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„Joga Bonito Lyonnaise“: Wie Juninho OL prägt

Dies ist ein Gastbeitrag von Johannes Skiba

„Joga Bonito“ (das schöne Spiel, oder „schön Spielen“) steht für das, was man sich als Zuschauer von brasilianischem Fußball verspricht: Spielfreude, Leichtigkeit und spektakuläre Tore.

Und doch ist es so viel mehr als nur eine Art und Weise Fußball zu spielen. Auf dem Platz wird „Joga Bonito“ zum Spiegelbild eines in Brasilien entstandenen Lebensgefühls.

Wie kein Zweiter steht Ronaldinho für all diese Elemente. Mit einem steten Lächeln im Gesicht verzauberte er in den 2000er Jahren Millionen von Fans weltweit.

Doch nicht nur Ronaldinho verkörperte zu seiner Zeit das „Joga Bonito“. Neben ihm reiten sich nicht minder bekannte Ballkünstler wie Ronaldo, Roberto Carlos oder Kaká ein.

Für die Bekanntheit des Begriffs spielte eine Werbekampagne von Nike, ebenfalls Anfang der 2000er, eine prägende Rolle.

Sie definierte das vielleicht etwas abstrakt anmutende Konstrukt als eine Art Fußball zu spielen, die von einer ganzen Generation junger Fußballspieler auf den Bolzplätzen dieser Welt nachgeahmt wurde – zumindest wurde es versucht.

Nike vereinfachte die Idee von „Joga Bonito“, machte es dadurch aber gleichzeitig zugänglicher.

Ein Spieler Brasiliens, der 40 Länderspielen zum Trotz im Grunde stets im Schatten Ronaldinhos stand, ist Juninho Pernambucano. Auch er verkörperte durch sein Talent und Ballgefühl das schöne Spiel. Sein Markenzeichen waren Freistoßtore.

44 seiner 100 Tore für Olympique Lyon, für das er von 2000 bis 2009 aktiv war, erzielte er auf diese Weise. Bis heute gelten seine Freistöße als die besten, die jemals getreten wurde.




 

So konnte er trotz seines eher schüchtern wirkenden Charakters seinem Spiel ein Showelement, einen magischen Moment hinzufügen, das ihn über die Grenzen Brasiliens und Frankreichs hinaus bekannt machte.

Obwohl er den weltweiten Status Ronaldinhos nie erreichen konnte, wurde ihm eine bis heute anhaltende Verehrung der Fans von Olympique Lyon zuteil. Diese Verehrung geht Hand in Hand mit seinem Spielstil, seiner Interpretation von „Joga Bonito“, die in ganz Frankreich großen Anklang fand.

Mit Juninho gewann Lyon von 2002 bis 2008 sieben Mal in Folge die französische Meisterschaft. Diese sieben Meistertitel sind die einzigen in der Vita von Olympique.

Im Alter von 34 Jahren durfte er 2009, aufgrund seiner unbestrittenen Verdienste für den Verein, trotz laufenden Vertrages, ablösefrei zum katarischen Verein Al-Gharafa wechseln. Mit ihm verließ auch das „Joga Bonito“ für viele Jahre die Stadt am Rande des Zentralmassivs.

 

Juninhos Rückkehr

Im Mai 2019 kehrte Juninho nach zehn Jahren nach Lyon zurück. Dieses Mal in der Funktion als Sportdirektor. Der Verein und einer seiner besten ehemaligen Spieler, die in der Vergangenheit enorm voneinander profitiert hatten, schlugen also ein gemeinsames, zweites Kapitel ihrer Beziehung auf.

Allerdings hatte sich in der Zwischenzeit einiges bei Olympique verändert. Das brasilianische Flair, das Juninho dem Verein einhauchen konnte, schien verflogen. Titelerfolge und das „Joga Bonito“, das zu Juninhos aktiver Zeit fester Bestandteil des Spiels von OL war, fand man weder im Kader noch auf dem Platz wieder.

Mit dem niederländischen Offensivakteur Memphis Depay (27) und dem französischen Nationalspieler Houssem Aouar (22) verfügte Lyon zu dieser Zeit, trotz zahlreicher Spielerverkäufe, dennoch über zwei Unterschiedsspieler.




 

Juninhos erste Amtshandlung war die Ernennung seines brasilianischen Freundes Sylvinho zum neuen Cheftrainer. Es sollte nicht die einzige Entscheidung bleiben, die Juninhos Wunsch nach einer Rückkehr der brasilianischen Spielkultur in Lyons System unterstreicht.

Nicht alle Entscheidungen waren dabei jedoch von Erfolg gekrönt.

