinterherzuschauen und sich nun auf den neuen Ballführenden zu konzentrieren. Der 1,76m große Innenverteidiger nutzte seinen Orientierungsvorteil aus, nahm nochmal höheres Tempo auf und bekam den Ball von seinem Mitspieler wieder.

Das Baresi mit Ball so schnell wirkte, lag nicht nur an seiner durchaus ordentlichen Dynamik – es lag auch daran, in welchen Situationen er den Ball bekam. Vor der Ballmitnahme hatte der Italiener bereits Tempo aufgenommen, während der Gegner noch statisch war. Der “Kaiser” empfing meist Querpässe, während er selbst bereits in Vorwärtsdynamik war. So konnten sehr ungefährliche Szenen in wenigen Sekunden zu hochgefährlichen Situationen werden. Und das nur, weil Baresi lieber in den Ball hineinlief als in einer Position zu stehen.

 

Mats Hummels Vorgänger: Außenrist6

Böse Zungen werden jetzt sagen: „Aber der hat doch nur 31 Tore in 714 Spielen geschossen, so toll war das dann ja doch nicht!“. Das hat mehrere Gründe. Einerseits fand Baresi Verteidigen so toll, dass er sogar bei eigenen Ecken hinten geblieben ist. Andererseits war sein Fokus mit Ball darauf ausgerichtet, am Ende seiner Aktion die bestmögliche Situation für seine Mitspieler kreiert zu haben.

Das tat er mit seinem herausragenden Passspiel. Aus tiefen Positionen spielte er linienbrechende Pässe zu seinen zentralen Mittelfeldspielern, oft sogar aus einen dynamischen Andribbeln heraus. Gleichzeitig spielte Baresi viele Flugbälle.

Der erste Blick vom 81-fachen italienischen Nationalspieler ging nämlich stets in die Tiefe. Nur wenn dort niemand anspielbar war, nutzte er selbst den Raum. Ansonsten bespielte er Tiefensprints seiner Mitspieler oder geeignete Zielspieler sofort. Seine Technik war gut, die Pässe waren angenehm zu verarbeiten und sorgten für diverse Highlights.

 

Aus der Tiefe des Raumes

Franco Baresi gilt jedoch nicht (nur) als einer der besten Innenverteidiger aller Zeiten, weil er so gut am Ball war. Im Land des Catenaccios kommt es auch darauf an, wie gut ein Verteidiger ist, wenn er gegen den Ball spielt. Wenig überraschend war der dreifache CL-Sieger darin sehr gut.

He was special. He was a short, skinny guy but so strong. He could jump so high. The way he played on the field was an example for everybody. He wasn’t a big speaker, no, no, no. The way he played, the way he trained was an example. He had pace, but he was only 70kg. But let me tell you – when he hit you with a tackle, he was so strong. For me, he was the role model. He was a reference. He was also very good with the ball. Very, very good. It is very hard to find a good defender, who is strong and good with the ball. Very hard.” – Paolo Maldini

Dabei machte er über seine Karriere eine durchaus interessante Entwicklung durch: Anfangs war Baresi ein sehr tief agierender, zentraler Verteidiger – ein Libero quasi. Der Italiener war aber mehr Ausputzer als Libero. Baresi sicherte seine Kollegen ab und war zur Stelle, falls diese überwunden wurden.

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In der Restverteidigung war der Innenverteidiger wohlgemerkt herausragend. Baresi blockte viele Schüsse und gewann Zweikämpfe als letzter Mann. Diese Herangehensweise hatte jedoch einen großen Haken: Die gefährlichen Szenen vom Gegner werden zwar gut verteidigt, der Gegner kommt aber auch zu unverhältnismäßig vielen gefährlichen Szenen.

Die Rolle des “Kaisers” entwickelte sich demnach weiter. Als eine der ersten Teams spielte sein AC Milan mit einer Raumdeckung, die von Arrigo Sacchi eingeführt worden war. Der 1,76m große Italiener war nun linker Innenverteidiger in einer Viererkette und kein Libero mehr.

Franco Baresi verteidigte von nun an deutlich offensiver und rückte früh und weiträumig heraus. Mit seinem überragenden Timing gelang es ihm, Angriffe des Gegners gar nicht erst entstehen zu lassen. Dabei ist das Herausrücken als Mittel immer ein zweischneidiges Schwert:

Prinzipiell öffnet Baresi mit seinem Herausrücken natürlich Raum, den der Gegner bespielen „könnte“. Gelangt der Ball dorthin, hat sein Team ein großes Problem. Die Kunst ist jedoch, dafür zu sorgen, dass der Gegner diese Räume gar nicht erst bespielen kann.

Das gelang Baresi mit seinem Herausrücken überragend. Der Gegner kam durch seinen Druck gar nicht dazu, aufzudrehen und die entstandene Lücke zu sehen. Und was der Gegner nicht sieht, kann er auch nicht bespielen. Deswegen ist die durchaus verbreitete Ansicht, dass Innenverteidiger und Sechser bloß auf „ihrer Position“ bleiben sollen, einfach Quatsch.

Ein Spieler kann den Raum vor der Abwehr auch schützen, ohne dort positioniert zu sein – wenn es ihm gelingt, den Gegner aus dem Raum fernzuhalten.