Doch der Reihe nach: Im Sommer 2019 verließen mit Tanguy Ndombélé (zu Tottenham für 60 Mio. Euro), Ferland Mendy (zu Real Madrid für 48 Mio. Euro) und Nabil Fekir (zu Betis Sevilla für 19,75 Mio. Euro) drei wichtige Leistungsträger den Verein.

Mit dem neuen Sportdirektor und dem neuen Trainer leitete Lyon somit auf und neben dem Platz einen Umbruch ein. Einzig der nicht unumstrittene Vereinsbesitzer Jean-Michel Aulas stellt seit 1987 eine schier unumstößliche Konstante des Vereins dar.

Die ersten Transfers, in die Juninho einen Teil der durch die Spielerverkäufe generierten Einnahmen reinvestierte, kann man nun mit dem nötigen Abstand, als wenig gewinnbringend bezeichnen.

Der junge Mittelfeldstratege Jeff Reine-Adélaïde (kam vom SCO Angers für 25 Mio. Euro) und der junge dänische Innenverteidiger Joachim Andersen (kam von Sampdoria Genua für 24 Mio. Euro) konnten sich in ihrer Debütsaison nicht empfehlen und wurden im Sommer-Transferfenster 2020 verliehen.

Trotz ihres jungen Alters waren beide als Soforthilfen eingeplant, um die prominenten Abgänge zu kompensieren.


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Jean Lucas (22), der für acht Mio. Euro von Flamengo aus Rio de Janeiro kam und mittlerweile ebenfalls verliehen ist, war von Beginn an als Perspektivspieler eingeplant. Der erhofften Entwicklung konnte aber auch Lucas bisher leider noch nicht gerecht werden.

Einzig der brasilianische defensive Mittelfeldspieler Thiago Mendes (28), der für 22 Mio. Euro von Ligakonkurrent OSC Lille nach Lyon wechselte, konnte sich nachhaltig durchsetzen. Doch auch Mendes hatte zunächst Probleme.

Grund dafür war hauptsächlich das fehlende Gesamtkonzept von Trainer Sylvinho, der nach drei Monaten Amtszeit, Anfang Oktober 2019 seinen Posten wieder räumen musste.

In Summe erbrachte das Transferfenster im Sommer 2019, gemessen an den getätigten Investitionen, zu wenig Ertrag.

Gleichwohl war die Aufgabe, die Abgänge von drei Leistungsträgern mit deutlich weniger Budget aufzufangen, für einen unerfahren Sportdirektor wie Juninho unverhältnismäßig schwer.

So verlief die Hinrunde der Saison 2019/20, in der Lyon nach 19 Spielen nur 26 Punkte erzielen konnte, mit Platz zwölf recht erfolglos. Weder die Neuzugänge noch der neue Trainer wussten dabei zu überzeugen.

 

Olympique Lyon: Der Wendepunkt

Der Wendepunkt kam Mitte Oktober 2019 mit der Ernennung Rudi Garcias zum neuen Cheftrainer und dem anschließenden Wintertransferfenster, in dem Juninho seine große Qualität als Sportdirektor beweisen, und auf sein erstklassiges Netzwerk zurückgreifen konnte.

Mitte Januar 2020 lieh OL den Kameruner Stürmer Karl Toko Ekambi (28) für vier Mio. Euro von Villareal aus und sicherte sich zusätzlich eine Kaufoption von 14 Mio. Euro für den Sommer 2020.

Ein bulliger, schneller Stürmer mit enormer Durchschlagskraft, der wesentlich besser in Garcias Interpretation vom 4-3-3 passen sollte als Starstürmer und Eigengewächs Moussa Dembélé (24), der den Verein kürzlich Richtung Madrid (per Leihe mit Kaufoption zu Atlético) verließ.

Zusätzlich konnte man sich für stolze 12 Mio. Euro die Dienste des späteren Zweitliga-Torschützenkönigs Tino Kadewere (25) sichern, der allerdings erst im Sommer 2020 zum Verein stoßen sollte. Der Simbabwer wurde direkt an seinen Stammverein AC Le Havre zurückverliehen.

Nicht wenige Stimmen kritisierten diesen Transfer, da es fraglich war, ob der Zweitligastürmer seine Ablösesumme rechtfertigen und dem Team überhaupt weiterhelfen könne.


Der Königstransfer des Winters war die Verpflichtung von Bruno Guimãraes (23) für 22 Mio. Euro von Athletico Paranaense. Ein weiterer Brasilianer für Lyon also.

Im Gegensatz zu allen anderen Transfers von Juninho schlug Guimãraes direkt ein und konnte dem Team mit enormer Passsicherheit und gefährlichen Schnittstellenpässen unmittelbar weiterhelfen.

Da die Saison 2019/20 in Frankreich aufgrund der Corona-Pandemie nach dem 28. Spieltag Anfang März abgebrochen wurde, konnten die Winterneuzugänge Ekambi und Guimãraes ihre vielsprechenden Leistungen allerdings nur in wenigen Partien andeuten.

Der Saisonabbruch und die damit verbundene, ungewöhnlich lange Pause für die französischen Vereine gaben „Les Gones“ viel Zeit, um Garcias Spielidee für die neue Saison zu verinnerlichen.

 

Lyons Taktik: 4-3-3 à la Rudi Garcia

Das 4-3-3-System blieb zwar auch unter Garcia bestehen.

Doch änderte er die klassische Offensiv-Ausrichtung mit zwei Außenstürmern und einem Mittelstürmer zu einer innovativeren Variante, welche die drei Stürmer Ekambi, Kadewere und Depay, zusammen mit dem PSG-Trio Mbappé, Neymar und Kean zum erfolgreichsten Offensivtrio der Liga werden ließ.

Demnach spielt Memphis Depay etwas zurückgezogen als „falsche Neun“, während die Stürmer Kadewere und Ekambi die Außenpositionen besetzen.

Die Besonderheit liegt darin, dass Kadewere und Ekambi den Großteil ihrer Karriere im Sturmzentrum aufgestellt wurden. Garcias Kniff: Die Stürmer besetzen die Außenpositionen, um so ihre Schnelligkeit auszuspielen.




 

Jedoch ziehen sie in hoher Regelmäßigkeit mit diagonalen Laufwegen nach innen, um anschließend von Depay und Co. mit effektiven Schnittstellenpässen in die Sturmspitze versorgt zu werden. Gleichzeitig entsteht dabei Raum für die aufschiebenden Außenverteidiger.

Der antrittsstarke Maxwel Cornet (24) wurde für diese Rolle von Garcia vom Linksaußen zum Linksverteidiger umgeschult. Cornet interpretiert seine neue Position entsprechend offensiv, sodass er trotzdem eine hochfrequentierte und effektive Anspielstation im Offensivspiel darstellt.

Folglich ist er nach zwei Dritteln der Saison mit vier direkten Torvorlagen der drittbester Vorlagengeber seiner Mannschaft.

Cornets leichte Schwächen in der Defensive, besonders im Bezug auf sein Stellungsspiel, werden in der Regel nur dann erkennbar, wenn die Gegenspieler große Qualität vorweisen können.

Im Hinspiel der diesjährigen Liga-Saison gegen Stade Rennes konnte beispielsweise der junge Belgier Jéremy Doku (18) Cornet ein ums andere Mal schlecht aussehen lassen und ihn vor größere Probleme stellen.

Ähnlich verhielt es sich im Rückspiel gegen Olympique Marseille als der Gegenspieler Florian Thauvin (28) hieß. Auch hier hatte Cornet in entscheidenden Szenen oft das Nachsehen.


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Gegen den Großteil seiner Gegenspieler in der Ligue 1 kann Cornet sein verbesserungswürdiges Stellungsspiel durch seine Geschwindigkeit wett machen.

Bei Gegenspielern wie Doku, der auf eine Höchstgeschwindigkeit von sagenhaften 35 km/h kommt, gestaltet sich eine Kompensation durch Geschwindigkeit jedoch schwer.

Im Rückspiel gegen Rennes saß Cornet folgerichtig auf der Bank und wurde durch die Juventus-Leihgabe Mattia De Sciglio (28) ersetzt, der als die sichere Variante auf der Außenverteidigerposition gilt.

Offensiv stellt der Italiener allerdings einen deutlichen Verlust im Vergleich zu Cornet da.

Dessen Pendant auf der rechten Seite Léo Dubois (26) ist aufgrund seiner technischen Limitierung, besonders im Vergleich zu Cornet, spielerisch unauffälliger, sorgt aber mit vielen Flanken ebenfalls für regelmäßige Gefahrenmomente im gegnerischen Strafraum.


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Mit Juninho und Rudi Garcia ist das schöne Spiel nach Lyon zurückgekehrt. (© Imago Images)

Das Mittelfeld wird derweil vom robusten und technisch versierten Sechser Thiago Mendes angeführt. Sowohl beim Spielaufbau als auch bei der Einleitung offensiver Aktionen ist er miteingebunden.

Als Schnittstelle von Defensive und Offensive ist der Brasilianer nicht mehr aus Garcias System wegzudenken.

Außerdem genießt Mendes die Freiheit, in Garcias Kurzpassspiel im Mittelfeld situativ lange Bälle auf die schnellen Außenpositionen, hinter die Abwehr spielen zu dürfen.