 

Don´t call my name, don´t call my name – Franco

Baresis Aktionen wirkten auch deswegen so spektakulär, weil sie so plötzlich kamen. Gerade noch war der Gegner im Angriff, da ist Baresi schon wieder 30 Meter in die gegnerische Formation reingedribbelt. Dabei half ihm sein äußerst moderner Verteidigungsstil – der italienische Innenverteidiger fing lieber Pässe ab, als sich in Zweikämpfe zu begeben.

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Dieses Abfangen gestaltete der 81-fache italienische Nationalspieler dynamisch. Er erkannte, dass der Pass gespielt werden würde und timete seinen Lauf so, dass er vor dem Gegenspieler an den Ball kommen würde. Gewinnt er dann den Ball, ist er bereits im Tempo und guckt Richtung gegnerisches Tor – Game over.

Aber diese Serie wäre langweilig, wenn es nicht zumindest einen kurzen Teil über die Schwächen des analysierten Spielers geben würde. Und dafür gab es durchaus Futter bei Baresi.

 

Juego de Posicíon? Geh mir aus dem Weg, ich bin Franco Baresi!

Der Innenverteidiger rückte gerne und früh mit Ball auf und war insgesamt sehr aktiv in seinem Bewegungsspiel. So weit, so gut. Problematisch wurde das Ganze, wenn Baresi seinen Mitspielern sehr nah kam – was er gerne tat.
Manchmal lief der Italiener einfach auf einen Mitspieler drauf, um den Ball zu fordern. Das war nicht so gut, weil er dem Ballführenden damit sehr viele Optionen wegnimmt.

Außerdem hatte Baresi nach dem erfolgten Pass die selbe Spielsituation vor sich wie der Passgeber vorher – das ist zwar durchaus ein Gewinn, weil Baresi aus der selben Situation wohl mehr machen kann als sein durchschnittlicher Mitspieler, aber mit völlig Blinden spielte der Italiener ja auch nicht zusammen. Ob das dann wirklich immer nötig war…

 

Hoch und weit mit viel Zeit ist selten gescheit

Die Intelligenz und Erfolgsstabilität, die Baresi bei seinen Dribblings auszeichnete, ging ihm außerdem im Passspiel etwas ab. Ja, er konnte gute Flugbälle spielen und spielte diese Bälle sofort, wenn es eine Option dafür gab. Das war auch nicht das Problem: Das Problem war, dass er diese Bälle ebenfalls spielte, wenn es keine Option dafür gab.

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Lange Pässe haben ein großes und sehr simples Manko – sie sind deutlich länger unterwegs als kurze Pässe. So kann es durchaus sein, dass der Flugball im Moment des Passes total sinnvoll erscheint, weil der Spieler frei ist. Bis der Ball dann aber da ist, ist der Spieler nicht mehr frei.

Baresi spielte diese Bälle zu oft und gab damit die Kontrolle über den Ball und die Situation zu leicht her. Häufig stand er bei seinen Flugbällen nicht einmal unter Druck und selbst wenn der Pass angekommen wäre, wäre der Ballempfänger in keiner besseren Situation gewesen als Baresi vorher.

Es kann natürlich immer sein, dass diese Pässe Anweisungen von seinen Trainern waren. Aber dann hätte er lieber nicht darauf hören sollen, schließlich war und ist er Franco Baresi.

 

Kurze Hose, lange Karriere

Blickt man auf die Karriere des Italieners zurück, sind seine Errungenschaften äußerst beeindruckend: Weltmeister, dreifacher Champions League Sieger (bzw. Europapokal der Landesmeister) und sechsfacher italienischer Meister. Dazu kommen insgesamt 81 Spiele für die italienische Nationalmannschaft und 714(!) Spiele für seinen Verein, den AC Mailand.

Bis zum 37. Lebensjahr spielte Baresi für seine große Liebe, bei der er seit Oktober 2020 als Vize-Präsident tätig ist. Der Innenverteidiger ist eine Legende des Vereins und eine Legende des Weltfußballs. Und diesen Status hat sich der Mann in den sehr kurzen Hosen wahrlich verdient (danke Franco, du warst trotz katastrophaler Bildqualität leicht zu identifizieren).


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Sein Spielstil war spektakulär und riskant, gleichzeitig aber erfolgsstabil. Jede seiner Aktionen – ob mit oder ohne Ball – war einzigartig und kreativ, hatte aber stets Hand und Fuß. Franco Baresi war seiner Zeit so weit voraus, dass er heute immer noch ein moderner Innenverteidiger wäre.

Die Ballaktionen und Bewegungen so weiträumig zu gestalten, aus gegnerischem Ballbesitz eigene Torchancen entstehen zu lassen und sich mit drei bis vier Doppelpässen mit unterschiedlichen Mitspielern bis vor das gegnerische Tor zu spielen – das konnte nur Baresi.

Zum Glück entwickelt sich der Weltfußball derzeit in eine Richtung, in der es wieder mehr Franco Baresi auf dem Fußballplatz geben wird. Mehr Andribbeln, mehr Bewegung, freiere Rollen und das Lösen vom Positionsdenken. All das schreitet immer weiter voran, und der Italiener legte den Grundstein dafür.

Franco Baresi – der letzte echte Libero als Wegbegründer des modernen Fußballs.

(Titelbild: © IMAGO Images)

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Henri Hyna
Liebt guten Fußball und hasst jeden nicht guten Fußball. Versteht aber auch nicht genau, wie guter Fußball funktioniert

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