In dieser für Mendes erteilten Spielfreiheit erkennt man nicht nur die Wertschätzung seines Trainers, sondern auch dessen breites fußballerisches Spektrum.

Der moderne Spielstil Lyons profitiert von den langen Bällen des Brasilianer, und sorgt auf diese Weise vereinzelt für wichtige Überraschungsmomente.

Juninhos und Garcias letztes Puzzleteil, das haargenau zu Lyons neuem Spielstil passt, fand man im zentralen Mittelfeldspieler Lucas Paquetá (23), der im letzten Sommer für 20 Mio. Euro aus Mailand nach Lyon wechselte.


Mit ihm erhielt Olympique endgültig das „schöne Spiel“ zurück. Paquetás Spiel besticht, ganz im Sinne des „Joga Bonito“, durch Eleganz und Weltklassetechnik, die ihn zu einer Art Juninho-Nachfolger werden lässt.

Die Spielfreude von Ausnahmetalent Paquetá überträgt sich auch auf seine Mittelfeldkollegen Aouar, Guimãraes oder Mendes, die sich neben Paquetá weiter zu entfalten scheinen.

Dessen Impulse machen Lyon noch kreativer, was zum Besipiel durch zahlreiche Standardvarianten, die je nach Position von Paquetá, Depay, Dubois oder Mendes getreten werden, für jeden Zuschauer sichtbar wird.

Als Resultat dessen sind die ruhenden Bälle Lyons eine torbringende Waffe, die ligaweit gefürchtet ist.

Seit Beginn der Saison 2020/21 begeistert Lyon also wieder mit spektakulärem und effektivem Offensivfußball, der nach 29 Spieltagen zu Platz 3 mit nur drei Punkten Rückstand auf Tabellenprimus OSC Lille verhelfen konnte.




 

Nach fast zwei Jahren als Sportdirektor scheint Juninho den schönen Fußball, für den er selbst Jahre lang in Lyon stand, mit Hilfe seiner detailgenauen Kaderplanung erfolgreich zurückgebracht zu haben.

Das „Joga Bonito Lyonnais“ trägt demnach erneut die Handschrift von Juninho Pernambucano.

Mit Rudi Garcia fand er den passenden Trainer, der seine Spielidee teilt und das Potenzial der Neuzugänge entfalten konnte, wenngleich er aufgrund seiner Vergangenheit als Trainer von Rivale Marseille noch nicht alle Fans vollends von sich überzeugen konnte.

 

Juninho in Lyon: Blick in die Zukunft

Was jetzt noch fehlt sind Trophäen. Es bleibt spannend zu beobachten, ob das neue Lyon nach der zweijährigen Umstrukturierung auch den nächsten Schritt gehen und Serienmeister Paris vom Thron stoßen kann.

Doch so schön das Spiel Lyons mittlerweile anzuschauen ist, mit „Joga Bonito“ allein wird die, mit vielen Brasilianern und äußerst spielfreudigen Fußballern gespickte, Mannschaft wohl noch keine Titel gewinnen können.

Denn vereinzelt scheint die eigentlich gewünschte Verspieltheit der Spieler in wichtigen Phasen des Spiels noch überhandzunehmen.

Außerdem werden die zwei zentralen Figuren Depay und Aouar das Groupama Stadium im nächsten Sommer höchstwahrscheinlich verlassen. Für Topscorer Depay, der an gut 40% aller Tore beteiligt ist, wird Lyon aufgrund dessen auslaufenden Vertrages nicht Mal eine Ablösesumme generieren können.

Gerüchten zufolge soll das uruguayische Toptalent Facundo Torres (20) von Peñarol Montevideo das auserkorene Top-Transferziel des nächsten Sommers sein. Ein junger Offensivakteur, der sich gefühlt nahtlos in das „Joga Bonito Lyonnais“ einfügen könnte.

Scheinbar haben Juninho und Rudi Garcia auch für die zukünftigen Aufgaben die passenden Antworten parat.

Dies war ein Gastbeitrag von Johannes Skiba

(Titelbild: @Getty Images)

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Johannes Skiba
Lernte auf den Fußballplätzen von Buenos Aires Spanisch und in den Favelas von Rio de Janeiro Portugiesisch. Schaut europäischen Fußball nur noch wegen südamerikanischen Spielern. Betet für ein Revival des klassischen Zehners. Erfinder des Tricks „Jo-Capoeira-Drehung“ (anno 2015 auf den Frankfurter Hartplätzen). Fühlt ein Stück Kindheit, wenn er südamerikanischen Fußball schaut oder selbst am Ball ist und führt zudem einen Podcast zu südamerikanischen Fußball (Gol Olímpico).

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